Netzhautanalyse als Mindestanforderung?
Immer mehr augenoptische Betriebe besitzen eine Funduskamera, doch die regelmäßige Nutzung bleibt bei vielen noch aus.
Erstveröffentlichung in der DOZ 06I24
„Die Augen sind der Spiegel der Seele“ – dieses Zitat ist lange überliefert; angeblich geht es sogar auf Shakespeare zurück. Und tatsächlich ist es kaum möglich, die Augen zu überlisten. Den Blick zu kontrollieren ist genauso schwer, wie unsere Emotionen zu beherrschen – bei Worten und Gesten ist dies deutlich einfacher. Doch gerade die Netzhaut sagt sehr viel über die Gesundheit des Menschen aus, da im Auge, unserem wichtigsten Sinnesorgan, einige der kleinsten sichtbaren Gefäße unseres Körpers liegen.
Bisher haben viele Augenoptiker und Augenoptikerinnen noch gezögert, eine Funduskamera zu erwerben, mit der man auf Basis von Aufnahmen einen Eindruck über den Zustand der Netzhaut erlangen kann. Vor allem bei dem Vorhaben, diese eigenverantwortlich auszuwerten, schreckten viele zurück, da nicht jeder über das Know-how verfügt, Blutgefäße, Aderhaut, Nerven & Co. richtig zu deuten. Deswegen ist die Sorge groß, etwas nicht exakt genug zu interpretieren und infolgedessen eine falsche Empfehlung auszusprechen.
Die Betriebe, die sich von dem Kauf einer Funduskamera viel versprochen haben, nutzen ihr wertvolles Gerät und somit die Möglichkeit der Früherkennung von Auffälligkeiten zum Teil kaum, da häufig die Sicherheit in der Analyse und der Kommunikation fehlt. Andere Geschäfte, die über ein OCT oder eine Funduskamera verfügen, beschäftigen Mitarbeiter, die sich mühevoll und lang jährig fortgebildet haben, um eine sichere Beurteilung abgeben zu können. Unterstützung bei der Analyse können dabei telemedizinische Dienste oder auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Lösungen bieten.
Netzhautanalyse ist kein Alleinstellungsmerkmal mehr
Egal zu welcher Gruppe wir gehören, es muss uns klar sein, dass die Netzhautanalyse heutzutage kein Alleinstellungsmerkmal mehr darstellt. Sie ist zur Mindestanforderung geworden. Bei der Wahrnehmung unserer Kompetenz durch die Kunden, spielt die Art der Übermittlung der Auffälligkeiten an sie eine entscheidende Rolle. Wie erstelle ich also einen Kundenbericht, der verständlich, individuell, aussagekräftig und rechtssicher ist?
Hilfe bei der Analyse schafft dabei die bereits angesprochene Nutzung der Telemedizin oder eine Auswertung durch KI. Beide Varianten sind zertifiziert und zugelassen. Dabei werden bei der Analyse durch KI, Auffälligkeiten der drei häufigsten Augenkrankheiten (Glaukom, diabetische Retinopathie und AMD) ermittelt. Im Rahmen einer Studie des Royal Australian and New Zealand College of Ophthalmologists wurden im Jahr 2019 die Ergebnisse von KI-basierenden Systemen (Deep learning System) und Medizinern mit unterschiedlicher Berufserfahrung gegenübergestellt. Dabei zeigte sich, dass die Zuverlässigkeit der KI-Systeme bei Unauffälligkeiten zwischen 92,5 und 99,2 Prozent liegt. Auffälligkeiten wurden mit einer Zuverlässigkeit zwischen 83,0 und 97,8 Prozent erkannt. Die Auswertung durch Telemedizin beschränkt sich nicht auf die drei häufigsten Augen erkrankungen, sondern es werden zusätzlich weitere Auffälligkeiten der Netzhaut dokumentiert.
Auswertung innerhalb von wenigen Sekunden
Ein weiterer extrem wichtiger Gesichtspunkt ist die Einbindung der Netzhautanalyse in unseren Beratungsablauf. Hier gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen telemedizinischer und KI-Auswertung. Während die Übermittlung der Analyse bei der Telemedizin zwischen zwei und vier Tagen dauert, liegt die Auswertung bei der KI schon nach wenigen Sekunden vor. Aus unserer Erfahrung fällt es einem Kunden verständlicherweise schwer, sich für neue Brillen zu entscheiden, wenn die Ergebnisse der Netzhautanalyse noch nicht vorliegen.
Die Rechtssicherheit und Zulassung eines Verfahrens zur Netzhautanalyse sind also nur Teilaspekte, denen wir Beachtung schenken müssen. Vielmehr müssen wir entscheiden, ob wir durch Highend-Technik oder einfache Anwendung und Bedienbarkeit punkten möchten und viel wichtiger ist am Ende des Tages, wie wir unsere Leistung für die Kunden sichtbar und fühlbar machen. Meiner Auffassung nach geht es nicht darum, ob man diese Dienstleistung anbietet. Es geht nur darum, die Lösung zu finden, die am besten zu einem passt.
Frank Havenstein
ist als staatlich geprüfter Augenoptiker und Augenoptikermeister seit fast 40 Jahren in der Augenoptik tätig, davon über 30 Jahre selbstständig. Zusätzlich arbeitete er unter anderem in der Fielmann Akademie und bei Alcon als Dozent, begleitete Studien im Bereich der Kontaktlinse und ist aktives Mitglied im Meisterprüfungsausschuss Schleswig-Holstein. Seit 2023 ist Havenstein Mitinhaber von Optik Consulting, einer Firma für Unternehmensberatung.