Finnland: Auslandssemester während Corona
Das Modul “Internationale Optometrie” bietet Studenten der Fachhochschule Aalen im 6. Fachsemester die Möglichkeit, ein halbes Jahr im Ausland zu verbringen, um zu sehen, wie breit gefächert die Optometrie im internationalen Vergleich ist. Dank einer großen Auswahl an potentiellen Partneruniversitäten ist die Frage nicht, ob ein Auslandssemester gemacht wird, sondern viel mehr „Wo will ich überhaupt hin?“. Für Maximilian Haindl ging es ohne Verschnaufspause nach seinem Praxissemester Anfang Januar dieses Jahres an die Metropolia University of Applied Sciences in Helsinki, Finnland.
Die Gründe für die finnische Universität sind vielseitig. Zum einem lernt man durch ein Auslandssemester neue Blickwinkel und Arbeitsmethoden kennen sowie wird durch internationale Arbeitsgruppen die Teamfähigkeit deutlich gesteigert. Außerdem darf ein Bachelorabsolvent in Finnland Untersuchungen durchführen, welche in Deutschland den Augenärzten vorbehalten sind. Ein weiterer Pluspunkt für Helsinki und Finnland ist die atemberaubende Natur.
Universitätsleben
Student Haindl belegte an der Universität die Kurse „Finnish for Exchange students“, „Innovation Project“, „Visual Perception“ und „Optometric Management of Elderly People and Low Vision patients“. Der Kurs “Assessment of human movement in motion laboratory” wurde aufgrund der Corona-Maßnahmen zeitlich verschoben und konnte es daher nicht mehr besuchen.
An dem Modul “Innovation Project” nahmen fast ausschließlich Austauschstudenten aus aller Welt teil. Dieser Kurs kooperierte mit einem finnischen Architekturbüro und die Studenten teilten sich in internationale Arbeitsgruppen ein. Ziel des Moduls ist es, durch unterschiedliche Arbeitsmethoden und Denkweisen innovative Lösungen für den Auftraggeber zu finden. Die Studenten können zielführende Diskussionen in Englisch halten und gleichzeitig neue Lösungsansätze in ihr Repertoire aufnehmen.
Finnland ist in der digitalen Welt besser angekommen als Deutschland, dies erkennt man an den Einrichtungen des Campus. Gerade der Campus Myllypuro, in welchem der Studiengang Augenoptik/Optometrie beheimatet ist, wurde erst 2019 eröffnet und zeigt alle technischen Möglichkeiten auf. Auch die vollständige Umstellung zu Onlinevorlesungen aufgrund von Corona dauerte lediglich wenige Tage, da alle Skripte, Präsentationen oder sonstige Unterlagen längst digital verfügbar waren. Die Maßnahmen führten dazu, dass alle geplanten Exkursionen oder praktischen Tätigkeiten an realen Menschen ausfallen mussten. Teilweise improvisierten die Dozenten, wie z.B. die Präsentation von alltäglichen Hilfsgegenständen eines Low Vision Patienten über eine Videokonferenz. Die Anamnese eines Menschen mit schlechterer Sehleistung fand via Skype statt. Frau Prof. Dr. Pia Mäkelä, die zuständige Koordinatorin für Austauschstudenten, gab sich größte Mühe, dass jeder Aspekt des Lehrplans abgedeckt wurde. So konnte Haindl, die in Finnland typische Sehteste, wie z.B. den H.R.R. Test, zusammen mit der Professorin üben und praktische Erfahrungen sammeln. Durch den hohen theoretischen Anteil des Unterrichts und dem damit verbundenen Umgang mit englischer Fachliteratur sammelte er viele wichtige Eindrücke.
Unterschiede zwischen der Augenoptik/Optometrie
Die Gesundheit der Menschen besitzt einen extrem hohen Stellenwert in Finnland. Alle medizinischen Daten werden digital gesammelt und sind online für jeden Arzt abrufbar. Ebenso wird die Anamnese ausführlich niedergeschrieben und erfasst. Vor jeder Refraktion wird, zumindest im Schnelldurchlauf, ein augenoptisches Screening durchgeführt. Dabei wird der Augeninnendruck gemessen und das Gesichtsfeld mit Hilfe der Borish-Methode oder der Fingerperimetrie bestimmt. Die Optometristen in Finnland sind befugt, Atropin-Tropfen anzuwenden und Kinder zu refraktionieren.
Außerdem ist der Anteil der Träger von formstabilen Kontaktlinsen deutlich geringer als in Deutschland. Die meisten Augenoptikgeschäfte bieten daher nur weiche Kontaktlinsen an. Ein weiterer Unterschied zwischen Finnland und Deutschland ist die Ausbildung: In Finnland gibt es keine klassische Lehre zum Augenoptiker. Stattdessen besitzen die Mitarbeiter eines Augenoptikgeschäfts einen Bachelor- oder Masterabschluss.
Kennenlernen und Leben der finnischen Kultur
In der Metropole Helsinki leben circa 630.000 Menschen. Allerdings verschmilzt die Stadt mit Espoo und Vantaa, sodass das Einzugsgebiet gut eine Millionen Menschen umfasst. Bei einer Gesamtbevölkerung von 5,5 Millionen Menschen in Finnland ist dies eine beeindruckende Anzahl. Trotz dieser vielen Menschen fehlt Helsinki der klassische, etwas hektische Großstadtflair. Dank unzähliger Parks, kleiner Wälder und der Lage direkt am Meer herrscht eine sehr entschleunigte Atmosphäre, mit einigen wunderschönen Altbauten und kleinen, verwinkelten Gassen. Auf der anderen Seite gibt es die modern eingerichtete Stadtbibliothek Oodi, welche den technischen und digitalen Fortschritt widerspiegelt. Helsinki schafft es, Natur, Tradition und Kultur mit dem Fortschritt des digitalen Zeitalters zu verknüpfen. Das macht den Charme dieser Metropole aus.
Das Klischee, dass Finnen eher introvertiert und zurückhaltend sind, hat sich nicht bewahrheitet. Oft brauchen sie ein paar Minuten zum Kennenlernen, dann sind sie schnell für jeden Spaß zu haben. Und kommen sie in einen Redefluss, wird es teilweise schwierig, sie wieder zu stoppen. Finnen sind hervorragende Gastgeber und gerade in Helsinki auch sehr weltoffen. Englisch sprechen die allermeisten Finnen und sobald jemand im Raum ohne finnische Kenntnisse steht, wird sofort durchgehend in Englisch kommuniziert.
Die familiäre Atmosphäre kommt daher, dass sich jeder mit „Du“ anspricht. Selbst in Schulen oder in Universitäten werden die Professoren mit dem Vornamen angeredet. Im Februar besuchte Haindl ein öffentliches Eishockeyturnier, an welchem in Finnland prominente Menschen wie z.B. einige NHL-Spieler, Sänger oder auch Politiker, teilnahmen. Selbst der finnische Präsident Sauli Niinistö war anwesend. Als er von den Leuten erkannt wurde, begrüßten ihn alle mit „Hey Sauli!“.
Die beiden wichtigsten Bestandteile der finnischen Kultur sind eindeutig die Sauna und die Verbundenheit zu der Natur. Selbst in einer Großstadt wie Helsinki braucht es nicht mehr als fünf Minuten, um in einer Grünanlage zu stehen. Und eine gute halbe Fahrtstunde entfernt befindet sich der Nationalpark Nuuksio. Die Bedeutung der Sauna wurde dem Studenten während der Hochphase von Corona bewusst, als alle öffentlichen Saunen geschlossen waren. Finnen lassen sich nur schwer aus der Ruhe bringen, aber die geschlossenen Saunen hatten zu zahlreichen Diskussionen geführt. Wird man von einem Finnen in eine private Sauna eingeladen, sollte man dies auf keinen Fall ausschlagen: es bedeutet, dass man in den engsten Freundeskreis aufgenommen wurde.
Autor: Maximilian Haindl