Über Schätze, die (oft) im Müll landen
Vintage statt nur Retro: Vintage-Sunglasses.de hat sich auf Originalbrillen aus vergangenen Jahrzehnten spezialisiert.
Erstveröffentlicht in der DOZ 09I21
Rund 2.500 Schmuckstücke zählt der Berliner Onlineshop heute, darunter Einzelstücke von den 1960er bis in die 2000er Jahre. Das Team hinter Vintage- Sunglasses.de sucht weltweit nach unentdeckten Vintage-Schätzen, von und für Augenoptikerinnen sowie Endverbraucher. Anfangs konzentrierte man sich nur auf die Märkte in Japan und den USA, inzwischen kommen verstärkt China und Europa hinzu. Als „erste Adresse für Vintage-Brillen weltweit“ versteht sich das Unternehmen, man unterscheide sich vor allem in einem Punkt von der Konkurrenz: Bei Vintage-Sunglasses.de kümmert sich ein Augenoptikermeister „der alten Schule“ um die raren Fassungen, bereitet diese für den Weiterverkauf so auf, dass Kunden „manchmal nicht glauben wollen, dass das gekaufte Modell schon 30 Jahre alt ist“, sagt Prokop. Der Aufwand, die alten Vintage- Brillen zu finden, sei sehr zeit- und kostenintensiv. Auf Messebesuchen, in alten Produktionsstätten und auch bei Augenoptikern auf der ganzen Welt halte man Ausschau nach neuen alten Highlights.
Interview mit CEO Chris Prokop
Herr Prokop, wie kam es dazu, dass Sie 2006 Vintage-Sunglasses.de ins Leben riefen?
Chris Prokop: Meine Leidenschaft ist das Reisen. Während des Studiums bekam ich eine alte Sonnenbrille, das Cazal Modell 850 von einem befreundeten Augenoptiker geschenkt. Ich wusste nicht was Cazal ist, fand das Modell aber ziemlich cool. Überall wurde ich auf die Brille angesprochen, zum Beispiel in Thailand oder Australien. Als ich in Japan war, sprach mich eine junge Japanerin im Namen ihres Freundes auf die Sonnenbrille an. Wer die Kultur kennt, versteht, wie außergewöhnlich dieser Moment war, denn Ausländer werden in Japan normalerweise nicht angesprochen. Als ich wieder in Berlin war, fing ich an über die Marke Cazal zu recherchieren und war überrascht, wie einfach es war, die alten Vintage-Modelle zu beschaffen. Die Herausforderung bestand vielmehr darin, die Sonnenbrillen in Japan anzubieten. Da blieb im Prinzip nur ein Onlineshop.
Wann ist eine Vintage-Brille vintage?
Nicht jede alte Brille ist vintage und nicht jede Vintage-Brille ist alt. Vintage ist ein Prädikat für etwas Besonderes und erklärt sich über die hohe Nachfrage. Dank eines Jahrhundertsommers kann ein junger, herausragender Wein bereits kurz nach seiner Präsentation als vintage bezeichnet werden. Verringert sich die Verfügbarkeit des edlen Tropfens durch hohe Nachfrage, verfestigt sich der Vintage-Status. Hingegen sind circa 95 Prozent der alten Brillen einfach nur alt und haben nichts mit vintage zu tun.
„Alt ist nicht gleich vintage“, sagt Chris Prokop, der Gründer von Vintage-Sunglasses.de, „und nicht jede Vintage-Brille ist alt.“
Welche Brillen zählen zu Ihren absoluten Bestsellern?
Die Nachfragen sind teilweise sehr länderspezifisch. Amerikaner kaufen sehr gerne die alten Cazal-Modelle, deutsche Kunden schätzen hingegen die alten US-Ray-Bans. Generell lässt sich sagen, dass zeitlose Formen immer funktionieren. Aber auch Kinofilme und Musiker beeinflussen die Nachfrage extrem. Ich habe es anfangs nicht für möglich gehalten, welche Effekte Promis auf den Markt haben. Wir hatten schon Modelle, die über Nacht plötzlich ausverkauft waren, nur weil Lady Gaga oder Brad Pitt diese bei einem Auftritt getragen haben.
Wie ist die Resonanz auf Ihre Geschäftsidee von Seiten der Augenoptikerinnen?
Anfangs wurde ich sehr skeptisch betrachtet und häufig auch ausgelacht, wenn ich nach Lagerware aus den 80er oder 90er Jahren gefragt habe. Inzwischen freuen sich die Augenoptiker, wenn sie vollkommen unerwartet noch Geld für ihre alte Ware bekommen, die sie sonst weggeworfen hätten oder wie so oft leider schon entsorgt haben. „Ach, das haben wir vor zwei, drei Jahren schon alles entsorgt“ ist wahrscheinlich der Satz, den ich über die Jahre am häufigsten gehört habe. Inzwischen hören aber auch die Augenoptiker oft, dass Kunden ganz gezielt nach alten Modellen fragen, da sie beispielsweise ihre Lieblingsbrille erneut haben möchten, weil diese Brille schon ein Teil ihrer Persönlichkeit geworden ist. Dann fragen sie uns an, ob wir das Modell noch besorgen können, um ihre Kunden glücklich zu machen.
Angefangen hat alles mit dem Cazal Modell 850 2006 in Japan.
Wie funktionieren die Reklamationen, die Bestellung von Ersatzteilen und ähnlichem?
Wir kaufen auch Ersatzteile ein und haben ein entsprechendes Lager. Reparaturen für bei uns gekaufte Fassungen führen wir durch, da unser Meister noch ein Handwerker der alten Schule ist. Selbst Lötarbeiten oder Nachvergoldungen machen wir. Und wenn mal nichts mehr zu retten ist, was in 15 Geschäftsjahren bislang ein einziges Mal vorgekommen ist, versuchen wir dem Kunden ein identisches Ersatzmodell zu beschaffen, was uns in diesem einen Fall auch gelungen ist.
Haben Sie schon einmal kuriose Brillen-Angebote bekommen?
Das kommt darauf an, wie man „kurios“ definiert, denn unser gesamtes Geschäftsmodell erscheint vielen Leuten an sich kurios. Ein Augenoptiker hatte beispielsweise stets sein eigenes Logo in die Fassungen graviert, selbst von außen, also über das eigentliche Markenlogo. Er fand es toll, hatte damit die Modelle aber quasi entwertet. Eine andere Augenoptikerin hatte Schieberegale, die alle ineinandergeschoben waren, aber als solche nicht zu erkennen. Vorne waren nur die „Budget-Brillen“ zu sehen und erst als die gute Frau Vertrauen zu mir gefasst hatte, schob sie die vorderen Regale zur Seite und es kamen die absoluten Luxusmodelle zum Vorschein. Sesam öffne dich!