Digitale Optometrie
Im November dieses Jahres haben die Studenten Ann-Kathrin Hartmann und Frederik Alexander Krause den Hochschulpreis der Binder Optik GmbH für ihre Abschlussarbeit „Geschäftsmodelle der digitalen Optometrie“ erhalten. Die DOZ besuchte die Verleihung in der Aalener Hochschule und sprach mit den Preisträgern über digitale Optometrie, Digitalisierung und Branchenentwicklung. Die vorgestellten Geschäftsmodelle sowie einen Bericht über die Preisverleihung finden Sie in der aktuellen Ausgabe der DOZ 12|2017. Sehen Sie auch das Video zur Preisverleihung an!
DOZ: Was verstehen Sie unter „digitale Optometrie“, wo beginnt sie, wo hört sie auf?
Ann-Kathrin Hartmann: „Ein wesentlicher Bestandteil der digitalen Optometrie sind mobile Geräte und Maschinen sowie Schnittstellen, die dann mittels Internet zu smarten und intelligenten Gegenständen modifiziert werden können. So verschmilzt mehr und mehr die reale Welt mit der digitalen. Was es schwer macht, sich als Unternehmer oder auch generell als Privatperson dem Fortschritt zu entziehen und quasi zu sagen: ich mache bei diesen Trend nicht mit. Denn auf diese Weise würde man zu viel und vor allem den Anschluss verpassen. Das Schöne ist, dass die Digitalisierung viele Prozesse deutlich einfacher macht – das heißt sie macht sie schneller, effizienter und sicherer. Also gibt es viele Pluspunkte, die man hierdurch erfährt. Der Anfang der digitalen Optometrie ist individuell zu betrachten: es gibt also den Unternehmer, der sagt „Ich kann meine Datenübertragung von Gerät zu Gerät machen“ und der damit super glücklich ist. Und dann gibt es den Unternehmer für den fängt die Digitalisierung erst ab dem Moment an, ab dem er sein komplettes Unternehmen digital und von überall aus steuern kann. Das ist wirklich eine individuelle Sache. Aufhören tut sie jedoch für uns beide – wir haben darüber gesprochen – ganz klar, ab dem Moment, wo der Kunde und seine Bedürfnisse sowie Interessen nicht mehr im Vordergrund stehen. Das heißt auch ab dem Moment, wo ich nicht nur dem Unternehmen, sondern auch meinem Kunden Schaden zufügen würde oder gar schlimmer, verschiedene Personengruppen ausgrenzt würden, die meine Angebote nicht mehr annehmen können, weil sie über diese digitalen Medien beispielsweise gar nicht verfügen.“
Schaden im Sinne von Gewinneinbußen?
Hartmann: „Aus Unternehmersicht ja, aber ebenso, dass ich meine Kunden auf eine gewisse Weise verärgern könnte.“
Was ist die zentrale These Ihrer Arbeit?
Frederik Alexander Krause: „Die Kernaussage unserer Arbeit ist, dass der moderne Augenoptiker oder Optometrist mit der Zeit gehen muss und auf das riesige Thema Digitalisierung und Industrie 4.0 eingehen sollte, um konkurrenz- und wettbewerbsfähig zu sein und sich vor allem, aber auch darüber hinaus mit seinem Angebot an den Kunden, so positioniert, dass er sich von anderen Anbietern abhebt. Dazu erklären wir ausführlich die Lage der Augenheilkunde, geben Anregungen und Praxisbeispiele zur Anwendung von technischen Hilfsmitteln der digitalen Industrie und stellen Geschäftsmodelle vor, die praxisnah und realistisch sind.“
Sie sprechen von „tragfähigen Geschäftsmodellen“ für die digitale Optometrie. Wie belegen Sie diese Tragfähigkeit?
Hartmann: „Im weiteren Verlauf unserer Bachelorarbeit stellen wir Business-Cases zu den jeweiligen Geschäftsmodellen auf, die dann auch mit quantitativen Berechnungen unterstützt werden beziehungsweise denen unterzogen werden. Das heißt wir haben Finanzplanungen und Kostenkalkulationen vorgenommen. Alles bezogen auf den durchschnittlichen mittelständischen Augenoptiker. Dadurch ist für uns auch die Tragfähigkeit gegeben und letzten Endes ist es wie immer im Leben: Wendet ein Unternehmer unser Geschäftsmodell an, liegt das, was er daraus macht, in seiner Hand. Es kann kein Garant für Erfolg sein, aber wenn man es richtig anstellt, befindet man sich auf einem guten Weg.“
Es gibt in der Branche durchaus schon Tendenzen in Richtung Ihrer ausgearbeiteten Geschäftsmodelle. Sehen Sie die Augenoptik/Optometrie in puncto Digitalisierung auf dem richtigen Weg?
Krause: „Ja, wir finden sie ist auf dem richtigen Weg und gehört bereits heute zum alltäglichen Geschäftsbetrieb und das muss sie auch, um Arbeitsprozesse effektiver, flexibler und dennoch organisierter zu machen. Dennoch darf die Digitalisierung niemals zu Lasten des Kundenbedürfnisses gehen und muss sich zudem in einem sinnvollen Rahmen bewegen, diesen muss jeder Unternehmer eigenverantwortlich für sich selbst festlegen. Und man darf trotz all der Möglichkeiten nie vergessen, dass unser Berufsbild von der Persönlichkeit und Individualität lebt, die der Augenoptiker beziehungsweise Optometrist mit seinen Kunden eingeht.“
Was machen Augenoptiker und was machen Optometristen heute (noch) falsch?
Hartmann: „Erstmal möchten wir sagen, dass wir der Meinung sind, dass viele Augenoptiker und Optometristen schon vieles, vieles richtig machen, auch in Bezug auf die digitale Optometrie und, dass sie dadurch auch eine Art Vorreiterrolle einnehmen. Klar, unsere Branche unterliegt leider teilweise konventionellen Strukturen und vielen Unternehmern fällt der Ausbruch daraus schwer. Wir glauben einfach, dass manche Geschäftsleute sich nicht trauen, neue Geschäftswege zu gehen. Was teilweise auch mangelnder Risikobereitschaft und Unsicherheit geschuldet ist oder einer leider vorhandenen Resignation.“
Sie sagen, technische Innovationen verlangen nach neuen Wegen. Muss aber nicht eher das Kundenbedürfnis im Vordergrund stehen und neue Wege einfordern?
Krause: „Ich würde sagen, in dem Moment, in dem ich als Augenoptiker beziehungsweise Optometrist neue Wege gehe und innovative Technik und Geschäftsmodelle anwende, wodurch ich neue Maßstäbe setze in puncto Qualität, Effektivität, Kundenbetreuung und Aufklärung – profitieren unsere Kunden jederzeit von dem erhaltenen Angebot. Somit stehen das Kundenbedürfnis und der Kundenwunsch im Vordergrund.“
Ist dieses Kundenbedürfnis heute schon spürbar, oder ist eine Entwicklung dahin bemerkbar?
Hartmann: „Wir finden, dass man das Bedürfnis nach Digitalisierung schon länger spürt. Es ist auch so, dass beinahe jeder von uns bereits im Internet über Produkte und Dienstleistungen recherchierte, diese online vergleicht und natürlich schaut, wo es diese günstiger gibt. Schließlich hat er dann das Produkt online erworben oder in seinem Point of Sale, also in seinem Geschäft vor Ort. Es werden auch die Social-Media-Kanäle immer stärker frequentiert. Die sind auch für Unternehmen kaum noch wegzudenken, allein schon aus Werbezwecken. Daher sehen wir eben, dass der Kunde ganz klar in Richtung Digitalisierung strebt und diese auch einfordert. Es liegt dann in unserer Hand als Augenoptiker und Optometrist, die Kundenbedürfnisse immer wieder neu zu wecken und darüber hinaus in einen unabdingbaren Kundenwunsch zu wandeln, damit der Kunde letzten Endes aktiv werden kann.“
Wird der Onlinehandel häufig „verteufelt“?
Krause: „Onlinehandel sollte man trotzdem betreiben, wenn man die Zeit und die nötigen Ressourcen dafür hat. Man darf die [augenoptischen Online-Händler, Anm. der Redaktion] nicht als Konkurrenz sehen, weil sei auf einem ganz anderen Level arbeiten als der traditionelle Augenoptiker.“
Hartmann: „Denn für diesen steht die Beratungsqualität und das Persönliche im Vordergrund und er würde es zumeist gar nicht wollen, via Online-Shop quasi ein bisschen blind und unpersönlich seine Produkte an den Mann zu bringen.“
Krause: „Und man muss genau kalkulieren, weil ein Online-Shop natürlich auch Geld, Zeit und Personal kostet, besonders auch, wenn ich diesen extern betreuen lasse. Aber wenn man alles genau kalkuliert und sich richtig aufstellt, kann man jederzeit eruieren: der Onlinehandel bringt mir letztendlich was oder er bringt mir nichts und dann kann ich entscheiden – ist dies für mich und mein Unternehmen ein Konzept, das ich weiter verfolge möchte oder nicht. Wichtig ist natürlich trotzdem, Internetpräsenz zu zeigen, mein Geschäft, mein Konzept, meine Vision vorzustellen, damit Leute dies auch im Web sehen. Also wenn ich jetzt in eine neue Stadt komme und ich hab meine Brille verloren und möchte zu einem Optiker gehen, um mir eine neue Brille anfertigen zu lassen, dann werfe ich erst mal einen Blick ins Internet. Wer hat überhaupt geöffnet und wenn ich dann bereits auf der Internetseite sehe, dass die Onlinepräsenz nicht einladend, attraktiv oder sogar nicht wirklich existent ist, dann suche ich mir einen anderen Laden, vielleicht einen Filialisten.“
Hartmann: „Den man zum Beispiel aus der eigenen Stadt schon kennt.“
Welche Impulse treiben den Wandel an?
Hartmann: „Natürlich sind es die bereits angesprochenen technischen Innovationen: Cloud Computing, Zentriersysteme, 3D-Refraktion und so weiter, aber auch der demografische Wandel, der zunehmend dafür sorgen wird, dass sich die Risikopopulation mit den potentiellen Augenerkrankungen erhöhen wird. Diese Menschen müssen bestmöglich versorgt und behandelt werden, dadurch entstehen neue Aufgabenbereiche, die in der opthalmologischen Versorgung abgedeckt werden müssen. Darüber hinaus gibt es immer mehr junge Akademiker im Bereich der Optometrie, die mittels Ihrer fachlichen Kompetenz eine erste Anlaufstelle in Sachen Augengesundheit, Vorsorge und Aufklärung sein wollen und dahingehend den Wandel in der Optometrie vorantreiben wollen.“
Wenn nicht auf Anhieb ein wirtschaftlicher Erfolg garantiert werden kann – wovon soll, kann der Augenoptiker leben, bis sich der Erfolg einstellt?
Hartmann: „Es ist ja so, wenn ich heute beschließe, einen konventionellen augenoptischen Betrieb zu eröffnen, ist der Erfolg auch nicht ab Tag eins garantiert. Und wir möchten mit unseren Geschäftsmodellen auch nicht darauf abzielen, von Null anzufangen, sondern ein bestehendes Geschäftsmodel umzustrukturieren und zu innovieren und so frischen Wind in das Unternehmen zu bringen. Das heißt ich habe schon ein Standbein, welches stabil ist. Sicherlich gibt es eine Anlaufphase für mein neues Geschäftsmodell bis dieses in Schwung kommt, aber mein erstes Standbein kann das für diese Zeit des Anlaufs mittragen bis das neue, welches ich hinzugefügt habe, auch stabil und erfolgreich ist und dann läuft es schön im Einklang. Und wenn der Unternehmer es auch in diesem Fall richtig anstellt, dann hat er sich ein super Alleinstellungsmerkmal geschaffen, weil er wieder eine Art Vorreiter ist und schafft sich auch neue Marketingvorteile, die letzten Endes positiv zu Buche schlagen.“
Nehmen wir einmal an, Sie eröffneten morgen einen eigenen Betrieb. Welches Ihrer Modelle oder welche Kombination würden Sie selbst in die Tat umsetzen?
Krause: „Wir sind uns beide einig, dass wir das Geschäftsmodell des Omnichannels und das Geschäftsmodell der optometrischen Dienstleistungen miteinander kombinieren würden. Der einzige Punkt, der für uns entfallen würde, ist der Zusatz eines Online-Shops, da dieser Bereich bereits durch gewisse Marktführer gesättigt ist, die sich auf diesen Kanal spezialisiert haben. Um unseren Kunden das bestmögliche Produkt mit der bestmöglichen Beratung zu bieten, nutzen wir lieber die persönliche Beratung und Interaktion mit unserem Kunden. Dennoch legen wir starken Wert auf eine gute Onlinepräsenz des Unternehmens mittels einer attraktiven Homepage – die einen Mehrwert, wie beispielsweise ein Kundenkonto für den Verbraucher bereithält – Social Media Kanäle oder ähnliches.“
Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?
Hartmann: „Das Thema hat unsere Professorin vorgeschlagen. Sie ist in dem Bereich sehr stark und engagiert tätig, deswegen lag es irgendwie nahe und wir waren von Anfang an wirklich begeistert von dem Thema. Außerdem haben wir uns mit dem Gedanken der Selbstständigkeit zu dem Zeitpunkt schon ein bisschen beschäftigt für das Leben nach dem Studium und da war es ganz klar – ja wir machen das. Wir hatten dementsprechend viel Freude und Einsatzbereitschaft für diese Thesis.“
Krause: „Es ist wirklich so ein Thema, was man…“
Hartmann: „…mit Herzblut...“
Krause: „..., ja mit Herzblut macht. Aber weil es auch interessant ist für uns Optometristen. Mit den anderen Studienteilnehmern entstanden immer wieder Diskussionen und manche haben bereits ihre ersten Konzepte für einen eigenen Laden. Da war es ziemlich schnell klar, das ist die Thesis, die wir ausarbeiten wollen.“
Was bedeutet Ihnen der Binder-Preis?
Hartmann: „Es ist natürlich eine riesengroße Ehre für uns. Wir freuen uns auch, dass unser Thema, das wir monatelang bearbeitet haben, so großen Anklang findet. Damit haben wir im ersten Moment gar nicht gerechnet und freuen uns deswegen noch viel viel mehr.“
Krause: „Ich finde es auch gut und wichtig, dass es solche Preise gibt, wo auch Bacheloranden, die gute Arbeiten abliefern, in den Vordergrund gestellt werden und diese präsentieren können und da ist der Binder-Preis eine hervorragende Gelegenheit.“
Hartmann: „Deswegen hoffen wir, dass es ihn auch noch ganz lange gibt und, dass viele Generationen nach uns diese Ehre und Chance erhalten. Und natürlich möchten wir uns bei den Binder-Preisverleihern nochmals von Herzen bedanken.“