Der Myopie einen Riegel vorschieben
„Myops“ (altgriechisch) bedeutet so viel wie „Blinzelgesicht“. Davon abgeleitet ist der Begriff Myopie, ein wichtiges augenoptisches Thema, das durch die Diskussion rund um eine mögliche Myopiekontrolle vor allem die Kontaktlinsenanpasser beschäftigt. Die Industrie hat bereits zahlreiche Produkte und Tools entwickelt – am Ende der Entwicklung ist man aber noch nicht angelangt.
Das Auftreten und die Stärke der Kurzsichtigkeit bei Heranwachsenden wird von vielen Quellen als ansteigend, epedemieartig und rasant fortschreitend beschrieben. So gehen die World Health Organization (WHO) mit Sitz im schweizerischen Genf und das Brian Holden Institut aus Sidney (Australien) davon aus, dass bis zum Jahr 2050 rund die Hälfte der Weltbevölkerung kurzsichtig sein wird. Im deutschsprachigen Raum wird das Problem der zunehmenden Kurzsichtigkeit zwar oft als ein asiatisches Phänomen eingeordnet, doch die Stimmen werden lauter, die auch hierzulande einen Trend zur vermehrten und stärkeren Kurzsichtigkeit sehen. Von Seiten der Industrie wurden bereits unterschiedliche Produkte und Tools entwickelt, um die Entwicklung einer Myopie bei jungen Menschen im Wachstum verlangsamen und umfassender aufklären zu können.
Doch zunächst stellt sich die Frage: Warum wachsen manche Augen rasch in die Länge und werden in Folge stark kurzsichtig und andere nicht? Eine eindeutige Antwort darauf gibt es bislang nicht, allerdings geht man davon aus, dass ein Mix aus Faktoren das Längenwachstum des Augapfels begünstigt. Man nimmt daher an, dass die genetische Bereitschaft bei der Entwicklung einer Myopie eine Rolle spielt, dass Veränderungen in den Lebensgewohnheiten einen Effekt ausüben. So verbringen Heranwachsende am Tag inzwischen weniger Zeit im Freien, heißt bei Tageslicht, und gleichzeitig mehr Zeit mit Tätigkeiten in der Nähe, zum Beispiel mit Smartphone, Tablet und PC, dass das Bild, das in den Randbereichen der Netzhaut entsteht, den Wachstumsimpuls des Augapfels beeinflusst beziehungsweise anregt.
Unter dem Strich bedeutet eine Kurzsichtigkeit für viele Betroffene zukünftig mehr, als nur eine Brille oder Kontaktlinsen zu tragen. Denn Heranwachsende, die eine Veranlagung für eine höhere bis pathologische Kurzsichtigkeit jenseits der minus sechs Dioptrien entwickeln, tragen ein gesundheitliches Risiko in sich. Wir wissen: Je mehr ein Augapfel in die Länge wächst, desto größer wird für diese Menschen die Wahrscheinlichkeit an Katarakt, Glaukom, Makuladegeneration oder einer Netzhautablösung zu erkranken. So haben Kinder mit zwei kurzsichtigen Elternteilen ein erhöhtes Potenzial, eine ausgeprägte Kurzsichtigkeit zu entwickeln. Je früher der Prozess beginnt, desto größer ist der Zeitraum, in dem sich die Kurzsichtigkeit entwickelt – und folgerichtig das Ausmaß der Fehlsichtigkeit.
Neue Strategie bei der Korrektion
Vor diesem Hintergrund gehen Augenoptiker heute dazu über, die Kurzsichtigkeit bei Heranwachsenden nicht mehr nur mit Hilfe von Einstärken-Kontaktlinsen oder -Brillengläsern zu korrigieren. Denn unterschiedliche Studien haben gezeigt, dass unter der Korrektion mit Einstärken-Sehhilfen „eine hypermetropische Defokussierung hinter der peripheren Retina entsteht und dass diese das myopische Wachstum des Auges vorantreibt, während das Auge versucht, die Abbildungsebene auf der Retina zu fokussieren. Die standardmäßige Myopiekorrektur mit Einstärkengläsern hat den Brennpunkt auf der Makula und eine periphere hyperope Defokussierung der Abbildungsebene hinter der Retina zur Folge. Eine Myopiekontrollstrategie ist es, die Optik so zu verändern, dass eine myopische Defokussierung induziert wird und die Abbildungseben peripher vor der Retina liegt“, beschrieb Pascal Blaser, Sales & Product Manager SwissLens, den Zusammenhang bereits in der DOZ von September 2017. Im Wesentlichen sind einige Augenoptiker heute bereits dazu übergangen, ihre in der Regel jüngeren Kunden mit multifokalen weichen Kontaktlinsen oder Orthokeratologie-Linsen (OrthoK) zu versorgen.
Ortho-K wurde eigentlich entwickelt, um Kurzsichtigen über Tag ein gutes Sehen ohne Sehhilfe zu ermöglichen. Die Linsen werden bekanntermaßen in der Nacht getragen und verändern die Form der Hornhaut. Dadurch entsteht eine zentrale Optik, die scharfes Sehen ermöglicht. Und das Auge erfährt offensichtlich keinen, oder nur einen geringen Impuls zum In-die-Länge-wachsen. Ein weiterer Vorteil von Otho-K-Kontaktlinsen: Die Eltern können das Linsen-Management ihrer Kinder aufgrund des Nachttragens leichter steuern.
Alternativ können Augenoptiker mit Blick auf die Myopiekontrolle gegenwärtig auf multifokale weiche Kontaktlinsen mit der Ferne im Zentrum zurückgreifen. Diese Kontaktlinsen erzeugen ein ähnliches Bild auf der Netzhaut wie bei der Verwendung von Ortho-K.
Junger Ansatz wirft Fragen auf
Da es sich bei der Myopiekontrolle mit Hilfe der genannten Kontaktlinsen-Typen um einen relativ jungen Ansatz handelt, fehlen zu einigen Aspekten Langzeiterfahrungen. So ist derzeit noch offen, ob Heranwachsende, die mit Ortho-K oder multifokalen Weichlinsen korrigiert werden, auch langfristig auf eine Nahunterstützung angewiesen sind. Konkret stellt sich die Frage, ob der Augenmuskel, der unter der Myopiekontrolle nicht trainiert wurde, dieses Defizit durch entsprechende Übungen wieder aufholen kann.
Des Weiteren müsste man klären, ob ein verändertes Ortho-K-Design mit veränderter zentraler Optik in Relation zur individuellen Pupille des Trägers mit Blick auf die Myopie eine Verbesserung ergeben würde. Bisher gibt es die Kontaktlinsen mehrheitlich in standardisierten Parametern.
Für das Design weicher Multifokallinsen ist zudem auf evidenzbasiertem Niveau noch unbekannt, was für den Kurzsichtigen erfolgsversprechender ist: die Nähe im Zentrum der Linse und die Ferne in der Peripherie, oder umgekehrt. Ebenfalls überprüft werden könnte die Höhe der Addition. Die bislang gängige Praxis zeigt, dass Anpasser mehrheitlich eine Addition zwischen 1,5 und 2,5 Dioptrien wählen. Ergebnisse mit anderen Werten könnten künftig zum Vergleich herangezogen werden.
Abschließend bleibt zu erwähnen, dass im europäischen Raum aktuell keine Kontaktlinse die Zulassung als therapeutisches Mittel zur Myopiekontrolle besitzt. Es existieren jedoch Produkte zur Korrektur von Fehlsichtigkeiten, die durch ihren Aufbau und die Abbildungseigenschaften anscheinend zur Kontrolle einer Myopie taugen. Inzwischen gibt es einige Hersteller und Produkte, die in diesem Sinne eingesetzt werden können. Die DOZ hat sich umgehört und eine Auswahl zusammengestellt.
Das führen Hersteller im Programm
Kontaktlinsenproduzent CooperVision aus Eppertshausen launchte im vergangenen Jahr die weiche Eintageslinse „MiSight 1 day“ – die DOZ berichtete in Ausgabe 08 | 2017. Die Linse wurde in einer dreijährigen klinischen Multi-Center-Studie getestet. Heraus kam dabei, dass die Träger dieser Kontaktlinse mit einem Dual Focus Design aus vier ringförmigen optischen Zonen im Vergleich zur Kontrollgruppe mit der Einstärken-Linse „Proclear 1 day“ einen um 59 Prozent geringeren Myopie-Zuwachs und ein um 52 Prozent geringeres Längenwachstum des Auges aufwiesen.
Die Menicon GmbH führt indes mehrere Optionen im Produktprogramm, mit denen es, so das Unternehmen aus Frankfurt am Main, möglich sei, die progressive Myopie zu hemmen. Dazu zählten alle formstabilen Kontaktlinsen mit dem Symbio-Design, alle Progressive-Linsen, die die Fernzone im Zentrum haben, sowie die Ortho-K-Linse „Z Night“ und ihre torische Variante. Die Nachtlinse besteht aus dem Menicon Z Material (DK-Wert 163), wird maßgefertigt und kann bis zu zwölf Monate getragen werden. Die Linse kann laut Hersteller eingesetzt werden bei einer Myopie bis -4,50 Dioptrien, einem Peripheren Hornhautastigmatismus rectus von bis -2,50 Dioptrien und einem Peripheren Hornhautastigmatismus inversus von bis -1,50 Dioptrien.
Für die Falco Linsen AG aus der Schweiz ist die Ortho-K-Linse nach eigenen Angaben seit zwei Jahren ein Thema. Verwendet wird das Material Optimum Extrem als Standard. Laut einer Studie konnte die progressive Myopie mit einer „MC-Ortho-K-Linse“ – „FOK MC“ und „FOKX MC“ – gestoppt, in den meisten Fällen „sogar reduziert werden“. Die Studie wurde insgesamt an 30 Kindern über einen Zeitraum von 18 Monaten durchgeführt. Nebst den erwähnten Linsen wurde als Referenz das Gegenauge mit einer herkömmlichen Ortho-K-Linse ausgerüstet. Die „FOK MC“ kann bei 2/10 zentraler Hornhautradiendifferenz (bis circa -1,25 Dioptrien Hornhautastigmatismus) angewendet werden; die „FOKX MC“ bei mehr als 2/10 Hornhautradiendifferenz. Die Fern- und die Myopiekontrollzone sind jeweils standardisiert und der Gesamtdurchmesser beginnt bei 10,40 Millimeter in einer Abstufung von 0,10 Millimeter.
Galifa aus St. Gallen in der Schweiz launchte 2015 seine erste Linse zur Myopiekontrolle, seit dem Jahr 2017 gibt es das Partnerprogramm „Myopia Expert“. Das System zur Myopiekontrolle soll Kontaktlinsenanpasser mit maßgefertigten Spezial-Kontaktlinsen, Online-Tools, Know-how für die Myopiekontrolle und Kundeninformationen unterstützen. Im Bereich der Kontaktlinse zur Myopiekontrolle ist Galifa mit dem Scalia-2-Design und der Ortho-K-Linse Luna vertreten. Die Scalia 2 ist ein progressives Mehrstärkendesign (Ferne zentral), das für individuelle weiche und die formstabilen Galifa Kontaktlinsen erhältlich ist. Um dem Anstieg des peripheren Defokus bei höherer Myopie gerecht zu werden, gibt es das Design mit unterschiedlichen Additionen. Der Durchmesser der Fernzone und die Breite des Progressionsbereiches sind bei allen Profilen identisch. Die Größe der Fernzone basiert auf der durchschnittlichen Pupillengröße von Kindern im Alter von sechs bis 14 Jahren. Das Tool „SmartFit“ bietet Galifa als zusätzliche Unterstützung für die Anpassung individueller weicher Kontaktlinsen an. Für die Korrektion über Nacht führen die Schweizer die „Luna 2“ im Portfolio.
Unter dem Motto „Für jetzt und später“ will MPG&E mit einem Myopie-Management-Konzept, das seit diesem Monat auch Infoabende für Eltern einschließt, bei Experten und Verbrauchern für mehr Aufklärung rund um die Myopiekontrolle sorgen. Augenoptikern stehen Tools zur Verfügung, um die Myopie bei Kindern zu managen. Zum Angebot gehören des Weiteren spezielle weiche Kontaktlinsen und die Ortho-K-Linse „DreamLens“. Diese ist für alle Menschen geeignet, deren Kurzsichtigkeit -4,5 Dioptrien nicht überschreitet.
SwissLens aus dem schweizerischen Prilly will sein Produktportfolio im Linsenbereich in diesem Jahr mit weiteren Schulungen, Seminaren und Kommunikationsmitteln ausbauen. Das „Relax System“ umfasst weiche Drei- und Sechs-Monatslinsen, Ortho-K- und formstabile Kontaktlinsen für das Myopiemanagement bei Heranwachsenden. Durch die freie Wahl der peripheren Addition und des Optikzonendurchmessers kann auf den individuellen Korrektionsbedarf eingegangen werden. Mit Hilfe eines Online-Anpasstools können die benötigten Parameter berechnet werden. Flyer und Poster zur Kommunikation mit den Eltern und den Kunden sollen das Angebot abrunden. In einer geschlossenen Facebook-Gruppe können Augenoptiker zudem den fachlichen Austausch suchen.
Myopiekorrektion im Schlaf und freies Sehen den ganzen Tag stellt die Techlens WL Contactlinsen GmbH aus München mit ihrer Nachtlinse „sleeplens“ in Aussicht. Die Linse ist laut Hersteller geeignet für die Myopiekorrektion von -0,75 bis -4,50 Dioptrien und sollte nach zwölf Monaten ausgetauscht werden. Zudem bietet Techlens auch Seminare für Anpasser an.
Mit zwei Produkten will die Medilens Säntis AG mit Firmensitz in St. Gallen der Myopie die Stirn bieten. Zum einen mit der multifokalen formstabilen Kontaktlinse „Mediform 40+“ mit der Ferne im Zentrum. Zum anderen mit der formstabilen Ortho-K-Linse mit reversem Design, „Mediform Ortho K“. Durch das Tragen der Linse über Nacht wird die Cornea anhaltend modelliert und es entsteht über den Ortho-Keratologie-Effekt eine ideale Bildschale in der peripheren Netzhaut.
Ebenfalls nachgefragt hatten wir unter anderem bei Mark’ennovy, Hecht Contactlinsen, Bilosa, Galifa, Techlens, Johnson & Johnson, Wöhlk, Jenalens und Appenzeller. Einige dieser Unternehmen bieten ebenfalls Linsen zur Myopiekontrolle an und werden voraussichtlich im Jahresverlauf mit Neuigkeiten aufwarten.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Die Myopiekontrolle ist bei den Kontaktlinsenherstellern kein Stiefkind sondern vielmehr ein wichtiges Feld, in dem die Entwicklung ständig voranschreitet. Angesichts des in der Einleitung erwähnten und erwarteten Anstiegs der Kurzsichtigkeit der Weltbevölkerung auf rund 50 Prozent bis zum Jahr 2050 ein nötiges Unterfangen mit großem Potenzial.