Die Optik entscheidet – von Brillen in Räumen
Bevor die Brille auf die Nase kommt, kommt sie als Erstes in einen Raum. Einen Verkaufsraum. Ohne den Raum geht also gar nichts. Hier gilt ebenso wie beim Produkt selbst: der richtige Fokus und vor allem die Optik sind entscheidend. Innenarchitektin und Fachjournalistin Henriette Sofia Steuer zeigt in dieser Serie, was der Ladenbau für den Augenoptiker tun kann und verdeutlicht mithilfe unterschiedlicher Themenschwerpunkte und Projektbeispiele die Potenziale des Verkaufsraumes von heute.
Ein Verkaufsraum ist nun mal ein Verkaufsraum, könnte man meinen. Die Realität sieht – wie üblich – komplexer aus. Denn seit es den Warenhandel gibt, gilt nicht nur die Devise von Angebot und Nachfrage, sondern auch: „Präsentation ist alles“. Der Händler kommt damit gestern wie heute nicht am Raum vorbei. Der Verkaufsraum kann dabei mehr leisten als man ihm vielleicht zutrauen mag: Er ist in der Lage, Bedeutung und Wert von Produkten zu steigern, potenzielle Kunden einzuladen und als subtiler Botschafter Marken und Firmenwerte zu transportieren. Ihn nicht bewusst zu gestalten und für sich publikumswirksam zu nutzen, wäre also fahrlässig. Je spezifischer auf die Ware und die Zielgruppe zugeschnitten, desto besser.
Aus Sicht der Innenarchitektur bringt das Augenoptiker-Fachgeschäft eine Vielzahl an Nutzungsanforderungen zusammen, die in dieser Form selten vorkommen. Es gilt Mode, Medizin und Handwerk repräsentativ miteinander zu verschränken und Produktpräsentation, Beratung und Kassenbereich sowie Werkstatt, Backoffice, Warte und Untersuchungsbereich sinnfällig und alltagstauglich miteinander zu verbinden. Ebenso herausfordernd ist die Ware selbst. Die Brille an sich ist in der Masse eine äußerst monochrome Ware: Sie hat im Vergleich zu anderen Produktgruppen eine immer nahezu gleiche Größe und Form und nicht selten eine spiegelnde Oberfläche. Wie bringt man also visuell Spannung in den Verkaufsraum? Was gilt es zu gestalten?
Grundsätzlich ist festzuhalten: Aktiv zu gestalten ist alles – und zwar auf allen denkbaren Ebenen. In erster Linie geht es hier um die drei raumbildenden Elemente Wand, Boden und Decke. Die Wände dienen als Leinwand für die Produktpräsentation, gemeinsam mit Boden und Decke können sie darüber hinaus mittels Höhenniveau, Farb- und Materialwechseln zur Raumgliederung und Wegführung durch den Laden beitragen.
Das Einmaleins von Farbe, Material und Licht
Eine passende Umgebung für jede Form der Inszenierung entsteht aus dem Zusammenspiel von Farbe, Material und Licht. Sie können Boden, Wand und Decke optisch trennen oder zu einer Einheit verbinden und effektvolle Hilfsmittel für Einbauten und Raumkonzepte sein. In Sachen Farbwirkung ist das meiste gängige Praxis: Ein blauer Raum erscheint kälter und beruhigter als ein roter, ein dunkler wirkt verkleinernd, ein heller dagegen großzügig und neutral. Wer auf Einfarbigkeit setzt, erreicht Einheitlichkeit, allerdings mitunter ebenso Langeweile und Eindimensionalität. Abhilfe kann der Einsatz mehrerer Farbabtönungen schaffen wie Hellgrau, Mittelgrau und Dunkelgrau. Als wechselnde Bereichsfarben eingesetzt geben sie dem Raum eine unterschwellige bis eindeutige Konturierung. Kontraste zwischen hellen und dunkeln, gedeckten und grellen Tönen bieten im Weiteren die Möglichkeit, gezielt Akzente zu setzen und den Blick des Kunden bewusst zu lenken.
Das Material entscheidet über die Haptik und die Oberflächenqualität. Akzentsetzungen gelingen so ebenfalls. Oberflächen müssen nicht glatt sein, die Variationsbreite ist groß. Genauso gut können bedruckte, gelaserte oder strukturierte Oberflächen für Abwechslung sorgen. Die Auswahl des passenden Materials ist heutzutage undogmatisch. Was gefällt, kann zum Einsatz kommen. Jedes verwendete Material sollte dennoch im Vorfeld auf seinen Grad an Lichtreflexion hin kritisch beäugt werden: Matte Oberflächen wie unbehandeltes Holz, Filz und Stein schlucken Licht und erzeugen mitunter Enge und Behaglichkeit. Glänzende Oberflächen wie verchromtes Metall, lasierte Keramik und insbesondere Spiegel reflektieren Licht und erzeugen Weite, ja sogar die Illusion von Größe und gesteigerter Warenmenge. In der Ausgestaltung von Stores wieder salonfähig und so gar nicht mehr staubig sind Terrazzo, Teppich und Fliese. Authentische Materialien fördern grundlegend hochwertige Raumerscheinungen. „Nachahmende“ Materialien wie PVC, Laminat und Plexiglas können genauso ein Zugewinn sein, altern und verschleißen aber anders.
Oberflächen und Farben funktionieren nur dann wie sie sollen, wenn das Beleuchtungskonzept stimmt. Und das ist für Innenarchitekten immer ein heikles Thema. Nicht weil man es nicht verstünde, eine gute Planung zu machen, sondern weil gutes Licht gutes Geld kostet. An dieser Stelle nur so viel dazu: Kein Licht ist auch keine Lösung! Zu unterscheiden ist bei der Beleuchtung funktionales und inszenierendes Licht. Wobei im Ladenbau das Eine nicht ohne das Andere geht. Unter funktionaler Beleuchtung versteht der Planer alles, was ausreichend Helligkeit auf Arbeitsflächen und Laufwege bringt, um für die Sicherheit von Mitarbeitern und Kunden sorgen. Eine inszenierende Beleuchtung dient dekorativen Zwecken und dem Hervorheben von Ware. Wer sich eine ausdrucksstarke Lichtinszenierung wünscht, braucht dunkle Räume. Tageslichtreiche Verkaufsflächen eignen sich da nur begrenzt. Lichtleisten oder Flächen können hingegen in jedem Ladenlokal Raumzonierungen und Produkt-Präsentationen wirkungsvoll unterstützen.
Maßgebender Zwang ist die Größe des Ladenlokals
Wand, Boden, Decke; Farbe, Material, Licht – an dieser Stelle hört die Arbeit des Innenarchitekten noch lange nicht auf. Er weiß, dass der Raumeindruck erst dann komplett ist, wenn der vollständige, feste Innenausbau samt Mobiliar und dekorativen Elementen Einzug hält und alles im wahrsten Sinne des Wortes funktioniert – von der Elektrik bis hin zur Logistik. Über den Stil entscheidet an dieser Stelle der Bauherr. Über die Form die Zwänge des jeweiligen Ladenlokals. Die maßgebendsten aller Zwänge sind durchaus schnell mit den folgenden Fragen erfasst:
Wo liegt das Geschäft? Wie viel Schaufensteranteil gibt es? Welche Form hat der Raum? Und vor allen Dingen: Haben wir es mit einer kleinen oder einer großen Ladenfläche zu tun? Egal ob hell oder dunkel, extrovertiert oder introvertiert, verwinkelt oder quadratisch: die Größe des Verkaufsraums diktiert häufig am lautesten den vorhandenen Gestaltungsspielraum und den daraus resultierenden Entwurfsansatz. Kleine oder große Flächen: Obwohl beide dasselbe wollen, sind sie doch unterschiedlich zu betrachten.
In kleinen Räumen dreht sich alles um Reduktion
Kleine Räume werden in der Regel als Notzustand oder Manko begriffen, tatsächlich führen sie aber nicht selten zu überzeugend klaren und bestechend praktisch organisierten Entwurfsergebnissen. Wo wenig Fläche ist, kann kein Platz sinnfrei verschwendet werden. Nutzungseinheiten und Bereiche müssen besonders ergonomisch ausgeführt und logisch miteinander verbunden werden. Im Zuge der Planung können auf diese Weise sogar Nutzungselemente kombiniert werden. So entstand beispielsweise bei dem Augenoptiker Óptica Queirós von Tsou Architects ein Regalsystem, dessen wandbündig eingelassene Präsentationsböden vor dem Schaufenster weiter laufen und von außen wie innen gleichermaßen gut einsehbare, platzsparende Produkt-Präsentationsmöglichkeiten schaffen. Dieselbe Wandkonzeption enthält außerdem optimal beleuchtete Beratungstische, die sich auf der passenden Höhe aus der Regalwand entwickeln. Gegenüber dem Regalsystem befindet sich ein langgestreckter Tresen mit offen einsehbarer Empfangs- und Kassenfunktion sowie teilweise sichtgeschütztem Werkstatt und Bürobereich. Mehr Nutzungsverknüpfung geht kaum! Die durchweg weißen Festeinbauten und der mit Parkett belegte Boden und Rücktresen machen aus dem schmalen Optikerladen einen lichten und hochwertigen Verkaufsraum.
Den gleichen Lösungsansatz mit anderem Look weist das Fachgeschäft Nova Óptica ebenfalls von Tsou Architects auf: Die Planer haben hier mittels betont geschwungener Linien auf ein Mehr an Dynamik und mittels feiner Grauabstufungen auf eine intensive Konturierung des Verkaufsraumes gesetzt. Verstärkt wird dieser Eindruck durch eine passende Deckengestaltung und eine Lichtsetzung, die der Linienführung folgt. Beide Projekte bestechen zudem durch die Abwesenheit von Details und übermäßiger Materialwechsel, was den kleinen Verkaufsräumen Ruhe, konzeptionelle Geschlossenheit und Konzentration auf das Wesentliche – das Produkt – verleiht. Tsou Architects machen deutlich, dass es auf die intelligente Abfolge von Bereichen und die richtige Kombination der Nutzungen ankommt.
Struktur ist alles, wenn es um große Läden geht
Was bei kleinen Läden für Ordnung und Klarheit sorgt, führt auf großen Flächen nur zu Orientierungslosigkeit. Das Mittel dagegen ist die Struktur. Konkret bedeutet das die Einteilung des Verkaufsraumes in deutlich markierte Zonen. Sichtbar wird diese Methodik anhand des Ladenausbaus der Planer Kiltz Kazmaier Architekten und Architekturbüro Frank Zwickel für „Optik Nill / Hörbar“. Ziel war es bei diesem Projekt, auf einer Verkaufsfläche zwei Disziplinen zu vereinen, also Optik und Hörakustik zusammenzubringen.
Die konsequent an Boden, Wand und Decke verwendete Farbe Weiß steht dabei für das Sehen, Schwarz für das Hören. Die geschwungene Trennlinie zwischen den Bereichen verläuft vom Eingang ausgehend bis zu einem sichtgeschützten Flur, von dem separate Beratungs- und Untersuchungsräume abzweigen. Der Einsatz von Farbe erreicht damit gleich zwei Dinge: Orientierung und Wegführung. Frei stehende Präsentationstische aus Holz schaffen eine optische Verbindung zwischen den Raumzonen, die sich farblich kontrastieren.
Dittel Architekten verfeinern diese Systematik in der Verkaufsraumgestaltung des Fachgeschäftes Binder Optik. Jeder Nutzungsbereich wird hier als Insel betrachtet, die es eindeutig im Raum zu verorten gilt. So wurde beispielsweise der Kassentresen über einen abgesetzten Deckenbereich mit der Wartezone verbunden, um den gesamten Empfangsbereich als zusammenhängende Einheit begreifbar zu machen. Beratungstische stehen auch nicht lose im Raum herum, sondern erhalten durch Bodenbelagswechsel einen bewusst zugeordneten Platz. Und weil eine große Produktvielfalt allein schon unübersichtlich werden kann, installierten die Architekten zudem unterschiedlich große Regaleinheiten, in denen Brillen – nach Marken und Themengruppen sortiert – in einem festen Rahmen ausgestellt werden können.
Worauf liegt der eigene Fokus?
Egal was für Voraussetzungen als gegeben anzunehmen sind, die Aufgabe des Bauherren ist es, sich im Vorfeld über ein paar Dinge klar zu werden: Für was steht die Firma? Worum soll es im Verkaufsraum gehen? Um Zeitgeist oder Zeitlosigkeit, Exklusivität oder Vielfalt; lineare Nüchternheit, sportliche Variabilität, Tradition oder schlicht um eine CI-Farbe? Worauf liegt der eigene Fokus: auf dem Brillenverkauf, der Beratung oder der Augengesundheit?
Ist all das beantwortet, stehen für den Planer die Ziele der Verkaufsraumgestaltung fest. Daraus folgt – unter Beachtung aller oben genannten Möglichkeiten und Zwänge – eine Priorisierung von Themenkomplexen und die konkrete Fachgeschäft-Gestalt. Der Rest liegt beim Nutzer, denn alles was jetzt noch vom Essentiellen ablenken kann, ist in einem Wort zusammengefasst: Unordnung. Der Begriff an sich mag stutzig machen und für so manch eine Firma ein klarer Fall sein. Dennoch sei es hier noch einmal plastisch und bewusst bissig formuliert: Topfpflanzen sind schön, allerdings nicht, wenn sie hausfraulich in einer Ecke stehen, weil gerade keiner eine Idee hat, was sonst dort stehen könnte! Flyer-Auslagen können interessant sein und die Verbundenheit des Geschäftes mit der Region verdeutlichen. Wenn sie aber den Empfangstresen voll pflastern ist niemandem geholfen! Werbung ist wichtig, nur warum müssen Pappaufsteller wie willenlos verstreut und halb verknickt auf Tischen und in Schaufenstern herumlungern? Ein unbewusstes Zuviel an kleinen und großen Dingen kann von Ware und Dienstleistung ablenken.
Ganz oder gar nicht – ein letzter Gedanke
Lassen sie uns den Tatsachen ins Auge blicken: Ein konsequenter und vor allem durchgängiger Gestaltungsansatz ist in der Regel immer besser als ein singulärer neuer Tisch! Natürlich kostet das Geld und Zeit, während der Nutzen nicht unmittelbar messbar scheint. Ausschlaggebend bei allen Überlegungen aber ist die Kontrolle, das Verständnis und das Bewusstsein über die Erscheinung der eigenen Räumlichkeiten zu erlangen. Dabei geht es nicht nur um die reine Förderung des Konsums, sondern genauso um die Vermittlung individueller Werte. So grausam die Tatsache scheinen mag: Wenn die Optik stimmt, findet der Kunde eher den Weg ins Fachgeschäft und hört lieber und länger zu. Und wenn der Kunde darüber hinaus seinen Mode- und Lebensstil nicht nur in der Produktauswahl, sondern auch im Auftritt des Verkaufsraums widergespiegelt sieht (und dieser sich mit gutem Service verbindet), kommt der Kunde wieder. Fachgeschäfte wie der Augenoptiker sind in einer heute digitalisierten Welt begehbare Kulissen und Schutzräume analogen Erlebens von Botschaften und Benehmen (sprich: Umgangsformen), von Wissen und Waren. Der Auftritt des Raumes kann – ganz egal ob klein oder groß – helfen, Berufsgruppen zu stärken und langfristig Erfolg zu gewährleisten.
Autorin: Henriette Sofia Steuer ist studierte Innenarchitektin und ausgebildete Fachjournalistin im Bereich Architektur und Innenarchitektur. Nach ihrem Studium sammelte sie Erfahrungen in der Ausstellungsgestaltung und der Entwicklung von Präsentationsstrategien im Raum. Seit 2015 ist sie bei dem Fachmagazin AIT Architektur | Innenarchitektur | Technischer Ausbau in Stuttgart tätig.