Optik Riedinger ist neu im Dt. Nachhaltigkeitskodex gelistet
Nicht nur innen grün, sondern jetzt auch außen: Das Team um Marina Riedinger (2. v. l.) demonstriert mit den neuen Jacken seine nachhaltige Gesinnung.
Erstveröffentlichung in der DOZ 05|23.
Erst kommt die REWE Group, dann kommt Rhön-Sprudel (in Form der Egon Schindel Holding GmbH & Co KG) und dann kommt auch schon bald „Riedinger Brillen & Kontaktlinsen“. Das kleine Pfullinger Augenoptik-Fachgeschäft findet sich in der Datenbank des Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) unter dem Buchstaben R also in illustrer Gesellschaft. Rechts und links strotzt es ebenfalls vor Dax- und anderen Großkonzernen: BASF SE, Daimler AG, Siemens AG und das ZDF gehören zu den aktuell knapp 1.000 Anwendern. Deren Berichte sind in dem Online-Register ebenso öffentlich und von jedermann einsehbar wie derjenige des (bislang) einzigen Augenoptikfachgeschäfts, das im DNK gelistet ist. „Mir war gar nicht klar, dass ich mit der Fertigstellung meines Nachhaltigkeitsberichts quasi automatisch auch in die DNK-Datenbank aufgenommen werden würde“, sagt Marina Riedinger. Ein netter Nebeneffekt sei das, sich in so prominenter Umgebung wiederzufinden, „aber im Kern ging es mir ja darum, einen nachvollziehbaren und vergleichbaren Bericht für meinen Betrieb zu erstellen, ohne dafür eine teure Agentur beauftragen zu müssen.“ Die Lösung für diese Vorgabe war der „Nachhaltigkeits-Navigator Handwerk“, mit dem die Betriebsinhaberin sich Ende 2021 ans Werk machte (die DOZ berichtete über Zwischenergebnisse in den Ausgaben 03 und 07/2022), um etwa über Wesentlichkeit, Tiefe der Wertschöpfungskette, Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen oder Chancengerechtigkeit in ihrem Geschäft Rechenschaft abzulegen.
Der besondere Bonus des Navigators: Die Zentralstelle für Weiterbildung im Handwerk (ZWH) bot den Nutzerinnen und Nutzern dieses 2020 gelaunchten Online-Tools nicht nur technischen Support, sondern auch umfassende und kostenlose Beratung an – sei es inhaltlich oder zu Fragen der Informationsbeschaffung. Und davon gab es im Laufe der 14 Monate etliche. „Ohne meine Beraterinnen von der ZWH hätte ich viel mehr Fachliteratur lesen oder recherchieren müssen. Vielleicht hätte ich zwischendurch sogar hingeschmissen“, gesteht Marina Riedinger. Ganz zum Schluss leisteten die ZWH-Expertinnen noch moralischen Beistand, als die Augenoptikermeisterin – in dem Glauben, sie sei endlich fertig – von der DNK-Prüfstelle ihren Entwurf zurückbekam. „Das war ein Schock“, erinnert sich Riedinger, „so viele rot markierte Stellen, das sah nach megaviel Nacharbeit aus …“
Ganz so viel war‘s dann aber doch nicht, und so erhielt Marina Riedinger nach einer letzten Korrekturschleife am 3. Februar die Nachricht des DNKBüros: „Ihre Erklärung ist jetzt formal vollständig und freigeschaltet.“ Erleichterter Jubel bei Riedinger Brillen & Kontaktlinsen, verhaltener Jubel gemischt mit Trübsinn bei der Zentralstelle für Weiterbildung im Handwerk. Denn Marina Riedinger ist nicht nur die erste Augenoptikerin, der die umfassende Fürsorge der ZWH zuteil wurde, sondern zugleich auch die letzte: „Die Förderung unseres Programms der individuellen Betreuung durch das Ministerium für Bildung und Forschung ist leider Ende 2022 ausgelaufen“, verrät ZWH-Betreuerin Laura Briese. Von nun an werde es zum Nachhaltigkeits-Navigator Handwerk nur noch Webinare oder Online-Workshops geben, die zudem kostenpflichtig seien.
Das ist umso ärgerlicher, als wir den DOZ-Lesern an dieser Stelle eigentlich empfehlen wollten, dem Beispiel von Marina Riedinger zu folgen und – mit liebevoller ZWH-Unterstützung – eigene Nachhaltigkeitsberichte für ihre Betriebe zu erstellen. „Wird schwierig, das ohne Support durch persönliche Telefonate und Mails hinzubekommen“, glaubt Riedinger. Zumal die meisten traditionellen Augenoptikbetriebe auch nach Inkrafttreten der neuen CSRD-Richtlinie (Corporate Sustainability Reporting Directive) der EU im Jahr 2025 nicht berichtspflichtig sein werden. Einen Report zu erstellen, wäre für Inhaberinnen und Inhaber weiter eine freiwillige Leistung, die sie höchstens aus Verantwortung gegenüber Um- und Mitwelt oder als Selbstverpflichtung gegenüber der Gesellschaft erbringen würden. Riedinger: „Und wenn man dafür dann auch noch bezahlen soll, wird die Zahl wohl überschaubar bleiben.“
Marina Riedinger befestigt den „optic.family“-Aufkleber, der sie als „Klimachecker“ ausweist, an der Eingangstür zu ihrem Geschäft.
„Wahnsinn, was da entstanden ist“
Denen, die es dennoch tun wollen, versichert die Pfullinger Augenoptikermeisterin, dass sich die Mühe, die geopferte Freizeit und die investierten Recherchestunden zumindest in ihrem Fall absolut gelohnt haben. „Wahnsinn, was da entstanden ist“, findet Riedinger, „einen so umfassenden und detaillierten Überblick über seinen Betrieb zu haben, ist ein enormer Gewinn. Bei aller Anstrengung hat es ja auch Spaß gemacht herauszufinden, wo wir in puncto Nachhaltigkeit stehen und dabei Verbesserungspotenziale zu entdecken.“ Und was steht denn nun drin, außer natürlich konkreten Zahlen zum Beispiel zur klimarelevanten Emissionen (ausgedrückt in CO2-Äquivalenten) durch Heizung, Warmwasser, Anlieferung von Gütern oder Anfahrt der Mitarbeitenden des Betriebs? Im Folgenden drei Unterpunkte des Berichts, die beispielhaft zeigen, dass Interna offengelegt und gegebenenfalls auch Probleme angesprochen werden:
Innovations- und Produktmanagement: „Folgende soziale Innovationen haben wir bereits für die Mitarbeitenden in unserem Betrieb eingeführt: Schulungen unserer Mitarbeitenden im Umgang mit neuen Maschinen und Geräten sowie bei Einführung neuer Software, […] Einführung eines Vorschlagswesens, um die Ideen aller Beschäftigten einzubeziehen, flexible Arbeitszeiten, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterstützen.“ An sozialen Innovationen für die Gemeinde und Region führt Optik Riedinger „finanzielle Beteiligung an Projekten in der Region sowie Werbung zum Beispiel auf einem Diakonie-Fahrzeug zur Finanzierung eines neuen Fahrzeugs“ an.
Ressourcenmanagement: „Risiken, die sich durch unsere Geschäftstätigkeit ergeben, sehen wir vor allem in der Entstehung von Mikroplastik durch das Schleifen der Brillengläser und in der Schwierigkeit der Weiterverwendung von alten/gebrauchten Brillen. Zur Vermeidung von Mikroplastik ins Abwassersystem lassen wir unsere Brillengläser hauptsächlich bei den Herstellerfirmen schleifen, die Filtersysteme einsetzen.“ Die Weiterverwendung von Brillen sei insofern schwierig, da Brillen auf individuelle Bedürfnisse/Sehschwächen angefertigt werden. Im kaputten Zustand würden Brillen häufig entsorgt, so dass die Ressourcen nicht weiterverwendet werden. Dazu heißt es im Bericht: „Wir haben eine Sammelstelle eingerichtet, in der wir alte (noch komplette) Brillen sammeln und an eine Hilfsorganisation spenden.“
Qualifizierung: Optik Riedinger bekennt sich grundsätzlich zum Prinzip des lebenslangen Lernens und unterstützt die Mitarbeitenden nach Kräften bei der Aus- und Weiterbildung, benennt im Bericht aber offen die Hürden: „Wesentliche Risiken zur Qualifizierung ergeben sich durch Zeitknappheit, da die Kurse teilweise weiter außerhalb stattfinden und eine längere An- sowie Abreise die Motivation der Mitarbeitenden an der Teilnahme mindert. Im letzten Geschäftsjahr haben wir keine Auszubildenden eingestellt, da wir keine Interessent*innen finden konnten.“
Wer den Nachhaltigkeitsbericht aufmerksam durcharbeitet, bekommt also einen tiefen Einblick in die Geschäftstätigkeit von Optik Riedinger. Die Inhaberin findet das in Ordnung, sieht auch kein Problem darin, dass eventuelle Wettbewerber ihre Strategie auskundschaften könnten: „Geheimnisse braucht man keine zu haben, in unserer Branche weiß eh jeder alles: die Krankenkasse, die Versicherung, der Banker und auch der Steuerberater…“ Umgekehrt gilt das allerdings nur bedingt; nach Ansicht von Marina Riedinger weiß sie noch viel zu wenig über „ihre“ Hersteller und vor allem über deren Einstellung zur Nachhaltigkeit. Und so hat sie im Bericht als eines von drei Hauptzielen, die sie bis 2024 erreichen will, neben „Gesundheitsschutz für die Mitarbeitenden“ und „Reduzierung des CO2-Fußabdrucks um drei Prozent“ die „Steigerung unserer nachhaltigen Produkte im Sortiment“ festgeschrieben. Was wiederum bedeutet, mehr Informationen beschaffen zu müssen: „Unser Betrieb verpflichtet sich, unsere Zulieferfirmen in der Lieferkette zu kontaktieren und sie zu ihren Nachhaltigkeitsaktivitäten zu befragen.“
Die Ergebnisse dieser Befragungsaktion könnten sich dann im Nachfolgebericht von Optik Riedinger wiederfinden – so es diesen denn geben wird. Pflicht ist es ja nicht. „Ich muss jetzt erst mal alles sacken lassen und mir dann ein Zeitfenster schaffen, in dem ich mich wieder fokussiert mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftige – was meine Ziele sind und wo ich vorwärtskommen kann und will“, sagt Riedinger. Für alle, die ihr – trotz der oben erwähnten verschlechterten Bedingungen – nacheifern wollen, hat sie den Tipp: „Einfach starten. Sie werden überrascht sein, was auf der einen Seite alles ‚nachhaltig‘ ist und wo Sie auf der anderen Seite schon nachhaltig sind oder handeln.“ Kleinteilig werde es werden, denn es gebe speziell in der Augenoptik nicht den einen großen Hebel, den man umlegen könne, sondern „viele kleine Stellschrauben, an denen man drehen muss“.
Noch ein weiter Weg bis zur „Klimaheldin“
An einer Stellschraube muss die Geschäftsinhaberin immerhin nicht mehr selber drehen, das hat jemand anderes für sie getan. „Vom DNK habe ich zwar ein Logo bekommen, dass ich auf meiner Webseite einbinden kann, aber keinen Aufkleber zum Beispiel für die Ladentür“, berichtet sie. „Den hätte ich aber schon gerne gehabt, um unser Engagement auch Kunden demonstrieren zu können, die nicht so internetaffin sind, um auch mit denen über das Thema Nachhaltigkeit ins Gespräch zu kommen.“ Von dieser „Versorgungslücke“ erfuhr Pricon-Chef Matthias Köste, der zugleich Initiator des brancheninternen Nachhaltigkeitssiegels „Optic.Family SDG Statement“ ist (die DOZ berichtete in Ausgabe 08/2022). „Aufkleber für unsere Community-Mitglieder standen ohnehin auf meiner To-do-Liste“, sagt Köste, „und nach meinem netten Telefonat mit Frau Riedinger habe ich diesen Punkt fix vorgezogen und die Aufkleber bei meiner Agentur in Auftrag gegeben.“
In Kürze wird also der gewünschte Sticker an der Ladentür von Optik Riedinger prangen, Mitglied in der Optic.Family-Community ist sie nach der Freigabe ihres Nachhaltigkeitsberichts durch den DNK mehr oder weniger automatisch geworden. „Essentiell für die Mitgliedschaft ist ja, dass die Dokumentation nach außen ehrlich, sprich nachvollziehbar, ist“, erklärt Köste. Um dies zu erreichen, müsse ein neutraler Experte mit einer neutralen Bewertung ins Boot. „Und das ist ja bei Frau Riedinger durch den DNK definitiv der Fall.“ Auf Stufe 2 der fünfstufigen Skala ist Marina Riedinger jetzt als „Klimacheckerin“ gelistet – mal schauen, ob am Ende nicht doch noch eine „Klimaheldin“ auf Stufe 5 aus ihr wird …
Hier gelangen Sie direkt zum Nachhaltigkeitsbericht von Optik Riedinger.