HHVG – Subjektiv betrachtet: Eine Farce
Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) in Berlin hat das beschlossen, was Viele befürchtet hatten und mindestens so Viele kaum glauben konnten: Im Zuge des neuen Heil und Hilfsmittelversorgungsgesetzes (HHVG) musste auch eine neue Hilfsmittelrichtlinie her, die die Versorgungsdetails nach den Vorgaben des HHVG regelt. Und die wurde am 20. Juli einheitlich mit der Regelung angenommen, dass die Augenoptiker weder die Erst noch die Folgeversorgungen bei Kunden feststellen dürfen, wenn sie mit der Krankenkasse abrechnen möchten.
Ausgenommen davon sind nur Ersatzversorgungen in Folge von Bruch oder Verlust innerhalb der ersten drei Monate nach dem Arztbesuch ohne Änderung der Refraktionswerte. Das gilt auch für Ersatzbeschaffungen bei Verlust oder Defekt innerhalb von drei Monaten ohne Änderung der Linsenwerte für Kontaktlinsen zur Verbesserung der Sehschärfe. Eine Entscheidung, die Konsequenzen nach sich zieht! Eine Entscheidung, die praxisfern ist. Ein Beschluss, der unter anderem für den Zentralverband der Augenoptiker und Optometristen (ZVA) nicht nachvollziehbar ist, der für Enttäuschung, gleichwohl aber für alles andere als Tatenlosigkeit auf Verbandsseite sorgt. ZVAPräsident Thomas Truckenbrod schlägt im Editorial dieser Ausgabe ebenso deutliche Worte an wie ZVAGeschäftsführer Dr. Jan Wetzel: Wenn die Richtlinie in Kraft trete, könne und werde der Verband jene rechtlichen Schritte einleiten, die bereits seit geraumer Zeit in Vorbereitung sind.
Denn überraschend kam der Beschluss des GBA nicht, und so hatte der ZVA wie auch einzelne Augenoptiker und Optometristen bereits im Vorfeld angekündigt, rechtliche Schritte gegen eine solche Entscheidung vornehmen zu wollen. Soweit muss es nicht unbedingt kommen, denn der Beschluss liegt nun zunächst einmal dem Bundesgesundheitsministerium vor. Innerhalb von zwei Monaten kann das die Entscheidung wieder kippen. So oder so aber scheint das letzte Wort noch lange nicht gesprochen zu sein in der Story HHVG.
Frühestens ab September gültig
Ungeachtet einer möglichen juristischen Klärung, ist die Richtlinie frühestens ab Ende September gültig. Sollte das Bundesgesundheitsministerium keine Einwände erheben, tritt sie mit der Bekanntmachung im Bundesanzeiger in Kraft. Dann müssen alle Kunden mit einem Refraktionsfehler in der Ferne von mehr als sechs Dioptrien oder mehr als vier Dioptrien Astigmatismus eine ärztliche Verordnung für ihre Brillen oder Kontaktlinsen haben: Vorausgesetzt sie möchten, dass für die entstehenden Kosten die Gesetzliche Krankenkasse aufkommt – daran sei hier noch einmal erinnert. Bei Kindern und Jugendlichen reicht wie bislang zwar ein Berechtigungsschein, aber auch nur dann, wenn die Korrektionswerte unter den oben genannten liegen.
Es bleibt die Hoffnung, dass das Bundesministerium für Gesundheit mit Blick auf die Vergangenheit Vernunft walten lässt, denn bei einem Einspruch in Berlin muss der GBA eine neue Runde einleiten und die Richtlinie noch einmal überarbeiten. Zwar ist auch dann nicht mit einer Kehrtwende zu rechnen, aber möglicherweise kommt dann am Ende eine Richtlinie heraus, die weniger den Maximalforderungen der Augenärzte entspricht. Selbst der Vorsitzende des Berufsverbandes der Augenärzte hatte der DOZ gegenüber vor wenigen Wochen Kompromissbereitschaft angedeutet: „Bei der Folgeversorgung könnte ich mir einen Kompromiss vorstellen, sodass die erwachsenen Patienten innerhalb von beispielsweise ein oder maximal zwei Jahren auch ohne erneuten Besuch beim Augenarzt eine neue Brille mit Krankenkassenleistung erhalten können, wenn der Optiker keine Sehminderung oder deutliche Refraktionsänderung feststellt“, erklärte Professor Bernd Bertram im DOZInterview (online unter www.dozverlag.de). Möglicherweise eine Nebelkerze und ohnehin nur ein schwacher Trost, auch für den ZVA. Im für Innungsmitglieder erscheinenden ZVAReport stellt der Geschäftsführer klar: „Der Verbraucher wird zu einer Vorsorgeuntersuchung genötigt, obwohl er eigentlich nur eine neue Brille braucht. Und wenn er sich hat untersuchen lassen, dann kann es gut sein, dass sich seine Netzhaut ein paar Tage später dennoch löst. Als Gegenleistung hat er dafür aber drei Monate auf einen Arzttermin gewartet und Refraktionsdaten erhalten, die noch einmal eines „Feinabgleichs“ durch den Augenoptiker bedürfen.“
G-BA sieht erhöhte Gefahr
Natürlich sehen das die Mediziner anders. Offensichtlich hatte auch Professor Josef Hecken – als Leiter des GBA genießt er den Rang eines unparteiischen Vorsitzenden – eine andere Meinung. Es sei dahin gestellt, ob das eine überraschende Tatsache ist, bemerkenswert ist aber ganz sicher, dass selbst die Stimmberechtigten der Gesetzlichen Krankenkassen gegen die in dieser Form beschlossene Richtlinie gestimmt haben. Professor Heckens und die Meinung des GBA zum Beschlusstext und zu den „Tragenden Gründen“ sind hier nachzulesen, in Kurzform könnte Heckens Erklärung „im Sinne der Ärzte und Patientenvertreter“ zusammengefasst lauten: Menschen mit hohen Fehlsichtigkeiten sind einer erhöhten Gefahr ausgesetzt, komplexe Augenerkrankungen zu erleiden. Außerdem sind von der neuen Regelung nur sehr wenige Menschen betroffen. Wörtlich heißt es in der Begründung: „Die Patientinnen und Patienten können gerade bei den hohen Refraktionsfehlern meist nicht differenzieren, ob ihre Sehbeschwerden durch einen schlechten Zustand ihrer Brillengläser, eine Änderung der Refraktion (Dioptrienzahl), eine neue Augenkrankheit oder eine Zustandsänderung bei einer bestehenden Augenkrankheit verursacht sind.“ Die Patienten vielleicht nicht, die Kunden übrigens auch nicht. Sie wissen mitunter aber auch beispielsweise nicht, dass ihre Nacken und Kopfschmerzen nicht durch Massagen behandelt werden müssen. Die Zeilen enttarnen eher das Problem, dass im GBA die Gesundheitshandwerker kein Stimmrecht haben und dass zumindest die Augenärzte ihren Kollegen im Sinne einer guten Sehversorgung nicht über den Weg trauen und ihnen Kompetenz abstreiten: Ihre Kompetenz!
Der ZVA sieht diese Begründung rein formal als sachlich falsch an und bemängelt zu Recht, dass die Kompetenz und das Knowhow der Augenoptiker nicht im Ansatz gewürdigt beziehungsweise in Zukunft gefragt seien. Professor Bertram hatte den DOZLesern dazu seine Meinung bereits vor Wochen verraten. In der Regel könnten Augenärzte und Augenoptiker sehr gut zusammenarbeiten, „weil die große Mehrheit der Augenoptiker die Grenze ihrer Profession beachtet und nicht versucht, in die Augenheilkunde einzudringen“. Dass sich die Meinung des GBA in seiner Gesamtheit und die der Vertreter der Augenärzte kaum unterscheiden, war schon lange zu befürchten und in dem gesamten Ablauf im Zuge der Änderungen des HHVG und der nun beschlossenen Richtlinie zu erkennen. Förmlich greifbar wird das noch einmal in den Worten von Professor Hecken in der schriftlich niedergelegten Beschlussbegründung, die beinahe exakt so seit Wochen der DOZRedaktion bereits von Professor Bertram vorliegt. „Patientinnen und Patienten gehen aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrung mit der stärker werdenden Kurzsichtigkeit beim Auftreten einer neuen mit der hohen Myopie assoziierten Augenkrankheit meist fälschlich davon aus, dass nur eine neue stärkere Brille erforderlich sei.“ Erneut bleibt der Augenoptiker und erst Recht der Optometrist außen vor.
So oder so, das letzte Kapitel in Sachen HHVG und Verordnungsrecht für Augenoptiker ist noch nicht geschrieben, sind wir ehrlich, das war doch eigentlich schon vor dem 20. Juli und dem Beschluss des GBA klar. Die DOZ wird weiterhin darüber berichten, so gut es geht objektiv. Denn natürlich sind wir nicht nur unserer Branche verbunden, sondern auch rein subjektiv der Meinung, dass die Entwicklung in die völlig falsche Richtung geht. Gäbe es nicht den ernsten Hintergrund, wäre Farce wohl die korrekte Bezeichnung. Noch einmal unterstrichen durch ein BertramZitat: „Wir wollen leben und leben lassen, das reine Refraktionieren von einfachen Fällen kann man lernen.“
Richtig, mancher lernt es an zwei Wochenenden, andere in Theorie und Praxis über Monate und Jahre.
UPDATE: Nach dem Beschluss des G-BA setzte eine zweimonatige Frist ein, in der das Gesundheitsministerium die Richtlinie prüfen und gegebenenfalls beanstanden kann. Im Rahmen dieser aufsichtsrechtlichen Prüfung hat das Ministerium nun in fünf Punkten ergänzende Auskünfte vom G-BA eingefordert. Bis diese Auskünfte durch den G-BA erteilt werden und beim Ministerium eingehen, ist die zweimonatige Beanstandungsfrist unterbrochen.
Mehr Infos dazu gibt es in diesem aktuellen Bericht hier im Portal.