Zehn Mythen der Ausbildung – und die Fakten
Wenn eine Schülerin zur Auszubildenden wird, beginnt für sie ein neuer Lebensabschnitt. Sie verlässt die gewohnte Umgebung der Schule und betritt eine neue Welt – die Berufswelt. Und die ist oft nicht so kuschelig wie gewünscht oder erhofft. „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, heißt es da von Seiten der gestandenen Arbeitnehmerinnen gerne: Kaffee kochen, Brillen putzen und billige Arbeitskraft sein, damit müsse man als Azubine eben klarkommen. Soweit die Theorie. Doch in der Praxis entpuppen sich nicht nur diese Behauptungen als unhaltbar. Der Checkpoint gibt einen Überblick über Mythos und Wahrheit.
Mythos 1: Auszubildende kochen doch nur Kaffee
Nach dem Berufsbildungsgesetz § 14 Abs. 2 dürfen Auszubildenden lediglich Aufgaben übertragen werden, die dem Ausbildungszweck dienen und die ihren körperlichen Kräften angemessen sind. Gehört für den Ausbildungsberuf das Kaffeekochen und andere einfache Tätigkeiten zum Arbeitsalltag dazu, zum Beispiel im Rahmen der Kundenbetreuung, sind Auszubildende verpflichtet, diese Arbeiten durchzuführen.
Kaffe kochen oder den Boden fegen sind Arbeiten, die man ohne lange Einarbeitungszeit und ohne tiefe Fachkenntnis erledigen kann. Gegen solche Aufgaben ist grundsätzlich nichts einzuwenden, wenn die Auszubildende nicht ausschließlich für solche Hiwi-Jobs eingesetzt wird, sondern tatsächlich auch etwas lernt (und natürlich sollten Lehrlinge nicht ständig für ihre Kolleginnen Kaffee kochen müssen). Langfristige Richtschnur für die Arbeiten ist das, was im Ausbildungsplan vorgesehen ist, beziehungsweise das, was die Ausbildungsordnung vorgibt.
Mythos 2: Azubis sind billige Arbeitskräfte für den Betrieb
Eine Ausbildungsstelle zu besetzen, verursacht für den Betrieb Kosten. Nicht nur in Form des Gehalts der Auszubildenden, sondern zum Beispiel auch in Form von Personalkosten – schließlich muss sich eine Angestellte um die Auszubildende kümmern und sie anleiten. In dieser Zeit könnte die Angestellte aber ansonsten vielleicht drei Brillen verkaufen oder eine Kundin refraktionieren. Dieser theoretische Gewinn geht dem Betrieb verloren. Die Auszubildende ist zunächst also eine ungelernte Mitarbeiterin, in die das Unternehmen mehr hineinsteckt als es herausbekommt. Besonders die ersten zwei Lehrjahre reichen nicht aus, um die Ausbildungskosten zu decken.
Mythos 3: Azubis werden unvorbereitet auf Kunden losgelassen
Der Umgang mit Kunden sollte (nahezu) perfekt sein, schließlich sorgt er für das Einkommen. Die Beratung ist zum großen Teil vom Auftreten der Azubine und dem Sympathieempfinden der Kundin abhängig. Azubis müssen auf den Kundenkontakt vorbereitet werden, sonst können sie keine Brille oder Kontaktlinsen verkaufen oder gar eine Beratung durchführen. Diesen serviceorientierten Umgang mit Kundinnen müssen Lehrlinge lernen – sogar den mit Kundinnen, die die Auszubildende unsympathisch findet oder die selbst ein lockeres Mundwerk haben. Denn auch diese Kundinnen bringen dem Unternehmen Umsatz. Insofern wird kein Betrieb Azubis unvorbereitet auf Kunden loslassen, wenn ihm an nachhaltigem Umsatz gelegen ist.
Mythos 4: Azubis stehen nur rum und putzen Brillen
Zu den Aufgaben einer Auszubildenden, besonders im ersten Lehrjahr, können auch Dekorationsvorbereitungen und Brillenreinigung gehören, denn wer möchte schon eine dreckige Brille aufprobieren. Dass die Auszubildenden sich ausschließlich um die Reinigung des Verkaufsraumes kümmern, ist falsch. Gerade zu Anfang werden Lehrlinge mit diesen Aufgaben betraut, um sich mit dem Geschäft vertraut zu machen. Diese Aufgaben werden meistens auf die jeweilige neue Auszubildende übertragen.
Der Kontakt mit Kunden ist für die Ausbildung unerlässlich. Ein Teil der Gesellenprüfung ist die augenoptische Versorgung, die in der Ausbildungsordnung festgeschrieben ist. Die Ausbildung besteht zudem aus vielen praktischen Aufgaben, die Azubis in der Werkstatt erlernen müssen. Der Betrieb muss sicherstellen, dass sie auch den praktischen Unterricht erhalten, daher ist dieser Mythos falsch.
Mythos 5: Azubis arbeiten für einen Hungerlohn
Während der Ausbildung erhalten Lehrlinge eine Vergütung, die sogenannte Ausbildungsvergütung. Diese fällt in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich hoch aus: von 325 Euro monatlich im ersten Lehrjahr in Brandenburg bis 600 Euro in Baden-Württemberg. Auszubildende sind von der Mindestlohnregelung ausgenommen, denn Azubis befinden sich nicht in einem Arbeitsverhältnis, sondern in einem Bildungsverhältnis. Das muss aber kein Nachteil sein, denn dafür haben Azubis andere Vorteile – zum Beispiel bei den Steuern und Sozialabgaben.
Mythos 6: Die Chefin kann Azubis fristlos kündigen
Während der Probezeit gibt es keine Kündigungsfrist. Ausbilderinnen können also von heute auf morgen ohne Kündigungsfrist die Kündigung aussprechen. Es besteht aber die Möglichkeit, freiwillig eine Auslauffrist zu gewähren. Auch wenn die Azubine selber in der Probezeit kündigen will, kann sie dies fristlos tun.
Nach der Probezeit gilt für Azubis ein besonderer Kündigungsschutz – sie sind durch das Arbeitsrecht besser geschützt als normale Arbeitnehmerinnen. Eine ordentliche Kündigung ist nach der Probezeit nicht mehr möglich. Nach der Probezeit kann die Arbeitgeberin die Azubine laut Arbeitsrecht nur noch fristlos kündigen. Dann aber nur, wenn sie ihr schwere Pflichtverletzungen vorwerfen kann, also einen schwerwiegenden Kündigungsgrund hat (§ 22 Berufsbildungsgesetz). Das gilt für alle Auszubildenden, unabhängig vom Alter. In einer fristlosen Kündigung muss die Arbeitgeberin genau schreiben, welche Pflichtverletzung der Azubine vorgeworfen wird.
Mythos 7: Kosten für Werkzeuge und weitere Arbeitsmittel müssen Azubis selbst tragen
Der Ausbildungsbetrieb ist verpflichtet, alles zur Verfügung zu stellen, was für die Ausbildung gebraucht wird. Darüber hinaus kann der Betrieb weitere Materialien freiwillig bereitstellen. Die Auszubildende kann ihre zusätzlichen Materialien, die ihr der Betrieb nicht zur Verfügung stellt, immerhin steuerlich absetzen.
Mythos 8: Die Führung eines Berichtsheftes ist für die Auszubildende freiwillig
Das Berichtsheft dient als schriftlicher Ausbildungsnachweis. Als solche sind sie Voraussetzung für die Zulassung zur Gesellenprüfung. Daher sind Azubis dazu verpflichtet, diese regelmäßig zu führen. Alles, was in den schriftlichen Ausbildungsnachweisen steht, ist das, was die Azubine offiziell gelernt hat. Daher können sie auch ein wichtiger Nachweis sein, wenn es beispielsweise um Schadensersatzansprüche geht. Das Berichtsheft ist für die Azubine auch die Möglichkeit zu überprüfen, ob sie tatsächlich die Inhalte lernt, die sie laut Ausbildungsordnung lernen sollte.
Mythos 9: Azubis müssen am Samstag nicht arbeiten
Wenn der Lehrling noch keine 18 Jahre alt ist, dann sind seine Arbeitszeiten im Jugendarbeitsschutzgesetz geregelt. Grundsätzlich darf die Azubine pro Woche maximal 40 Stunden arbeiten, davon maximal acht Stunden pro Tag und an maximal fünf Tagen in der Woche. Nicht erlaubt ist Arbeit an Samstagen, Sonn- oder Feiertagen! Nur in Ausnahmefällen sind pro Tag achteinhalb Stunden beziehungsweise Einsätze an Wochenenden und Feiertagen erlaubt, wenn sie dafür an einem anderen Tag derselben oder der folgenden Woche entsprechend früher gehen darf.
Mit der Volljährigkeit, also mit 18, sind die Arbeitszeiten im Arbeitsrecht für Erwachsene und im Arbeitszeitgesetz geregelt. Grundsätzlich dürfen Lehrlinge dann pro Woche maximal 48 Stunden arbeiten, davon maximal acht Stunden pro Tag und an maximal sechs Tagen in der Woche. Der Samstag zählt dabei als regulärer Arbeitstag. Nicht erlaubt sind allerdings Sonn- oder Feiertage! In Ausnahmefällen sind pro Tag zehn Stunden beziehungsweise pro Woche 60 Stunden erlaubt. Überstunden sind für Auszubildende grundsätzlich nicht vorgesehen – die vertraglich festgelegte Ausbildungszeit sollte ausreichen, um den Beruf zu erlernen. Auszubildende können also höchstens freiwillig Überstunden leisten, und auch das nur, wenn sie dafür einen Geld- oder Freizeitausgleich bekommen und wenn gleichzeitig eine ausbildungsbeauftragte Mitarbeiterin anwesend ist. „Schmeißn Du mal den Laden – wir sind schon im Wochenende“ – das geht auf keinen Fall!
Mythos 10: Die Auszubildende muss nach der Berufsschule immer noch in den Betrieb kommen
Für die Berufsschule muss der Arbeitgeber die Auszubildende freistellen und außerdem wird die Unterrichtszeit auf ihre Arbeitszeit angerechnet. Die Wegstrecke zwischen Schule und Betrieb zählt ebenfalls als Arbeitszeit, falls die Auszubildende vor und nach dem Unterricht arbeitet.