Presbyopie – Teil 1

Eine gute Vorbereitung ist der erste Schritt

Alterssichtigkeit muss heutzutage keine Einschränkung des Lebensstils mehr bedeuten. Die heutigen Presbyopen aus der „Generation X“ (1965 bis 1980) sowie die „Baby Boomer“ (1946 bis 1964) sind aktiv und können über ein hohes Einkommen verfügen [1]. Beide Gruppen nutzen regelmäßig digitale Geräte [2], die ihre Sehanforderungen erhöhen. Mehr als zwei Drittel von ihnen legen Wert darauf, jünger auszusehen [3] und sind bereit, dafür Geld auszugeben: etwa fürs Haarefärben, für Zahnaufhellung oder sogar für Schönheits-OPs [4] - aus der DOZ 05|2021.
Eine Fahrradfahrerin und ein Fahrradfahrer im fortgeschrittenen Alter.
© Johnson & Johnson

Das unabhängige, im Gesundheitswesen wie im Bereich Kontaktlinsen erfahrene Marktforschungsinstitut IPSOS hat kürzlich in den USA und in Großbritannien eine repräsentative Umfrage unter 1.000 Verbrauchern im Alter zwischen 12 und 64 Jahren durchgeführt. Dabei hat IPSOS Alterssichtige als Personen im Alter von 40 Jahren oder älter definiert, die sich entweder selbst als alterssichtig bezeichnen oder zwei oder mehr Symptome von Presbyopie aufweisen. Von 386 britischen Kontaktlinsenträgern im Alter zwischen 40 und 64 Jahren, die nach der oben genannten Definition alterssichtig sind, gaben 93 Prozent beim Insight Global Incidence Tracker im Dezember 2018 an, ihre Kontaktlinsen auch künftig tragen zu wollen [5]. In einer weiteren Studie befragte IPSOS 233 presbyope und 584 nicht-presbyope Kontaktlinsenträger. Das Ergebnis: Presbyope Kontaktlinsenträger kaufen ihre Kontaktlinsen eher dort, wo sie auch ihre Augen untersuchen lassen [6].

Fast alle großen Hersteller haben in den vergangenen Jahren neue multifokale Kontaktlinsendesigns auf den Markt gebracht. Dennoch bleibt der Anteil der von Kontaktlinsenspezialisten angepassten Multifokallinsen weltweit nach wie vor gering [7]. Abbildung 1 zeigt, dass die Verwendung von Kontaktlinsen in der alterssichtigen Bevölkerung stark abnimmt, obwohl der Bedarf an Sehkorrekturen steigt. Interessanterweise sind zwar vier von zehn Kontaktlinsenträgern 40 Jahre und älter, doch laut einer Gallup-Umfrage von 2015 erhalten nur neun Prozent der Fehlsichtigen aus dieser Altersgruppe eine Empfehlung für multifokale oder monovisionale Kontaktlinsen [9]. Das birgt enorme Chancen für Sie als Augenspezialistin oder Augenspezialisten, Ihre presbyope Kundschaft besser zu versorgen.

Die Reise erfolgreich navigieren

Diese Möglichkeiten auszuloten, ist wie eine Reise: Es gibt viele verschiedene Ausgangspunkte (Kunden, Ziele und Routen) auf dem Weg – das zeigt Abbildung 2. Dass sich diese vielleicht nicht immer einfache Reise lohnt, belegen die Ergebnisse einer Umfrage von 2020: 77 Prozent der befragten Trägerinnen und Träger von multifokalen Kontaktlinsen sagten, dass ihre Kontaktlinsen ihre Erwartungen erfüllen [10] und dass sie wahrscheinlich ihrer Familie und ihren Freunden davon erzählen würden. Doch wo fangen Sie an? Der erste Schritt zu einer erfolgreichen Reise ist eine gute Vorbereitung – dafür benötigen Sie einen Routenplaner.

Ein guter Ausgangspunkt für Überlegungen zur optimalen Versorgung Presbyoper ist ein Mensch mit beginnender Alterssichtigkeit, der bereits erfolgreich Kontaktlinsen trägt. Studien [11] besagen, dass fast vier von zehn Kontaktlinsenträgern 40 Jahre und älter sind und viele von ihnen weiterhin Kontaktlinsen tragen möchten (Antwort: „würde in den nächsten zwölf Monaten definitiv/wahrscheinlich weiterhin Kontaktlinsen tragen“) [8]. Diese Kontaktlinsenträger können anfällig für trockene Augen sein und Auffälligkeiten an den Lidern aufweisen – daher sollten sie eine umfassende Beurteilung ihrer Augenoberfläche und ihres Lidstatus erhalten.

Sämtliche Probleme, die bei einer solchen Untersuchung identifiziert werden, sollten Sie vor der Anpassung multifokaler Kontaktlinsen angehen. Das reduziert deutlich die Wahrscheinlichkeit, dass Ihre Kundinnen das Tragen von Kontaktlinsen aufgeben. Mögliche Gründe für Drop-outs können etwa eine fortschreitende Verstopfung der Meibomdrüsen (MD) des Ober- oder Unterlids, der MeibomQualität des Oberlids sowie der MD-Tortuosität des Oberlids sein [12]. Einfache Interventionen wie thermische Pulsation [13] oder die Exfoliation von Mikrobläschen [14] können einen signifikanten Einfluss auf die Tränenfilmstabilität und das evaporative trockene Auge haben.

Grafik von Johnson & Johnson zur Sehkraftkorrektur

Abb. 1: Die blaue Linie steht für alle Nutzer von Sehhilfen, die rote Linie für Kontaktlinsenträger. Die Versorgungslücke vergrößert sich ab dem 35. bis 44. Lebensjahr – also dann, wenn erste Symptome der Presbyopie auftreten. Die schattierten Bereiche zeigen, welchen Kunden Kontaktlinsenspezialisten multifokale Kontaktlinsen empfehlen können.

© Johnson & Johnson
Grafik Johnson Johnson: Customer Journey

Abb. 2: Eine erfolgreiche Reise erfordert ein Ziel (eine gemeinsame Definition des Erfolgs), ein Transportmittel (Design, Material und Modalität der Linsen) und eine Route (zum Beispiel Linsen plus Brille). Außerdem müssen wir unterwegs mögliche Hindernisse oder sich ändernde Bedürfnisse berücksichtigen. Der Routenplaner zeigt verschiedene Wege, um die unterschiedlichen Bedürfnisse presbyoper Kunden zu erfüllen.

© Johnson & Johnson

Selbst bei scheinbar gut versorgten Kontaktlinsenträgern sollten Sie eine neue Refraktionsbestimmung durchführen. Mit dem Alter tendiert die Fernrefraktion nachweislich zu höheren Werten [15], und die meisten multifokalen Kontaktlinsen funktionieren am besten mit einer maximalen Plus-Fernrefraktion – das Hinzufügen von +0,50 sollte dazu führen, dass die Linie der bestkorrigierten Sehschärfe leicht verwischt. Es ist auch nicht ratsam, sich auf eine aktuelle oder frühere Brillen- oder Kontaktlinsenverordnung anstelle einer sorgfältigen neuen Refraktion zu verlassen.

Vermeiden Sie am Anfang die Versorgung astigmatisch fehlsichtiger Kunden mit einem Zylinder von mehr als 0,75 dpt. Obwohl es neue torische Multifokallinsen gibt, ist es ratsam, sich zunächst mit sphärischen Multifokallinsen vertraut zu machen, bevor man versucht, auch Astigmatismus mit zu berücksichtigen.

Bestimmen Sie bei der Kontaktlinsenanpassung die niedrigste „funktionierende“ Addition, die für die Ausführung alltäglicher Aktivitäten erforderlich ist. Bei einer sphärischen Fernrefraktion mit maximaler Pluswirkung können wir eine deutlich geringere Addition erwarten als bei einer Brillenverordnung. Vermeiden Sie es, die Sehschärfe als Standard für die Bestimmung der Nah-Addition zu verwenden [16-18]. Nutzen Sie stattdessen eine funktionelle Technik mit gebräuchlichen Nahsicht-Materialien, Schriftgrößen und Beleuchtungen, etwa Mobiltelefone, Tablets oder andere Simulationen von alltäglichen Arbeiten im Nahbereich.

Kunst liegt in der passenden Kombination der Lösungen

Wenn Sie eine perfekte Mahlzeit zubereiten möchten, verwenden Sie wahrscheinlich verschiedene Messer, Pfannen, zahlreiches Geschirr und viele Gewürze. Wenn Sie Sport treiben, tragen Sie beim Gehen, Laufen und Tennisspielen unterschiedliche Schuhe. Nur die Korrektur der Presbyopie scheint einer der wenigen Lebensbereiche zu sein, in dem wir erwarten, dass ein einziges Mittel alle Anforderungen des vielfältigen und aktiven Lebens unserer Kunden erfüllen kann! Tatsächlich stehen für die Sehkorrektur viele Lösungen zur Verfügung, und Sie werden den größten Erfolg haben, wenn Sie alle einsetzen: multifokale Kontaktlinsen, Gleitsichtbrillen, ergänzende Lesebrillen. Die Kunst liegt darin, diese Sehhilfen so zu kombinieren, dass sie die wesentlichen Anforderungen an Aussehen, Komfort und Funktionalität erfüllen.

Die Vorbereitungen sind fast abgeschlossen, bald kann die Reise losgehen. Vorher jedoch müssen wir noch das „Ziel“ identifizieren – in unserem Fall: das kontaktlinsenspezifische Ziel. Identifizieren Sie Situationen, in denen Kontaktlinsen die ideale Lösung für Ihre Kundinnen sind (und/oder eine Brille unerwünscht ist). Vereinbaren Sie dann gemeinsam eine Messlatte, anhand derer die Kunden beurteilen können, ob die Kontaktlinsen ihre Sehansprüche erfüllen. Das ist Ihre „Benchmark“, um den Erfolg zu bestimmen oder festzustellen, ob Optimierungen erforderlich sind. Es ist außerdem hilfreich, Bereiche zu identifizieren, in denen die Kundinnen flexibel sind, etwa Aktivitäten, bei denen eine Brille für sie akzeptabel wäre.

Eine hilfreiche Frage, um Situationen zu erkennen, in denen Kontaktlinsen die beste Option sind, könnte folgendermaßen lauten: Wenn Kontaktlinsen Ihnen bei bestimmten Tätigkeiten die Brille „ersparen“ würden, würden Sie diese Kontaktlinsen als erfolgreiche Lösung betrachten?

Die zweite Folge des Beitrags „Presbyopie – eine kurze erfolgreiche Reise zu Kontaktlinsen“ erscheint in einer der nächsten Ausgaben der DOZ. Im Fokus stehen die spezifischen Bedürfnisse von Kunden mit Presbyopie, außerdem Design- und Materialoptionen sowie Hinweise zur Anpassung.


Autoren:

David Ruston, BSc, FCOptom, DipCL, FIACLE, FAAO; ist Director Global Professional Education and Development bei Johnson & Johnson Vision. Er hat sein Studium der Optometrie an der City University London mit einem Bachelor of Science abgeschlossen und zahlreiche Fachbeiträge zu Themen rund um Optometrie, Ophtalmologie und Kontaktlinsen veröffentlicht.

Dr. Cristina Schnider, OD, MBA, FAAO; ist unabhängige Beraterin, Rednerin und Autorin. Die studierte Optimetristin war lange Jahre in verschiedenen Positionen bei Johnson & Johnson Vision tätig, zuletzt als Director Global Professional Education and Development. Sie verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der medizinischen Ausbildung und Kommunikation sowie in der Planung und Durchführung von klinischen Studien und Publikationen.


Literatur:

[1] Fry R. Gen X the only generation to rebound from Great Recession in wealth. Pew Research Centre - Fact tank July 2018.
[2] PEW Research Centre. Demographics of Mobile Device Ownership and Adoption in the United States. Pew Research Centre: Internet, Science & Tech June 2019.
[3] Hausenblas H. Do Reading Glasses Make You Look Older? US News & World Report June 2015.
[4] Honigman R, Castle DJ. Aging and cosmetic enhancement. Clin Interv Aging 2006; 1:115–9.
[5] JJV Data on File 2018. Survey conducted with n=1,000 representative U.S. and U.K. consumers, ages 12-64.
[6] JJV Data on File 2019, survey conducted with n=1,000 representative U.S. and U.K. consumers, ages 12-64.
[7] Morgan P, Woods C, Tranoudis I, et al. Contact Lens Spectrum – International Contact Lens Prescribing in 2018. Contact Lens Spectrum 2020;25:26–32.
[8] JJV Data on File 2018. Survey conducted with n=1,000 representative U.S. and U.K. consumers, ages 12-64.
[9] Wright M, Hoyle K, Smiley C, Mitchell B, Bazan J. Capturing the Presbyopic Opportunity. Review of Optometry 2015.
[10] JJV Data on File 2020. Multifocal consumer market research, UK. N=114 45-64 year old multifocal contact lens wearers.
[11] JJV Data on File 2018. Growth Levers analysis based on IPSOS Global Incidence Tracker, retail outlet consumption data and national census population data covering the United States, United Kingdom, Russia, Japan, South Korea, and China.
[12] Pucker AD, Jones-Jordan LA, Marx S, Powell DR, Kwan JT, Srinivasan S, Sickenberger W, Jones L. Clinical factors associated with contact lens dropout. Contact Lens and Anterior Eye 2019;42:318–24.
[13] Jackson MA. A Systematic Approach to Dry Eye using LipiFlow Treatment. US Ophthalmic Review 2014;07:104.
[14] Siddireddy JS, Vijay AK, Tan J, Willcox M. Effect of Eyelid Treatments on Bacterial Load and Lipase Activity in Relation to Contact Lens Discomfort. Eye & Contact Lens 2020;46:245–253.
[15] Charman WN. Developments in the correction of presbyopia I: spectacle and contact lenses. Ophthalmic and Physiological Optics 2014;34:8–29.
[16] Woods J, Woods C, Fonn D. Visual Performance of a Multifocal Contact Lens versus Monovision in Established Presbyopes. Optometry and Vision Science 2015;92:175–182.
[17] Sivardeen A, Laughton D, Wolffsohn JS. Investigating the utility of clinical assessments to predict success with presbyopic contact lens correction. Contact Lens and Anterior Eye 2016;39:322–30.
[18] Jong M, Tilia D, Sha J, Diec J, Thomas V, Bakaraju RC. The Relationship between Visual Acuity, Subjective Vision, and Willingness to Purchase Simultaneous-image Contact Lenses. Optometry and Vision Science 2019;96:283–290