Rolf: „Wir digitalisieren sozusagen das Handwerk“
Auf experimentelle Technologien spezialisiert: Designer und Mitbegründer des Kollektivs Ceralab, Jan Contala, hat einen Master-Abschluss in Architektur an der Universität Innsbruck.
Erstveröffentlicht in der DOZ 01I24
Ihre Werkstatt liegt im Innsbrucker Industrieareal St. Bartlmä. Nur ein winziges Schild weist auf das „CeraLab“ von Jan Contala und Philipp Schwaderer hin: Zwei kleine, unscheinbare Räume in einer riesigen Industriehalle, in denen das Duo Keramikobjekte im 3D-Druck herstellt. Teller, Becher, Kaffeetassen, Lampenschirme und Vasen in unterschiedlichen Größen entstehen hier nicht an der Töpferscheibe wie bei traditionell handwerklich hergestellter Keramik, sondern an einer bejahrten, zum Drucker umgebauten CNC-Fräsmaschine. Diese ist ein Geschenk der Brillenmacher von Rolf. Mit dieser Fräse entstanden die ersten Fassungen der Tiroler. Laut Firmengründer Roland Wolf begann mit ihr zudem eine erstaunliche Kooperation: „Bis vor einigen Jahren hatten wir einen extrem hohen Aufwand für die technische Entwicklung unserer Brillen. Wir suchten deshalb nach Lösungen, die den Designprozess vereinfachen und beschleunigen – nicht zuletzt, um das Potenzial des Designs noch besser auszuschöpfen.“
CEO Bernhard Wolf, der als Dozent für Architektur an der Uni Innsbruck gelehrt hat, stellt 2017 den Kontakt zu Contala und Schwaderer her. Für Roland Wolf war schon das erste Treffen eine Bestätigung: „Die Jungs sind echte Computernerds. Sie haben uns vermittelt, wie fantastisch die 3D-Technologie sein kann“, erinnert sich der Firmenchef. Innerhalb kurzer Zeit entwickeln Contala und Schwaderer Programme, die „die Verknüpfung zwischen Technologie und Design auf ein anderes Level gehoben haben, was die Präzision, die Geschwindigkeit betrifft“, blickt Roland Wolf zurück. Ihn begeistert vor allem die kreative Energie der Architekturstudenten. „Aus ihrer Kraft heraus entstehen Ideen und Experimente. Sie forschen mit dem 3D-Druck von Ton und setzen dafür unter anderem einen Roboter ein. Aus diesem Grund schenkten wir ihnen auch die CNC-Fräse. Mich fasziniert, wie sich ein Start-up mit dem 3D-Druck auseinandersetzt, die technischen Möglichkeiten weiterdenkt und weiterentwickelt. Für uns drucken sie heute Vasen, die wir mit unseren Bohnenbrillen an Augenoptikerkunden verschicken, und Tassen, die wir in unserem eigenen Optikergeschäft verkaufen.“
Digitalisierung des Designprozesses
Die Wolf-Brüder seien schon ein „wenig verrückt, idealistisch, mutig, ebenso aber klar und konsequent in ihrer Vorstellung, was sie mit Innovation erreichen möchten“, erzählt Jan Contala, der mit Schwaderer einen maßgeblichen Anteil an der Automatisierung und Modernisierung des Designprozesses hat. „Es ist wie Malen nach Zahlen“, erklärt Contala. Die Vorteile liegen auf der Hand: „Anfangs war das Brillendesignen für mich Fließbandarbeit. Beim Zeichnen der zehnten Brille wusste ich, wir müssen das Prinzip ändern.“ In Zusammenarbeit mit Johannes Wacker, der im Team der Tiroler für das Design und die technische Umsetzung zuständig ist, tüftelten sie an Lösungen und erarbeiten die Basis für das Rolf-spezifische Programm.
(Foto Links) Komplett aus Ton, im 3D-Druck produziert: Mit diesem in seiner Optik ungewöhnlichen Designstuhl wird das Ceralab an der Mailänder Designwoche 2024 teilnehmen. (Foto rechts) Kreativer Designprozess: Philipp Schwaderer (l.) und Firmenchef Roland Wolf bei der Arbeit an der neuen Kollektion, die auf der diesjährigen Opti vorgestellt wird.
Während in der Kreativphase weniger über Technologie und mehr über Stil, Ästhetik, über Formen diskutiert und mit Handskizzen gearbeitet wird, müsste man vor dem Programmieren wissen, welches der Weg und wo das Ziel ist, erläutert Contala. „Der große Unterschied: Das klassische 3D-Cad-Zeichnen mit Mauszeiger und Klickfunktionen ist nicht mehr zeitgemäß. Formen werden heute in parametrischen Formeln programmiert, die alle wesentlichen technischen Werte für eine Brille berücksichtigen. Müssen Werte angepasst werden, ändere ich lediglich einen Parameter, und das System macht ein Update. Ich muss nicht die ganze Brille nochmal neu zeichnen. Das System merkt sich die Geometrie, einzelne technische Parameter in Bezug auf Merkmale wie Brillenbreite, Nasenpads etc. lassen sich individuell verändern. Man manipuliert die Designs immer am Original, sämtliche Zwischenschritte werden übersprungen. Das ist extrem schnell und direkt. Das digitale Feedback ist viel genauer, physikalische Prototypen machen wir aber trotzdem, um letzte Feinheiten zu definieren. Der digitale Designprozess ermöglicht, mit einer größeren Gestaltungsfreiheit zu arbeiten, weil die Komplexität aus dem digitalen System kommt und man ganz anders über Formen nachdenken kann“, beschreibt Contala. Auch Toleranzen je nach Herstellungsverfahren könne man einkalkulieren, denn es sei ein Unterschied, ob eine Fassung im 3D-Druck, mittels Fräsmaschine oder mit der Spritzgusstechnik hergestellt würde: „Der große Pluspunkt liegt darin, komplette Bibliotheken mit Brillenmustern erstellen zu können, auf die bei jeder neuen Modellentwicklung zurückgegriffen werden kann und mit deren Hilfe sich Designs abgleichen und auf Basis konkreter Daten evaluieren lassen. Das schafft eine Ehrlichkeit und Identität des Designs.“
Alle Freiheit zu experimentieren
Heute hat Jan Contala im Ceralab zu tun. Er geht in den hinteren Raum, erklärt an der Druckmaschine den Herstellungsprozess der Keramiken. „Ton ist eines der ältesten Baumaterialien der Menschheit überhaupt. Neu ist, dass sich mit dem keramischen 3D-Drucker eine hohe Filigranität komplexer dreidimensionaler Formen erzielen lässt. Der Prozess ist auf den Millimeter genau kontrolliert. Eine Töpferscheibe haben wir auch, aber an der bin ich nicht so gut“, gibt er lächelnd zu. Keramik in einer neuen Dimension: Die Verarbeitung von Ton mit moderner Digitaltechnologie, das habe ihn und seinen Partner gereizt. Zu sehen, wie aus einem der meistverwendeten Materialien des Kunsthandwerks ästhetisch ansprechende und hochwertige Alltagsgegenstände entstehen.
Brachte „die Jungs“ vom Ceralab und den Tiroler Brillenhersteller zusammen: Rolf-CEO Bernhard Wolf (rechts), stellte als Dozent für Architektur an der Uni Innsbruck 2017 den Kontakt her.
Auf einem Tisch stehen große, skulptural anmutende Vasen zum Trocknen. Auffallend ist ihre interessante Facettierung, deren Ähnlichkeit mit natürlichen Oberflächen unverkennbar. „Im nächsten Schritt werden sie glasiert und in einem unserer beiden Brennöfen gebrannt.“ Jedes Keramikobjekt werde so zu einem stabilen, langlebigen und nachhaltigen Produkt, erklärt Contala. „Wir digitalisieren sozusagen das Handwerk, um die Ästhetik und das Design hervorzuheben.“ Klassische Designs ließen sich so verändern, aufbrechen, die Materialität und die Oberflächendesigns bis ins Detail akzentuieren. In ihrer eigenen Werkstatt hätten sie alle Freiheit zu experimentieren, sagt er. „Wir wollten weniger in Richtung Theorie arbeiten, sondern unsere Ideen verwirklichen.“ Inzwischen haben die Nerds diverse Standbeine, Schwaderer arbeitet eng mit dem Rolf-Team an neuen Brillenmodellen, Contala als Dozent an der Uni in Innsbruck – das sichert beiden die Existenz. „Auch das Ceralab trägt sich inzwischen selbst, wir machen immer mehr Projekte und Kooperationen, nicht zuletzt mit dem Ziel, die Verflechtung von Architektur und Natur voranzubringen.“
Nachhaltigkeit immer im Fokus
Bei aller Motivation zur Innovation geht es sowohl dem Rolf-Team als auch Contala und Schwaderer vor allem um das nachhaltige unternehmerische Handeln, die nachhaltige, regionale Herstellung der Produkte. Dass die im 3D-Druck produzierten Brillen der Tiroler in puncto Nachhaltigkeit, handwerkliche Exzellenz, Innovation und Design überzeugen, zeigen eine Reihe von Auszeichnungen, namhafte Preise wie der Materialica Award 2023, Red Dot Award im Product Design 2022, der Big Innovation Award, der Seal Business Sustainability Award oder jüngst der Award des Grands Prix du Design. Ihren Nachhaltigkeitsanspruch möchten sie zunehmend mit Partnerunternehmen im augenoptischen Fachhandel teilen. Ein kürzlich abgeschlossener Schaufensterwettbewerb habe gezeigt, dass man Augenoptik-Partner mit dem Thema emotional erreiche, sagt Roland Wolf. 130 Geschäfte in der DACH-Region, in Belgien und Holland hätten Zeit und Hingabe in die Dekoration der Fenster und die Promotion der Aktion gesteckt. Über viertausend Verbraucher gaben ihr Urteil ab. Für die Gewinner gibt es neben attraktiven Preisen ein ästhetisches Keramikobjekt aus dem Ceralab.
Letzte Frage an Jan Contala, der selbst eine Rolf- Brille trägt: Wird man eines Tages eine Brille aus Ton drucken? „Eher nein, auch wenn man den Rahmen sicher filigran herstellen könnte. Aber man muss nicht alles machen“, sagt er lächelnd hinter den Gläsern seiner Titanfassung.