„Frauen werden oft nicht als Chefinnen wahrgenommen“
Erstveröffentlicht in der DOZ 04I24
Herr Ruiner, Sie leiten seit dreieinhalb Jahren den Gründungsworkshop von Brillen-Profi. Wie hat sich in diesem Zeitraum der Anteil der Teilnehmerinnen entwickelt?
Gerd Philipp Ruiner: Erfreulicherweise ist das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Teilnehmern mittlerweile recht ausgeglichen. Aktuell zeichnet sich sogar der Trend zu mehr weiblichen Anmeldungen ab. Zum Glück, denn wir brauchen ganz dringend Frauen, die gründen. Sie stellen ein Riesenpotenzial dar, da der Markt ohne genügend Neugründungen sonst irgendwann bereinigt wird. Nach meiner persönlichen Einschätzung und den aktuell vielen Bewegungen am Markt werden viele kleine Betriebe bis 300.000 Euro Nettoumsatz in den nächsten drei bis fünf Jahren verschwinden. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass es mittelfristig immer weniger kleine, traditionelle inhabergeführte Betriebe geben wird, sondern viele mittlere bis große „Systemaugenoptiker“. Also Augenoptik-Fachgeschäfte, die aufgrund der hohen Anzahl an Betriebsstätten nach einer klaren Verkaufs- und Organisationsstruktur arbeiten und dadurch sehr kosteneffizient sind.
Im vorangegangenen Teil unserer „Frauen in Führung“-Serie ging es darum, dass Frauen anders gründen als Männer. Merken Sie das auch im Gründungsworkshop? Stellen Frauen andere Fragen, setzen sie andere Schwerpunkte?
Auf jeden Fall! Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Frauen akribischer arbeiten und oftmals mehr Daten und Fakten haben wollen, während die Männer eher mal sagen: Das wird schon funktionieren. Ich denke, das liegt zum einen daran, dass Frauen weniger risikofreudig sind, zum anderen aber auch daran, dass sie oftmals immer noch nicht als Chefinnen wahrgenommen werden und damit mehr Präsenz zeigen müssen...
Gründungswillige Frauen mit Kindern haben dabei vermutlich mit noch größeren Vorurteilen zu kämpfen?
Ich hatte bereits Frauen mit Kind und Kegel in den Workshops sitzen. Wichtig war für diese Frauen eine gute Kinderbetreuung - aber ein oder sogar mehrere Kinder zu haben, war für sie definitiv kein Hindernis. Je verfestigter das aufgebaute Netzwerk um die Unternehmerin herum, desto besser ist sie auch auf eventuelle Krankheitsfälle der Kleinen vorbereitet. Als letzte Instanz kommt das Kind mit in den Betrieb und schnuppert so früh die Luft der Augenoptik – was mir auch viele Unternehmer und Unternehmerinnen in meinem Alter erzählen. Es hat nicht geschadet!
Was sicher auch ein großer Punkt ist: Man muss lernen, manche alltäglichen Themen an einen externen Dienstleister zu vergeben und dies auch zuzulassen. Als Beispiel hat mir eine erfolgreiche Unternehmerin erzählt, dass sie ihre Fenster zweimal pro Jahr von einer professionellen Fensterreinigungsfirma putzen lässt – ergo Zeit für die Familie. Oder eine andere lässt sich - heute gut möglich - die Lebensmittel nach Hause liefern. Das schwäbische Herz sagt hier: „4,50 Euro Liefergebühr!?“ Aber es ist wieder ein Zeitgewinn! Erfolgreiche Kolleginnen finden immer smarte Lösungen, um ihre persönlichen Vorstellungen umzusetzen. Dies gilt übrigens auch für die männlichen Gründer. Auch hier hat sich die Anforderung an das Bild als Ehemann, Papa und Unternehmer grundlegend verändert – zum Positiven, wie ich finde.
Solche Tipps geben Sie an die Teilnehmerinnen in Ihren Gründungsworkshops sicher auch weiter – doch worin liegen die Schwerpunkte der Veranstaltung?
Wir geben den Teilnehmerinnen - wie natürlich auch den Teilnehmern - die Möglichkeit zu networken. Sich untereinander kennenzulernen und über Sorgen und Ängste austauschen zu können, hilft bei einer Gründung sehr. Genauso wichtig ist aber auch das eigene Mindset. Das heißt, jede Gründerin und natürlich auch jeder Gründer sollte sich folgende Frage stellen: Wie muss ich mich selbst aufstellen, um zu gründen, gesund zu bleiben und erfolgreich zu sein? An dritter Stelle kommen für uns die Bilanzen und Zahlen. Was muss ich bei einer betriebswirtschaftlichen Auswertung beachten und wie lese ich diese? Zusammen mit dem Marketing sind das unsere vier wichtigsten Schwerpunkte, um Gründerinnen - und Gründer - perfekt auf diesen bedeutenden Schritt vorzubereiten. Und dann muss man halt anfangen und diesen ersten Schritt machen!
Das Gespräch führten Lisa Meinl und Tom Theilig
Die DOZ verlost unter ihren – gründungswilligen – Leserinnen eine Online- Beratung bei Gerd Philipp Ruiner. Dabei ist es unerheblich, in welchem Gründungsstadium Sie sich gerade befinden oder ob Sie Ihren Betrieb vielleicht vor kurzem schon gestartet haben und ein ganz konkretes (Gründungs-)Problem besprechen möchten. Interessentinnen schicken eine kurze Bewerbungsmail (Name, Alter, Kurzbeschreibung des Gründungsvorhabens) an redaktion@doz-verlag.de; Betreff: Gründungsberatung. (Rechtsweg ausgeschlossen)