IVBS: „Insgesamt ein rundum gelungener Jubiläumskongress!“

Auditorium
Das Auditorium während der 31. IVBS-Tagung in Mainz.
© IVBS

„Der größte Konkurrent ist die Sonne“ - mit diesem Satz hat Georg Stollenwerk, Präsident der Internationale Vereinigung für Binokulares Sehen (IVBS), die Jahrestagung der Vereinigung in Mainz an ihrem zweiten Tag eröffnet. Bei echtem Kaiserwetter kamen die IVBS-Mitglieder und weitere Sehexperten im Kongresshotel Atrium zusammen – in diesem Jahr zum 31. Mal. Die rund 150 Gäste erlebten dort eine zweitägige Fachveranstaltung, die unter dem Motto „30 Jahre IVBS und 60 Jahre MKH“ stand.

„Der gesamte Kongress fand in ausgesprochen angenehmer und kollegialer Atmosphäre statt. Von Teilnehmerseite gab es viel Lob für das Seminar- und Vortragsprogramm“, bilanzierte IVBS-Präsident Georg Stollenwerk. In diesem Jahr hätten die Gäste den Vortrag „Praxistipps zur Ermittlung der geeigneten Brillenkorrektion bei prismatischer Verordnung“ von Beate Göpel und die Diskussionsrunden zu den jeweiligen Vorträgen „besonders positiv“ bewertet, sagte Stollenwerk weiter. „Insgesamt ein rundum gelungener Jubiläumskongress!“

Der Tagungssamstag bot laut Veranstalter traditionell mehrere Praxis-Seminare. Dabei zog sich die Mess- und Korrektionsmethode nach Hans-Joachim Haase (MKH) wie ein roter Faden durchs Programm, sie kam als Thema mehrheitlich in den insgesamt fünf Seminaren des ersten Tages vor.

Eingangsschild
Zur Tagung … (Foto: Judith Kern)

Stollenwerk kündigt letzte Amtszeit an

Ebenfalls am Samstag tagte der Vorstand und am Nachmittag in der Generalversammlung fanden turnusgemäß nach drei Jahren die Wahlen statt. Dabei wurden alle Ehrenamtsträger wiedergewählt. Das Präsidium bilden also weiter hin Georg Stollenwerk (Präsident), Dr. Fritz Gorzny (Vizepräsident), Matthias Dahl (Kassier) und Jörg Tischer (Aktuar). Ebenso in ihren Ämtern bestätigt wurden Beisitzer, wissenschaftlicher Sekretär, Revisoren und Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats. Der Geschäftsführer des Zentralverbands der Augenoptiker und Optometristen (ZVA), Dr. Jan Wetzel, hielt in dieser nur für IVBS-Mitglieder zugänglichen Versammlung einen Gastvortrag zum Thema „Einsatz diagnostischer Medikamente durch Augenoptiker?“

Stollenwerk kündigte zudem seine letzte Legislaturperiode als Präsident der Vereinigung an: „Ich bin jetzt seit 25 Jahren in verschiedenen Funktionen für die Vereinigung tätig, davon 21 Jahre im Vorstand und 18 Jahre als Präsident. Es wird Zeit, dass man den Weg auch mal für ein anderes Team frei macht. Ein Team, das neue Ideen reinbringt.“ In den kommenden drei Jahren wolle man indes zügig weiterarbeiten, betonte Stollenwerk. Auf der Agenda stünden einige Projekte, darunter im Herbst eine große Sitzung zur Zukunftsplanung. Ein weiteres Ziel sei, aktiv an Ausbildungsstätten heranzutreten, um nicht nur mit Studenten, sondern auch mit Dozenten ins Gespräch zu kommen.

Georg Stollenwerk
Georg Stollenwerk eröffnet den zweiten
Veranstaltungstag. (Foto: Judith Kern)

„Ich grüße mich also gerade selber“

ZVA-Präsident Thomas Truckenbrod, der auch Mitglied der Vereinigung ist, eröffnete den Tagungssonntag: „Das ist jetzt gar nicht so einfach – Grußwort als Präsident des ZVA und als IVBS-Mitglied. Ich grüße mich also gerade selber.“ Die IVBS sei „absolut ehrlich und objektiv“, sagte der Optometrist weiter. „Das ist das Wesen der IVBS: Das Ringen um die Lösungen für komfortables Sehen und dazu noch die Kollegialität und der Zusammenhalt. Danke Ihnen, auf Sie war immer Verlass.“

Um unterschiedliche Messmethoden, deren Zusammenhänge und gegenseitige Abgrenzungen ging es im ersten Vortragsblock. Professor Ralph Krüger, Beuth Hochschule für Technik Berlin, warf in seinem Vortrag „Von Graefe bis Haase – von der dissoziierten zur assoziierten Heterophorie“ einen Blick auf die Entwicklung der Heterophorie- Messverfahren und unterteilte diese in dissoziierende und assoziierende Verfahren.

Dissoziierende Verfahren arbeiten mit vollständiger Aufhebung der Fusion, indem die Gleichheit der Netzhautbilder im rechten und im linken Auge mit technischen Mitteln aufgehoben wird. Dieses beschrieb Krüger unter anderem für das Graefe-Verfahren und das Maddox- Kreuz. Des Weiteren wies er darauf hin, dass bei den Verfahren Messbedingungen vorherrschen, die stark vom natürlichen Sehen abweichen. Folgerichtig, hieß es, böten die damit ermittelten Prismen einen groben Anhaltswert für die Größe einer Heterophonie, hätten sich aber als Korrektionswerte nicht bewährt.

Daraus habe H.-J. Haase in den 1950er Jahren die Notwendigkeit abgeleitet, bei der Messung von Heterophorien die Fusionsreize nur soweit zu reduzieren, dass erkennbar wird, ob die Augen dazu tendieren, die Orthostellung zu verlassen und in welche Richtung. Die Messbedingungen wurden dabei so gestaltet, dass sie dem natürlichen Sehen weitgehend entsprachen, indem zum Beispiel nun im Hellraum gemessen wurde. Erstes Ergebnis seiner Arbeit war der Kreuztest, der mit erhaltener Fusion arbeitet, somit ein assoziierender Test ist, und dessen Ergebnisse sich seit Jahrzehnten in Korrektionsbrillen bewährt haben. Im nächsten Schritt nahm Haase mit dem Zeigertest einen Test in seine Messreihe auf, der sogar einen zentralen – somit noch stärkeren – Fusionsreiz aufwies und der die Korrektion von Fixationsdisparation mit disparater Fusion (FD I) ermöglichte.

Der Referent verglich den Zeigertest mit dem in Großbritannien verbreiteten Mallett-Test und wies darauf hin, dass beiden Tests eine ähnliche Konzeption zugrunde liegt, beide aber für die Erfassung von verfestigten sensorischen Anpassungen bei disparater Korrespondenz (FD II) nicht geeignet seien. Abschließend empfahl Krüger für die Ermittlung von Korrektionsprismen das assoziierende Messverfahren MKH.

Die häufigste Ursache für Sehverlust

Um ganz einfache Binokularsehtests, die in ihrer Aussage fähigkeit oft unterschätzt werden, ging es im anschließenden Vortrag „Brückner, Hirschberg & Co: Grundlegende Binokulartests einfach erklärt“ von Thomas Truckenbrod. Das Entscheidende bei den einfachen Tests sei, dass man sie gut bei Kindern anwenden könne, um Informationen zum Binokularstatus schon vor der Refraktion zu erhalten, erklärte der Referent. Die möglichst frühzeitige Schielerkenneung sei notwendig, da Amblyopie bei den bis 20-Jährigen „die häufigste Ursache für Sehverlust“ ist. Im Weiteren wurden der Brückner-Test, der Hirschberg-Test und der Krimsy- Test sowie die verschiedenen Varianten des Cover-Tests vorgestellt. Mit Hilfe der ebenfalls vorgestellten Stereotest, Lang- und Titmus-Test könne man eine Einschätzung des Stereo-Sehens machen. Leider würden die schnellen und einfachen Tests aufgrund der zunehmenden Technisierung des Refraktionsraums häufig in Vergessenheit geraten, mahnte Truckenbrod. Doch besonders bei der Strabismusfrüherkennung von Kleinkindern spielten sie eine wichtige Rolle. Ein Risiko für Amblyopien könne in Sekunden ermittelt und so rechtzeitig eine Behandlung begonnen werden.

Um zu testen, ob klassische und neue Methoden vergleichbare Ergebnisse liefern, führte Jonas Granse, M.Sc., einen Methodenvergleich zwischen dem alternierenden Prismen-Covertest und dem Videookulographen „GazeLab“ der Firma bcnInnova im Klinikbetrieb an der Helios Klinik Berlin-Buch durch. In seinem Vortrag „Schielwinkelbestimmung mittels Videookulographie – eine Alternative?“ stellte er nun die Ergebnisse seiner Studie vor. Das GazeLab ähnelt einer Messbrille. Die Mechanik dahinter ist ein einfacher Covertest.

Granse kam zu dem Schluss, dass das GazeLab für die Primär- Position den alternierenden Prismen- Cover-Test ersetzen kann, weil sich die Messwertdifferenzen innerhalb der interindividuellen Variabilität des alternierenden Prismen- Cover-Tests befinden. Für die Sekundärposition fehlten, hieß es, gegenwärtig aussagekräftige Studien zur Variabilität. Ziel sei es, das Gaze Lab als Diagnosetool für Schiel-OPs einzusetzen.

Mit Blick auf die Praktikabilität im Berufsalltag benannte Granse allerdings auch Nachteile: GazeLab sei nicht für kleine Kinder geeignet, Faktoren wie Lichtverhältnisse, Tränenfilm, Make-up und Lidhebung würden die Messwerte beeinflussen, Messungen seien nur bis 17 Grad möglich zudem sei die Korrektur von Ametropien fraglich, da das Glas verkippt eingesetzt werden müsse. Positiv sei indes, dass die Messergebnisse sofort digitalisiert würden, Untersuchungen seien auch bei „hochgradiger Amblyopie“ möglich, höhere Objektivität bei der Untersuchung, gute Vergleichbarkeit der Sekundärpositionen und das GazeLab sei ein „sehr umfangreiches Diagnosetool“ für genauere Analysen.

Beispiele nah an der Praxis

Auditorium kommt aus der Pause
Nach der Pause geht's wieder mit Vorträgen weiter. (Foto: IVBS)

Etwas praxisnäher ging es im zweiten Vortragsblock zu. Nach Meinung von Funktionaloptometristin Alexandra Römer ist „gutes Sehen die Voraussetzung, um im Sport Spitzenleistung zu erbringen.“ Wolle man dieses trainieren und mit einem Sportler entsprechend arbeiten, so sei, befand die Expertin in ihrem Vortrag „Sehen im Sport – Das Auge spielt mit!“, das Modell von Skeffington die Grundlage dafür. Man trainiere und teste in der Regel vier Bereiche: die Blickmotorik, die Binokularität, die Akkommodotion - heißt die schnelle Anpassung der Sehschärfe an unterschiedliche Sehentfernungen - und die Wahrnehmung. „Diese vier Bereiche müssen ineinandergreifen und funktionieren, damit wir unser gesamtes Leistungsvermögen ausschöpfen können“, betonte Römer. Dieses veranschaulichte die Referentin anhand konkreter Übungen. Dabei handelt es sich um eine Kombination aus Bewegung und Sehaufgabe, hinzu kommen Entspannungstrainings, Auge-Körper- Koordination, Antizipation und Raumwahrnehmung.

Dr. Jan Skerswetat, PhD, MSc, BSc, PGCert FHEA, Department of Vision and Hearing Science, Anglia Ruskin University, Cambridge, gab einen Überblick über den Stand der Forschung zum „binokularen Wettstreit“. Im Vortrag benannte er die Meilensteine der binokularen Wettstreitforschung, den gegenwärtigen Stand der Forschung sowie klinische Anwendungsgebiete dieses Sehphänomens. Den binokularen Wettstreit beschrieb Skerswe tat als „willkürlichen Wechsel der visuellen Wahrnehmung, der durch signifikant ungleiche monokulare Sehreize initiiert wird und sich in wechselnden neuronalen Aktivierungs-Suppressionszuständen widerspiegelt“. Der binokulare Wettstreit werde zur Untersuchung des neuronalen Ursprunges der visuellen Bewusstseinsbildung sowie zur Erforschung der visuellen Suppression eingesetzt, führte der Wissenschaftler weiter aus. Außerdem besitze der binokulare Wettstreit „potenzielle klinische Anwendungsmöglichkeiten, so zum Beispiel als Instrument zur Verlaufskontrolle während einer Amblyopietherapie“.

Mit einem „besonderen Praxisfall“ schloss Optometristin Elke Brandt den zweiten Vortragsblock. Sie zeigte anhand des Werdegangs ihres jugendlichen Klienten Kevin, wie eine passende prismatische Brille seine personelle und schulische Entwicklung gefördert hat.

Anisometropien und Korrektion

Der dritte Vortragsblock, den Dr. rer. nat. Stephan Reiß, Beuth Hochschule für Technik Berlin, eröffnete, beschäftigte sich mit Anisometropien und Korrektion. In seinem Referat „Aspekte des Binokularsehens bei der Korrektion von Anisometro pien mit Einstärkenbrillen“ präsentierte Reiß die verschiedenen Auswirkungen einer korrigierten Anisometropie auf das binokulare Sehen anhand eines Praxisbeispiels. Dabei erläuterte er Lösungsstrategien, die den gewünschten Sehkomfort für den Brillenträger gewährleisten sollen. Beate Göpel, Augenoptikermeisterin und Geschäftsführerin der Sehkomfort Göpel GmbH, nannte in ihrem Vortrag „Praxistipps zur Ermittlung der geeigneten Brillenkorrektion bei prismatischen Verordnungen“. Dabei ging es vor allem um Besonderheiten bei schwierigen Korrektionen, wie etwa bei Fällen mit alternierendem Sehen oder bei Amblyopie. Mit Erläuterungen zum „Einfluss der Flächengestaltung auf die Verträglichkeit von Brillengläsern“ schloss Dipl.-Ing. Lars Mendel, Projektmanager bei Carl Zeiss Vision in Aalen, die Konferenz. Als nächste Termine stehen für die IVBS die Sicht.Kontakte im Oktober in München und die 32. Jahrestagung vom 18. bis 19. Mai im kommenden Jahr vermutlich in Stuttgart an.