Sehen im Straßenverkehr - Teil 3
Sehen im Straßenverkehr ist mehr als das Erkennen von Verkehrszeichen oder entgegenkommenden Fahrzeugen; Sehen steht am Anfang eines Entscheidungsprozesses, der zu einer Reaktion auf Veränderungen in der Außenwelt führen soll. Einzelne Sehfunktionen wie Sehschärfe, Gesichtsfeld oder Kontrastempfindlichkeit sind zwar wichtige Voraussetzungen für das Erkennen von Objekten und Ereignissen im Straßenverkehr, sie erfassen jedoch, wenn sie isoliert betrachtet werden, nicht die Komplexität der visuellen Umwelt. Autofahren bedeutet, sich in einer Umwelt mit sich kontinuierlich verändernden visuellen Reizen zurecht zu finden. Es setzt gleichzeitig zentrales und peripheres Sehen voraus. Allein aufgrund der Bewegung des Verkehrsteilnehmers verändert sich die visuelle Umwelt ständig, wobei das Ausmaß dieser Veränderungen von der Geschwindigkeit der Bewegung bestimmt wird.
Die vorrangige Aufgabe jedes Verkehrsteilnehmers – seien es Fußgänger, Fahrradfahrer oder Autofahrer – ist es, auf diese Veränderungen in der unmittelbaren Umwelt in angemessener Weise zu reagieren. Das Gehirn muss aus der Mannigfaltigkeit der sich kontinuierlich verändernden Lichtverteilung auf der Netzhaut konstante Strukturen extrahieren und hieraus ein Abbild der Außenwelt rekonstruieren. Hierbei handelt es sich um einen kognitiven Prozess, der die ungeteilte Aufmerksamkeit des Verkehrsteilnehmers erfordert. Solche kognitiven Prozesse im Gehirn werden durch Sinnesreize, die überwiegend über die Augen und Ohren aufgenommen werden, ausgelöst. Dabei kommt dem Sehen als klassischem Fernsinn im Straßenverkehr eine größere Bedeutung zu als dem Hören, das als Nahsinn primär auf Veränderungen in der näheren Umgebung reagieren kann. Einschränkungen des Sehvermögens, die durch fehlende oder unzureichende Korrektionen von Fehlsichtigkeiten, Altersveränderungen des Gehirns oder Erkrankungen der Augen verursacht sein können, schränken den Datenaustausch zwischen Umwelt und Gehirn ein, sodass keine angemessenen Reaktionen auf veränderte Situationen in der Umwelt möglich sind oder gar unterbleiben.
Kognition
In der Psychologie bezeichnet die Kognition die Gesamtheit aller informationsverarbeitenden Prozesse eines intelligenten Systems, wobei ein intelligentes System nicht auf den Menschen beschränkt sein muss. Auf den Menschen bezogen umfasst die Kognition alle seine geistigen Aktivitäten; hierzu zählen unter anderem Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Denken, Intelligenz, Sprechen oder Problemlösen. Diese Prozesse verleihen dem Menschen die Fähigkeit, auf veränderte Umweltbedingungen zielgerichtet und flexibel zu reagieren. Die kognitiven Prozesse im Gehirn, die zu einer angemessenen Reaktion führen, laufen in der Regel unterhalb der bewussten Wahrnehmung ab.
Sehen und Kognition
Ein zur Kognition fähiges System erhält über die Sinnesorgane Informationen über Veränderungen in der Umwelt. Im Straßenverkehr können dies die plötzlich aufleuchtenden Bremslichter des vorausfahrenden Fahrzeugs, ein auf die Fahrbahn rollender Ball oder die von Rot auf Grün umspringende Verkehrsampel sein. Als Reaktion muss ein Abbremsen, Beschleunigen oder Ausweichen des eigenen Fahrzeugs erfolgen. Die Reaktion muss der Situation angemessen sein. Mehr als 80 Prozent aller Informationen, die das Gehirn von der Außenwelt erhält, erreichen es über die Augen. Zwei Drittel der Verarbeitungskapazitäten des Gehirns sind mit dem Sehen in allen seinen Facetten befasst. Sehschwächen oder Sehstörungen wirken sich beeinträchtigend auf die Kognition ein, da keine brauchbaren Informationen in den „Kognitionsapparat“ gelangen. Gutes Sehen allein ist nicht ausreichend für eine sichere Teilnahme am Straßenverkehr. Wichtig ist richtiges Reagieren auf Veränderungen in der Umwelt. Ohne gutes Sehen ist jedoch kein richtiges Reagieren möglich.
An der Verarbeitung der Informationen über die Außenwelt wirken Gedächtnisstrukturen mit, sodass auch Erinnern und Wiedererkennen von Objekten und Situationen auf die kognitiven Prozesse Einfluss nehmen. Durch Erfahrung können Mängel der Sinnesorgane oder Altersveränderungen des Gehirns teilweise kompensiert werden. Daher bewegen sich die meisten Autofahrer in einem bekannten Umfeld wesentlich sicherer als in einem unbekannten Milieu. Zur Erfahrung zählt auch, dass Menschen mit Sehproblemen ihr Fahrzeug bei ungünstigen äußeren Verhältnissen (schlechtes Wetter, Dunkelheit, hohes Verkehrsaufkommen) stehen lassen und die Fahrt zu einem günstigeren Zeitpunkt unternehmen.
Da die Kognition an sensorische Prozesse gekoppelt ist, wirken sich Veränderungen der Sinnesorgane auf die Kognition aus. Gut dokumentiert ist dies für Seh- und Hörstörungen, die die geistigen Fähigkeiten einer Person stark beeinflussen können. Fast die Hälfte der individuellen Unterschiede der Intelligenzleistungen älterer Menschen sind auf Defizite dieser beiden Sinnessysteme zurückzuführen. [11] Nach der Aufmerksamkeits-Belastungs-Hypothese muss das Gehirn einen großen Teil seiner Ressourcen zur Kompensation dieser sensorischen Defizite einsetzen. Dadurch stehen weniger Kapazitäten der Kognition zur Planung und Umsetzung von Reaktionen auf veränderte Umweltbedingungen zur Verfügung. Insbesondere in komplexen Situationen wie beispielsweise dem Straßenverkehr in unbekannter Umgebung kann dann eine angemessene Reaktion nicht mehr erwartet werden. Eine nicht oder nur unzureichend korrigierte Fehlsichtigkeit erfordert vom Gehirn größere Anstrengungen, um aus dem unscharfen Netzhautbild die Information zu extrahieren, die für die sichere Bewältigung der jeweiligen Situation im Straßenverkehr erforderlich sind. Können visuelle Defizite mit optischen Hilfsmitteln korrigiert werden, lassen sich die kognitiven Leistungen mit geringem Aufwand deutlich verbessern. Dies führt im Straßenverkehr zu verbesserten Reaktionen und damit mehr Sicherheit. Eine regelmäßige Überprüfung des Sehens erscheint daher in diesem Zusammenhang sinnvoll.
Altern und Kognition
Neben dem Sehen schränkt vor allem das Altern die Kognitionsprozesse im Gehirn ein. Eine Verlangsamung der Kognitionsprozesse gilt als Leitsymptom altersbedingter Veränderungen des Gehirns. Optische und anatomische Faktoren können zur Verlangsamung der Kognition beitragen.Die Geschwindigkeit, mit der visuelle Reize im visuellen System verarbeitet werden, wird von der Helligkeit des Netzhautbildes bestimmt. Je heller das Netzhautbild, desto schneller erfolgt die Verarbeitung der Sehreize. Die Netzhauthelligkeit eines 60-jährigen Menschenbeträgt nur noch etwa ein Drittel der Helligkeit, die bei einem 20-Jährigen vorliegt. Grund hierfür sind zum einen der altersbedingt geringere Pupillendurchmesser (senile Miosis) und zum anderen Trübungen der Augenmedien. Die Latenzzeit, die Zeit von der Absorption des Lichts in der Netzhaut bis zur Wahrnehmung, ist dadurch verlängert.
Altersbedingt gehen Mitochondrien, in denen die notwendige Energie für die biochemischen und physiologischen Prozesse des Körpers gewonnen werden, verloren, sodass dem Organismus weniger Energie für lebensnotwendige Prozesse bereitgestellt werden kann. Hiervon ist das Gehirn, als dem Organ mit dem höchsten Verbrauch an Energie, besonders nachhaltig betroffen. Des Weiteren verschlechtert sich auch die Durchblutung und damit auch die Sauerstoffversorgung des Gehirns mit zunehmendem Alter. Die Folge dieser beschriebenen Altersveränderungen des Gehirns ist eine Verlangsamung aller Hirnfunktionen.
Zunehmend Bedeutung erlangen multifokale Intraokularlinsen und Kontaktlinsen zur Korrektion der Alterssichtigkeit. Die optische Abbildung dieser Linsen ist aus prinzipiellen optischen Gründen immer schlechter als die einer monofokalen Linse. Die Lichtverteilung auf der Netzhaut ist wesentlich komplexer als bei monofokalen Linse, weshalb die Segmentierung der retinalen Lichtverteilung in Objekte und Hintergrund, sowie die Zuordnung zu bestimmten Entfernungen erschwert wird. Zwar kann sich das Gehirn im Rahmen der Neuroadaptation an die veränderten Sehbedingungen bei multifokalen Linsen anpassen, dieser Anpassungsprozess ist aber allein aufgrund der verlangsamten Hirnfunktionen umso schwieriger, je älter die Person ist. Die Implantation multifokaler Intraokularlinsen sollte bei Patienten, die viel und vor allem nachts mit dem Auto unterwegs sind, wohl überlegt sein.
Die verlängerte Latenzzeit und die verlangsamten Hirnfunktionen führen zu deutlich verlängerten Reaktionszeiten älterer Menschen. Die Verlangsamung der Informationsverarbeitung im visuellen System und im Gehirn gilt als essenziell für die Probleme älterer Menschen im Straßenverkehr. Das statistische Bundesamt folgert aufgrund der Unfallursachen in den verschiedenen Lebensaltern: „Ältere Menschen verlieren in komplexen Situationen schneller den Überblick als Verkehrsteilnehmer der jüngeren Altersgruppen.“ [3]
Visuelle Aufmerksamkeit
Die Verarbeitungskapazitäten des menschlichen Gehirns sind begrenzt, obgleich zwei Drittel der Großhirnrinde mit dem Sehen befasst sind. Die visuelle Wahrnehmung, das heißt die Verarbeitung der Netzhautbilder, die Bewertung der wahrgenommenen Objekte nach ihrer Bedeutung für das Individuum und darauf aufbauend die Steuerung der Augenbewegungen sind Aufgaben des visuellen Systems. Ein „Augenblick“ dauert etwa 200 Millisekunden. Der Umfang der Aufmerksamkeit wird durch die Anzahl der Objekte, die während dieses Zeitraums wahrgenommen werden können, bestimmt. Bei einem Erwachsenen können im Mittel acht Objekte über das visuelle System gleichzeitig wahrgenommen werden. Wie viele Objekte zeitgleich wahrgenommen werden können, hängt von verschiedenen äußeren und inneren Faktoren ab. Die sich ständig verändernde Lichtverteilung auf der Netzhaut macht eine Beschränkung auf wenige konstante Objekte erforderlich. Ohne diese Informationsreduktion wäre das menschliche Gehirn schnell überfordert.
Informationsreduktion und Netzhaut
Aufmerksamkeit ist die selektive Konzentration auf einen eingeschränkten Bereich oder Aspekt von Informationen, während andere potenziell wahrnehmbare Informationen ignoriert werden. Sie ist erforderlich, wenn nur begrenzte Kapazitäten für die Informationsverarbeitung zur Verfügung stehen. Dies gilt in besonderem Maße für das visuelle System. Der Output von mehr als 120 Millionen Fotorezeptoren wird durch nur 1,2 Millionen Nervenfasern des Sehnervs an das Gehirn geleitet, was bereits einen Informationsverlust, und zwar speziell des räumlichen Auflösungsvermögens bedingt. Der Bereich der Netzhaut, in dem eine hohe Sehschärfe erreicht wird, ist verglichen mit der gesamten Netzhaut sehr klein. Die Foveola, in der eine Sehschärfe von 1,0 und mehr erreicht werden kann, nimmt nur etwa 0,01 Prozent der gesamten Fläche der Netzhaut ein. Wären an allen Netzhautorten Sehschärfen von 1,0 und mehr möglich, hätte dies zur Folge, dass die Informationsflut, die das Gehirn permanent erreichen würde, rasch zu einer Überforderung seiner begrenzten Verarbeitungskapazitäten führen würde. Zudem müsste der Sehnerv etwa zehnmal dicker sein als es tatsächlich der Fall ist, was anatomisch aufgrund des begrenzten Platzangebots in der Orbita nicht realisierbar wäre.
Die Organisation der Netzhaut in einen zentralen Bereich, in dem eine hohe Sehschärfe erreicht werden kann, und einer Peripherie mit einer niedrigen Sehschärfe setzt ein hochentwickeltes System der Augenbewegungen voraus. Die Geschwindigkeitsangabe eines Verkehrszeichens wird zunächst auf die Netzhautperipherie abgebildet. Erst durch eine Augenbewegung, die das Verkehrszeichen auf die Netzhautmitte abbildet, ist ein deutliches Erkennen der Geschwindigkeitsangabe möglich und erspart dem Fahrer unter Umständen ein Bußgeld wegen überhöhter Geschwindigkeit.
Die spezielle Anatomie der Netzhaut erfordert eine uneingeschränkte visuelle Aufmerksamkeit, welche von
- Kontrast,
- Bewegung des Objekts,
- Farbigkeit des Objekts,
- Symmetrie, Größe und Reizintensität des Objekts und
- Position des Objekts im Gesichtsfeld
abhängig ist. Sie setzt ein gutes Sehen sowie ungestörte Augenbewegungen voraus, wobei der Kontrastwahrnehmung und dem Gesichtsfeld eine herausgehobene Bedeutung zukommen. Die Sehschärfe spielt für die visuelle Aufmerksamkeit eine untergeordnete Rolle, da ein zentral abgebildetes Objekt keiner Aufmerksamkeit mehr bedarf, um wahrgenommen zu werden; es wird bereits mit größtmöglicher Schärfe wahrgenommen. Objekte aus der Peripherie des Gesichtsfeldes, die vom Gehirn als potenziell wichtig bewertet worden sind, müssen durch Sakkaden auf die Fovea abgebildet werden. Die Netzhautbilder bewegter Objekte müssen durch Folgebewegungen auf der Fovea stabilisiert werden.
Die Auswahl eines Objekts setzt voraus, dass das Gehirn seine Aufmerksamkeit auf dieses Objekts richten kann. Mangelnde Aufmerksamkeit wird als eine der wesentlichen Ursachen für Verkehrsunfälle angesehen. [2] Aus der Vielzahl der gleichzeitig auf eine Person einströmenden Informationen müssen die Objekte und Ereignisse herausgefunden werden, die für den Verkehrsteilnehmer unmittelbar von Bedeutung sind. Mangelnde Aufmerksamkeit muss nicht immer auf einer Ablenkung durch Musik, Gespräche mit dem Beifahrer oder dem unerlaubten Benutzen eines Smartphones während der Fahrt verursacht sein, sie kann auch die Folge von Sehproblemen sein. Reize, die nicht oder nur schlecht erkannt werden, können keine Aufmerksamkeit hervorrufen.
Die sich ständig verändernde Mannigfaltigkeit von Informationen, die auf die Netzhaut einströmen, muss auf eine begrenzte Zahl konstanter Objekte eingeschränkt werden. Die vom Auge aufgenommene Datenmenge muss reduziert werden, andernfalls stieße das Gehirn rasch an seine Leistungsgrenzen. Die Informationsreduktion besteht darin, konstante Reize weitgehend zu unterdrücken und primär auf veränderliche Reize zu reagieren. Anatomische Grundlage dieser Informationsreduktion ist die Organisation der Netzhaut in rezeptive Felder. Eine retinale Ganglienzelle erhält ihren Input von mehreren Lichtrezeptoren. Alle Rezeptoren, die auf eine Ganglienzelle geschaltet sind, bilden das rezeptive Feld dieser Ganglienzelle. In der Netzhautperipherie können dies mehrere Hundert Rezeptoren sein. Die räumliche Lokalisation eines Objektes wird so eingeschränkt, wodurch die geringe Sehschärfe der peripheren Netzhaut zu erklären wäre.
Rezeptive Felder reagieren auf Kontrast- und Helligkeitsunterschiede im Gesichtsfeld. Je höher der Kontrast ist, desto stärker reagieren die Ganglienzellen; auf eine diffuse Belichtung antworten rezeptive Felder nur sehr schwach. Da Kontrastunterschiede die Informationen bilden, aufgrund derer das Gehirn die Außenwelt rekonstruiert, stellt eine diffuse Belichtung der Netzhaut einen Informationsverlust über die Außenwelt dar.
Aufmerksamkeit und Sehen
Zu den optischen Faktoren, die die Aufmerksamkeit bestimmen, zählt der Kontrast, unter dem die Objekte erscheinen. Kontrastarme Objekte sowie Einbußen der Kontrastempfindlichkeit erschweren die Wahrnehmung von Objekten. Ungünstige Beleuchtungsverhältnisse wirken sich negativ auf den Objektkontrast und die Kontrastempfindlichkeit aus. Die Kontrastempfindlichkeit wird durch optische und neuronale Faktoren bestimmt.
Ein Defokus, das heißt ein unscharfes Netzhautbild aufgrund einer Fehlsichtigkeit, hat den stärksten Einfluss auf die Kontrastempfindlichkeit. Eine nicht vorhandene oder unzureichende Korrektion einer Fehlsichtigkeit wirkt sich über den niedrigen Netzhautkontrast hemmend auf die visuelle Aufmerksamkeit aus. Korrekt korrigierte Fehlsichtigkeiten sind eine wesentliche Voraussetzung für eine ungestörte visuelle Aufmerksamkeit. Altersbedingt sind es Linsentrübungen, die den Netzhautkontrast herabsetzen, sei es durch Streulicht wie beim Rindenstar oder ein dunkleres Netzhautbild wie im Falle des Kernstars. Veränderungen des Gehirns führen ebenfalls zu altersbedingten Einbußen der Kontrastempfindlichkeit. Multifokale Kontaktlinsen und Intraokularlinsen, Orthokeratologie oder refraktive Operationen an der Hornhaut (z. B. Lasik, Lasek, PRK) reduzieren immer, auch wenn keine Komplikationen aufgetreten sind, den Netzhautkontrast. Diese Kontrastminderung tritt besonders bei großem Pupillendurchmesser in Erscheinung, wenn sich wie im Falle von Lasik oder Orthokeratologie dem Netzhautbild, das von der zentralen, korrigierten Hornhaut erzeugt wird, ein unscharfes Netzhautbild, das von der nichtkorrigierten Peripherie der Hornhaut stammt, überlagert.
Ein intaktes Gesichtsfeld ist Voraussetzung für die visuelle Aufmerksamkeit. Peripher abgebildete Objekte können keine Augenbewegungen auslösen, wenn sie aufgrund eines Gesichtsfeldausfalls nicht wahrgenommen werden können. Orientierungsblindheit tritt bei Patienten, die an der Retinitis pigmentosa leiden, auf. Zwar verfügen diese Patienten häufig noch über eine ausreichende oder gute Sehschärfe, aufgrund des Verlustes des peripheren Gesichtsfeldes ist ihr Orientierungsvermögen nahezu vollständig verlorengegangen. Nicht nur absolute Gesichtsfeldausfälle, sondern auch eine diffus herabgesetzte Lichtunterschiedsempfindlichkeit kann das Erkennen von Objekten erschweren. Eine nicht oder nur unzureichend korrigierte Fehlsichtigkeit ruft ebenso wie eine Linsentrübung ein diffuses Skotom hervor (siehe Abb. 19). Ein kontrastarmes, peripher abgebildetes Objekt kann dann leicht übersehen werden; sodass keine Augenbewegungen ausgelöst werden können.
Die periphere Netzhaut reagiert empfindlicher auf Bewegungen als die zentrale Netzhaut. Die Wahrnehmung von Bewegungen trägt zur Strukturierung der Umwelt in Objekte und Hintergrund bei. Periphere Gesichtsfeldverluste behindern daher die sichere Objekterkennung aufgrund einer schlechteren Bewegungswahrnehmung.
Auswirkungen kognitiver Defizite auf den Straßenverkehr
Die Bedeutung kognitiver Prozesse für den Straßenverkehr lässt sich anhand der Unfallstatistiken nachweisen. [3] Unfallursachen, die mit Einschränkungen der Kognition und der visuellen Aufmerksamkeit in Verbindung gebracht werden können, sind bei älteren Menschen häufiger als solche, die auf eine unbesonnene Fahrweise zurückzuführen sind. Die Verlangsamung der kognitiven Prozesse führt schnell dazu, dass ältere Menschen in komplexen Situationen überfordert sind. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden sind Nichtbeachten der Vorfahrt und Unaufmerksamkeit beim Abbiegen für fast 60 Prozent aller Verkehrsunfälle älterer Menschen ursächlich, während diese Unfallursachen bei jüngeren Verkehrsteilnehmern nur in etwa einem Drittel der Fälle ausgemacht werden konnten. Zu geringer Abstand und erhöhte Geschwindigkeit, die nur in Ausnahmefällen mit Sehproblemen zusammenhängen, sind für mehr als die Hälfte alle Unfälle bei jüngeren Autofahrern verantwortlich, während dies bei älteren Autofahrern nur für ein Fünftel aller Fälle zutrifft. Langjährige Erfahrung als Verkehrsteilnehmer führt zur Anpassung von Abstand und Geschwindigkeit an die eigenen psychischen und physischen Fähigkeiten. Alter stellt also nicht das größte Risiko im Straßenverkehr dar. Das Statistische Bundesamt stellt fest: „18- bis 24-Jährige im Straßenverkehr: die sieben risikoreichsten Jahre“ [3]. Nahezu jeder fünfte Verkehrsunfall mit Personenschaden wurde von Personen im Alter von 18 bis 24 Jahren verursacht.
Eine hohe Sehschärfe ist für den Straßenverkehr nicht unbedingt erforderlich. Wichtig ist das Sehen im Straßenverkehr aber in zweifacher Hinsicht. Zum einen liefert es den Input für die kognitiven Prozesse im Gehirn, die richtiges Reagieren und Handeln auf Veränderungen der Verkehrssituation auslösen. Zum anderen stört schlechtes Sehen die visuelle Aufmerksamkeit, ohne die wegen der begrenzten Verarbeitungskapazitäten von Netzhaut und Gehirn kein dauerhaftes Existieren in wechselnden Umwelten möglich wäre.
Text, Fotos und Grafiken von
Dr. Andreas Berke
Die vollständige Literaturliste finden Sie hier.