Messungen der Augenbewegungen bei MKH-Kreuztest-Prismen, Teil 2
Die Mess- und Korrektionsmethodik (MKH) nach H.-J. Haase bedient sich einer Vielzahl unterschiedlicher Tests mit peripheren und zentralen Fusionsreizen [1- 5]. Die Anordnung dieser Fusionsreize ist in der MKH die Grundlage für die Unterscheidung der motorischen und sensorischen Komponenten der Prismenkorrektion. Dieser Artikel befasst sich mit dem Kreuztest. Nach der MKH geht beim Vorhalten eines am Kreuztest ermittelten Nullstellungsprismas das Augenpaar in eine anstrengungsfreie Vergenz-Ruhelage (sofern kein kontraktiver Fusionstonus vorliegt) und nimmt ein symmetrisches Kreuz wahr. Das Kreuztest-Nullstellungsprisma korrigiert größtenteils den motorisch kompensierten Heterophorieanteil, jedoch auch eventuell bestehende FD I-Anteile [6]. In welchem quantitativen Maße der Kreuztest den motorisch kompensierten Anteil erfasst, das blieb bisher unklar. Denn Kreuztest-Befunde wurden bislang nicht mit Messergebnissen von Video-Eye-Trackern verglichen, die die reine motorische Augenstellung erfassen.
Die Messung der Augenbewegungen bei MKH-Kreuztestprismen war daher das Thema dieser Bachelorarbeit [7] am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund in Kooperation mit der Beuth Hochschule für Technik in Berlin. Zur klaren Definition der zu Grunde liegenden physiologischen Mechanismen wurde in der vergangenen Ausgabe eine neue Begrifflichkeit entwickelt [8]. Aus diesem Grund ist es für das Verständnis dieses Artikels notwendig, zunächst Teil 1 dieses Artikels aus der vergangenen Ausgabe zu lesen. Darüber hinaus sind alle neuen Begriffe in der Tabelle 1 zusammengefasst.
Fragestellungen der Studie
Aus der gerade beschriebenen Thematik ergaben sich zwei ganz naheliegende Fragen.
- Erlaubt die Größe und die Basislage des Nullstellungsprismas am Kreuztest eine Vorhersage über die Größe und Richtung des Vergenzfehlers am Kreuztest ohne ein vorgeschaltetes Prisma?
- Verändert sich der Vergenzfehler am Kreuztest in die erwartete Richtung und verringert sich optimaler Weise zu Null, wenn einem Augenpaar ein am Kreuztest ermitteltes Nullstellungsprisma vorgeschaltet wird?
Materialien und Methode
Für diese Studie am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund konnten zehn Teilnehmer im Altersdurchschnitt von 23,7 Jahren (Standardabweichung = 3 Jahre) gewonnen werden. Alle Teilnehmer hatten in jedem Auge mindestens einen Visus von 0.8 und als Refraktionsfehler ein sphärisches Äquivalent von maximal ± 0.5 dpt ohne Brille oder Kontaktlinsen. Ein Teilnehmer stellte allerdings eine Ausnahme dar, er war myop und trug deshalb während der Video-Eye-Tracker- Messungen Kontaktlinsen.
Die Studie umfasste pro Teilnehmer sechs Messtage. An Tag 1 und 2 fand ein Vorversuch statt. Die eigentliche Datenerhebung der Studie begann an Tag 3 und 4, und zwar an beiden Tagen mit einer Refraktionsbestimmung einschließlich MKH für die Ferne, um das Nullstellungsprisma am Kreuztest zu bestimmen. Bei Ablauf und Durchführung wurde dabei nach den Richtlinien der IVBS [6] vorgegangen. Der Mittelwert der im ersten Durchlauf bestimmten Kreuztest-Nullstellungsprismen von Tag 3 und 4 wurde an Tag 5 und 6 verwendet, um die Auswirkungen auf das Vergenzsystem beim Vorschalten des individuellen Nullstellungsprismas mit dem Video-Eye-Tracker (EyeLink II, SR-Research) zu messen. Hierzu wurde der objektiv durch den Eye-Tracker erhobene Vergenzfehler und der subjektiv durch den Probanden bestimmte Noniusversatz abwechselnd mit und ohne Nullstellungsprisma bestimmt.
Bei dieser Messung befand sich der Proband in einer speziellen Versuchseinrichtung. Der Kopf war dabei fest in der Kopfstütze fixiert und der Proband blickte auf das 5 Meter entfernte Testfeld, auf dem der Kreuztest abgebildet war.
Die Messung begann mit einer monokularen Kalibrierung des Eye-Link-Systems. Der Proband war dabei dazu angehalten, einzelne kleine Kreuze auf dem Testfeld zu fixieren und dies dann mit der rechten Maustaste zu bestätigen. Nach der monokularen Kalibrierung wurde die an der Kopfstütze befestigte Augenabdeckung weggeschoben und die eigentliche Messung konnte beginnen. Auf dem Testfeld erschien jetzt das Kreuz aus der MKH-Messreihe, das zunächst ohne Prismen betrachtet wurde (Abb. 1c). Der senkrechte Balken wurde per Zufall vom Computer mittig oder ein Stück versetzt angezeigt (Abb. 1a). Mit der rechten und linken Maustaste war es dem Probanden möglich, diesen Balken zu verschieben. Der Proband nahm dann eine Einstellung der Noniuslinien vor und bestätigte dies mit der mittleren Maustaste, sobald er das Kreuz als ein perfektes Kreuz wahrgenommen hatte. Danach wurden die Prismen (Abb. 1d) vorgeklappt und die Einstellung des Kreuzes begann erneut. Dieser Vorgang wurde so lange wiederholt, bis 60 Sekunden vergangen waren. Danach erschien auf dem Monitor die Ausgangssituation für eine erneute Kalibrierung. Je nach der Einstellgeschwindigkeit der Probanden verblieben die Prismen zwei bis fünf Sekunden vor den Augen. Während einer Minute war es also möglich, die Daten für den Noniusversatz (Einstellung mit der Maus) und parallel den Vergenzfehler (die Daten des Video-Eye-Trackers) zu erheben. Beides lag dann sowohl für die Situation ohne und mit vorgeschaltetem Nullstellungsprisma vor. Pro Messtag gab es zwei Sitzungen mit je fünf regulären Durchläufen dieser Art.
Illustration des Messverfahrens
Abb. 2 zeigt in zwei Einzelfällen den zeitlichen Ablauf der Vergenzmessungen als Mittelwert über alle Messwiederholungen. Es ist der absolute Vergenzwinkel in Winkelminuten dargestellt; ein absoluter Vergenzwinkel von Null entspricht parallelen Sehachsen, also unendlich (∞). Proband sieben hat ohne Prisma einen Exo-Vergenzfehler VF0 = – 27 Winkelminuten relativ zum Vergenzreiz mit dem absoluten Vergenzwinkel von V0 = 40 Winkelminuten; dieser Wert ergibt sich aus der Pupillendistanz von pd = 58 mm und dem Sehabstand von D = 5 m entsprechend V0 = 2 arc tan ((pd/2)/D). Durch das Vorschalten des Basis-Innen Kreuztestprismas von P = - 6,75 Prismendioptrien = - 231 Winkelminuten verschiebt sich der Vergenzreiz in divergenter Richtung auf V0P = V0 + P = 40 – 231 = - 191 Winkelminuten, was also einer Divergenzstellung entspricht. Durch diesen Vergenzreiz vollziehen die Augen einen divergenten Vergenzsprung. Es verbleibt mit Prisma ein Eso-Vergenzfehler von VFP = + 67 Winkelminuten relativ zum Vergenzreiz von – 191 Winkelminuten.
Proband zehn hat ohne Prisma einen Eso-Vergenzfehler VF0 = + 68 Winkelminuten (relativ zum absoluten Vergenzwinkel von V0 = 41 Winkelminuten bei der Pupillendistanz von pd = 60 mm). Durch das Vorschalten des Basis-außen Kreuztestprismas von P = + 3,25 Prismendioptrien = + 111 Winkelminuten verschiebt sich der Vergenzreiz in konvergente Richtung auf V0P = V0 + P = 41 +111 = 152 Winkelminuten. Durch diesen Vergenzreiz vollziehen die Augen einen konvergenten Vergenzsprung, der zu einem neuen Vergenzfehler mit Prisma führt, der VFP = + 21 Winkelminuten relativ zum Vergenzreiz von 152 Winkelminuten ausmacht.
Statistische Methode
Da die Vergenzeigenschaften und die Prismenreaktionen individuell sehr unterschiedlich sind, wurde zunächst jede Versuchsperson einzeln statistisch ausgewertet. Diese individuellen Befunde sind in der Bachelorarbeit im Einzelnen beschrieben [7]. Der vorliegende Artikel fasst die Befunde in der Gruppe von zehn Probanden zusammen. Entsprechend den Fragestellungen wird mit Regressionsgeraden quantitativ analysiert, wie der Noniusversatz und der Vergenzfehler von der Größe des Kreuztest-Nullstellungsprismas abhängen. Mit dem Statistikprogramm R [9] wurden robuste Regressionen (lmrob) angewendet, bei denen ausreißende Datenpunkte geringer gewichtet werden. Diese Regressionsanalyse liefert die Konfidenzintervalle für die Koeffizienten der Regressionsgleichung. Sind diese Konfidenzintervalle kleiner als die Koeffizienten, so ist der Koeffizient statistisch signifikant (p<0,05); weiterhin erhält man das Ausmaß der erklärten Varianz (r2), das heißt das Quadrat des Korrelationskoeffizienten.
Hypothesen
Um die statistische Auswertung und Beurteilung der Ergebnisse verständlicher zu machen, wurden zunächst für beide Fragestellungen hypothetische Ergebnisse illustriert, bei denen sowohl Frage 1 als auch Frage 2 mit einem klaren „Ja“ hätten beantwortet werden können.
Zunächst geht es in Fragestellung 1 darum, wie die Messergebnisse ohne Prisma vom Nullstellungsprisma am Kreuztest abhängen (rote Datenpunkte). Dazu ist zu prüfen, ob bei einem Teilnehmer mit einem Nullstellungsprisma Basis außen auch ein Noniusversatz und ein Vergenzfehler in Eso-Richtung vorliegt, bzw., ob bei einem Nullstellungsprisma Basis innen die Messwerte in Exo-Richtung liegen. Ließe sich also Frage 1 mit einem klaren „Ja“ beantworten, lägen alle Datenpunkte in Abb. 3 im richtigen Quadranten. Die Messwerte sollten mit der Stärke des Prismas ansteigen. Auch diese rein hypothetischen Daten sind nicht auf einer perfekten Geraden eingezeichnet, da bekannt ist, dass zu einem bestimmten Prismenwert nicht bei allen Personen derselbe Noniusversatz bzw. Vergenzfehler zu erwarten ist. Außerdem ist berücksichtigt, dass der Vergenzfehler bekanntermaßen meist etwa fünf bis zehn Mal so groß ist wie der Noniusversatz.
Weiterhin interessiert in Fragestellung 2 natürlich besonders die Situation mit vorgeschaltetem Nullstellungsprisma (blaue Datenpunkte). Im bestmöglichen Fall wären die Messwerte in dieser korrigierten Situation dann Null, das heißt alle Datenpunkte mit vorgeschaltetem Nullstellungsprisma würden auf der x-Achse liegen, wie in Abb. 3 gezeigt. Dies kann für den Noniusversatz in den Mess-Sitzungen – bei schnell ablaufender Adaptation - natürlich erwartet werden, denn das Prisma wurde ja in den MKH-Sitzungen so bestimmt, dass der Noniusversatz Null wird; siehe Abb. 3(a). Wie sich der Vergenzfehler hingegen durch die Prismen verändert, ist die offene Frage dieser Studie. In Abb. 3(b) sind die hypothetischen Nullwerte für den Vergenzfehler mit Prisma eingezeichnet. Dies wäre zu erwarten, wenn der motorische Vergenzfehler durch das Nullstellungsprisma schnell und vollständig kompensiert würde.
Ergebnisse
Messwerte ohne Nullstellungsprisma am Kreuztest (Fragestellung 1)
In Abbildung 4 zeigen die roten Datenpunkte die zehn individuellen Messwerte ohne Prisma. Zunächst hängt der Noniusversatz (in der Mess-Sitzung ermittelt) vom Nullstellungsprisma (in der MKH-Sitzung bestimmt) ab, und zwar mit einer signifikanten Steigung von 1,22 Winkelminuten / Prismendioptrie (r2 = 0,76). Aber auch der gleichzeitig gemessene Vergenzfehler hängt vom Nullstellungprisma ab, mit einer signifikanten Steigung von 6,18 Winkelminuten / Prismendioptrie (r2 = 0,40).
Messwerte mit Nullstellungsprisma am Kreuztest (Fragestellung 2)
Die blauen Datenpunkte in Abbildung 4 beziehen sich auf die Messungen mit dem Kreuztest-Nullstellungsprisma. Bei vollständig wirksamer Korrektion wäre der Noniusversatz bei allen Probanden gleich Null und würde somit im statistischen Sinne nicht von der Größe des Nullstellungsprismas abhängen. Dies zeigt sich durch die kleinen Werte für den korrigierten Noniusversatz und die praktisch horizontale Regressionsgerade, deren Steigung nicht signifikant von Null abweicht (r2 = 0,23); der davon abweichende Datenpunkt bei – 6,75 Prismendioptrien wird in der Diskussion erläutert. Für den Vergenzfehler finden wir nicht mehr die positive Steigung wie ohne Prismen, sondern – erstaunlicherweise – eine signifikante negative Steigung
von – 6,12 Winkelminuten / Prismendioptrie (r2 = 0,53).
Änderung der Messwerte durch das Vorschalten der Nullstellungsprimen am Kreuztest
Die Abbildungen 5a und 5b spiegeln die Größe der Änderungen durch das Vorschalten des Nullstellungsprismas wider. Der Noniusversatz ändert sich bei allen Probanden in die erwartete Richtung. Es zeigte sich also, wie erwartet, eine Eso-Änderung bei Basis-innen Prismen und eine Exo-Änderung bei Basis-außen Prismen. Die Regressionsgerade mit signifikanter Steigung beschreibt den durchschnittlichen Zusammenhang: pro Prismendioptrie ändert sich der Noniusversatz um 2,02 Winkelminuten (r2 = 0,86). Interessanterweise zeigt sich ein ähnlich deutlicher Zusammenhang auch für die Änderung des Vergenzfehlers, jedoch ist das Ausmaß der Änderung bedeutend größer: Pro Prismendioptrie ändert sich der Vergenzfehler um 12,57 Winkelminuten (r2 = 0,92).
Diskussion
Die methodische Frage dieser Studie bestand zunächst darin, ob Video-Eye-Tracker für Vergenzeffekte am Kreuztest hinreichend genau sein können. Solche Effekte sind erwartungsgemäß größer, wenn keine Vergenzadaptation durch längere Prismenanwendung stattfindet, weshalb in der vorliegenden Studie bewusst auf Prismenadaptation verzichtet wurde. Diese Überlegung bestätigt der Vergleich mit anderen Studien in Tabelle 2, in denen ebenfalls Vergenzfehler und Noniusversatz erhoben wurden [10,11]. Zwar verwendeten diese Vergleichsstudien teils andere Vorgehens- und Betrachtungsweisen. Dennoch lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass die prismenbedingte Änderung des Noniusversatzes und des Vergenzfehlers mit zunehmender Adaptationszeit abnimmt.
Somit ist die Größenordnung der Prismeneffekte in der vorliegenden Studie eher typisch für die im Laborexperiment angewendete kurzzeitige Vorschaltung der Prismen ohne eine Vergenzadaptation, was nicht der praktischen MKH-Anwendung entspricht. In den MKH-Richtlinien wird immer wieder betont, dass dem Probanden viel Zeit zur Adaptation gelassen werden soll. Es zeigte sich jedoch dennoch, dass durch das kurzzeitig angewendete MKH-Kreuztestprisma der Noniusversatz meist zu Null korrigiert wurde, so wie man es aus der Praxis kennt. Auf dieser Grundlage können nun die Ergebnisse interpretiert werden.
Noniusversatz und Vergenzfehler, ohne und mit Prismen
Wenn kein Prisma angewendet wurde, bestätigte sich die Erwartung, dass das Kreuztestprisma eine Vorhersage des Noniusversatzes und des Vergenzfehlers erlaubt; dies zeigen die signifikant positiven Steigungen in Abbildung 4 (ohne Prismen). Es bestehen jedoch die erwarteten Größenunterschiede zwischen diesen beiden Messwerten.
Mit vorgeschalteten Prismen waren – wie erwartet – im Allgemeinen die Werte des Noniusversatzes nahe Null (siehe Abb. 4a). Für den Vergenzfehler ergab sich jedoch überraschend mit Prismen eine negative Steigung, die sogar statistisch signifikant war. Augenfällig wird dies an dem Probanden mit dem Kreuztestprisma von – 6,75 Prismendioptrien (Basis innen): sein ursprünglicher Exo-Vergenzfehler kehrt sich durch das Prisma in einen Eso-Vergenzfehler. Dieser Befund erschließt sich aus Abbildung 2. Im Moment des Prismenvorschaltens liegt ein Eso-Vergenzfehler relativ zum Vergenzreiz V0P vor, der durch eine divergente Bewegung reduziert wird. Während dieser Divergenzbewegung, die dem Probanden unbewusst ist, klickt er die Maustasten, um die den Augen getrennt dargebotenen Noniusobjekte in eine wahrgenommene Nullstellung zu schieben. Die dann erreichten Messwerte zeigt Abbildung 4: Es besteht ein Eso-Vergenzfehler von + 67 Winkelminuten und ein Eso-Noniusversatz von + 25 Winkelminuten (bei mittig wahrgenommenen Noniusobjekten). Offenbar hätte dieser Proband mehr Zeit benötigt, um die divergente Bewegung der Augen abzuschließen. Dieser Einzelfall bestätigt den generellen Befund in der Gruppe, dass Noniusversatz und Vergenzfehler zwar korreliert sind, dass jedoch keine Übereinstimmung in der Größe besteht. Das zeigen auch die unterschiedlichen Größenordnungen an den y-Achsen in Abbildung 4 und die unterschiedlichen Steigungswerte für den Noniusversatz und den Vergenzfehler (1,22‘ versus 6,18’, wenn kein Prisma angewendet wurde).
Prismen-induzierte Änderungen
Die Größe des MKH-Kreuztestprismas erlaubt eine gute Vorhersage der prismen-induzierten Änderungen, sowohl für den Noniusversatz (Abb. 5a) als auch für den Vergenzfehler (Abb. 5b). Es sei jedoch auf die unterschiedlichen Größenordnungen hingewiesen. Der Noniusversatz ändert sich nur um 16 Prozent des Vergenzfehlers (2,02 Winkelminuten / 12,57 Winkelminuten = 0,16).
Vergenzfehler versus Größe des Kreuztestprismas
Auch die Größe des Kreuztestprismas und des Vergenzfehlers unterscheiden sich. Wir hatten schon in unserem vorigen Artikel den physiologisch funktionellen Unterschied aufgezeigt, dass nämlich das Prisma den Reiz (Stimulus) für das Vergenzsystem ändert und der Vergenzfehler die resultierende motorische Reaktion (Response) des Vergenzsystems widerspiegelt [8]. Aufgrund der Steigung der Messwerte in Abbildung 4 ohne Prisma (6,18 Winkelminuten / Prismendioptrie) können wir nun schließen, dass durchschnittlich der Vergenzfehler nur etwa 18 Prozent des Kreuztestprismas ausmacht (denn 6,18 Winkelminuten / Prismendioptrie = 6,18 Winkelminuten / (0,57 Grad) = 6,18 Winkelminuten / (0,57 * 60 Winkelminuten) = 0,18). Dies führt zu der durchschnittlichen Abschätzung, dass beim Blick ohne Prismen auf den Kreuztest eine Abweichung von bizentraler Abbildung von etwa 3 Winkelminuten pro Auge besteht, wenn der Kreuztest bei einem Probanden 1 Prismendioptrie ergibt (gleichmäßige Aufteilung des Vergenzfehlers von 6,18 Winkelminuten / Prismendioptrie auf zwei Augen). Die Abweichung von der bizentralen Abbildung (das heißt der Vergenzfehler) beträgt in diesen Untersuchungsbedingungen durchschnittlich nur 18 Prozent des Nullstellungsprismas.
Resümee
Diese Studie stellte zunächst im ersten Artikel die physiologischen Unterschiede zwischen den drei Messgrößen am MKH-Kreuztest auf, dem Kreuztestprisma, dem Noniusversatz und dem Vergenzfehler [8]. Die in diesem Artikel beschriebenen Messdaten zeigen die quantitativen Größenordnungen dieser Unterschiede. Davon unbenommen ist jedoch die Strategie der MKH-Korrektion, eine Prismenstärke zu finden, die den binokularen Reiz in die individuelle Ruhelage verschieben. Das Kriterium dafür ist in der Praxis die wahrgenommene Nullstellung der Teste, also der Noniusversatz. Unsere Messungen zeigten entsprechend eine Veränderung des Noniusversatzes und des Vergenzfehlers in die erwartete Richtung (Eso bei Basis-innen und Exo bei Basis-außen Prismen). Obwohl durch das Kreuztest-Nullstellungsprisma erwartungsgemäß meist ein Noniusversatz nahe Null erzielt wurde, blieben jedoch teils beträchtliche Vergenzfehler bestehen (möglicherweise wegen der kurzzeitigen Prismenanwendung).
Einige Aspekte blieben jedoch auch offen. Längere Prismenanwendungen über einige Minuten oder das dauerhafte Tragen einer Korrektionsbrille könnten zu quantitativ anderen Befunden führen (Tab. 1). Mit einem zentralen Fusionsreiz sind möglicherweise auch modifizierte Ergebnisse zu erwarten. Eine Unterscheidung zwischen Basis-innen und Basis-außen Prismen [11] konnte hier wegen der zu kleinen Probandenzahl nicht durchgeführt werden.
Somit verstehen wir diese Studie als einen weiteren Schritt in der Reihe von wenigen bisherigen Studien zu gleichzeitigen Messungen von Noniusversatz und Vergenzfehlern [11-14]. Die signifikanten Regressionen zeigten regelhafte Zusammenhänge, so dass sich diese Messmethodik für weiterführende Studien anbietet.
Autoren
Luise Julia Schmid, B.Sc., Bildungszentrum für Augenoptik und Optometrie (Berufs- und Fachschule für AO), München
Prof. Dipl.-Ing. (FH) Christoph von Handorff, Studiengang Augenoptik/Optometrie, Beuth Hochschule für Technik, Berlin
Dr.-Ing. Wolfgang Jaschinski, Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der Technischen Universität Dortmund
Die Rechte zu den Abbildungen / Fotos liegen bei den Autoren, wenn nicht anders angegeben.
Das Literaturverzeichnis zum vorliegenden Fachbeitrag finden Sie unter Downloads.
Danksagung
Die Autoren bedanken sich bei Dipl.-Ing. (FH) Ewald Alshuth (Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der Technischen Universität Dortmund) für die Entwicklung der Hard- und Software sowie bei Dr. Stephanie Jainta (Fachhochschule Nordwestschweiz, Olten) und Prof. Ralph Krüger (Beuth-Hochschule, Berlin) für die konzeptionellen Vorgespräche zu dieser Studie.