Paris lebt Mode und steckt an

Besucher strömen in die Ausstellungshallen der Silmo in Paris.
50 Jahre Silmo. Die Messe lockte in diesem Jahr mit einer „xtrashow“ und erntete beste Stimmung unter den Gästen und Ausstellern.
© Silmo

Yves sieht ziemlich gut aus. Ganz offensichtlich achtet er auf sein Äußeres, und ganz gewiss hat er auch Ahnung, was ihm steht. Er ist einer dieser Menschen, die von ersten Moment an Eindruck machen: höflich und smart, wortgewandt und witzig, so wie vermutlich alle Männer Anfang der Vierzig gerne wären. Yves ist zudem Augenoptiker und bereits zum neunten Mal hintereinander bei der Silmo in Paris. Er trägt zwar keine Brille, aber er designt selber Fassungen. Yves Jens Leipe ist auserkoren, uns über die Silmo 2017 zu führen.

Yves Jens Leipe
Yves Jens Leipe ist bekennender
Messe- und Silmo-Fan.In Paris
will ersich "inspirieren lassen
und neue Trends entdecken".
©privat

Ein Blick in den Kalender des Berliners, der in der Hauptstadt zwei Geschäfte sein Eigen nennt, offenbart noch ein gewisse Flexibilität. Yves Jens Leipe hat natürlich vorab Termine mit bestimmten Designern und Lieferanten gemacht, aber er achtet darauf, Freiräume zu haben, um in den beiden weitläufigen Hallen des Messezentrums Villepinte im Norden der französischen Hauptstadt auf Entdeckungsreise zu gehen: „Um auszuruhen, um mich inspirieren zu lassen und um neue Trends zu entdecken.“ Das meint Leipe genauso, wie er es sagt. Und deswegen ist er zwar auch dieses Mal an jedem der vier Messetage von früh bis spät in den Gängen unterwegs; jedoch ohne sich unter Druck zu setzen, alles sehen zu müssen, wenngleich er trotzdem den Versuch unternimmt. „Die gut gegliederten Messehallen bieten ausreichend Platz für Aussteller und Besucher. Mit wenigen Schritten stehst du im Atrium für einen Smalltalk oder für eine Sauerstoffpause und genießt die Sonne“, sagt der bekennende Messe- und auch Silmo-Fan.

Seit 2010 ist Leipe selbstständig. Nach einem guten Jahrzehnt als Angestellter fühlte er sich mutig genug, um den Alltag eines Augenoptikermeisters von einer anderen Warte aus zu erleben. „Ich wollte meinen eigenen Stress haben.“ Und da Leipe die Dinge richtig anpackt, wenn er sich dafür entschieden hat, eröffnete er mitten in Berlin seinen ersten Betrieb, umzingelt von einer Handvoll erfolgreicher Kollegen, die wie er selbst versuchen, die Kundenfrequenz im eigenen Geschäft hoch zu halten. Die Konkurrenz ist groß, auch das spornt Leipe an, wenngleich Stillstand für ihn auch privat „das Schlimmste“ ist und er schon in der Ausbildung die ersten Brillenfassungen kreierte. Um sich einen Vorsprung vor der Konkurrenz zu schaffen, kommt er nach Paris. „Auf der Silmo entdecke ich fast immer Neuheiten, deren Lieferanten dann ein, zwei Jahre später auf den deutschen Messen ausstellen und sich hierzulande zu etablieren versuchen, um ihren Kundenkreis zu erweitern.“

Nicht so leicht, richtig neue Trends zu erspähen

In diesem Jahr fällt es nicht so leicht, richtig neue Trends zu erspähen. Die „Brille nach Maß“ ist natürlich auch im fünfzigsten Jahr der Silmo interessant, erst recht durch die Möglichkeiten des 3D-Drucks. Viele Anbieter tummeln sich mittlerweile auf diesem Gebiet – durchaus erfolgreich wie das Beispiel Götti (siehe Kasten auf der folgenden Seite) zeigt. In den Kollektionen der verschiedenen Hersteller und Designer sind materialübergreifend Überschneidungen bemerkbar, das Angebot der Einzelnen wirkt breiter aufgestellt als in der Vergangenheit. Beides wird von jemanden wie Leipe nicht uneingeschränkt positiv betrachtet. „Jeder Designer und jeder Hersteller muss seine DNA behalten, auch wenn die Kollektionen wachsen. Der 3D-Druck gewinnt weiter Einfluss. Ich finde aber, das hat nur bedingt Potenzial, denn Maßbrillenfassungen gibt es schon lange, und die 3D-Technologie bleibt bislang  gegenüber der Maßbrille aus Acetat oder Titan unterlegen. Insgesamt werden die Brillenfassungen qualitativ hochwertiger, es wird wieder lauter, kräftiger – und Acetat behauptet sich weiter, kopiert manchmal schon dünnrandiges Metall.“ Das sei auf dem Vormarsch, eine Abkehr vom Acetat ließe auch diese Silmo nicht erkennen.

Besucher lassen sich von den Ausstellern beraten
Bei der Silmo und anderen Messen treffen sich Kollegen, nicht
nur Konkurrenten. ©Silmo

Die Mode und die Brillenfassungen stehen traditionell und so auch in diesem Jahr wieder im Mittelpunkt des Messegeschehens in Paris. Geschätzt stellen vielleicht zwanzig Prozent der Anbieter Kontaktlinsen, Geräte oder sonstige branchenrelevante Dinge aus. Der Trubel auf den Gängen nimmt deutlich ab, wenn der interessierte Besucher die Bereiche der Hallen durchquert, in denen die Brillenmode keine Hauptrolle spielt. Was nicht heißen soll, dass an den Messeständen dann nichts los ist. In Halle 6 reihen sich rechter Hand vom Besuchereingang hauptsächlich chinesische und japanische Aussteller auf. Hier sieht man sowohl bücherlesende wie auf der Theke ruhende oder mit Stäbchen bewaffnete Menschen, als auch hektische, emsige und „wild“ verkaufende Standbesetzungen, deren Ausstellungsfläche vor lauter Käufern kaum mehr zu erkennen ist. „Klein-Asien“ ist für Leipe nichts, zumindest kauft er dort nicht ein. Hier wird Masse geboten, der Berliner sucht Klasse.

Paris ist eine Stadt, in der Mode auch außerhalb des Messegeländes gelebt wird, sie ist auch viele Metrostationen weiter eine Selbstverständlichkeit. Die Metropole rund um den Eiffelturm ist farbenfroh; und sie steckt an. Leipe würde in dieser Konzentration der Eleganz einerseits auf- und andererseits beinahe untergehen – im Sinne von nicht mehr auffallen. Ob er im Maßanzug oder in Jeans Paris erkundet und den Messebesuch abrundet, bleibt jedoch häufig der Theorie überlassen: Auch dieses Mal fällt der Stadtrundgang während der Messetage wieder flach, er bleibt bis zum Schlussgong am Montag auf der Silmo. An Modeeindrücken mangelt es ihm dennoch nicht, auch wenn so manche dargebotene Kollektion für viele deutsche Augenoptiker dann doch zu ausgefallen sein könnte. „Dazu muss man wissen, dass viele sehr stark colorierte Fassungen oft auch in dezenteren Farben erhältlich sind.“ Leipe fragt nach, er verhandelt – jedoch weiß er um seinen Standortvorteil, denn daheim verkaufen sich auch mal schrille Farben. „Die Silmo passt für mich und für meine Läden, auch im Hinblick auf meinen Einkaufsrhythmus. Wenn ich hier bestelle, kann ich schon im kommenden Januar mit der neuen Ware durchstarten.“

Besucher sehen sich Fassungen an
Das 50-jährige Jubiläum war in beiden Messehallen und bei der
Verleihung des Silmo d'Or immer präsent. ©Silmo

Überblick über internationale, individuelle und modische Angebote

Ein Besuch der Silmo dient unabhängig davon, ob der Augenoptiker in Kauflaune ist oder nicht, immer dazu, sich einen Überblick über das internationale, individuelle und modische Angebot an Brillenfassungen zu verschaffen. Die Atmosphäre lädt dazu ein, dem Kollegen über die Schulter zu schauen oder im Gespräch mit ihm die neuesten Trends zu erfahren oder alte Hüte zu enttarnen. Hier bei der Silmo treffen sich Kollegen, nicht Konkurrenten – so wie es bei vielen Messen ist. Leipe reist regelmäßig bis nach Hongkong, er sucht oft auch das Ausgefallene. „Meine deutschen Kollegen dürfen mehr Mut beweisen, es muss ja nicht gleich Übermut sein. Davon abgesehen, wer den Überblick nicht behält, der kann sich bei einer immer besser informierten Kundschaft in Sachen Beratung und mit der Auswahl an Brillenfassungen zukünftig nicht mehr behaupten.“ Behaupten wird sich die Silmo sicher, zumindest dann, wenn sie sich in den Folgejahren so gibt wie zum 50. Geburtstag. In ihrem Jubiläumsjahr zeigt sie sich strukturiert und feierlich. Das gut zehnprozentige Besucherplus zum Vorjahr ist allein betrachtet nicht aussagekräftig, doch die Stimmung bei Besuchern und Ausstellern ist ein Gradmesser. Natürlich, auch in Paris spricht so einer wie Philipe Link am Eröffnungstag auf den Gängen häufig eher Aussteller denn Besucher an. Aber an den folgenden Tagen sind Letztere an ihren Ständen gebunden und Link ist vollends in seinem Element. Der freie Agent aus Deutschland ist für den Fassungshersteller Baars unterwegs und spricht die Gäste in den Gängen aktiv und energisch auf das magnetische Scharnier an, das ohne Schraube auskommt, mehr als nur eine Spielerei sein soll und oft den Angesprochen zum Spontankunden macht. Link und Leipe kommen nicht ins Geschäft, doch beide sind begeistert von der diesjährigen authentischen Feierstimmung, die niemals aufgesetzt wirkt und die mit der Verleihung des Silmo d’Or einen wahrhaft unvergesslichen Höhepunkt parat hält.

Besuchern zeigt das Peace-Zeichen in die Kamera
Paris ist eine Stadt, in der Mode eine Serlbstverständlichkeit ist
und gelebt wird: das steckt an. ©Silmo

Ein schier unglaubliches Gebäude abseits der Champs-Élysées

Der Grand Palais ist ein schier unglaubliches Gebäude rund zehn Fußminuten abseits der Champs-Élysées. Den 3.000 Gästen der Preisverleihung bietet sich nach einer Schrecksekunde inmitten des im Jahre 1900 fertiggestellten fulminanten Ausstellungsgebäudes eine fantastische Location. Nur die Menschenschlange vor den Eingangstüren schreckt ab, zumal eine Ordnungskraft ungefragt am Ende der Warteschlange Auskunft über eine dreistündige Wartezeit bis zum Einlass gibt. Diese Menschenschlange indes möchte sich die Ausstellung zum einhundertsten Geburtstag des Fotografen Irving Penn ansehen und schlängelt sich rund um den Palast. Mitten drin geht es glücklicherweise binnen weniger Minuten hindurch, um zur Silmo-Gala zu gelagen, auch wenn sich der eine oder andere entnervte Penn-Fan mittlerweile am Einlass zum Silmo d’Or zu schaffen macht. „Einfach klasse, perfekt!“ Leipe ist begeistert, in seinem neunten Silmo-Jahr schafft er es erstmals, bei der Verleihung des  Silmo d’Or dabei zu sein. Ein stimmungsvoller Abend, an dem auch des im Frühjahr verstorbenen Philipp Lafont gedacht wird, der von seiner Nachfolgerin Amélie Morel als Präsidentin der Silmo angemessen erwähnt wird. Die Preisverleihung, so wichtig und erfreulich sie letztlich auch für die Gewinner sein mag, kann mit dem Ambiente und mit der Atmosphäre nicht mithalten – das aber ist ein Lob für die Wahl des Veranstaltungsortes und keine Kritik am Programm. „Der Abend war die Krönung der Feierstimmung rund um den runden Geburtstag der Messe“, meint Yves Jens Leipe, der es gerade eben pünktlich direkt vom Messegelände mitten in die Stadt geschafft hat.

Preisverleihung Silmo d'Or
„Die Krönung der Feierstimung“: Die Silmo-d’Or-Preisverleihung, so wichtig und erfreulich sie letztlich
auch für die Gewinner sein mag, kann  mit dem Ambiente und der Atmosphäre des Grand Palais
nicht mithalten. Das ist ein Lob für die Wahl des Veranstaltungsortes und keine Kritik
am Programm. ©Silmo