Martin & Martin: Mehrschichtfräsung

Martin Lehmann
Martin Lehmann, heute alleiniger Eigentümer von Martin & Martin. Vor zwanzig Jahren ging das Kölner Unternehmen an den Start.
© Denis Ignatov für Eyewear Magazine Issue 7

Ollie hätte auch eine Metallbrille werden können, sofern Martin & Martin aus Köln Metallfassungen im Sortiment hätte. Dann aber wäre Ollie vielleicht keine Story wert. Zumindest aber könnte er nicht die Hauptrolle in einem Beitrag über die zwar lange bekannte, nun aber in der Domstadt am Rhein wiederentdeckte Mehrschichtfräsung spielen. Nun ist Ollie jedoch glücklicherweise eine Acetatfassung; filigran und dünnrandig nur ein Modell aus Metall imitierend – was letztlich der Grundgedanke des Fertigungsverfahrens mit drei unterschiedlich gefrästen Schichten ist.

Martin Lehmann ist seit 2011 alleiniger Eigentümer von Martin & Martin, ein Brillendesigner im Herzen von Köln, der seit zwanzig Jahren auf Acetat setzt, auch wenn immer wieder einmal Metall zum Einsatz kommt. So ist es nun auch bei Ollie, der sowohl mit Acetat- als auch mit Metallbügeln daherkommen kann. Lehmann hatte vor rund zwei Jahren die Idee, mit dem speziellen Fertigungsverfahren einen Metall-Look zu erzeugen –  inzwischen haben auch andere Produzenten und Designer damit begonnen. Inspiriert durch die Materialien des bekannten Acetatlieferanten Mazzucchelli und einem gewissen Zeitgeist folgend, kam Lehmann dem Trend nach dünnrandigen Brillenfassungen zum Glück für ihn schnell auf die Spur.

Ollie
Ollie: Farbige Linienführung auf transparenten Hintergrund,
um eine Metallfassung zu imitieren. ©Martin & Martin

Anfang 2016 begann er mit seinen Mitarbeitern und den Kollegen in der Brillenmanufaktur „MW-Brillenwerk im Bayerischen Wald“ in verschiedenen Schichten zu fräsen. Daraus entstand die Idee zu Ollie, der zur Opti bereits in Form von zwei Damen- und zwei Herrenmodellen vierfache Verstärkung erhält. Die Brillenmanufaktur hat Lehmann zusammen mit dem Berliner Label Whiteout & Glare 2014 übernommen. „Dadurch kommt bei uns Design, Produktentwicklung und Qualitätsmanagement aus einer Hand und zu einhundert Prozent made in Germany“, sagt der Kölner, der seine Existenzberechtigung im Wettbewerb mit den großen Produzenten und Firmen in seiner Schnelligkeit und seinem Ideenreichtum sieht.

Unserer Zeit um zwei Kollektionen enteilt

Lehmann muss vorausplanen, er ist unserer Zeit um zwei Kollektionen enteilt. „Dabei muss ich mich auch auf mein Gefühl verlassen. Wir müssen innovativ und dürfen nicht vergleichbar sein“, sagt er. Das kann auch mal schiefgehen, das hat die „Red-Edition“ in der Vergangenheit gezeigt, die viel Kulanz im Geschäftsgebaren mit den Kunden benötigte, damit sie dem Designer treu blieben. Solche „Fehlgriffe“ sind selten und Ollie wird wohl kaum auf eine solche Gegenwehr bei den Brillenträgern stoßen, das hat das äußerst positive Feedback der Augenoptiker bei der Silmo im Herbst 2017 schon gezeigt. Lehmann hatte seine Neuentwicklung in Paris vorgestellt und zieht nun mit weiteren Modellen nach. Denn: Die Konkurrenz schläft nicht, was den begeisterten Tennisspieler antreibt und was er demzufolge sportlich nimmt: „Wenn einer der Großen unsere Fertigungsmethode in zwei, drei Jahren nachmacht, dann haben wir etwas richtig gemacht.“

Skizze
Simon und Ollie (unten) als technische Skizze
mit Bemaßung und baulichen Details.
©Ingo Rütten/DOZ

Die Mehr- oder im Falle Ollies Drei-Schicht-Fräsung ist eine Produktionsmethode, die durchaus als arbeitsintensiv bezeichnet werden darf. Sie benötig in etwa die drei- bis vierfache Fräszeit, was nicht verwundert, wenn verschiedene Ausfräsungen einen dünnwandigen Metall-Look suggerieren sollen. Durch die dreidimensionale Oberflächenstruktur wird auch das Polieren der Brillenfassungen schwieriger, die filigrane Anmutung entsteht daher zu weiten Teilen in Handarbeit. Und dann gibt es noch ein besonderes Problem, das nachdrücklich auf den Unterschied einer Metallfassung zu einer aus Acetat aufmerksam macht und das dafür verantwortlich ist, dass eine Acetatfassung niemals so dünn gefertigt werden kann wie eine aus Metall: die Verformung. „Wir müssen darauf achten, dass sich die verschieden starken Schichten nicht unterschiedlich verformen“, erklärt Lehmann. Je dünner ein Material, desto größer sein Hang zu Verformung; Martin & Martin hat das Problem für sich gelöst: Herausgekommen ist vereinfacht ausgedrückt eine farbige Linienführung auf einem transparenten Hintergrund.

Augenmerk auf Form- und Farbsprache

Lehmann studierte einst einige Semester Philosophie und Literatur, versuchte sich anschließend im Gartenbau und begann dann eine kaufmännische Ausbildung. „Das BWL-Studium und die mehrjährige Berufserfahrung im Controlling ergaben einen brisanten Mix, der den Grundstein für die Unternehmensgründung legte“, sagt der Unternehmer, der unter anderem ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung seiner Kollektion in ihrer Form- und Farbsprache legt. Dafür ist der Chef mit seinen drei Angestellten verantwortlich und hier stehen die vier in Köln besonders unter Druck, um weiter erfolgreich zu expandieren. An Einfällen und dem Mut zu deren Umsetzung mangelte es bisher nicht. „Wir bedienen uns aus dem reichhaltigen Konglomerat eigener Ideen und diverser Trends, nehmen aber auch Kunden- beziehungsweise Verbraucherfeedback auf, aus denen Entwicklungsanregungen entstehen, die wir hier im Team zu fixieren versuchen“ erklärt Lehmann.

Das Umsetzen einer Idee und der weitere Verlauf bis zur neuen Kollektion dürfte zumindest dem vieler anderer Fassungsdesigner ähneln. Immer wieder verfeinerte Handskizzen und  darauf folgend einfache Handkonturmuster – meistens aus Pappmaterial angefertigt – liefern erste Eindrücke der Entwürfe auf verschiedenen Gesichtstypen. Für gut befunden und ausgereift, werden aus Roh-Entwürfen erste technische Skizzen angefertigt – mit Bemaßung und baulichen Details. Diese Detailentwürfe werden „vektorisiert, also in digitale dreidimensionale Formate umgesetzt“, was unter anderem nötig sei, damit die Manufaktur sie später in CAD-taugliche Dateien umwandeln könne, mit denen die Fräsmaschinen angesteuert würden.

„Verlasse mich auf mein Gefühl“

Konturmuster
Konturmuster wie sie aus der Manufaktur kommen.
Erstmals erhält eine neue Brillenfassung eine
dreidimensionale Struktur. ©Martin & Martin

Erst jetzt erhält die zukünftige Brillenfassung durch ein Konturmuster, das anhand einer technischen Zeichnung gefräst wurde, eine dreidimensionale Struktur. „Oft sind dann noch Änderungen nötig, um das Ergebnis zu perfektionieren, zwei oder drei Korrekturläufe mit anschließenden neuen Konturmustern sind nicht selten!“, meint Lehmann, der nicht beantworten kann, ob der offensichtliche Erfolg von Martin & Martin eher vom Talent oder von der Erfahrung seines Teams abhänge. „Ich verlasse mich stets auf mein Gefühl“, sagt der Designer, der bei der Farb- und Materialplanung im weiteren Verlauf des Entwicklungsprozesses auch ein hohes Maß an Vorstellungsvermögen benötigt. Die Acetathersteller liefern die aktuellen Farbmuster, die Designer komponieren daraus neue Kombinationen und schließlich werden diese mit den bereits für gut befundenen Farbkombinationen älterer Kollektionen zu den neuen Modellfarben zusammengestellt. Und dann steigt meist erst kurz vor den jeweiligen Messen, auf denen Martin & Martin und andere Fassungsproduzenten ausstellen, die Spannung: „Dann erhalten wir die Musterkollektionen der Brillenfassungen. Das ist der Moment, in dem der Entwicklungsprozess auf die Realität trifft, das ist immer sehr spannend und bringt oft Überraschungen mit sich!“, beschreibt Lehmann diesen Zeitpunkt der Produktion.

Bei Ollie stimmte alles, oft stimmt vieles. Und wenn nicht? Anpassungen sind immer im Nachhinein noch möglich, auch besondere Wünsche der Augenoptiker können dann noch gezielt verfolgt werden. Lehmann hat schon vor den Messen das Gespür dafür, welche Brillenfassung von den Augenoptikern als verkaufbar angesehen und welche möglicherweise trotz guter Argumente weniger gefragt sein wird. Wäre das anders, dann wäre das das Ende der Brillenmode. Für Martin & Martin geht es seit zwei Jahrzehnten immer wieder darum, Neues zu präsentieren. Hauptsache es passt zu den Stil-Kernelementen, denen sich Lehmann zwanzig Jahre nach der Firmengründung noch verpflichtet fühlt und die auch bei der Opti zu Beginn des Jahres wieder auf dem Prüfstand stehen: „Samtige Erd- und Sandfarben in charismatischer Formsprache, angenehme Haptik, extrem gute Passform und gefederte Bügelanschläge.“