Individuelle Optimierung bei Kontaktlinsen
Abb. 1: Linkes Auge mit temporal zur Pupille dezentrierter Zentralzone, dargestellt anhand einer zentralen Kreisgravur auf der Kontaktlinse.
Viele Faktoren entscheiden über den Erfolg oder Misserfolg bei der Anpassung von multifokalen Kontaktlinsen. Einige Faktoren, wie Scheitelbrechwert oder Addition, lassen sich leicht ändern. Eine Anpassung des Durchmessers der zentralen Nahzone, der Wechsel des Dioptrieprofils oder die Position der Nahzone in Relation zur geometrischen Mitte einer Kontaktlinse lassen sich mit Tauschsystemen nur sehr eingeschränkt Nicht nur bei Gleitsichtgläsern Individuelle Optimierung bei Kontaktlinsen oder überhaupt nicht realisieren. Wie dieser Anpassfall zeigt, bieten individuelle Systemen mehr Potenzial, eine Lösung zu finden.
Eine schlecht vor der Pupille zentrierte zentrale Zone beispielsweise führt in der Praxis häufiger zur Unverträglichkeit von multifokalen Kontaktlinsen (Abb. 1). Die Zentralzone der Kontaktlinse ist hier trotz leicht nasaler Dezentration der Kontaktlinse temporal zur Pupille versetzt. Diese Tatsache lässt sich selten durch Variation des Zentralzonendurchmessers oder Änderung der Anpassparameter der Kontaktlinse lösen.
Für den Linsenträger macht sich diese Dezentration vor allem in Form von monokularen Doppelbildern oder Schatten um Buchstaben bemerkbar. Der Seheindruck wird oft nicht toleriert, da der für das Sehen so wichtige Kontrast stark abfällt.
Diese Tatsache lässt sich in der Praxis häufig beobachten. Neben einer Dezentrierung der Kontaktlinse kann auch eine zur geometrischen Hornhautmitte dezentrierte Pupille die Ursache sein. Auch eine Kombination beider Faktoren kommt vor. Die Pupille ist überwiegend nasal dezentriert. [1-5]
Aktuell gibt es in der Produktentwicklung verschiedene Ansätze, dem Problem der störenden Doppelbilder entgegenzuwirken. Einer davon ist, einen entsprechend „weichen“ Übergang zwischen zentraler und peripherer Optik zu erreichen. Eine andere Option ist das Herausrechnen von Abbildungsfehlern, um Seheffekte mehr oder weniger abzumildern. Abhängig von der Dezentrationsstrecke ist der Kontrastverlust jedoch nicht komplett zu verhindern.
Eine Dezentrierung der zentralen Zone versetzt die Anpasserin oder den Anpasser in die Lage, die Optik der optimal angepassten Linse bestmöglich vor der Pupille zu positionieren und somit den Visus zu optimieren.
Abb. 2: Lidspalten OD (links) & OS mit Messtrecken bei Vermessung der Pupillendezentration
Vorgehen bei der Anpassung
Materialwahl: Es wurde ein stark wasserbindendes Hochleistungshydrogel ausgewählt, da die Kontaktlinsen hauptsächlich sporadisch im Freizeitbereich genutzt werden sollten und eine gute Benetzung und angenehmes Tragegefühl als Trageeigenschaften im Vordergrund standen.
Geometrieauswahl: Basiskurve, Durchmesser und Randabflachung der Contactlinsen sind nach Anpassempfehlung des Herstellers ausgewählt worden.
Abb. 3: Bestimmung der dezentrierten Optik mit dem Wöhlk Anpassprogramm.
Pupillendezentration: Die Vermessung der Pupillenzentrierung ergab beidseitig, wie besonders in Abbildung 2 erkennbar, eine über den physiologischen Normalwert von 0,30 mm hinaus stärkere Pupillendezentration nach nasal oben. [5] Die Dezentration lässt sich dann mittels Vektoraddition über Distanz und Achslage eindeutig beschreiben.
Alternativ lässt sich die Dezentration auch sehr einfach mit von Herstellern zur Verfügung gestellten Anpassprogrammen bestimmen und simulieren (Abb. 3)
Die standardmäßig in drei verschiedenen Dezentrationsstrecken angebotene „Wöhlk Contact Individual. Multi“ wurde auf Basis der Vermessung mit der größten Variante von 0,70 mm bestellt.
Um eine gleichbleibende Zentrierung der zentralen Zone vor der Pupille zu gewährleisten, wurden die Linsen mit einem zur Lidspalte und -spannung passenden Stabilisationsprisma (TP) versehen.
Laut Anpassempfehlung von Wöhlk für die „Contact Individual. Mutti“ soll unter normalen Umständen zuerst beidseitig eine nahzentrierte Version angepasst werden. Trotz des für einen 62-Jährigen verhältnismäßig großen Pupillendurchmessers bei Tageslichtverhältnissen wurde auf ein fernzentriertes System zurückgegriffen, da die Sehpriorität in der Ferne liegt und eine schwache Hyperopie in Verbindung mit einem hohen Fernvisus vorliegt. Der Fernzonendurchmesser von 3,50 mm ist ebenfalls ein erster Standardwert und wurde ungeachtet der leicht vergrößerten Pupille und zu Gunsten des Naheffektes in einem ersten Schritt übernommen.
Stärkenauswahl: Die Refraktion wurde unverändert übernommen.
Die Details des ersten Kontaktlinsenpaares sind in Tabelle 3 dargestellt. Die Kontaktlinse mit zusätzlichen Gravuren für die dezentrierte Optik ist in Abbildung 4 zu sehen.
Im Vorfeld wurde der Kunde über die Korrektion mit simultanen Multifokal-Kontaktlinsen, die Stärken und Schwächen eines fernzentrierten Systems sowie die notwendige Gewöhnungsphase aufgeklärt. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es wichtig ist, die Erfolgsaussichten einer derartigen Versorgung gegenüber Kunden und Kundinnen von Anbeginn an realistisch darzustellen.
Abb. 4: Vier konzentrisch zur Zentralzone angeordnete, standardisierte Funktionsgravuren zusätzlich zur Stabilisationsgravur der Contact Individual Multi.
Beurteilung: Mit diesen Linsen wurde ein zufriedenstellender Sitz und ein binokularer Fernvisus von 1,0 erreicht, so dass die Kontaktlinsen für eine Gewöhnungsphase mitgegeben wurden
Verlaufskontrolle: Eine Verlaufskontrolle wurde eine Woche nach der Abgabe durchgeführt. Die Gewöhnung war in dieser Zeit gut vorangeschritten. Die Linsen konnten für die gewünschten Freizeitaktivitäten genutzt werden. Bei dämmerigem Licht oder nachts zum Autofahren wurde das Sehen allerdings schlechter und der Kunde unsicherer. Das Lesen war mit Nahvisus von 0,5 zunächst zufriedenstellend. Die Linsen waren nach einer Tragezeit von acht Stunden zum Kontrolltermin mäßig beweglich. Eine geringe binokulare Überrefraktion von -0,25 dpt führte zu einem Fernvisus von 1,25 pp.
Abb. 5: Simulierte Lage der zentralen Zone.
Insbesondere auf dem linken Auge wurden trotz guter Stabilisierung des Torus Schattenbilder mit einhergehendem Kontrastverlust wahrgenommen. Abbildung 5 zeigt die simulierte Lage und Größe der zentralen Fernzonen.
Unter der Annahme, dass sich die Pupille bei Dunkelheit auch bei einem 62-jährigen Kunden noch um etwa 1 mm vergrößert, lässt sich leicht erahnen, weshalb der Kontrast abnimmt sowie die Blendung und Unschärfe zunehmen. Besonders beim linken Auge ist im Vergleich zur Vermessung und Simulation mit dem Anpassprogramm ein Unterschied der Zentrierung zu erkennen. Neben feinen Ungenauigkeiten der Messung spielt in diesem Fall sicher noch der endgültige, leicht nach temporal dezentrierte Linsensitz eine Rolle.
Optimierung: Die Lesefähigkeit im Blick behaltend, wurde eine Vergrößerung der Fernzonen (Empfehlung ΔZZ > 0,5 mm) und eine weitere Dezentrierung der zentralen Zone auf dem linken Auge angestrebt. Eine erneute Vermessung mit Hilfe der Funktionsgravuren bei aufgesetzten Linsen ergab eine neue Dezentrationsstrecke von 1,30 mm in 140 Grad. Diese spezielle Individualisierung ist für jeden Einzelfall mit der Anpassberatung abzusprechen, da die Möglichkeit der Dezentrierung der multifokalen Optik technisch eingeschränkt ist und von verschiedenen Faktoren abhängen, so zum Beispiel vom Durchmesser der zentralen Zone. Bei dieser Parameterkonstellation waren 1,30 mm das absolute Maximum.
Autoren
Mirko Tamm ist seit 1999 Diplom-Ingenieur der Augenoptik. Der Absolvent der Hochschule Aalen leitet seit 20 Jahren die Abteilung Professional Services und ist Sicherheitsbeauftragter für Medizinprodukte für die Wöhlk Contactlinsen GmbH.
Mirko Tamm
Dr. Andreas Hartwig, PhD, FAAO ist Inhaber von Hartwig Optik Uhren & Schmuck in Heikendorf und betreibt parallel das Forschungszentrum Hartwig Research Center UG. Zudem ist er Lehrbeauftragter an der Aston University, Birmingham, Großbritannien.
Dr. Andreas Hartwig