Arbeitsstättenverordnung regelt das Recht auf Bildschirmbrille
Auf den ersten Blick erscheint es seltsam. Die Digitalisierung schreitet voran, die Bildschirmarbeit nimmt zu, und trotzdem: Bereits seit 2016 gibt es die Verordnung nicht mehr, die lange die Rechtsgrundlage hierfür bildete. Was hat sich dadurch geändert und inwiefern wirkt sich es auf die Arbeitsplatzbrille aus? Die DOZ hat bei Arbeitsschutz-Experten und in der Branche nachgefragt.
Die „Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit an Bildschirmgeräten“, besser bekannt als Bildschirmarbeitsverordnung (BildscharbV) ist am 3. Dezember 2016 außer Kraft getreten. Seither existiert sie als Einzelverordnung nicht mehr – und auch keine andere eigenständige, vergleichbare Verordnung. Aber: Anforderungen an Bildschirmarbeitsplätze sind nun im Anhang der – zeitgleich neu aufgelegten – Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) zu finden, erfährt man bei einer Suche im Internet. Es klingt ein wenig danach, als habe hier eine rechtliche Grundlage an Bedeutung verloren.
Anforderungen neu strukturiert
Bei einem Vergleich bestätigt sich: Der alte Anhang der Bildschirmarbeitsverordnung mit den Anforderungen an diese Arbeitsplätze wurde quasi unverändert in den Anhang der neuen Arbeitsstättenverordnung übernommen – konkret als Punkt sechs „Maßnahmen zur Gestaltung von Bildschirmarbeitsplätzen“, nur inhaltlich teils anders strukturiert und formuliert. Dort sind also nun die Vorgaben beschrieben, die Arbeitgeber beachten müssen, wenn sie Bildschirmarbeitsplätze einrichten und betreiben, damit Sicherheit und Schutz der Gesundheit der Beschäftigten gewährleistet sind. Hierzu zählen etwa Vorgaben zur ergonomischen Gestaltung, Beleuchtung, Vermeidung von Flimmern und Blendungen, vergleichbar also mit den Inhalten der vorherigen Bildschirmarbeitsverordnung.
An ganz anderen Stellen indes sind nun die Inhalte der vorherigen einleitenden Paragraphen der Bildschirmarbeitsverordnung zu finden: Der ehemalige § 3 BildscharbV („Beurteilung der Arbeitsbedingungen“) ist mit eingeflossen in den allgemeinen § 3 ArbStättV, der sich grundsätzlich auf die Gefährdungsbeurteilung in allen Arbeitsstätten bezieht. Dabei betont dieser nun, dass „… bei Bildschirmarbeitsplätzen insbesondere die Belastungen der Augen oder die Gefährdung des Sehvermögens der Beschäftigten zu berücksichtigen“ sind. Entsprechend dem Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung hat der Arbeitgeber Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten zu treffen. Dazu sollte konkret also bei Bedarf auch weiterhin eine Arbeitsplatzbrille gehören, lässt sich daraus folgern.
Arbeitgeber muss Vorsorge anbieten
Noch mehr versteckten sich die Inhalte des ehemaligen § 5 BildscharbV „Täglicher Arbeitsablauf“, in dem unter anderem die Pflicht des Arbeitgeber definiert war, die Tätigkeit der Beschäftigten so zu organisieren, „dass die tägliche Arbeit an Bildschirmgeräten regelmäßig durch andere Tätigkeiten oder durch Pausen unterbrochen wird, die jeweils die Belastung durch die Arbeit am Bildschirmgerät verringern“. Sie sind nun kein eigener Paragraph mehr, sondern (etwas anders formuliert) ebenfalls in den Anhang der Arbeitsstättenverordnung eingezogen, wobei der Begriff „Pausen“ durch „Erholungszeiten“ ersetzt wurde.
Scheinbar in Luft aufgelöst hat sich jedoch der Paragraph, der indirekt besonders relevant für Augenoptiker war. Gemeint ist der ehemalige § 6 BildscharbV zur „Untersuchung der Augen und des Sehvermögens“. Eine vergleichbare Passage ist in der Arbeitsstättenverordnung nicht zu finden. Dennoch hat diese Untersuchung damit keineswegs an Bedeutung verloren, wie Jörg Feldmann von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) bestätigt. „Es gilt hier die nach wie vor bestehende Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge. Dort ist festgeschrieben, dass der Arbeitgeber bei Tätigkeiten an Bildschirmgeräten eine Vorsorgeuntersuchung anbieten muss.“
Anbieten, das klingt freiwillig und ist es in gewisser Hinsicht auch, doch dies bezieht sich nur auf die Beschäftigten. „Anders als bei einer Pflichtuntersuchung, die Voraussetzung für bestimmte gefährliche Tätigkeiten ist, können die Beschäftigten bei der Angebotsvorsorge selbst entscheiden, ob sie an der Untersuchung teilnehmen möchten. Falls sie es nicht möchten, können sie die jeweilige Tätigkeit – in diesem Fall also Bildschirmarbeit – trotzdem ausführen“, erklärt Feldmann. „Das ändert aber nichts daran, dass der Arbeitgeber die Untersuchung der Augen und des Sehvermögens auf jeden Fall anbieten muss. Denn es handelt sich hier auch nicht um eine Wunschuntersuchung, die dritte Kategorie bei den arbeitsmedizinischen Untersuchungen. Diese wiederum können sich Beschäftigte unter bestimmten Umständen wünschen, und der Arbeitgeber muss sie nicht ausdrücklich anbieten.“
Konkret wird die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) dabei im Anhang ganz unten, in Teil vier „Sonstige Tätigkeiten“. Zu diesen zählen hier auch Tätigkeiten an Bildschirmgeräten. Gemäß dieser Verordnung bedeutet Angebotsvorsorge in diesem Fall „das Angebot auf eine angemessene Untersuchung der Augen und des Sehvermögens.“ Erweist sich auf Grund der Angebotsvorsorge eine augenärztliche Untersuchung als erforderlich, so ist diese zu ermöglichen. Den Beschäftigten sind im erforderlichen Umfang spezielle Sehhilfen für ihre Arbeit an Bildschirmgeräten zur Verfügung zu stellen, wenn sich bei der Angebotsvorsorge herausstellt, dass spezielle Sehhilfen notwendig und normale Sehhilfen nicht geeignet sind.
Zwei Verordnungen sind verschmolzen
Mit anderen Worten: Zwar wird in der neuen Arbeitsstättenverordnung nicht (wie zuvor in der Bildschirmarbeitsverordnung) ausdrücklich auf die Untersuchung der Augen und des Sehvermögens verwiesen. Auch fehlt ein konkreter Hinweis darauf, dass bei Bedarf spezielle Sehhilfen zur Verfügung gestellt werden müssen. Doch ausschlaggebend ist die hierfür unverändert geltende Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge, in der entsprechende Pflichten des Arbeitgebers geregelt sind. Offenbar wurde schlichtweg auf doppelte Verweise in verschiedenen Verordnungen verzichtet.
„Durch die Verschmelzung der Bildschirmarbeitsverordnung mit der Arbeitsstättenverordnung hat sich inhaltlich nichts geändert, auch nicht speziell was den Bereich Sehhilfen betrifft“, resümiert Feldmann. „Sinn und Zweck dieser Verschiebung war vielmehr, dass wir nun auch im untergesetzlichen Regelwerk, insbesondere den Arbeitsstättenregeln, etwas mehr auf die technische Entwicklung und Anwendung in der Praxis eingehen können. Denn die Arbeitsstättenregeln konkretisieren die Vorgaben der eher allgemein gefassten Arbeitsstättenverordnung. Es greift hier die sogenannte Vermutungswirkung: Arbeitgeber können davon ausgehen, dass sie rechtssicher handeln, sofern sie sich an entsprechende Vorgaben in den Arbeitsstättenregeln halten. Dadurch, dass sich die Inhalte der Bildschirmarbeitsverordnung nun ebenfalls in der Arbeitsstättenverordnung befinden, gilt dies nun also auch für den Bereich der Bildschirmarbeit.“
Wenn der Arbeitgeber sich weigert …
Zurück zur Untersuchung der Augen und des Sehvermögens, die der Arbeitgeber anbieten muss: Was also sollte man tun, wenn ein Arbeitgeber sich weigert, diese Untersuchungen und / oder letztlich eine Arbeitsplatzbrille zu ermöglichen? „Grundsätzlich gehört es zur Fürsorgepflicht des Arbeitgebers für sichere und gesunde Arbeitsbedingungen zu sorgen“, erläutert Feldmann. „Vielleicht hilft auch ein Hinweis, dass Ausfälle aufgrund von Kopf- oder Nackenschmerzen deutlich teurer sind, als die Kosten für ein günstiges Gestell und eine Einstärkenbrille. Deshalb kann es sinnvoll sein, das Sehvermögen zunächst selbst beim Augenoptiker oder Augenarzt untersuchen zu lassen – mit dem Hintergrund, dass Bildschirmarbeit eine Rolle spielt.“ Augenoptiker, die einen guten Rat geben, sich aber auch nicht zu sehr einmischen möchten, könnten ihren Kunden etwa auch den Link zur BAuA-Broschüre „Gutes Sehen im Büro. Brille und Bildschirm – perfekt aufeinander abgestimmt“ (siehe Infokasten) als Tipp mitgeben. Dort wird im Serviceteil auch auf Fragen zur Erstattung von Brillen am Arbeitsplatz eingegangen.
Trotz ihrer Vorteile ist die Bildschirmarbeitsplatzbrille kaum verbreitet – zu diesem Fazit kommt Dr. Wolfgang Wesemann, zuletzt Direktor der Höheren Fachschule für Augenoptik in Köln und nun im Ruhestand. Wie sich dies ändern lässt, erörterte der Experte in einem Interview mit dem Kuratorium Gutes Sehen (KGS): „Sie muss noch mehr kommuniziert werden, denn kaum jemand weiß, dass es sie gibt. Die Augenoptiker etwa müssten jeden im entsprechenden Alter beim Kauf einer neuen Brille darauf ansprechen. Eine andere Möglichkeit wäre, die Arbeitgeber zu überzeugen. Denn eine Bildschirmbrille ist relativ günstig zu haben, bringt aber eine enorme Verbesserung. Wer einmal so eine Brille hat, der weiß gar nicht mehr, warum er sich jahrelang gequält hat.“ Der Augenoptiker müsse dafür genau wissen, welche Tätigkeiten man ausübt, wie weit der Bildschirm weg ist und in welcher Höhe er steht.
Ab 50 Jahren ist solch eine Brille nach der Einschätzung von Wesemann absolut notwendig. „Wer dann keine Bildschirmbrille hat, der weiß gar nicht was er sich damit antut. Es ist geradezu tragisch, dass bislang so wenige eine besitzen.“ Allerdings seien viele Arbeitgeber nicht dazu bereit. „Was mir ein Rätsel ist, ließe sich doch die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden des Arbeitnehmers am Bildschirm durch die richtige Brille entscheidend verbessern. Und damit steigen Zufriedenheit und Produktivität.“ Der „digitale Augenstress“ werde in den nächsten Jahren auf jeden Fall noch weiter zunehmen. „Man muss wohl damit leben, denn niemand will ja Smartphones abschaffen. Man wird also erleben, dass die Gesellschaft sich wandelt. Es ist fast unausweichlich, dass in den nächsten Jahren immer mehr Bundesbürger kurzsichtig werden.“
„Das Thema ist überaus wichtig“
In der Branche stellt man sich auf die veränderten Bedürfnisse ein, etwa bei Optiker Kelb in Hamburg. „Das Thema Arbeitsplatzbrille ist überaus wichtig“, sagt Rolf Kelb, Seniorchef und Augenoptikermeister. „Da wir unsere Kunden rund um das Sehen optimal beraten, gehört es grundsätzlich dazu. Besonders bei Kunden ab dem 45. Lebensjahr, oder wenn es um das Thema Gleitsichtgläser und Lesebrille geht.“ Der Hinweis, dass eine Gleitsichtbrille oder eine Einstärkenlesebrille das Sehprofil und die Anforderungen am Arbeitsplatz nicht mehr erfüllen kann, gehört für ihn und sein Team zu einer richtigen Beratung zwingend dazu. „Grundsätzlich erfragen wir das Sehprofil unserer Kunden, und wenn Bildschirmarbeit eine Rolle spielt, erfolgt die Empfehlung, eine Bildschirmarbeitsplatzbrille zu nutzen. Genauso wie der Tipp, beim Arbeitgeber nachzufragen, ob er sich an den Kosten beteiligt. Jeder Mensch ist doch dankbar, wenn er ein optimales Sehen erreicht und dabei gegebenenfalls von seinem Arbeitgeber finanziell unterstützt wird.“
Je nach Situation geht man bei Kelb im Kundengespräch auch auf Aspekte des Arbeitsplatzes wie zum Beispiel eine optimale Beleuchtung ein – an sich eine Pflicht des Arbeitgebers und nicht Sache der Augenoptiker. „Wenn bei der Beschreibung durch den Kunden ersichtlich wird, dass der Arbeitsplatz beziehungsweise der Monitor nicht optimal abgestimmt ist, erfolgt der Hinweis, dies abzuändern, um ein entspanntes Sehumfeld und damit leistungsstärkeres und ermüdungsfreieres Arbeiten zu ermöglichen.“ Die Tatsache, dass die Inhalte der Bildschirmarbeitsverordnung nun in der Arbeitsstättenverordnung zu finden sind, macht sich weniger bemerkbar. „Es kommt selten vor, dass wir von unseren Kunden darauf angesprochen werden. Wir geben ihnen aber dann die Empfehlung, einen zuständigen Mitarbeiter, eventuell auch den Betriebsrat seines Betriebes, diesbezüglich zu kontaktieren.“
Nützliche Links und Downloads
Die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) ist zu finden unter www.gesetze-im-internet.de/arbmedvv/
Die Broschüre „Gutes Sehen im Büro. Brille und Bildschirm – perfekt aufeinander abgestimmt“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) (Ausgabe Juli 2015) gibt es zum Download unter www.baua.de (unter > Angebote > Publikationen > baua: Praxis, dort den Titel in den Filter „Suche nach Publikationen“ eingeben)
Autorin: Christine Lendt