2. Interbild: Körperhaltung und Kurzsichtigkeit

Mehr als 200 Teilnehmer beim 2. INTERBILD Symposium in der Aula der EAH Jena.
Mehr als 200 Gäste nahmen an der 2. Interbild Symposium in der Aula der EAH Jena teil.
© Max Schneider

Displays von Smartphone, Tablet und PC dominieren unsere Freizeit und unsere Arbeitswelt. Sie sind kaum mehr wegzudenken. Wir navigieren mittels Displays, steuern mit Displays Maschinen aller Art und integrieren diese sogar in Brillen. Die smarte digitale Welt verändert unseren Alltag. Der Fokus der 2. Interbild in Jena, dem "Interdisziplinären Symposium für Bildschirmarbeit", lag auf dem Thema „Körperhaltung und Kurzsichtigkeit“. 

Am 8. März fand an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena das 2. "Interdisziplinäre Symposium für Bildschirmarbeit" statt. Diese Fortbildungsveranstaltung richtete sich an alle Fachdisziplinen in Praxis und Forschung, welche sich mit dem Thema „Bildschirmarbeit“ beschäftigen. Unter den mehr als 200 Teilnehmer waren also nicht nur Augenoptiker/ Optometristen, sondern zum Beispiel auch Arbeitsmediziner, Augenärzte, Büroausstatter, Manualmediziner, Möbeldesigner, Orthopäden, Osteopathen, Physiotherapeuten oder Sportmediziner.

Hintergrund

Displays von Smartphone, Tablet und PC dominieren unsere Freizeit und unsere Arbeitswelt. Sie sind kaum mehr wegzudenken. Wir navigieren mittels Displays, steuern mit Displays Maschinen aller Art und integrieren diese sogar in Brillen. Die smarte digitale Welt verändert unseren Alltag. Einerseits ist das eine oder andere angenehmer und komfortabler, andrerseits werden gesundheitliche Belastungen nicht geringer. Häufig kommt es zu Störungen des Sehens und der Körperhaltung. Um diese fachgerecht zu erfassen und zu verstehen, richtig zu diagnostizieren und zu therapieren, ist interdisziplinäres Denken und Handeln wichtiger denn je. Diese Aspekte gaben Anlass, den Fokus für die 2. Interbild auf  das Thema „Körperhaltung und Kurzsichtigkeit“ zu legen. Inhaltlich wurden Vorträge zu wichtigen Zusammenhängen des Sehens und der Körperhaltung in Diagnostik und Therapie dargestellt, die mit neuesten Forschungsergebnissen unterlegt wurden. Darüber hinaus wurden praktische, präventive Tipps geben, zum Beispiel welche Aspekte bei der Vermessung, Beratung und Auswahl einer neuen Brille zu berücksichtigen sind.  

Vorstellung Klassifikationsschema

Auf der Fachtagung wurde erstmalig ein interdisziplinäres Klassifikationsschema für eine fachgerechte Klassifikation von Tätigkeiten an Displays und Bildschirmen (TBD) vorgestellt. Das Schema wurde von Egbert Seidel und Stephan Degle entwickelt, um den individuellen Arbeitsplatz und die daraus resultierenden Anforderungen zu beschreiben, dass an der Vielfalt der Tätigkeiten an Bildschirmen und Displays ansetzt. Es soll der Vereinheitlichung der Bezeichnungen bei einer individuellen Spezifikation der Tätigkeiten an Bildschirmen und Displays dienen. Diese Einordnung und Beschreibung kann sowohl von den Betroffenen selbst als auch zum Beispiel von Betriebsärzten oder Mitarbeitern für Arbeitssicherheit erfolgen. Ziel ist es, ein individuelles und strukturiertes Anforderungs- und Gefährdungsprofil zu erstellen, auf dem Präventionsmaßnahmen als auch weitere Diagnostik und Therapie durch unterschiedliche Disziplinen erfolgen kann. Beispielsweise werden Haltungsanforderungen definiert, die in der weiteren Diagnostik und Therapie der Arbeitsphysiologie entscheidend sein können. Auch werden durch Sehabstände und -positionen, Displaybeschreibungen unter anderem für einen Augenarzt, Augenoptiker/Optometristen definiert, um das optometrische Management ideal auf die Tätigkeiten an Bildschirmen und Displays abzustimmen, wie zum Beispiel modifizierte Korrektionen oder vision training/therapy.

Durch die Klassifikation werden für den Betroffenen selbst sowie für alle Gesundheitsdienstleister die Tätigkeiten an Bildschirmen und Displays beschreibbarer und einfacher kommunizierbar. Daraus ergibt sich eine „einheitliche Sprache“, die verschiedene Fachrichtungen sprechen. Auf dem Schema aufbauende Handlungs- und Gestaltungsvorschläge geben eine auf das Individuum und den Arbeitstypus spezifizierte Möglichkeit der Prävention, Intervention und Rehabilitation, welche weit über die unspezifische Beschreibung „Bildschirmarbeitsplatz“ hinausgehen. Insbesondere die Komplexität und Individualität der Anforderungen an das visuelle und das Haltungssystem sollen aufgezeigt werden. Denn sowohl für Prävention als auch für Rehabilitation ist deren Kenntnis und Berücksichtigung in Forschung und Praxis unabdingbar. Das Schema ist bereits online unter www.ergoptometrie.de und soll in der Praxis für eine bessere Beratung und Gestaltung von Arbeitsplätzen dienen.  

Fachbuch „Interdisziplinäre Optometrie“

Außerdem wurde das neue Fachbuch „Interdisziplinäre Optometrie“ von Michaela Friedrich vorgestellt. Inhalt dieses Fachbuches ist die Untersuchung des Sehverhaltens unter fachübergreifenden Gesichtspunkten, um über wissenschaftliche Ergebnisse mögliche Ansätze zur besseren Analyse und zum Management von visuellen Störungen sowie für präventive Strategien geben zu können. Dafür werden in Einzelkapiteln Veränderungen des Sehverhaltens im Zusammenhang mit verschiedenen anderen Störungen aufgezeigt, zum Beispiel Haltungsstörungen, LRS oder AD(H)S. Auf der Grundlage eines integrativen Modells werden Veränderungen und Auswirkungen auf das Sehverhalten dargestellt.

Außerdem werden die Inhalte und Tätigkeiten anderer Berufsgruppen wie zum Beispiel Ergotherapie oder Osteopathie vorgestellt und das Teilgebiet “Interdisziplinäre Optometrie“ inhaltlich und methodisch für die optometrische Praxis definiert. Mit dem Fachbuch soll eine interdisziplinäre Befunderhebung und Versorgung von Menschen mit integrativen Störungen und visueller Beteiligung ermöglicht werden. Im Rahmen des Symposiums konnte sich zu innovativen Möglichkeiten der Gestaltung für entspanntes Arbeiten an Bildschirmen und Displays informiert werden. Die zukunftsorientierten und nützlichen Informationen können für die tägliche Arbeit sowie für eine effektive Beratung und Versorgung der Kunden und Patienten genutzt werden.

„Körperhaltung bei Tätigkeiten ab Bildschirmen und Displays“

Professor Dr. Stephan Degle.
Professor Dr. Stephan Degle. @ Max Schneider

Professor Stephan Degle eröffnete die Fachtagung und führte durch das Programm. Nick Neuber (M.A., EAH Jena) referierte als erstes zum Thema „Kooperation verschiedener Berufsgruppen und Netzwerke für „Gesunde Arbeit“. Ausgangspunkt seines Vortrages waren der demografische Wandel, der damit verbundene Fachkräftemangel und die daraus resultierenden neuen Herausforderungen unserer Zeit, mit denen sich (Thüringer) Unternehmen zunehmend konfrontiert sehen. Um den Anforderungen und Belastungen der heutigen Arbeitswelt, die sich aus verschiedenen Aspekte wie Digitalisierung, Globalisierung oder naturwissenschaftlicher Fortschritt ergeben, angemessen entgegentreten zu können, rücken personalorientierte Handlungsfelder immer mehr in den Fokus der Unternehmensstrategien. Neuber stellte in seinem Vortrag das an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena angesiedelte „Netzwerk Gesunde Arbeit in Thüringen“ vor, welches Thüringer Unternehmen bei der Einführung und Umsetzung von Maßnahmen „Gesunder Arbeit“ sowie bei der Suche nach bedarfsgerechten Leistungsangeboten unterstützt, um Gesundheitsmaßnahmen in Thüringer Unternehmen nachhaltig einzuführen und die Arbeits- und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten aufrecht zu erhalten und zu fördern sowie zur Mitarbeiterbindung und Fachkräftegewinnung beizutragen.

Professor Dr. Egbert Seidel, Sophien-Hufeland-Klinikum Weimar, beschäftigte in seinem Vortrag mit der „Körperhaltung bei Tätigkeiten ab Bildschirmen und Displays“. Er stellte die beschreibende und funktionelle Anatomie der Haltung und Bewegung am Bildschirmarbeitsplatz und Arbeitsplätzen mit ähnlichen Belastungs-/ Beanspruchungsprofilen vor. Hier war von besonderer Bedeutung, dass es durch das Balistische Intervall zu einer Mit-Innervation der dorsalen Halsmuskeln vor den Augenmuskeln kommt, auch wenn der Kopf gar nicht bewegt wird, sondern nur die Augen. Das heißt die Halsmuskeln werden trotzdem angesteuert (erhöhter Input), wenn zum Beispiel der Blick gesenkt wird. Dies führt zu einer Tonuserhöhung in der Ruhelage und daraus resultieren Spannungskopfschmerzen. Professor Seidel schilderte anhand der verschiedenen Belastungs-/Beanspruchungsprofile die daraus resultierenden Beschwerdekomplexe. Hier zeigte er zum Beispiel an Studienergebnissen, dass es zu einer signifikanten Veränderung der Kopfposition (Kopflot) bei Smartphonenutzern in Ruhelage kommt; Nutzungszeiten von 200 bis 400 Minuten pro Tag von Gymnasiasten sind heute keine Seltenheit mehr, sondern Alltag. Er ging in seinem Vortrag weiterhin auf therapeutische Interventionsmöglichkeiten unter besonderer Beachtung der Interdisziplinarität und multiprofessioneller Strukturen ein.

Notwendige Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen

Michael Kaune vom Gesellschaft für Haltungs- und Bewegungsforschung e.V. (GHBF) in München stellte in seinem Vortrag „Vom Auge bis zum Zeh“ das Zusammenspiel der verschiedenen Sensorsysteme vor. Auf der Grundlage höchst

Michael Kaune
Einbeinstand: Vortrag von Michael Kaune. @ Max Schneider

komplexer kraniopedaler/pedokranialer Regelsysteme der Sensomotorik wird die Körperhaltung und Bewegungssteuerung koordiniert. Von besonderer Bedeutung sind dabei die sensomotorischen Schlüsselregionen der Kopfsteuerung - vestibuläres, optisches und craniomandibuläres System - sowie die sensomotorische Steuerung des Fußes. Dysfunktionen der genannten Strukturen sind ursächlich an vielen orthopädischen Krankheitsbildern beteiligt und können sich über neuro-myofasziale Verbindungen auf den gesamten Bewegungsapparat auswirken. So stehen beispielsweise häufig Fehlstellungen/Fehlhaltungen der Wirbelsäule bis zu Veränderungen der Bein- und Fußachsen in direktem Zusammenhang mit Störungen des Kauapparates und/oder des binokulären Sehens.

Kaune erklärte die funktionellen Zusammenhänge der Muskeltonussteuerung aus neurophysiologischer Sicht über die komplexe Konvergenz der Hirnnerven im Stammhirn. Er wies darauf hin, dass in den fach(arzt)spezifischen Ausbildungen die Kenntnis dieser funktionellen interdisziplinären Zusammenhänge unterrepräsentiert ist. Um Beschwerdebilder richtig einordnen zu können, bedarf es jedoch einer engen interdisziplinären Zusammenarbeit um im Netzwerk orthopädische Beschwerdebilder nachhaltig erfolgreich zu behandeln. Kaune machte deutlich, dass die Veränderungen in der Arbeitswelt, mit noch weniger Bewegung und zusätzlicher Sehbelastung durch Multiscreen-Arbeitsplätze, die Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen noch notwendiger machen. Abschließend zeigte Kaune ein Video einer Zukunftsvision, was die Auswirkungen von Bewegungsarmut und die dauerhafte Nutzung digitaler Endgeräte für das Leben der Menschen in der Zukunft bedeuten könnten - was hier fiktiv zu sehen war, ist in bestimmter Art und Weise mit Blick beispielsweise auf die Kommunikation in Straßen und U-Bahnen bereits Realität oder kann es sehr schnell werden, wenn die Menschen nicht ihr Bewusstsein ändern und wieder mehr Bewegung in ihrem Alltag zulassen.

Wie viel Myopieprogression ist „normal“?

Professor Dr. Stephan Degle, EAH Jena, referierte zum Thema „Sehverhalten bei Tätigkeiten an Bildschirmen und Displays – Warum mehr als nach G37 testen?“. In einem Überblick erklärte er im ersten Teil seines Vortrages die gesetzlichen Änderungen, die sich durch die Verschiebung der Bildschirmplatzverordnung vom Betrieblichen Gesundheitsdienst (BGD) zur Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) ergeben haben. Zum derzeitigen Zeitpunkt ist nicht eindeutig geregelt, dass der Augenoptiker Untersuchungen zum Sehen durchführen darf. Im zweiten Teil seines Vortrages ging Professor Degle auf das Sehverhalten bei Tätigkeiten an Bildschirmen und Displays ein, welche nicht im Einklang mit den natürlichen Anlagen des Menschen steht. Er gab deshalb praktische Hinweise zur optometrischen Untersuchung von Kunden/Patienten, die an Bildschirmen und Displays tätig sind, zum Beispiel dass die Tageszeit bei der Refraktions- und Korrektionsbestimmung berücksichtigt werden sollte.

Philipp Hessler, M.Sc., EAH Jena/Optik Hessler Klingenberg a. Main, berichtete aus der aktuellen Forschung zu „Ursachen und Einflussfaktoren, Auswirkungen und Progression der Kurzsichtigkeit“. Zuerst stellte er die Prävalenzzahlen für Myopie dar und machte damit deutlich, dass es sich nicht um ein lokal begrenztes Gebiet handelt: im zentraleuropäischen Raum liegt die Prävalenz etwa bei 30 bis 40 Prozent. In einigen asiatischen Gebieten ist die Prävalenz in den letzten Jahren bis zu 90 Prozent angewachsen - da stellt sich die Frage, wie viel Myopieprogression ist „normal“? Hessler ging auf die häufigsten Ursachen für einen solchen Myopieanstieg ein. Der genetische Einfluss gilt als wissenschaftlich gesichert, wobei die Ausprägung der Myopie entscheidend von den Umwelteinflüssen abhängt. Hier spielen vor allem die zunehmenden Nahbelastungen aufgrund der Digitalisierung und die im Freien verbrachte Zeit eine wesentliche Rolle zur Ausbildung und Progression einer Myopie. Weiterhin erklärte er die aktuellen Theorien zur Entstehung/ Progression einer Myopie aufgrund von Studienergebnissen zum zentralen und peripheren hyperopen Defokus. Besondere Relevanz haben die genannten Faktoren, wenn die visuelle Leistungsfähigkeit zum Beispiel in Form von Akkommodations- oder Vergenzstörungen beeinträchtigt ist. Hessler betonte in seinem Vortrag, dass es im Rahmen der Myopiekorrektion heute zahlreiche Alternativen zur Vollkorrektion der gemessenen Fehlsichtigkeit gibt. Er verdeutlichte, dass ein adäquates optometrisches Management bei Myopie nur dann möglich ist, wenn bei der Refraktions- und Korrektionsbestimmung bestimmte Aspekte berücksichtigt werden. Als Grundlage zur Bestimmung der Art der Myopie sollten zum Beispiel eine ausführliche Anamnese und weitere Messungen zur besseren Analyse des Binokularstatus in der optometrischen Praxis durchgeführt werden.

Forderung nach neuen Konzepten der Beratung, Intervention und Prävention

Über die „Zusammenhänge von Nahtätigkeit, Körperhaltung und Kurzsichtigkeit“ sprach Dr. Michaela Friedrich, JenALL e.V./ EAH Jena. Sie machte deutlich, dass sich der Umgang und die Nutzung digitaler Endgeräten mittlerweile nicht mehr nur auf den beruflichen Bereich begrenzt, sondern inzwischen auch kennzeichnend für unsere moderne Lebensform im privaten Bereich ist. Im Fokus ihres Vortrags standen die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Sehen sowie dadurch bedingte Veränderungen von Verhalten und Haltung. An einem praktischen Selbstversucht zeigte sie den Teilnehmern, welche Veränderungen sich im Sehen und in der Körperhaltung ergeben, je nach dem, ob ein Objekt in der Ferne fixiert wird oder in der Nähe und welche Unterschiede hier zwischen der Nutzung eines Laptops in cica 40 bis 60 cm und der Nutzung von Tablets und Smartphone auftreten: Veränderung der Kopfhaltung, Veränderung der Blickneigung, Veränderung der Akkommodation und Konvergenz.

Bei der Nutzung aller Formen von digitalen Endgeräten besteht ein Widerspruch zur Physiologie des Menschen. Die Folgen sind zum Beispiel Augenermüdung, Myopisierung und Haltungsschäden. Da es sich in der Regel nicht um die kurzzeitige Nutzung digitaler Endgeräte handelt, sondern um die dauerhafte Nutzung, kommt es zu Anpassreaktionen des Körpers. Eine solche Anpassreaktion kann eine Myopisierung sein. Da stellt sich allerdings die Frage, ob eine Vollkorrektion für Ferne die geeignete Versorgung ist, wenn der Träger damit die überwiegende Zeit seines Tages gar nicht in der Ferne schaut, sondern auf die nahen Entfernungen der digitalen Endgeräte. Hier riet Dr. Friedrich, genauer zu selektieren, ob nicht eine Akkommodationspersistenz oder eine Transiente Myopie die Ursache der Myopieprogression ist. Dr. Friedrich zeigte abschließend Aspekte auf, welche in der Praxis zur Reduktion von Belastungen führen und Beschwerden reduzieren können. Sie machte deutlich, dass die Nutzung digitaler Endgeräte oft bereits in jungen Jahren beginnt und bis ins hohe Alter stattfindet und dass dafür neue Konzepte der Beratung, Intervention und Prävention gefordert sind.

„Digital Eye Strain“

Im Vortrag „Transienten Myopie“ stellte Maria Stinn, M. Sc., EAH Jena, die Ergebnisse klinischer Studien vor und gab Handlungstipps für den Praktiker. Ausgehend von der Situation, dass unsere Augen in unserer modernen digital geprägten Welt den ganzen Tag hohen Anforderungen ausgesetzt sind, müssen sie sich innerhalb kürzester Zeit an die unterschiedlichen Sehanforderungen anpassen. Da ist es nicht verwunderlich, dass sich nach einem Tag konzentrierter Naharbeit spürbare Beschwerden ergeben. Neben subjektiv beschrieben Beschwerden kann es zusätzlich zu einer temporären Verschiebung der vorliegenden Fehlsichtigkeit in Richtung Myopie - mehr „Minus“ im Vergleich zur klassisch gemessenen Fehlsichtigkeit - kommen. Diese Veränderung wird als Naharbeit-induzierte transiente Myopie (NITM) bezeichnet und resultiert aus den erhöhten Anforderungen bei dauerhafter Naharbeit an die Sehfunktionen. Subjektiv zeigt sich eine transiente Myopie durch ein unscharfes, verschwommenes Sehen beim Wechsel der Sehaufgabe von der Nähe in die Ferne. Stinn erläuterte in ihrem Vortrag die Ursachen und dem Einfluss der transienten Myopie auf eine Myopieprogression.

Aufbauend auf den bisherigen Vorträgen beantwortete Oliver Kolbe, M. Eng., EAH Jena, umfassend die Frage „Welche optische Versorgung ist für Tätigkeiten an Bildschirmen und Displays zu empfehlen?“. Um eine Über- oder Fehlbelastung und das sogenannte „Digital Eye Strain“ zu vermeiden, sind am Markt verschiedene optische Glasdesigns erhältlich, die für Tätigkeiten an Bildschirmen und Displays eingesetzt werden können. Kolbe erklärte die Vor- und Nachteile verschiedener standardisierter als auch individueller Brillengläser und stellte auf die Einsatzgebiete von Einstärken-, Bifokal-, Gleitsicht und Digitalgläsern sowie auf Spezialgläsern wie zum Beispiel Executivgläser vor. Weiterhin ging er auf Veredelungen der Brillengläser zur Reduktion des blauen Lichtes ein.

Flexible Konzepte des Bildschirmarbeitsplatzes nötig

Professor Dr. Kathleen Kunert, Helios Klinikum Erfurt, EAH Jena, widmete sich in ihrem Vortrag der „Kurzsichtigkeit als Risiko für Augenerkrankungen“. Ihr erster Punkt war die Darstellung, dass nach aktuellen Ergebnissen eine hohe Myopie über die Achslänge und nicht über die Höhe des Refraktionsstatus definiert wird. Eine hohe oder „pathologische Myopie“ mit progressiver, exzessiver Verlängerung des Bulbus ist sehr oft mit degenerativen Veränderungen der Sklera, Chorioidea und Retina verbunden. Das Risiko für sekundäre Erkrankungen steigt ab einer Achsenlänge von ≥ 26,5 mm. Moderne bildgebende klinische Verfahren wie Magnetresonanztomographie oder optische Kohärenztomographie liefern Erkenntnisse zu morphologischen Veränderungen. Professor Kunert stellte vor, dass als Sekundärerkrankungen, die zu einer erhöhten Rate von Sehbehinderung oder gar Erblindung führen können, unter anderem eine periphere Netzhautdegenerationen bis zur Ablatio retinae vor allem im Zusammenhang mit einer vorausgegangenen Linsenchirurgie, Makulopathien wie Fuchs’sche Blutung und chorioidale Neovaskularisationen auftreten können oder das mit Myopie assoziierte Offenwinkelglaukom. Sie machte deutlich, dass es für den optometrischen Alltag wichtig ist, Patienten über Risiken und Warnsymptome aufzuklären und sie in regelmäßigen Abständen ärztlichen Funduskontrolluntersuchungen zuzuführen.  

Mit den „Trends der digitalen Medien und Einfluss auf den BAP der Zukunft“ beschäftigte sich Markus Leicht, M. Sc., EAH Jena. Er begann seinen Vortrag damit, dass sich der Bildschirmarbeitsplatz in den zurückliegenden Jahrzehnten stark verändert hat und dass das auch im besonderen Maße für die vor uns liegenden Dekaden so sein wird. Leicht untergliederte seinen Vortrag deshalb in drei Schwerpunkte:  

  • Wann? - Arbeitnehmer sind mit immer flexibleren Arbeitszeitmodellen konfrontiert.
  • Wo? - Auch der Ort, an dem man seine Arbeit verrichtet, ist nicht mehr statisch, sondern variabel und mobil.
  • Wie? - Neue Technologien für den Arbeitsplatz entwickeln sich mit rasanter Geschwindigkeit weiter. Beispielhaft ist der Aufschwung im Bereich der Datenbrillen, die das Modell des klassischen Arbeitsplatzes auf den Kopf stellen können.

In seinem Vortrag ging Leicht auf die Vor- und Nachteile neuer Konzepte, unter der Berücksichtigung möglicher Schwierigkeiten für Arbeitgeber und -nehmer, ein. Bei seinen Ausführungen wurde deutlich, dass es den typischen Bildschirmarbeitsplatz immer weniger geben wird, sondern dass flexible Konzepte hier vermehrt Einsatz finden. In wieweit damit aber überhaupt noch die gesetzlichen Regelungen zum Bildschirmarbeitsplatz greifen, bleibet offen.

Gefahr der LEDs

Die Vortragsreihe der diesjährigen Interbild endete mit einem spannenden Vortrag von Josefine Dolata, M. Sc., EAH Jena, zum Thema „Die Gefahr der LEDs: Aktuelles zu Licht und Beleuchtung für Tätigkeiten an Bildschirmen und Displays“. Die Referentin begann ihren Vortrag mit der Gegenüberstellung des natürlichen Sonnenlichts und das den Menschen in der modernen Welt täglich umgebenden Kunstlichts, sowohl am Arbeitsplatz als auch im Privat- und Freizeitbereich. Die Lichtquellen befinden sich im Wandel. Halogen-Glühlampen wurden sukzessive von Leuchtstofflampen und Halbleiter-Leuchtmitteln abgelöst. Insbesondere die Halbleiter-Leuchtmittel bekommen aufgrund ihrer Energieeffizienz und vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten eine zunehmende Bedeutung. So werden diese beispielsweise auch als Hintergrundbeleuchtung bei Bildschirmen verwendet. Vor allem tageslichtweiße LEDs strahlen oft Licht mit einem ausgeprägten Blauanteil aus.

Als schwierig ist in diesem Zusammenhang einzustufen, dass der menschliche Organismus durch die Verwendung solcher Lichtquellen in den Abendstunden zu viele Anteile blauen Lichtes verarbeiten muss, die zu einer Aktivierung des Organismus führen. Das steht im Widerspruch zum natürlichen Tagesablauf, denn der Organismus soll am Abend zur Ruhe kommen. Viele Menschen verwenden jedoch vor allem ihr Smartphone vor dem zu Bett gehen. Schlafstörungen können die Folge sein. Außerdem belegen zahlreiche Studien anhand von Zell- und Tierversuchen, dass es Zusammenhänge zwischen der Exposition blauen Lichtes und pathologischen Netzhautveränderungen gibt. Das potentielle Risiko dieses Lichtes wird als „Blaulichtgefährdung“ (engl.: Blue Light Hazard) bezeichnet. Dieses hängt jedoch nicht nur von der spektralen Zusammensetzung des Lichtes ab, sondern unter anderem auch von der Größe der Lichtquelle und orientiert sich an den Grenzwerten der Strahldichte. Dolata stellte in ihrem Vortrag Maßnahmen und Richtwerte für einen „guten Umgang“ mit einer LED-Beleuchtung vor. Sie machte deutlich, dass zum derzeitigen Stand der Forschung keine netzhautschädigende Wirkung aufgrund der Nutzung digitaler Endgeräte nachgewiesen ist, dass jedoch die Verwendung digitaler Endgeräte in den Abendstunden zu Störungen der inneren Uhr führen kann.

Neue Erkenntnisse zum Zusammenhang Körperhaltung und Kurzsichtigkeit

Die 2. Interbild bot viele neue Erkenntnisse in Theorie und Praxis zum Zusammenhang Körperhaltung und Kurzsichtigkeit sowie zahlreiche neue Impulse für Diagnostik und Therapie bei Menschen mit Symptomen, die im Zusammenhang mit Tätigkeiten an Bildschirmen und Displays stehen. Der fachliche Austausch, neue Erfahrungen und Kontakte sowie die Freude an interdisziplinärer Zusammenarbeit standen im Vordergrund der Tagung, um gemeinsam an interdisziplinären Frage- und Problemstellung zum Thema „Tätigkeiten an Bildschirmen und Displays“ zu arbeiten und das Wissen direkt umsetzen und anwenden zu können.

Dr. Michaela Friedrich