Bernhard Nuesser: „Wir wollen Augenoptikern den Weg in die digitale Zukunft ebnen“
Bernhard Nuesser, geboren 1966 in Bad Honnef, ist seit 2013 Mitglied der Geschäftsführung der Essilor-Gruppe in Paris und seit Anfang 2016 als „President Online and Member of the Management Commitee of Essilor“ weltweit verantwortlich für die Online- und Digitalstrategie von Essilor. Vor seiner Tätigkeit bei Essilor war er unter anderem Mitglied der Geschäftsführung der GrandVision Gruppe. [Noch mehr Interviews mit den Köpfen der Branche zum Thema Digitalisierung finden Sie in der DOZ-Sonderausgabe zur Opti.]
DOZ: In den USA gibt es bereits einen Scanner, mit denen Konsumenten die Werte ihrer Brille vermessen können. Wann ist Ihrer Ansicht nach die Online-Refraktion marktfähig?
Bernhard Nuesser: Einen solchen Scanner gibt es beispielsweise auf Glassesusa.com. Auch für die Online-Refraktion gibt es am Markt schon mehrere Lösungen, unter anderem über Opternative.com. Zudem gibt es mehr und mehr internetbasierte Lösungen für Messungen. Dies zeigt, dass Investitionen in technologischen Möglichkeiten rasant vorausschreiten, meistens durch Private-Equity-Finanzierung getrieben. All die heutigen am Markt bestehenden Lösungen sind bei weitem weder perfekt noch bei den Konsumenten bekannt, aber die Richtung ist eingeschlagen und Fortschritte werden wahrscheinlich relativ schnell bemerkbar sein. Eine Grundsatzfrage ist, in welchem gesetzlichen Rahmen dies passieren wird.
Es ist in manchen Regionen, in denen es an Augenoptikern und Optometristen fehlt, sicher vorteilhaft, Menschen, die ein Sehkorrektur brauchen, so versorgen zu können. Ansonsten ist es meines Erachtens immer besser, die Augenprüfung bei einem ausgebildeten Spezialisten durchzuführen.
Welche weiteren technischen und digitalen Entwicklungen sehen Sie, die den augenoptischen Markt grundlegend verändern können / werden?
Die immer bessere Auswertung der großen Datenmengen aus dem Internet wird helfen, Kundenprofile zu vervollständigen. Dadurch wird es möglich, potenzielle Kunden viel gezielter anzusprechen und genau zum passenden Zeitpunkt mit den für sie relevanten Informationen zu versorgen. Das spart Kunden und Augenoptikern gleichermaßen wertvolle Zeit, die vor Ort genutzt werden kann, um das Einkaufserlebnis zu erhöhen.
Provokant gefragt: Benötigen wir in sieben Jahren noch Augenoptiker?
Anders als in vielen anderen Branchen profitieren die Augenoptiker davon, dass Kunden die Brille nicht als bloße Ware betrachten, sondern großen Wert auf fachkundige Beratung legen. Eine aktuelle Studie belegt, dass vier von fünf Befragten, die im Netz unterwegs sind, persönlich beraten werden wollen und eine Brille vor dem Kauf anprobieren möchten. Das Ladengeschäft ist und bleibt daher Dreh- und Angelpunkt in unserer Branche. Das wird sich auch in den kommenden sieben Jahren wahrscheinlich nicht ändern. Aber in dem Zuge, in dem sich die Kommunikation weiter ins Netz verlagert, wird es in ein paar Jahren im Wesentlichen nur noch Augenoptiker geben, die dort auch von den Kunden gefunden werden. Und es ist klar, dass diese Augenoptiker eine Differenzierung in Consumer Care und Consumer Experience bieten müssen.
Essilor hat im Rahmen des Formats „Talk of Town“ den Austausch mit seinen Kunden gesucht, um die digitale Zukunft gemeinsam zu gestalten. Welche gemeinsamen und konträren Ansichten kristallisieren sich dabei heraus?
Es gibt da gar keine zwei Meinungen: Unsere Partner und wir haben die Notwendigkeit erkannt, sich der Aufgabe Digitalisierung zu stellen. Auch auf unseren Trainings-Kreuzfahrten, die wir im Sommer im Rahmen unseres Essilor Partnerprogramms veranstaltet hatten, war das ein zentrales Thema. Ganz klar ist, dass wir den Weg gemeinsam mit unseren Partnern gehen wollen. Wir wollen Augenoptikern den Weg in die digitale Zukunft eben. Dabei haben wir den großen Vorteil, dass wir bei Essilor weltweit bereits vielfältige Erfahrungen im Online-Bereich gesammelt haben. Die werden wir hier in Deutschland nutzen. Dass wir mit dieser Kompetenz jetzt auf unserer Roadshow im engen Dialog mit den Augenoptikern gemeinsame Lösungen erörtern, wird allerorten einhellig begrüßt. Die Gespräche mit unseren Kunden sind äußerst konstruktiv und produktiv. Wir nehmen da ganz viel mit. Zusammen mit einem Beirat von 15 Augenoptikern werden wir nun eine konkrete gemeinsame Perspektive für die digitale Zukunft entwickeln.
Welche Potenziale sehen Sie für den Augenoptiker in der digitalen Welt? Wie können diese Potenziale – im harten Wettbewerb gegen Amazon & Co. um die Aufmerksamkeit des Endverbrauchers – genutzt werden?
Die Menschen kaufen heute ganz anders ein. Fast 90 Prozent aller potenziellen Kunden suchen und informieren sich erst einmal im Internet, wenn sie sich für ein Produkt interessieren. Daher ist es ganz wichtig, den Kunden auf seinem Smartphone oder Laptop zu erreichen, ihn zuhause auf der Couch abzuholen.
Wir sehen ein enormes Potenzial in der Kombination einer zunehmend digitalen, äußerst zielgerichteten Kundenansprache und einer deutlichen Stärkung der Beratungskompetenz des Augenoptikers und des Einkaufserlebnisses vor Ort. Unser Ziel ist es, mit dem Ausbau digitaler Aktivitäten den Augenoptiker weiter zu stärken und die Kundenfrequenz in den Geschäften unserer Partner deutlich zu erhöhen. Dazu werden wir den Fokus in unserer Kommunikation weiterhin immer wieder ganz klar auf die Qualitäten des Brillenglases und die Beratung vor Ort lenken. Wenn der Augenoptiker also in seinem Ladengeschäft seine Rolle als Spezialist unterstreicht und ein Einkaufserlebnis bietet, hat er alle Trümpfe in der Hand.
Welche Entwicklungen sehen Sie aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz auf die Augenoptik zukommen?
Es ist absehbar, dass sich neue Technologien wie Prescription-Scanner und E-Refraktion etablieren werden. Auch die Gesichtserkennung macht große Fortschritte, nicht zuletzt, weil die modernen Smartphones über Kameras mit hoher Auflösung verfügen. Die Programme dahinter „trainieren“ mit einer immensen Menge an Bilddaten und sind heute schon unglaublich gut. Zudem treiben von AI (Artifical Intelligence) getriebene Systeme die „Micro-Kundensegmentierung“ voran und ermöglichen es, potenzielle Kunden viel gezielter anzusprechen und über maßgeschneiderte Angebote zu informieren. Dies wird die Kundenerwartungen nach individualisierten Lösungen, Produkten und Services vorantreiben.
Beenden Sie bitte den folgenden Satz: „Wenn ich Augenoptiker wäre, dann würde ich das Thema ‚Digitalisierung‘…“
Das ist ganz einfach: Wenn ich Augenoptiker wäre, dann würde ich die Digitalisierung umarmen. Unsere Partner werden von uns alle erdenkliche Unterstützung bekommen, um diese einmalige Chance gemeinsam mit uns zu nutzen.
Die Fragen stellte Stephan Schenk