Biennale Venedig: Seismograph für Gesellschaft und Gegenwart
Spielerisch. Bunt, witzig, ironisch, lustvoll, gewaltig, kritisch, hinterfragend, roh und brutal ist die Kunst auf der diesjährigen Biennale in Venedig. Sie lässt sich in keinerlei Kategorien pressen. Und sie ist maßlos in ihrer Direktheit, in der Unmissverständlichkeit, in der Künstler Kitsch, Kritik und Kreativität koexistieren lassen. In der sie die Welt zerlegen in mannigfaltige Facetten, sie sezieren, um sie mutig zu interpretieren und neuen Szenarien zu öffnen. Denn das ist das erklärte Ziel des diesjährigen Biennale-Kurators, des Amerikaners Ralph Rugoff, Direktor der Londoner Hayward Gallery: „Die Realität aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, scheinbar unvereinbare Vorstellungen berücksichtigen und verschiedene Arten der Interpretation der Welt in Einklang bringen.”
Der Idee folgend lud er 79 Künstler ein, die erstmals sowohl in der zentralen Ausstellung in den Giardini als auch im Arsenal, den Hallen einer ehemaligen Schiffswerft, sich des Themas annehmen: „Mögest du in interessanten Zeiten leben”, lautet der Biennale-Titel. Die Künstler reflektierten in Zeiten von Unsicherheit, Krise und Aufruhr – in „interessanten Zeiten”, eben genau wie die, in denen wir heute leben – die prekären Aspekte des gegenwärtigen Daseins: Migration, Ungleichheit, die Macht des Internets. Und das, betont der Kurator, weniger über den Verstand als vielmehr über die visionäre Kraft der Kreativität, die alles zulässt, nichts ausschließt, nicht einmal einen Industrie-Roboter, der wie ein wild gewordener Dämon über den Boden und durch die Lüfte tänzelt, schwingt, rotiert, dabei immer wieder (vermeintliches) Blut wegwischt. Bei vielen Besuchern löst die Arbeit der chinesischen Künstler Sun Yuan und Peng Yur ungläubiges Stirnrunzeln aus. Auch Neugierde mit einem Augenzwinkern, wo das Industriemonster die Imagination stimuliert.
DOZ-Redakteurin Angela Mrositzki hat die 58. Internationale Kunstausstellung in Venedig besucht. Mehr über die große Kunstschau in der Lagunenstadt lesen Sie in der kommenden August-Edition der DOZ.