"Homeoffice? Die Arbeit findet in unseren Betrieben statt!"
Giovanni Di Noto (r.), Obermeister der Landesinnung der Augenoptiker und Optometristen in Niedersachsen und Bremen, und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil beim Besuch der Fachakademie in Hankensbüttel.
Erstveröffentlicht in der DOZ 12I24
Seit acht Jahren bin ich Landesinnungsobermeister und sehe meine Aufgabe als Ehrenamtsträger darin, die Rahmenbedingungen der Augenoptik wieder zukunftsfähig zu machen. Dazu habe ich in den vergangenen Monaten zahlreiche politische Gespräche auf Bundes- und Landesebene geführt. Was bremst den wirtschaftlichen Erfolg der Branche? Fachkräftemangel und überbordende Bürokratie!
Seit 33 Jahren bin ich selbstständig. Mein wirtschaftlicher Erfolg ist direkt mit qualifizierten, motivierten Mitarbeitern verbunden. Fachkräftemangel in der Augenoptik begleitet schon lange jeden Selbstständigen. Durch die bald ausscheidenden Baby-Boomer in Kombination mit fehlendem Nachwuchs wird sich dieser noch verschärfen. Ein weiterer Grund ist die gestiegene gesellschaftliche Wertschätzung von Abitur und Studium. Daher müssen der Einsicht, dass Ausbildung und Studium gleichberechtigt behandelt werden müssen, endlich auch politisch Taten folgen. Die niedrigen Geburtenzahlen von 2000 bis 2010 werden in den nächsten zehn Jahren dazu führen, dass dem gesamten Ausbildungsmarkt jährlich etwa 100.000 junge Menschen weniger zur Verfügung stehen. Der Wettbewerb um jeden Einzelnen wird daher noch größer. Seit Corona stehe ich zusätzlich mit „Homeoffice-Arbeitsplätzen“ im Wettbewerb. Laut aktuellen Erhebungen wird der Anteil solcher Arbeitsangebote noch steigen. Hinzu kommt, dass im Koalitionsvertrag der Bundesregierung sogar festgelegt ist, dass es ein „Recht auf Homeoffice“ – abhängig vom jeweiligen Beruf – geben soll. Dies führt dazu, dass sich unsere qualifizierten Fachkräfte noch öfter von der Augenoptik abwenden. Die Arbeit findet in unseren Betrieben statt!
Mitarbeiter fühlen sich benachteiligt
Während einer Sehtestaktion im niedersächsischen Landtag konnte ich den politischen Vertretern persönlich darlegen, dass Homeoffice in unserem Beruf nicht möglich ist. Ich verdeutlichte, dass ein als quasi selbstverständlich kommuniziertes, allgemeines „Recht auf Homeoffice“ einen erneuten Nachteil für uns als Gesundheitsberuf im Wettbewerb um Berufseinsteiger bewirkt und auch zu einer zusätzlichen Abwanderung gut ausgebildeter Handwerker in die Industrie beziehungsweise in Unternehmen führt, die diesem Wunsch entsprechen können. Nur weil in der Augenoptik kein Homeoffice möglich ist, heißt das ja nicht, dass unser Personal dieses „Recht“ nicht einfordert. Eine Tätigkeit in unserer – für die allgemeine Gesundheitsvorsorge wichtigen – Branche wird somit unattraktiver, weil sich die Mitarbeiter gegenüber anderen Branchen ein weiteres Mal gesellschaftlich und strukturell benachteiligt fühlen. Das Angebot der SuperVista AG mit der Remote-Refraktion ist auch eine Konsequenz dieses politischen Handelns. So wird die Meisterpräsenz in einem gefahrengeneigten Gesundheitshandwerk in den brillen.de-Betrieben aus meiner Sicht illegal umgangen und zusätzlich das „homeofficewillige“ Personal den sich an die Vorschriften der Handwerksordnung haltenden Augenoptikbetrieben abgeworben.
Aber eine erfolgreiche Selbstständigkeit für uns alle wird nicht nur durch dieses politische „Wahlkampfthema“ immer schwieriger. Wir alle leiden unter den weiter steigenden bürokratischen Vorgaben des Gesetzgebers. Anhand von Zahlen meines eigenen Unternehmens konnte ich der Politik verdeutlichen, dass dies nicht mehr zumutbar ist und unseren Beruf – und damit die Gesundheitsvorsorge der Bevölkerung – gefährdet.
Der bürokratische Aufwand für einen Brillenauftrag hat sich seit 2010 von 12 auf 67 Minuten mehr als verfünffacht
Der Zeitaufwand eines Brillenauftrags hat sich in meinem Unternehmen von 2010 bis 2024 massiv erhöht. Während ich 2010 noch ca. 86 Minuten für den Handwerksauftrag und ca. 12 Minuten für Bürokratie (also insgesamt ca. 98 Minuten) je Brillenauftrag aufwenden musste, sind es 2024 ca. 78 Minuten für den gleichen Handwerksauftrag – weil sich der Zeitaufwand durch technische Neuerungen verringert hat und ca. 67 Minuten an bürokratischen Vor- und Nachbereitungen. Während sich also wegen technischer Vereinfachungen der zeitliche Arbeitsaufwand je Auftrag verringert hat, hat sich der bürokratische Aufwand mehr als verfünffacht. Bei vergrößernden Sehhilfen steigt der bürokratische Aufwand aufgrund noch höherer Anforderungen für KVAs, Genehmigungsverfahren und Dokumentationspflichten um nochmals 17 Prozent.
Mit diesem Beispiel konnte ich bei meinen Ansprechpartnern ein Bewusstsein für unsere Probleme schaffen. Das ist meine Aufgabe als Landesinnungsmeister. Es heißt nicht umsonst: „Steter Tropfen höhlt den Stein.“ Jeder kann und muss seinen politischen Ansprechpartnern deutlich machen, was eine einfache politische Entscheidung für ihn als Selbstständigen bedeutet. Nur als Gemeinschaft können wir etwas ändern.
Was ist Ihre Meinung zum Thema Fachkräftemangel und Bürokratie?
Schreiben Sie uns: redaktion@doz-verlag.de
Autor: Giovanni Di Noto
ist seit 2019 Obermeister der Landesinnung der Augenoptiker und Optometristen in Niedersachsen und Bremen. Außerdem führt er zwei Fachgeschäfte in Bückeburg und Bad Eilsen.