Dr. Jörg Ehmer: „Digitalisierung treibt die Transparenz voran“
Apollo hat bereits vor geraumer Zeit den Schritt gewagt, Brillen online zu verkaufen und wird auch zukünftig die neuen digitalen Möglichkeiten im Kundeninteresse nutzen wollen. Darüber haben wir mit Geschäftsführer Dr. Jörg Ehmer gesprochen. [Noch mehr Interviews mit den Köpfen der Branche zum Thema Digitalisierung finden Sie in der DOZ-Sonderausgabe zur Opti.]
DOZ: Inwiefern wird sich die Relevanz des Onlineshops für Apollo Optik verändern, wenn eine Onlinerefraktion mit annehmbaren Ergebnissen leicht für den Kunden möglich ist? Wie wird sich das Kaufverhalten verändern?
Dr. Jörg Ehmer: Sobald dies wirklich gelingt, wird es die Veränderung in der Branche erheblich beschleunigen – vor allem bei Einstärken-Kunden. Wir werden dem gewiss nicht tatenlos zusehen.
Macht es für Sie einen Unterschied, ob ein Apollo-Kunde seine Brille(n) bei Ihnen online oder stationär im Geschäft kauft? Was ist Ihnen lieber?
Natürlich können wir umfassender beraten und einen besseren Service leisten, wenn der Kunde in einer unserer über 800 Filialen ist. Aber letztlich geht es nicht darum, was uns lieber ist – entscheidend ist, was dem Kunden lieber ist.
Auch Fielmann wird irgendwann online gehen und erste Erfahrungen im Onlineverkauf machen, welchen Rat können Sie dem großen Bruder aus Hamburg geben?
Jeder Unternehmer – egal wie groß sein Unternehmen ist – muss für sich entscheiden, wie er mit den Möglichkeiten der Digitalisierung umgeht, jeder muss seine eigenen Erfahrungen sammeln. Ich maße mir nicht an, jemandem meinen Rat aufzudrängen, denn auch wir lernen von Tag zu Tag Neues dazu.
In der Augenoptik hat die Diskussion um die Digitalisierung der um neue Vertriebsformen den Rang abgelaufen. Wie nutzen Sie bei Apollo Optik die neuen digitalen Möglichkeiten?
Wir nutzen alles, was sinnvoll ist und uns in unserem Geschäft wirklich unterstützt. Und wir probieren vieles aus, um besser zu werden und Chancen zu nutzen – immer mit dem Ziel, unsere Kunden nachhaltig zu begeistern. Richtig ist sicher auch, dass man nicht alles gleichzeitig machen kann und dass man stets darauf achten muss, nicht durch Irrelevantes die Komplexität zu steigern und dabei den Kunden zu verlieren. Kaum zu glauben, aber manchmal geht es sogar heute noch mit einem Blatt Papier schneller und kundengerechter, als endlos auf einen Bildschirm zu starren, ein verschachteltes IT-System zu bedienen und den Kunden dabei aus dem Fokus zu verlieren.
Bleiben wir bei der Digitalisierung: Auf welche Entwicklung bis zur Marktreife freuen Sie sich besonders?
(lacht): Auf die Entwicklung, die ich mir aktuell noch nicht vorstellen kann. Etwas ernsthafter: Unsere Branche hat sensationelle Wachstumschancen. Sehen Sie sich nur die aktuell endlos langen Wiederkaufzyklen an oder die geringe Anzahl Brillen, die jeder Kunde hat. Warum haben viele Menschen zehn Paar Schuhe und ebenso viele Hosen, aber nur eine Brille? Alles was dabei hilft, diese Potenziale zu heben, ist mir besonders willkommen.
Wie wird sich die Branche durch die zunehmende Digitalisierung verändern, wie werden die Kunden in zehn Jahren Brillen und Kontaktlinsen kaufen?
Heute ist der Brillenkauf oft ein Fall von „ich brauche“ und nicht von „ich möchte“. Das hängt mit den Preisen, aber auch mit den Verkaufsprozessen und der niedrigen digitalen Integration zusammen. Es wird keine zehn Jahre dauern, bis der Brillenkauf viel, viel schneller und komfortabler gehen wird als heute. Dazu werden sicher Künstliche Intelligenz, Augmented Reality und innovative Formen der Sehhilfe einen Beitrag leisten.
Heißt das, dass ein wesentlicher Teil des Umsatzes online gemacht werden wird?
Ja und Nein: Kontaktlinsen werden ja bereits heute zu einem hohen Anteil online verkauft, weil alle stationären Optiker – und da schließe ich uns durchaus mit ein – es lange verschlafen haben, dieses attraktive Produkt angemessen zu vermarkten. Noch immer haben viele Optiker Angst, Kontaktlinsen anzubieten, weil sie irgendwann einmal in ihrer Ausbildung gehört haben, was schiefgehen kann. Die Konsequenz ist, dass Kontaktlinsen in erheblichem Maße online oder komplett kompetenzbefreit im Supermarkt verkauft werden. So wie sich bekanntlich Wasser seinen Weg sucht, so findet auch der Kunde seinen Weg zum komfortablen Einkauf – er wartet nicht darauf, dass wir uns bewegen. Wo ein Bedarf ist, da etabliert sich heute viel schneller als je zuvor auch jemand, der diesen Bedarf befriedigt. Das kann, aber muss nicht online sein. Es wird auch um Elemente wie Liefergeschwindigkeit oder Individualisierung von Produkten gehen – kurz um alles, was dem Kunden einen Mehrwert bietet und sei es nur in seiner persönlichen Wahrnehmung.
Welche Risiken bringt die Digitalisierung für Apollo Optik mit sich?
Die Digitalisierung bietet für Apollo große Chancen, weil wir sie aktiv mitgestalten und uns klar zu einem Omnikanalansatz und zu einer sinnvollen Nutzung der digitalen Möglichkeiten bekennen. Unsere Größe macht dies einfacher, auch weil wir Teil der Grand-Vision-Gruppe sind, dem weltweit führenden und in über 40 Ländern aktiven Optikunternehmen. So profitieren wir auch von den Erfahrungen und Entwicklungen in anderen Ländern.
Und welche Chancen und Risiken sehen Sie für unabhängige Augenoptiker?
Auch wenn viele es nicht hören wollen: Außerhalb einer echten Qualitäts- und Premium-Nische nehmen die Zukunftschancen unabhängiger Optiker rapide ab. Wer sich im „Massenmarkt“ nicht einem starken System anschließt, wird früher oder später vom Markt verschwinden. Die Preise werden immer mehr unter Druck geraten. Gemessen an anderen Branchen leben wir Optiker mit unseren Margen im Paradies. Das wird nicht so bleiben, auch weil die Digitalisierung die Transparenz vorantreibt. Die Aufwände der Digitalisierung sind für einen Einzelunternehmer nicht auf dem erforderlichen Niveau zu erbringen.
Ich bin fest davon überzeugt, dass eine sinnvolle Arbeitsteilung für alle Seiten gewinnbringend ist: Der Unternehmer vor Ort kümmert sich um das, was nur er leisten kann: Kunden begeistern, mit seinem Service, seiner Kompetenz und seiner Persönlichkeit. Arbeitsteilig überlässt er andere Elemente wiederum einem Profi, der dies besser kann – und dazu gehören Einkauf, kanalübergreifendes Marketing und vieles mehr. Keiner kann alles und die Zeit des Optikers vor Ort ist „am Kunden“ am besten investiert. Auf diese Weise sind unsere Franchisepartner seit Jahren deutlich erfolgreicher als der Markt. Und das wird sich noch mehr steigern, je komplexer die Welt wird und je mehr Möglichkeiten die Digitalisierung bietet.
Glauben Sie, dass es irgendwann möglich sein wird, eine optimale Brillenberatung durch eine Maschine vornehmen zu lassen – off- oder online?
Auch das wird irgendwann möglich sein, die Frage ist nur wann und in welcher Qualität. Ich glaube, dass es zumindest eine Weile dauern wird, bis hochqualifizierte Optiker eine gleichwertige Beratung „testieren“. Aber kommt es darauf wirklich an? Ich denke nein. Entscheidend ist, was der Kunde erwartet und als angemessene Beratung bewertet. Und diese Stufe wird deutlich schneller erreicht werden. Dabei werden sicher auch Künstliche Intelligenz und Augmented Reality eine wichtige Rolle spielen.
Die Fragen stellte Ingo Rütten