Zwischen Palmen und Party: Georg Seidel führt „Óptica LaMar“ auf Ibiza
In seinem Geschäft „Óptica La Mar“ auf Ibiza begrüßt Georg Seidel (r.) viele Prominente – hier zum Beispiel den ehemaligen Formel-1-Boss Bernie Ecclestone (2. v. r.) und dessen Ehefrau Fabiana. Links Seidels Mitarbeiter Raoni Gabon.
Erstveröffentlichung in der DOZ 02|2025.
Mein Anruf bei „Óptica LaMar“ endet beinahe nach dem ersten kernigen „Hallo“ am anderen Ende der Leitung. Denn auf die DOZ ist Seidel zunächst nicht sonderlich gut zu sprechen. „Fast 70.000 Euro Anwaltskosten hat mich die Anerkennung meines Meistertitels hier in Spanien gekostet“, wirft mir Seidel vor. Und setzt hinterher: „Die Handwerkskammer hat keinen Finger gerührt, um mir zu helfen!“ Ich schlucke die erste Verwirrung hinunter und erkläre Seidel, dass die DOZ mit der Handwerkskammer in etwa so viel gemeinsam hat wie ein Blatt Papier mit einem Holzwurm, und mein Anruf darauf beruht, sein Betriebskonzept vorzustellen. Der deutsche Augenoptikermeister hat in den vergangenen 28 Jahren ein modernes Brillengeschäft in Eulária, im Osten der Insel Ibiza, aufgebaut. Seidel und sein Team, das aktuell aus drei Augenoptikern besteht, betreuen Kundinnen und Kunden in sämtlichen augenoptischen Belangen. Und das unter Palmen und mit Blick aufs Meer.
Schulfrei am Königshof
Wir schließen also Frieden, um über den einzigartigen Werdegang von Georg Seidel zu sprechen. Denn tatsächlich sind, was den Unterhaltungswert angeht, die Jahre vor den Balearen noch spannender als Seidels inzwischen gut etabliertes Augenoptikgeschäft.
Die kommenden Wochen höre ich wenig von Seidel, er ist ständig unterwegs. Manchmal erhalte ich Tage keine Antwort, dann sendet er mir Videos von neonpink ausgeleuchteten Partyräumen mit Tänzern, vielen gut angezogenen Menschen und viel Bass. „Entschuldige, ich bin jetzt gerade in Cannes, danach bin ich in Monaco. Drei Tage später bin ich wieder in Madrid, dann fliege ich erneut nach Monaco“, schreibt mir Seidel. Und: „Alle duzen sich auf der Insel.“ Nachdem also Georg von einem Event bei Cartier zurück auf Ibiza ist, sitzt er gewissermaßen schon wieder im Flieger: „Nach Barcelona zu Thélios und dann kehrt Ruhe ein“, verspricht er. Und wenn Georg Ruhe sagt, dann meint er, dass er sich seinem Geschäft „Óptica LaMar“ widmen kann. Falls nun mancher Augenoptikkollege beginnen möchte, die Koffer zu packen: Es ist nicht alles Palmen und Party auf Ibiza. Georg Seidel arbeitet in der Regel an sechs Tagen die Woche, von neun bis 23 Uhr. Bevor er sich auf Ibiza niederließ, reiste er mehrmals um den halben Globus. Den Anfang machte Thailand, wo Seidel die ersten zwölf Jahre schulfrei am Königshof in Bangkok verbrachte.
Der einäugige Monarch suchte in Köln nach einem Experten
Es gibt mehrere Ereignisse, die Georgs Weg vorherbestimmten, noch ehe er einen Fuß auf die Welt gesetzt hatte. Ihren Anfang nahmen sie im Jahr 1933 in der Schweiz, mit der Entscheidung der thailändischen Königsmutter Srinagarindra, ihren drei Kindern eine westliche Ausbildung zu ermöglichen. Insbesondere der spätere König Bhumibol Adulyadej, bei uns besser bekannt als König Rama, wird sein ganzes Leben aus dieser Schweizer Zeit Wärme ziehen für die kommenden harten Jahre in Bangkok. Während einer behüteten Kindheit abseits des thailändischen Königshofs lernte Prinz Bhumibol Skifahren. Später, als technikbegeisterter Student der Uni Lausanne, das Fotografieren.
Der thailändische König Rama mit Brille, die sehr wahrscheinlich einmal durch Werner Seidels Hände ging.
An einem verhängnisvollen Montag im Oktober 1948 war der 21-jährige Thronfolger in einen Unfall verwickelt, der die erste Wegmarke für Georg Seidels thailändische Kindheit setzte. An diesem Tag fuhr der Prinz in einem Fiat Topolino auf der Hauptstraße zwischen Lausanne und Morges mit hoher Geschwindigkeit gegen einen Truck. Dabei kam der Thronfolger zwar knapp mit dem Leben davon, verlor allerdings rechts sein Augenlicht.
Diese Erfahrung prägte den jungen Monarchen insoweit, als er mit seinem verbliebenen Auge besonders umsichtig war. Als er kurze Zeit später zurück in Bangkok zum König gekrönt wurde, gab es in Thailand noch keine augenoptische Einrichtung, die den Sehanforderungen des jungen Königs genügte. Er war auf das Tragen einer Brille angewiesen. Als Königshaus mit besten Kontakten nach Europa suchten 1958 zwei asiatische Botschafter die Technische Fachhochschule für Augenoptik und Optometrie in Köln auf. Ihr Auftrag: Findet den besten Absolventen des Studiengangs zu finden und bringt ihn an den thailändischen Königshof. Dort sollte er das erforderliche augenoptische Institut nach westlichen Standards mit aufbauen.
Gefunden wurde Werner Seidel, der Vater von Georg. Der junge Seidel überzeugte die Gesandten durch seine hervorragenden Studienleistungen sowie die Tatsache, dass er dank eines dreijährigen Aufenthalts in Irland fließend Englisch sprach. Im Anschluss an sein Studium veredelte Werner Seidel sein optisches Wissen zusätzlich in Aalen bei der Firma Zeiss, um für die Betreuung der Gerätschaften gerüstet zu sein. Als es zwei Jahre späternach Bangkok ging, konnte Werner Seidel optische Maschinen ohne Anleitung auseinander- und wieder zusammenbauen. Inzwischen hatte Werner Seidel geheiratet. Die Geburt seines Sohnes Georg am 8. Oktober 1960 in Aachen erlebte Seidel nicht, da war er bereits in Thailand. Seine Frau folgte ihrem Mann ein Jahr später – als der Impfstatus des Sohnes erfüllt war - nach Bangkok.
Der Mungo, die Spielkameraden, der Park – auf einen Schlag alles weg
Die ersten zwölf Jahre genießt Georg die Freiheiten eines großen Parks hinter der malaysischen Botschaft, in der die Familie während ihres Aufenthalts wohnt. Er lernt fließend Thai, Mandarin und Englisch. Seine Tage bestehen aus dem Spielen mit den Kindern anderer ausländischer Gäste. „Ich hatte Enten, Mungos, Katzen, Hunde und ich hatte zwei Thais, die auf mich aufgepasst haben“, erzählt er. „Das Haus war immer offen für die Nachbarskinder und es war immer voll.“ Eine deutsche Botschaft gab es zu diesem Zeitpunkt nicht. Die einzige Möglichkeit, die Schule zu besuchen, war samstags in der Schweizer Botschaft, wogegen der junge Georg erfolgreich protestierte. „Ich habe mich absolut gewehrt, in diese Schule zu gehen und bin einfach nicht mehr hin“, erzählt er. Ihm gefiel der Klang der deutschen Sprache nicht, die im Unterricht gesprochen wurde und auch die anderen Kinder waren ihm, der umgeben von asiatischen Kindern aufwuchs, fremd.
Vor der Kulisse mit Meer und Booten befindet sich das Geschäft von Georg Seidel. Seit 28 Jahren ist der Wahl-Spanier auf Ibiza zuhause. Bis er hier seine Bestimmung fand, führte er ein bewegtes Leben, unter anderem als Surfprofi.
Promis schauen ebenso herein wie ganz normale „People from Ibiza“
Der Erfolg stellte sich ein, die ersten prominenten Kundinnen waren Ingrid Bergmann oder Mitglieder des saudischen Königshauses. Bernie Ecclestone zählt zu seinen Kunden, Richard Gere war ebenso bei ihm wie Nico Rosberg. Auf dem Instagram-Profil von „Óptica La Mar“ tummeln sich Ex-Bachelor Paul Janke genauso wie der Top-Model-Walking-Coach Bruce Darnell. Doch auch Einheimische und Touristen mit kleineren Geldbeuteln, „People from Ibiza“ halt, sind bei ihm willkommen. Dass das Geschäft Georgs Leben ist, merkt man nicht nur an seinen auf Englisch verfassten Videos auf Instagram, in denen er unter anderem seine Geräte vorstellt. Das Prinzip von Demut und Dienen hat ihn bodenständig bleiben lassen, auch wenn man Georg sicher als Genießer bezeichnen darf.
Bei unserem letzten Gespräch filmt er durch seinen sonnenhellen Laden. Er liegt direkt an der Promenade von Eulária, das Meer blitzt blau durch die Palmen. Im Showroom und Lager von Georg befinden sich über 5.000 Fassungen erlesenster Marken von Alexander McQueen, Hugo Boss, Phillipp Plein, Marc Jacobs oder Stella McCartney, um nur einige zu nennen. Von der Ausstattung der Werkstatt mit einer modernen Weco-Maschine bis zur Refraktionseinheit von Topcon. „Nur vom Feinsten“, verrät Georg und klingt dabei, als wollte er noch sagen: „Was auch sonst?“
„Mit 75 bin ich bin wahrscheinlich immer noch im Laden“
Dass der deutsche Augenoptikermeister mit seinem Know-how ein Alleinstellungsmerkmal auf Ibiza besitzt, ist sicher eine Säule seines Erfolgs. Sein juristisch (erfolgreicher) Kampf in Spanien um die Anerkennung seines deutschen Meistertitels – wir erinnern uns – zeigt eindrucksvoll, aus welchem Holz Georg geschnitzt ist. Und auch wenn er nur wenige gute Worte für die augenoptische Ausbildung in Spanien übrig hat – „Alles reine Theoretiker!“ – studiert sein Sohn Augenoptik an der Uni in Madrid, um eines Tages den väterlichen Betrieb an der Promenade in Eulária weiterzuführen. Seine Angestellten hat Georg persönlich angelernt. Refraktionen und Werkstatt macht er hauptsächlich selbst. Georg bezeichnet Ibiza als „Mikrokosmos“, in dem man in Bewegung bleiben muss. Etwas, was ihm nicht schwerfallen dürfte. Und auch wenn sein Sohn in den nächsten Jahren einsteigen will, glaubt Georg: „Mit 75 bin ich bin wahrscheinlich immer noch im Laden.“
Was aus dem augenoptischen Institut in Thailand geworden ist, weiß Georg nicht. „Meine Eltern hatten noch bis zu ihrem Tod Kontakt zum Königshaus“, sagt er. Das Haus, in dem er aufwuchs, steht zumindest noch, vor einigen Jahren hat er es besucht. Wenn man Bilder von König Rama aus den Jahren 1960 bis 1972 sieht, auf denen er eine Brille trägt, hat diese sehr sicher Seidel senior angepasst. Und wenn heute ein Bild von Bernie Ecclestone mit Brille in einem Magazin zu sehen ist, kann man ziemlich sicher sein, dass Georg diese Brille verglast hat. So tragen Augenoptiker wie die Seidels, neben ihrer eigenen beeindruckenden Lebensgeschichte, ihren Teil zum Zeitgeschehen bei. Auch wenn dieser für den Rest der Welt oft verborgen bleibt.