Kinder und Myopie-Management: Empathie ist der Schlüssel
Der Umgang mit den "kleinen Erwachsenen" ist für ein erfolgreiches Myopie-Management besonders wichtig.
Erstveröffentlichung in der DOZ 05I24
Manchmal passiert es sogar, während Stefanie Schier, Diplom-Ingenieurin für Augenoptik und Optometristin, gerade mit erwachsenen Kunden am Beratungstisch zusammensitzt: Ein Kind kommt herein, läuft zu ihr und drückt sie ganz fest, um dann genauso plötzlich wieder durch die Ladentür zu verschwinden. Andere bringen ein selbstgemaltes Bild mit oder winken ihr fröhlich zu, wenn sie mit ihren Eltern beim Bummel durch die Nürnberger Altstadt an den Schaufenstern vorbeispazieren. Der Dank, den die 53-Jährige dadurch erfährt, ist für sie das Schönste an ihrer Arbeit mit den kleinen Kunden. „Es zeigt mir, dass Kinder, die sich beim Erstkontakt vielleicht noch hinter dem Rücken ihrer Mutter versteckt haben, nun Vertrauen gefasst haben.“ Viele freuen sich dann auch schon auf das Wiedersehen und fragen direkt, wann sie denn ihre Brille abholen dürfen.
Ihre Kunden versorgt Stefanie Schier bei „Herr Menig Junior“, dem Ableger des schräg gegenüber befindlichen Hauptgeschäfts „Herr Menig Optik“ in der Oberen Wörthstraße. Dort ist sie in Teilzeit angestellt und die Kinderspezialistin im dreiköpfigen Team – wobei sich je nach Auslastung auch die anderen beiden um die Jüngsten kümmern, circa 20 Prozent der gesamten Kundschaft. Herr Menig Junior ist komplett kindgerecht eingerichtet, so lässt sich unter anderem auch der Spiegel an einer Leiter auf verschiedene Höhen einstellen. Weil sich hinter dem Verkaufsraum ein extra Raum für die Augenprüfung befindet, können hier Kinder und Erwachsene ungestört untersucht werden.
Erfolgreich mit Empathie und guter Vorbereitung: Stefanie Schier musste noch nie eine Augenprüfung bei einem Kind abbrechen.
Sicherheit vermitteln und von Angst ablenken
Mit ihrer zweiten guten Nachricht vermittelt Stefanie Schier den Kindern gleich zu Beginn, dass gar nichts schiefgehen kann und sie jederzeit Fragen stellen, mit ihr über alles reden können. Schon dadurch werden sie entspannter. „Ganz wichtig ist es auch, den Kindern immer zu erklären, was man gerade macht.“ Wenn ein Kind etwas hibbeliger ist, gibt sie ihm bei der Augenprüfung etwas zum Festhalten in die Hände. Dazu hat sie stets ein hilfreiches Spielzeug parat: „Schnecki“ – eine Schnecke mit zwei sehr großen Augen. Ist ein Junge oder Mädchen sehr schüchtern, wird beispielsweise der Cover-Test erst einmal an Schnecki durchgeführt und dann erst am Kind. Bei Kleinkindern rät die Optometristin den Eltern, zum Termin ein eigenes Kuscheltier mitzubringen, und zeigt dann an diesem alles, was während der Untersuchung passiert.
Auch um den Kindern womöglich doch noch vorhandene Ängste vor Schmerzen zu nehmen, hat Stefanie Schier ihre Tricks entwickelt. Bevor sie etwa das Skiaskop am Auge anwendet, erklärt sie: „Schau mal, ich habe hier ein Lichtband“, richtet dieses behutsam auf die Hand des Kindes, lässt es dieses anschauen und sagt: „Siehst du, das spürst du gar nicht. Und damit schaue ich jetzt seitlich in Deine Augen. Du brauchst einfach nur nach vorn zu schauen, es passiert Dir nichts, arbeiten brauche nur ich.“ Ihr Patentrezept also: Immer das Kind einbinden und dabei auf eine angemessene Wortwahl achten. „Viele Formulierungen, wie wir sie bei der Augenprüfung von Erwachsenen verwenden, verstehen die Kleinen noch gar nicht. Außerdem sorgt es für mehr Nähe, wenn man ihre Sprache spricht.“ Anstatt wie bei Erwachsenen „Wird es jetzt besser und schärfer oder nur kleiner und schwärzer?“, sagt sie zum Beispiel „Schau mal, kannst du es jetzt wirklich besser erkennen oder wird es blöder?“
ADHS und andere Herausforderungen
Stefanie Schier strahlt viel Ruhe aus und liebt es, mit Kindern umzugehen, das ist der zweifachen Mutter sofort anzumerken. Ihre beiden Söhne sind inzwischen 21 und 22 Jahre alt, beruflich hat sie bereits seit 1997 viel mit Kindern zu tun. Kommt es nicht trotzdem ab und zu vor, dass sie bei einem schwierigen Jungen oder Mädchen an ihre Grenzen stößt? „Natürlich habe ich so etwas schon erlebt, doch auch damit kann man lernen umzugehen. Bisher musste ich daher noch nie eine Augenprüfung abbrechen.“ Als besondere Herausforderung beschreibt sie beispielsweise ADHS-Kinder, weil diese zwar immer sehr interessiert an allem, aber auch besonders unruhig seien und gern viel redeten. Mit geschickter Ablenkung bringt sie dann mehr Ruhe in die Situation, zeigt ihnen zum Beispiel ein mit dem Autorefraktometer gemachtes Bild und erklärt, was darauf zu sehen ist. Oder nutzt Situationen während des Testens, indem sie etwa das Einwechseln eines Polfilters als Wow-Effekt zelebriert, weil man damit einen Strich wegzaubern kann. „Wenn sie sich auf etwas fokussieren können, werden auch hyperaktive Kinder ruhiger. Auch etwas Körperkontakt kann hilfreich sein.“ Merkt sie, dass das Kind trotz allem ungeduldig wird, legt sie ihm zum Beispiel beruhigend die Hand auf die Schulter und sagt: „Schau mal, so viel Zeit – zeigt es mit den Händen – brauchen wir, und davon haben wir nun schon sooo viel geschafft. Dieses kleine Stück, das schaffen wir auch. Komm, wir konzentrieren uns jetzt noch einmal ganz kurz.“
Dieses Wortspiel muss sein: Keiner kann bei Niemand besser mit Kindern als Bernhard Peuckert.
Auf viel Zeit und Aufmerksamkeit kommt es an bei der Versorgung von Kindern mit Sehhilfen. Erstere lässt sich durch Übung und Erfahrung sinnvoll nutzen, zweitere muss durch das eigene Verhalten erzeugt werden. Dies weiß auch Bernhard Peuckert, Augenoptiker und Optometrist (M.Sc.) bei „Niemand Optik“ in Berlin. Für sukzessive Messungen, wie etwa mit dem Myopia Master, wo besonders das Risiko besteht, dass unruhiges Sitzen oder eine instabile Kopfhaltung das Ergebnis verfälscht, hat er einen einfachen und effektiven Tipp: „Mit dem ersten Auge starten, dann Funktionsprüfungen oder Skiaskopie einschieben und das zweite Auge mit Zeitabstand danach messen.“ Auch die Kontaktlinsenanpassung sieht er als Projekt, das man zusammen mit dem Kind erfolgreich plant und durchführt. „Besonders bei Ortho-K hilft es zu zeigen, dass man selbst dazu bereit ist, sich eine Linse aufzusetzen. Vorher sollte klar sein, dass es immer zu Fehlversuchen kommen kann. Übung und Motivation siegen aber am Ende über Unsicherheiten.“ Um zu demonstrieren, wie es funktioniert, setzt er seine eigenen Nachtlinsen ein. Damit zeigt der 30-Jährige, wie schnell es gehen kann und wie unkompliziert es ist, wenn man erst einmal etwas geübt hat. „Notwendig ist das aber nur, wenn ich unsichere Kinder vor mir sitzen habe. Meistens sind es die Eltern, die auf diese Weise beruhigt werden müssen.“
Welche Worte er wählt, hängt immer vom Kind und der jeweiligen Anpassung ab. „Generell läuft es so, dass ich den Kindern und Eltern den Ablauf erkläre und je nach Alter auch die Eltern im Auf- und Absetzen schule. Dafür nehme ich mir Zeit und sorge für eine ruhige Umgebung.“ Wenn Kinder sehr unruhig oder aufgeregt sind, vielleicht sogar befürchten, etwas nicht zu schaffen, bietet Bernhard Peuckert immer Wiederholungstermine an. „Das muss auch unbedingt von mir kommen, so dass weder Kinder noch Eltern sich überwinden müssen, nach etwas mehr Übungszeit oder einem neuen Termin zu fragen.“ In der Regel sei es so, dass Kinder keine Angst vor den Kontaktlinsen haben, sobald er mit ihnen schon ein Kennenlerngespräch geführt, die Messung vorgenommen und dabei Vertrauen aufgebaut habe. Sie reagieren dann vielmehr eher mit Interesse und Neugier, fragen zum Beispiel „Wie nehme ich die Linse raus?“ oder „Darf ich das nun direkt alleine machen?“
„Zu Fehlversuchen kann es immer kommen. Übung und Motivation siegen aber am Ende über Unsicherheiten.“
Extra-Anamnese mit dem Kind
Stefanie Schier von Herr Menig Augenoptik hat ihre eigenen Methoden für den Umgang mit Mamas und Papas entwickelt – anders als Kollegen, die es auch eher so handhaben, dass sie die erwachsenen Begleitpersonen während der Augenprüfung hinausschicken. Vielmehr bezieht sie beide Seiten bereits bei der Anamnese ein, indem sie dieses Vorgespräch direkt mit dem Kind durchführt, während die daneben sitzenden Eltern ihre Antworten auf einem eigenen Fragebogen notieren. So merkt sie auch schon, wie sie interagieren und spielt dabei dem Kind die Hauptrolle zu. „Wenn die Eltern trotzdem auch immer für ihr Kind antworten wollen, sage ich zum Beispiel: ‚Der Luis schafft das bestimmt, und die Mama hat ihr eigenes Blatt‘, dann sind die Eltern meistens schon leise“, berichtet sie schmunzelnd. So baut sie bereits das Vertrauen des Kindes auf, bevor die Augenprüfung beginnt, und erhält obendrein umfassende Informationen. „Manchmal schätzt sich das Kind selbst auch anders ein als die Eltern. Wenn die Antworten abweichen, weiß ich, dass die Erwartung der Eltern wohl zu hoch ist oder sie zum Beispiel gar nicht wissen, dass ihr Sohn immer Kopfschmerzen bei den Hausaufgaben bekommt oder Doppelbilder hat. „Das ist meistens für das Kind ganz normal und es wurde einfach bis jetzt nicht danach gefragt“. Im normalen Augenoptikbetrieb, räumt sie ein, ist solch ein Vorgehen oft nicht machbar. Weil dies viel Zeit kostet und auf den ersten Blick unwirtschaftlicher ist, fristet die Kinderoptometrie nach ihrer Einschätzung noch immer ein Schattendasein. Ungefähr eine Stunde benötigt sie pro Kind, so der Mittelwert. „Da habe ich aber noch keine Brille herausgesucht.“
Sozusagen der Nachwuchs von „Herr Menig Optik“: Von den Farben bis zum Mobiliar ist bei „Herr Menig Junior“ alles kindgerecht eingerichtet.
Trotzdem rentiert sich die Arbeit mit den kleinen Kunden, davon ist Stefanie Schier überzeugt. „Wenn man ein Kind glücklich macht, gewinnt man nicht nur Eltern oder andere Familienmitglieder als Kunden – es spricht sich in der Kita oder Schule ganz schnell herum. Man kann sich so von der Konkurrenz super abheben.“ Ihr Wissen in Sachen Kinderoptometrie und ihrer Wirtschaftlichkeit hat sie bereits in Webinaren vermittelt. Auch hilft sie gern anderen Augenoptikern, eventuelle vorhandene Hemmschwellen zu überwinden. Die augenoptische Versorgung von Kindern sei oft sogar einfacher als bei den Erwachsenen, was viele unterschätzten. „Die Kleinen antworten viel direkter und aus dem Bauchgefühl heraus, während Erwachsene dazu neigen, zu viel nachzudenken und es damit komplizierter machen. Auch deswegen liebe ich die Kinderoptometrie ganz besonders.
„Kinder antworten direkter und aus dem Bauch heraus. Das macht die Versorgung oft einfacher als bei Erwachsenen.“
Autorin: Christine Lendt
ist freie Journalistin und Fachautorin mit einem Schwerpunkt im Bereich Ausbildung und Beruf / Karriere / Arbeitsschutz. Sie hat bereits etliche Beschäftigte, Experten und andere Wirtschaftsakteure aus der Augenoptik interviewt und entsprechende Themen realisiert.