"freisicht": Manchmal braucht es etwas Anlauf ...
Opti 2016, Sebastian Wittmann pirscht durch die Messehallen in München und macht nicht zuletzt die Redaktion des DOZ-Verlages auf „freisicht sustainable eyewear“ aufmerksam. Ein Jahr später an selber Stelle ist er wieder auf der Messe unterwegs, diesmal aber stellt das Start-up-Unternehmen im Gegensatz zum Vorjahr nicht selbst aus. Ist es also schon vorbei mit der Geschäftsidee, massive anpassbare Holzbrillen auf den Markt zu bringen, die noch dazu einen nachhaltigen Charakter pflegen? Und ist gleichzeitig auch die Idee vom Tisch, dass die DOZ die drei jungen Unternehmer auf ihrem Weg zu einem festen Bestandteil der Branche begleitet und hin und wieder mal am Produktionsstandort in Freising vorbeischaut? Kurz: Projekt „freisicht“ gescheitert?! Offensichtlich nicht: Manchmal braucht es etwas Anlauf, um durchzustarten.
Linus Frank, Thomas Winter und Sebastian Wittmann haben diesen Anlauf eingeplant. Frank und Wittmann wissen schon bei der Gründung, dass sie irgendwann die Werkstatt in den Gebäuden der Hochschule wieder verlassen müssen. Einerseits, weil ein Gründerstipendium endlich ist und andererseits, weil mit dem erhofften Erfolg auch die Produktion gesteigert werden sollte, was in den alten Räumen nicht möglich ist. Der Umzug in die neuen Produktionsräume in Freising Lerchenfeld ist von langer Hand geplant; nur, dass dessen Umsetzung und der Aufbau der neuen Maschinen und Fertigungsstationen solange dauern würde, damit haben sie nicht gerechnet. Zeit, die Winter nutzt: Der Designer aus Bayreuth, der aus den beiden Kumpels noch vor der Gründung ein Unternehmer-Trio macht, tüftelt währenddessen fleißig an neuen Modellen, die noch in diesem Jahr in einer neuen Kollektion vorgestellt werden.
Design steht jetzt im Vordergrund
Die neuen Brillenfassungen sind ebenfalls alle aus massivem Holz, sie sind anpassbar und nachhaltig hergestellt, aber im Vergleich zu den ersten Fassungen steht nun nicht mehr unbedingt das Naturmaterial im Vordergrund, sondern mehr und mehr auffälligere Formen und dünnere Fassungsränder. „Die Nachfrage nach unseren Fassungen ist sehr erfreulich, sie ist nach wie vor größer als unsere Produktionskapazität. Es gibt in der Branche keinen Fassungshersteller, der unsere Richtung eingeschlagen hat. Unsere Holz-Fassungen sind problemlos verglasbar und anpassbar und dabei erstmalig aus massivem Holz“, schwärmt Wittmann, der wenig Geld ins Marketing stecken müsse und wolle – und es nebenbei vermutlich auch noch nicht könnte – und der aufgrund des Feedbacks aus der Branche selbstbewusst deutlich macht, „dass unsere Fassungen etwas Besonderes sind.“
Ende 2017 erhielt „freisicht" den „Green Product Award“, der jährlich nachhaltige Produkte und Services in einem internationalen Umfeld prämiert und sich sowohl an etablierte Firmen als auch an Start-ups richtet. Die Begründung im Wortlaut: „freisicht ist der erste Anbieter verstellbarer Brillen aus Holz. Mit der patentierten Holzanpassungsmethode können die Brillenfassungen individuell an die geometrischen Gesichtszüge angepasst werden. Diese Innovation löst eine Vielzahl von Problemen eines Optikers. In Kombination mit der Produktion in Deutschland und mit heimischen Baumarten entsteht ein stimmiges, nachhaltiges und ästhetisch ansprechendes Produkt. Filigrane, konfigurierbare und robuste Holzbrille – ohne Sperrholz, ohne Klebeschichten.“ Hört sich gut an und soll geschützt werden, die ersten beiden Patente sind längst angemeldet - verraten wolle man dazu indes noch immer nichts, die Konkurrenz schlafe schließlich nicht und Patentanmeldungen brauchen ihre Zeit.
Produktion optimiert und Prozesse abgestimmt
Das Prozedere dauert sicher länger als der Umzug, der es zwischenzeitlich unmöglich machte, neue Ware zu produzieren oder auszuliefern. „Im vergangenen Jahr lief es nicht wie geplant. Aber wir mussten unbedingt unsere Produktion optimieren und alle Prozesse perfekt aufeinander abstimmen“, erklärt Wittmann, warum die internen Ziele nicht eingehalten werden konnten. Freisicht fehlte es teilweise an Zulieferern und unterstützende Mitarbeiter können erst jetzt nach dem Umzug in die 200 Quadratmeter große Werkstatt mit angeschlossenen Büroräumen eingestellt werden. Um die Fassungen zu fertigen, sind etliche Arbeitsschritte notwendig, die meisten
davon in reiner Handarbeit. Linus Frank als Sohn eines Instrumentenbauers aus Dirnaich mit dem Werkstoff vertraut, muss in der Vergangenheit Produktentwicklung und Fertigungsplanung weitgehend alleine vorantreiben, nun kann die Arbeit auf viele Schultern verteilt werden. „Wir können jetzt mehrere Fassungen gleichzeitig produzieren, sind pro Fassung schneller geworden und haben seit dem Umzug eine kleine Serienproduktion gestartet“, erklärt Wittmann, der Lieferzeiten zwar nicht bestätigt, aber auch nicht nachdrücklich ausschließen kann: „Das ist schwierig, wir schleifen, fräsen, polieren – alles von Hand.“
Ein Fulltime-Job für alle drei, einer, der zu etwas führen soll. In der DOZ-Juliausgabe 2017 war schon zu lesen, dass die Drei nicht irgendein Hersteller von Holzbrillen sein möchten. „In ein paar Jahren sollen die Augenoptiker zu allererst an uns denken, wenn sie an Holzbrillen denken“, meint Wittmann damals schon. Spätestens dann wird es keine Rolle mehr spielen, dass der DOZ-Autor im Vorjahr fälschlicherweise Thomas Winter und nicht Linus Frank „als Landei nach Dirnaich“ verfrachtet. Das ist den jungen Männern ebenso wichtig, klar zu stellen, wie die Distanzierung zu einer im ersten Teil dieser Langzeit-Serie zumindest subjektiv wahrgenommenen Nähe zu einem lockeren Lebensstil.
Bei aller Lockerheit, von der Seriosität der drei Jung-Unternehmer können sich interessierte Augenoptiker bald schon wieder bei den bedeutenden Messen überzeugen, denn dort werden sie mit ihrer neuen Kollektion zukünftig anzutreffen sein. Die DOZ wird sie dort erneut beobachten, den Weg des Start-ups noch weiter mitgehen und irgendwann das Geheimnis um die Patente lüften. Bei “freisicht sustainable eyewear“ wird es weiter spannend bleiben.