Inszenieren, Präsentieren, Optimieren

Kundin schaut ins Schaufenster mit Spiegel, Brille und Bart
Wirkungsvoll auf Brillen aufmerksam machen.
© Ilja Tschanen von modulplus

„Man kann nicht nicht kommunizieren!“ Was Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick einfach wie treffend formulierte, gilt nicht nur für das menschliche Miteinander, sondern auch für den gebauten Raum und damit ebenso für das Augenoptiker-Fachgeschäft. Ob von außen betrachtet oder von innen erkundet: das Schaufenster, der Verkaufsraum und die Produktpräsentation sprechen Bände in Bezug auf den Händler. Bewusst rational und unterbewusst emotional erfasst der Kunde, was das Ladenlokal aussendet. So wird der erste Eindruck zur feststehenden Größe, die nur schwer zu revidieren ist. Zielgerichtet mit Hilfe des Raumes zu kommunizieren und für sich zu werben, ist demnach eine elementare Voraussetzung, um potenzielle Kunden anzulocken und zum Kauf zu motivieren. (Am Ende des Artikels finden Sie eine Bildergalerie über alle vorgestellten Projekte.)

Die wichtigste Werbeplattform und Visitenkarte des Händlers ist der straßenseitige Storeauftritt. Das Schaufenster hat dabei die Aufgabe, einen Einblick in die Produktwelt des Stores zu geben und dem Passanten zu zeigen, was ihn im Inneren des Geschäfts erwartet. Entscheidend ist hier Aufmerksamkeit zu generieren, Bedarf zu wecken und eine Geschichte zu erzählen. Die möglichst klar kommunizierte Botschaft kreiert ein emotionales Unternehmensimage.

Auf ganz ähnliche Weise funktionieren Onlineshops und Social-Media-Plattformen. Sie können zudem als Erweiterung des Schaufensters und der stationären Einzelhandelsfläche gesehen werden. Die kombinierte Bespielung unterschiedlicher Kommunikationswege mit durchgängigem Themen und Gestaltungen kann zu Kampagnen mit hohen Reichweiten führen. Bei der grundsätzlichen Themenwahl sollte sich der Händler an seiner Stammkundschaft und der definierten Zielgruppe orientieren und passend dazu generationstypische, regionale, jahreszeitliche und feiertagsbedingte Aspekte verarbeiten. Jeder Themenwechsel hat das Potenzial neue Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Vom Sehen und gesehen werden

Das Schaufenster kann als Bühne des Einzelhandels gesehen werden, die es zu inszenieren gilt. Diese Inszenierung kann im Wesentlichen in zwei unterschiedlichen Schaufensterarten erfolgen: dem geschlossenen oder dem offenen System. Das geschlossene Schaufenstersystem verschließt den Blick in den Store und ist gänzlich auf eine effektvolle Konzeption angewiesen. Genau das hat den Nachteil, dass alles, was sich auf der Verkaufsfläche abspielt, ein Mysterium bleibt. Kennt der Passant den Händler nicht, entsteht mitunter eine Hemmschwelle, die das Betreten des Stores verhindert. Im Kontrast dazu steht das offene Schaufenstersystem, dass mit unverbauten Fensterfronten den Blick auf das Geschehen im Store freigibt. Obgleich dieses System ebenfalls saisonal bespielt werden kann, wird der gesamte Verkaufsraum zum „Schauraum“. Aber Achtung: Diese Schaufensterart ist nur dann einladend, wenn der Store über einen ansprechenden Gesamtlook verfügt.

Wer möglichst viele Passanten ansprechen möchte, sollte auf eine gute Fern- und Nahwirkung achten. Mit großzügigen Gesten, einfachen Grafiken, kräftigen Farben und starkem Lichteinsatz muss das Fenster bereits von Weitem aus der Masse herausstechen. Damit von Nahem gehalten werden kann, was aus der Ferne versprochen wurde, ist im zweiten Schritt eine interessante wie ordentlich detaillierte Ausführung elementar. Während die Nahwirkung in jedem Schaufenster von gleichbleibend hoher Bedeutung ist, kann die Fernwirkung an die konkrete Schaufensterlage angepasst werden. Liegt das Geschäft beispielsweise in einer engen Altstadtgasse muss die Gestaltung nicht auf 12 Meter Entfernung wirken. Bei breiten Fußgängerzonen oder befahrenen Boulevards liegt der Fall genau anders herum, sodass sich pauschal festhalten lässt: je größer die mögliche Distanz des Passanten, desto wichtiger die Fernwirkung.

Von Repräsentation und Wirkungsraum

Ganz wertfrei gesprochen: Die Schaufenstergestaltung dient ausschließlich zu Repräsentationszwecken und sollte nicht mit der Wohnzimmerdekoration verwechselt werden. Was die finale Ausgestaltung angeht, empfahl schon der Architekt Mies van der Rohe: „Weniger ist mehr!“. Jedes noch so kleine Produkt – auch eine Brille – braucht seinen Wirkungsraum. Ein Schaufenster mit einer maximalen Artikelanzahl zu befüllen, ist nicht zielführend und lenkt vom Wesentlichen - der Botschaft - ab. Tatsächlich wirken wenige Produkte sogar wertiger. Diesen Trick wenden zahlreiche Marken wie Zara und Hallhuber, aber auch Handelshäuser wie das KaDeWe und das Breuninger regelmäßig an. Andere Inspirationsquellen für repräsentative Schaufensterkonzepte können Bildportale im Internet (Instagram, Pinterest), Fachmagazine oder Messen wie die IMM im Köln sein. Hier zeigen Möbelhersteller wie Walter Knoll, Pedrali und Cor wie Produktinszenierungen aussehen können. Münzen Sie das, was Sie sehen, auf Ihr eigenes Schaufenster um. Viele Prinzipien und Themen, die im großen Maßstab funktionieren, gelingen ebenso im Kleinen. Teure Requisiten sind dafür nicht erforderlich.

Schaufenster Roost Optik
Optiker Roost ©Ilja Tschanen von
modulplus

Eine Entwicklung, die es außerdem zu beobachten gilt, ist die des digitalen Schaufensters, das auf Passantenbewegungen reagiert und durch Gestensteuerung Informationen abspielen kann. Gestern wie heute aufmerksamkeitserregend und konstant im Einsatz sind bewegliche und leuchtende Elemente. Ein letzter spitzzüngiger Hinweis: Blendungen der Passanten, Schmutz in den Auslagen, schmierige Scheiben und Müll vor dem Store sind zu vermeiden. Wer trotz allem unsicher bleibt, kann selbstredend einen Fachmann aus dem Bereich Innenarchitektur, Grafik oder Werbung zu Rate ziehen.

Eine Zusammenarbeit die sich als äußerst erfolgreich erwiesen hat, ist die zwischen dem Spezialisten für Design und Branding Pfeffermint und dem Optiker Roost. Seit 15 Jahren entstehen für den Store in Zürich außergewöhnliche Schaufensterinstallationen, die zum Schmunzeln, Nachdenken und Staunen anregen. Der Fokus der Konzepte liegt dabei nicht zwingend auf dem Produkt, sondern auf einer saisonal angepassten Geschichte, die sich inhaltlich immer auf das Thema Sehhilfen bezieht. So geht es mal um die Frage, welche Brillenform eigentlich zu wem passt, um die Sehnsucht nach einem Sommer-Urlaub oder um die Aufforderung aus der Winterdepression zu erwachen. Pfeffermint macht im Sinne des Fachgeschäftes Roost das Schaufenster zur Attraktion. Positive Werte wie Humor, Intelligenz und Ästhetik werden sichtbar herausgestellt und vom Betrachter auf das Augenoptikerunternehmen übertragen.

Präsentation ist eine dreidimensionale Sache

Hat der potenzielle Kunde den Store betreten rückt das vorhandene Produktspektrum in den Fokus. Welches Produkt interessant erscheint und ob sich der Kunde überhaupt im Store zurecht findet, hängt vom Präsentationssystem ab. Wie dieses konkret beschaffen sein muss, steht in direkter Abhängigkeit zu Zielgruppe und Storekonzept. Eine wichtige Tatsache, die aber durchaus vergessen wird: Der Verkaufsraum ist ein dreidimensionales Gebilde. Nutzen Sie dieses Faktum! Es lohnt sich die Präsentation nicht nur an den Wänden, sondern auch in der Raummitte zu verorten. Darüber hinaus wird durch die Anordnung in der Horizontalen und Vertikalen sowie auf verschiedenen Höhen und Tiefen ein optisch abwechslungsreicheres Ergebnis erzielt.

Gerade bei kleinen Produkten – wie der Brille – ist die Übersichtlichkeit und eine bedachte Auswahl der Präsentationsobjekte von zentraler Bedeutung. Allein durch das Kuratieren der Produkte bringt jeder Store nicht nur Ordnung, sondern auch eine erkennbare Wertehaltung mit ins Spiel. Geht es um Exklusivität, Produktvielfalt oder spezifische Produkt-Kategorien wie Sport-, Kinder- oder Sonnenbrillen? Wie viele Kategorien grundsätzlich in einem Store bedient werden, ist eine klassische Händlerentscheidung.

Flexibilität mit Winkelgruppen

Bailey Nelson Store
Bailey Nelson ©Janis Nicolay,
Chad Falkenberg

Grundsätzlich löst eine große Auswahl erst einmal Begeisterung und Optimismus beim Kunden aus. Zu viele Produkte wirken nach kurzer Zeit allerdings ermüdend und überfordernd. Die Funktion des Präsentationssystems ist, dem Kunden das Gefühl von Kontrolle über das Angebotsspektrum zu geben. Neben einer Kategorisierung kann eine detaillierte Gruppierung nach Brillenlook (randlos, rund, groß, etc.) und Materialität (Holz, Metall, Kunststoff, etc.) hilfreich sein.

Ein Projektbeispiel, das eine geschickte, hoch flexible Produktsortierung ermöglicht, ist der Bailey Nelson Store in Vancouver. Die Brillen werden hier auf Holzwinkel gelegt, die sich so zum Betrachter neigen, dass das Produkt optimal zu sehen ist. Portable Winkelgruppen lassen sich frei platzieren, während andere fest an die Wände montiert sind. Die geringe Raumtiefe des Stores veranlasste die Planer zu einem offenen Schaufenstersystem. Für eine gute Fernwirkung wurde die Storerückwand deshalb mit einer großflächigen Grafik ausgestaltet, die mit Brillenlogo eindeutig kommuniziert, um welche Art von Geschäft es sich handelt.

Külling Optik
Külling Optik ©Heikaus

Eine andere Präsentationsstrategie kommt bei Külling Optik in St. Gallen zum Tragen. Im Vordergrund des Konzeptes steht die Präsentation einer vergleichsweise kleinen, sorgfältig ausgewählten Produktmenge. Jede Brille erhält bei Külling eine eigene, illuminierte Zylinder-Vitrine, die dem Produkt eine hohe Exklusivität und Wertigkeit verleiht. Gleich übereck zur Präsentationswand befinden sich raumhohe Lagerschränke, die zahlreiche weitere Brillen bereithalten und auf diese Weise eine große Produktmenge vorrätig halten.

Abwechslung statt Monotonie  

Brillen lassen sich mit den verschiedenartigsten Präsentationssystemen gewinnbringend im Store arrangieren. Wandmontierte Stifthalterungen sind platzsparend, machen jede Raumkrümmung mit und können in der Nutzung echter „Fummelkram“ sein.  Sie verleiten den Kunden dazu selbst nach der Brille zu greifen. Regale erleichtern die Brillengruppierung und sind unkompliziert bei schwankenden Produktmengen. Sie liefern allerdings auch mehr Fläche zum Einstauben. In Vitrinen bleibt die Ware geschützt und sauber. Das bietet Potenzial Brillen hochwertig aussehen zu lassen, baut aber auch Distanz zwischen Produkt und Kunde auf. Produktaufsteller wie Puppen oder andere derartige Halterungen stellen einen besseren Bezug zur tatsächlichen Brillennutzung her. Sie sind allerdings oft platzintensiv und sollten deshalb in den meisten Fällen maßvoll eingesetzt werden.

Für ein abwechslungsreiches Gesamtbild und zur Kennzeichnung verschiedener Produktkategorien empfiehlt sich, unterschiedliche Halterungsarten zu kombinieren und besondere Produkte mit auffälligen Halterungen (Farbe, Form, Material) und Licht (Spots, Hinterleuchtungen) zu highlighten. Visuelle Abwechslung können auch gut platzierte Produktstauräume bringen, die – je nachdem ob ein extra Lagerraum vorhanden ist – als geschlossene Elemente ganze Wandabschnitte oder auch nur Teilbereiche in Regalen und Vitrinen beanspruchen. Augenzwinkernd sei hinzugefügt: Wer nun zu guter Letzt noch seine Produkte im menschlichen Sichtbereich aufbaut (etwa zwischen 1,50 und 1,80 Meter), hat bereits vieles goldrichtig gemacht.

Geschichten, Images und Informationen

„Das Design sollte das Produkt zum Sprechen bringen“, schrieb Designer Dieter Rams in seinem Buch „Die leise Ordnung der Dinge“. Das individuelle Präsentationssystem hat damit nicht nur das Potenzial Ordnung zu schaffen, sondern ebenso Informationen rund um das Produkt zu kommunizieren, Markenimages zu vermitteln und emotionale Reize hervorzurufen, die den Kaufimpuls unterstützen. Gelungene Präsentationssysteme regen zur Beschäftigung mit dem Produkt an und wecken Sehnsüchte und Bedarf.

Der Wunsch ungestellte Fragen beantwortet zu sehen und Inspiration zu finden ist groß. Einheitlich gestaltete Preisschilder sind damit nicht unbedingt gemeint. Eher geht es um die Beantwortung der Frage: Was macht dieses Produkt besonders? Je nach Zielgruppe kann es hierfür sinnvoll sein, Tablets mit Infos zu bespielen oder Papeterie und Imagebilder der Marken einzusetzen. Wer mit extra Werbematerial arbeitet, sollte entsprechende Auslagemöglichkeiten in das Präsentationssystem integrieren und beim Aufbau berücksichtigen, dass die Sehgewohnheit unseren Blick von links oben nach rechts unten wandern lässt und dass Bilder uns direkter ins Augen fallen als Texte.

Was bleibt ist das gute Gefühl

N3ON Store in Shanghai
N3ON ©Dirk Weiblen

Ein Store, der Informationen und Images gekonnt mit der Produktpräsentation verbindet ist „N3ON“ in Shanghai. Das durchweg helle Interior des Sonnenbrillen-Händlers besteht praktisch nur aus Präsentationssystem. Die Wände sind aus konkaven Metallelementen und kombinieren verschiedene Produkthalterungen mit Bilder- und Tablet-Halterungen auf ganz harmonische Weise.

Warum der ganze, wortgewaltige Wind um Präsentation und Co? Weil gut gemachte Schaufenster und Präsentationssysteme jedes Ladenlokal bereichern und nicht selten zu der Originalität beitragen, die ein Fachgeschäft braucht, um positiv aufzufallen. Der Augenoptiker hat alle Fäden in der Hand seine Zielgruppe sinnbildlich zu umarmen und ihr die Verkaufslandschaft anzubieten, die sie braucht um Lust am Kauf zu entwickeln. Glaubhafte und authentische Botschaften zu kommunizieren ist der Schlüssel zum Kunden.
„Inhalte werden schnell vergessen. Doch der emotionelle Eindruck guten Designs bleibt stabil“, findet Grafiker Wolfgang Beinert – in diesem Punkt kann man ihm nur zustimmen.

Autorin: Henriette Sofia Steuer ist studierte Innenarchitektin und ausgebildete Fachjournalistin im Bereich Architektur und Innenarchitektur. Nach ihrem Studium sammelte sie Erfahrungen in der Ausstellungsgestaltung und der Entwicklung von Präsentationsstrategien im Raum. Seit 2015 ist sie bei dem Fachmagazin AIT Architektur | Innenarchitektur | Technischer Ausbau in Stuttgart tätig.