Eine „Ersatzschutzschicht“ fürs Auge

Wie Verbandslinsen Heilungsprozesse beschleunigen können

Kontaktlinsen werden aus vielen Gründen angepasst, sei es aus praktischer, modischer oder optischer Natur. In einigen Fällen ist es medizinisch relevant, sie als sogenannte Verbandslinsen einzusetzen. Worauf dabei zu achten ist und ob sich die Anpassung von einem „Standardfall“ unterscheidet, betrachtet dieser Artikel.
Verbandslinse

Bei einer beschädigten Hornhaut könnte eine Verbandslinse den Heilungsprozess unterstützen.

© Adobe Stock / Imagen Punto de Luz

Erstveröffentlicht in der DOZ 06I23

Wenn die Hornhaut verletzt ist, ist es selbstredend nicht möglich, diese per Wundschnellverband abzudecken. Eine ähnliche Funktion wie das Pflaster kann dafür an dieser Stelle eine Kontaktlinse einnehmen. Durch sie können Heilungsprozesse beschleunigt oder gar erst ermöglicht werden.
Das liegt daran, dass neu gebildete Epithelzellen, also Zellen aus der oberen Hornhautschicht, noch nicht fest mit der darunterliegenden Basalmembran verbunden sind. Beim Lidschlag können diese Zellen somit leicht abgetragen werden oder nach dem Auf- wachen durch „Festkleben“ an den Lidinnenseiten beim Öffnen der Augen unsanft wieder von der Hornhaut getrennt werden. Die Kontaktlinse fungiert somit als eine „Ersatzschutzschicht“ des Auges, wenn die eigene Hornhaut dies nicht leisten kann. Darüber hinaus unterbrechen die Linsen den Kontakt zwischen den Lidinnenseiten und freigesetzten Nervenenden im Epithel, und somit den andernfalls bei jedem Blinzeln einsetzenden Schmerzreiz.

Doch wann kommen Verbandslinsen zum Einsatz? Zusammenfassend dienen Verbandslinsen, wie oben bereits beschrieben, zur Schmerzlinderung und zur Unterstützung der Heilung der Hornhaut. Gründe hierfür können beispielsweise Verletzungen der Horn- haut sein, die zu Hornhauterosion oder Epitheldefekten führen, aber auch bei tiefer gehenden perforierenden oder lamellierenden Verletzungen. Auch bei Verbrennungen und Verätzungen kann der durchsichtige Verband zum Einsatz kommen. In Extremfällen müssen sie gar den Abfluss des Kammerwassers aus dem Auge verhindern. Die Kontaktlinse punktet zusätzlich, da durch ihren Einsatz in einigen Fällen eine Hornhautnaht verhindert werden kann, was die Seh- schärfe mindern und die Hornhautoberfläche irregulär verändern könnte.
 

Mikroerosionen können zu lang anhaltenden Schmerzen führen

Häufiger als die schweren Verletzungen sind es kleinere Mikroerosionen, die durch ihre langwierige Heilung auch zu lang anhaltenden Schmerzen führen können, unter anderem bei schweren Fällen von Trockenem Auge (Sicca-Syndrom). Die Verbandslinsen werden für einige Zeit Tag und Nacht durchgehend getragen, bis sich darunter eine durchgehende und fest verwachsene Epithelschicht gebildet hat.
Weitere Einsatzgebiete sind Hornhautabtragungen (Abrasio) aufgrund einer Operation oder eines Ein- griffs, beispielsweise bei Epithelabschilferungen, nach Entfernung von Fremdkörpern in Epithel und Stroma und nach einer Hornhauttransplantation (Keratoplastik), sowie bei Hornhaut-Dystrophien. Oft werden nach refraktiv-chirurgischen Eingriffen Eintageslinsen vorübergehend eingesetzt. Eine mechanische Barriere zum Schutz der Horn- haut bieten die Kleinverbände auch bei diversen Lidveränderungen. Hierunter fallen zum Beispiel Trichiasis (ein fehlerhaftes Wachstum einzelner Wimpern nach innen in Richtung Augapfel), Entropium (eine Fehl- stellung des gesamten Augenlids nach innen) und Lagophthalmus (ein unzureichender Lidschluss). Andernfalls würde das dauerhafte Scheuern der Wimpern beziehungsweise die unzureichende Benetzung des Auges zu Fremdkörpergefühlen bis hin zu Entzündungen führen. Zu guter Letzt können Verbandslinsen als Medikamententräger genutzt werden, wenn dem Auge kontinuierlich Medikamente zugeführt werden sollen.
Verbandslinsen sind auch in Planstärken erhältlich, da hier nicht die Korrektur einer Fehlsichtigkeit im Vordergrund steht. Es handelt sich bei ihnen aufgrund ihrer hohen Sauerstoffdurchlässigkeit und ihres niedrigen Wassergehalts meist um Silikonhydrogele mit entsprechender Zulassung zum Dauertragen als Verbandslinse. Wünschenswert ist zudem ein Schutz gegen UV-Strahlung, zusätzlich zum Tragen einer Sonnenbrille. In speziellen Fällen, wie etwa der Problematik des Trockenen Auges oder mechanischen Belastungen der Hornhaut, können auch Sklerallinsen genutzt werden.
 

Helmut Messer

„Der Großteil der Kunden kann seine Kontaktlinsen nicht selbst­ständig absetzen und muss daher alle vier Wochen zum Wechseln vorbeikommen“, berichtet Helmut Messer, Inhaber des gleich­namigen Contactlinsen ­Instituts.

© Contactlinsen-Institut Messer

Eine ungewohnte Stresssituation

Soviel zur Theorie, doch was ist nun bei der Anpassung zu beachten? Die Anpassung von Sklerallinsen wurde in anderen Artikeln bereits ausführlich beschrieben. Die Anpassung von weichen Austauschkontakt- linsen als Verbandslinsen läuft zunächst nicht anders ab als bei regulären Versorgungen. Zu berücksichtigen ist allerdings die besondere Situation, in der sich der Anwender befindet: Kontaktlinsen sind möglicher- weise komplettes Neuland für ihn und durch etwaige Schmerzen befindet er sich in einer Stresssituation, der mit besonderem Einfühlungsvermögen begegnet wer- den sollte. Es kann auch vorkommen, dass der Nutzer die Kontaktlinsen nicht selbst absetzen kann oder will.
Das bestätigt Helmut Messer, Dipl. Ing. (FH) Augenoptik und Inhaber des Contaclinsen-Instituts Helmut Messer in Aschaffenburg. „Der Großteil der Kunden kann seine Kontaktlinsen nicht selbstständig absetzen und kommt daher alle vier Wochen zum Wechseln vorbei. Insofern ist die Kundenbindung während der Phase des Verbandslinsentragens natürlich sehr hoch,“ ergänzt er augenzwinkernd. Er denkt dabei unter anderem an eine Patientin, die nach einer Keratoplastik lange auf die Entfernung eines störenden und schmerzhaften Fadens warten musste. Ob die Treue darüber hinaus anhalte, kann er als Inhaber eines reinen Kontaktlinseninstituts schlecht beurteilen, da sich kein Brillenkauf anschließt. Messers Kunden kommen mit einem augenärztlichen Rezept zu ihm, sodass die durchsichtigen Verbände mit der Krankenkasse abgerechnet werden können. Er setzt bei der Anpassung auf Monatskontaktlinsen, „außer bei einem notorischen Linsen-Verlierer, der alle zwei bis drei Tage um Ersatz bitten musste. In diesem Fall haben sich Eintageslinsen als sinnvoller erwiesen.“

Weil es sich um verletzte oder irritierte Hornhäute handelt, muss natürlich besonders hygienisch gearbeitet werden, mit desinfizierten und gegebenenfalls behandschuhten Händen. Bei längerer Anwendung von Verbandslinsen sind zudem engmaschige Kontrollen anzusetzen. Da eine Anreicherung an die Kontaktlinse nicht ausgeschlossen werden kann, sollten Tränenersatzmittel in konservierungsmittelfreien Einmal-Dosen verabreicht werden. Augenärztinnen werden zudem bei Medikamentengabe eine Anpassung der üblichen Dosierung überdenken.

Bei noch aktiven Infektionen durch Bakterien oder Pilze darf die Kontaktlinse im Übrigen nicht eingesetzt werden.

 

Quellen

  • Kontaktlinsen, Heinz Baron, Band 1 Kapitel 2, Seite 30 
  • Leitlinie Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e. V., Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft e. V. „Anpassung und Kontrolle von Verbandlinsen“
Claudia Büdel
© privat

Autorin: Claudia Büdel

ist Augenoptikermeisterin, staatlich ge­prüfte Augenoptikerin und Optometristin (HWK). Sie arbeitete bereits in verschiede­nen Fachgeschäften im Bereich Kontakt­linse und Optometrie, war im Bereich Education and Development für einen

Kontaktlinsenhersteller tätig und ist aktuell in einer Augenklinik mit Studienzentrale beschäftigt.