Fort- und Weiterbildungsmüdigkeit
Als sich Donald Trump im Mai in seiner Funktion als Präsident der USA auf Reisen gemacht hat, stellten sich die Staatschefs der Nato-Länder auf dessen kurze Aufmerksamkeitsspanne ein. Ähnlich agieren manche Bildungseinrichtungen im augenoptischen Deutschland; sie haben sich auf die Schüler eingestellt und präsentieren Wissen und Know-how in kleineren Häppchen. Das aber ist gar nicht das größte Problem, vielmehr könnte eine offensichtlich zunehmende Fort- und Weiterbildungsmüdigkeit der Augenoptik in Zukunft Sorgen bereiten.
Die Aufmerksamkeitsspanne sinkt weltweit, vermutlich sind dafür mal wieder Smartphones, soziale Netzwerke und der digitale Wandel verantwortlich. Trump und die heutigen Fort- und Weiterbildungswilligen gehen also nur mit der Zeit. Das ist auch eigentlich kein großes Thema, denn an der Aufmerksamkeitsspanne kann entweder gearbeitet werden oder im Wissen darum stellen sich die anderen darauf ein. Das größere Problem liegt darin, dass eine gewisse Müdigkeit vorherrscht, zusätzlich zu den Anforderungen des Alltags noch etwas zu lernen. Diese Bequemlichkeit steht im Gegensatz zu den vielfältigen und guten Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen etlicher Anbieter, die wahrlich nicht nur im eigenen Interesse um Teilnehmer buhlen und gleichzeitig eben diese Fortbildungsmüdigkeit beklagen. Wissen Sie, ja Sie!, ob die Know-how-Häppchen der privaten und staatlichen Einrichtungen die richtige Größe haben? Wann haben Sie zuletzt ein Seminar der Industrie besucht, wann möchten Sie sich in welchem Themengebiet spezialisieren?
Wir reden heutzutage oft vom mündigen Kunden, der bestens informiert genau weiß, was er will. Dass er dennoch in Ihr Geschäft kommt (hoffentlich!) liegt daran, dass er einen kompetenten Ansprechpartner sucht, der ihm sagt, ob er auf dem richtigen Weg ist. Kaufen könnte er, so denkt er zumindest, überall, er möchte aber mehr – von Ihnen. Das ist nur ein Beispiel, das auf recht simple Art unterstreichen soll, wie wichtig Kompetenz für den Erfolg eines Augenoptikers ist. Fort- und Weiterbildungen gehören zu den erfolgversprechendsten Investitionen in den Betrieb. Trotzdem zeigt eine von der Hochschule Aalen unter Leitung von Professor Dr. Anna Nagl im Dezember 2016 bei 238 Augenoptikern durchgeführte Befragung, dass weniger als 50 Prozent der Teilnehmer an der Umfrage überhaupt Fort- und Weiterbildungsangebote nutzen.
Zahl erfolgreicher Meisterprüfungen zurückgegangen
Seminare und Fachtagungen sind danach die mit Abstand noch am besten besuchten Weiterbildungsmaßnahmen. Schlechter sieht es da bundesweit zum Beispiel für die Meisterschulen und Hochschulen aus. Die Zahl der erfolgreichen Meisterprüfungen ist aktuell deutlich im Vergleich zum Durchschnitt der letzten vier Jahre zurückgegangen (von 657 auf 542). Geht man davon aus, dass die Prüfungsinhalte nicht entscheidend verändert worden sind, dürfte auch das ein Signal sein. Der demographische Wandel macht vor der Augenoptik nicht halt. Und die stabile bis steigende Zahl der Auszubildenden in der Augenoptik beruhigt in dieser Sache auch nicht. Viele der Lehrlinge haben nicht mehr die Bindung zur Augenoptik wie einst, manche probieren es halt mal aus, weil eine Lehre als Augenoptiker dann doch besser als manch anderes Angebot zu sein scheint. Im Ergebnis zeigen sich etliche Gesellen mit ihrem Status zufrieden oder verlassen die Branche. Diese Leute müssen an die Hand genommen werden.
Es gibt andere Anzeichen für die Fort- und Weiterbildungsmüdigkeit. Beispiel: Früher galt der Gesellenbrief einmal als Zugangsvoraussetzung für ein Bachelor-Studium, nach und nach bröckelt diese „Hürde“, was auch in anderer Hinsicht nachdenklich stimmt. Abgesehen davon drücken auch Reduzierungen der Dauer eines Studiengangs gewisse Zwänge aus. Deutlich wird die Hochschule Aalen, die zwar 20 Studenten für ihren Optometrie-Studiengang 2017/18 meldet, aber „in Deutschland momentan trotz oder aufgrund der guten wirtschaftlichen Situation leider eine gewisse Fortbildungsmüdigkeit“ feststellt, wie es in einer Presseinformation von Ende März 2017 heißt. Über die Hälfte der Absolventen komme demnach aus dem Ausland.
Manchmal starke Nerven nötig
Auch Günther Neukirchen weiß als Leiter der ZVA-Akademie, dass er manchmal starke Nerven braucht, wenn sich die Anmeldezahlen nicht wie gewünscht – oder zumindest wie früher einmal – entwickeln. Während anderswo aber schon mal der eine oder andere Kurs zum Optometristen gar nicht erst beginnt, hat Neukirchen bislang immer volle Schulbänke zu vermelden. „Entgegen dem bundesweiten Trend haben wir insgesamt bei unseren Angeboten etwas zugelegt“, sagt Neukirchen, der aber bestätigt, dass die Anmeldezahlen dennoch auch in Knechtsteden mehr schwanken als in der Vergangenheit.
Nicht nur Neukirchen sieht das Grundübel in der fehlenden Weiterbildungspflicht in der Augenoptik und Optometrie in Deutschland. Die Augenoptik bewegt sich, das nötige Wissen und die Technik ändern sich. „Wer fünf Jahre lang arbeitslos ist, gilt beim Arbeitsamt als ungelernt“, deutet Neukirchen auf die allgemeine Entwicklung hin, die auch auf die Augenoptik zutrifft. Nicht nur der gut informierte Kunde sucht einen Berater, der neben schicken Brillenfassungen auch die besten Lösungen für ein optimales Sehen parat hält. Dazu gehört heute mehr als vor ein paar Jahren, und dazu gehören morgen neue technologische Möglichkeiten, deren Anfänge schon heute niemand mehr interpretieren kann.
Es reicht nicht aus, den richtigen Knopf am hochmodernen Messinstrument zu finden und die ausgedruckten Daten lesen zu können. Das kann jeder. Wer Erfolg für sich und seinen Betrieb haben möchte, muss zumindest am Ball bleiben. Jeder Angestellte muss für sich entscheiden, wie teuer er sich in Zukunft verkaufen möchte. Und die Betriebsinhaber müssen sich einen guten Mitarbeiterstamm sichern; schulen Sie Ihr Fachpersonal, anderes gibt es derzeit ohnehin kaum. Eine erstklassige Beratung wird zunehmend wichtiger und entscheidender für die Wettbewerbsfähigkeit, sie ist für jeden Betrieb die Chance, sich abzuheben und Kunden zu binden.
Treten Sie der Fort- und Weiterbildungsmüdigkeit also entgegen, ja genau Sie, das lohnt sich.