Deutsche Wissenschaftsbeiträge zur Jahrestagung der AAO

„Internationale Wertschätzung unserer Forschungsarbeiten“

Auf der Jahrestagung der American Academy of Optometry war die Ernst-Abbe-Hochschule Jena mit elf vorgestellten Wissenschaftsarbeiten eine der am stärksten vertretenen Universitäten in der Optometrie. Im Interview mit der DOZ erklärt Studiengangsleiter Professor Wolfgang Sickenberger, welchen Stellenwert solche Auszeichnungen für Hochschulen und die Absolventinnen und Absolventen haben und warum es in Deutschland eine Kluft zwischen Qualität der Brillenversorgung und optometrischen Dienstleistungen im internationalen Vergleich gibt.
Wolfgang-Sickenberger-mit-Team-auf-AAO

Wolfgang Sickenberger (5. v. r.) freute sich mit seinem Team, dass elf von zwölf eingereichten Arbeiten von der Jury zur Präsentation akzeptiert wurden.

© EAH Jena

Erstveröffentlichung in der DOZ 02/23.

Ende Oktober 2022 fand der weltweit größte Weiterbildungskongress im Bereich der Optometrie in San Diego, Kalifornien statt. Dieser wurde von der Berufsvereinigung American Academy of Optometry (AAO) ausgerichtet, die in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen feierte (siehe DOZ 12/22). Über 8.000 Teilnehmer hatten die Möglichkeit, an vier Tagen über 300 Vorträge und Workshops zu Themenbereichen wie beispielsweise visuelle Wahrnehmung, Binokularsehen, Kontaktlinsen, Low Vision oder optometrische Untersuchungsmethoden zu besuchen.

Wie bei hochrangigen Wissenschaftstagungen üblich, wurden nach einer „Call for Abstracts“-Ausschreibung Wissenschaftsarbeiten unter anderem bei forschungsaktiven Hochschulen, Universitäten und Forschungsinstituten weltweit angefragt. Diese werden danach von einer Peer-Review-Fachgruppe anonym bewertet und je nach Eignung abgelehnt oder angenommen. Die Ablehnungsquote überwiegt hierbei und liegt je nach Themengebiet zwischen 60 bis 80 Prozent. 

Zahlreiche Wissenschaftsarbeiten aus Deutschland

Im Jubiläumsjahr der AAO ist eine sehr hohe Anzahl von Wissenschaftsarbeiten aus Deutschland international aufgefallen. Mit elf zur Vorstellung akzeptierten Arbeiten war die Ernst-Abbe-Hochschule Jena (EAH) die am stärksten vertretene europäische Hochschule auf dieser AAO-Tagung. So konnten Absolventinnen und Absolventen der EAH ihre Bachelor- und Masterarbeiten einem breiten internationalen Wissenschaftspublikum vorstellen. Im Interview mit DOZ-Autor Stefan Schwarz bewertet Professor Wolfgang Sickenberger, Studiengangsleiter Optometrie/ Vision Science der EAH Jena, diese besondere Honoration.

Herr Sickenberger, bei der diesjährigen Jahrestagung der AAO war der Studiengang Augenoptik/Optometrie der Ernst-Abbe-Hochschule sehr präsent mit Mitarbeitenden und Studierenden vertreten. Welche Bedeutung hat die Teilnahme für Sie und die Studierenden und was bringt die Reise für Ihre Arbeit? Wolfgang Sickenberger: 

Wolfgang Sickenberger: Wir sind bereits seit vielen Jahren mit Abschlussarbeiten international recht gut vertreten. Es hat uns besonders gefreut, dass elf von zwölf eingereichten Arbeiten von der AAO-Jury beziehungsweise der Peer-Gruppe zur Präsentation akzeptiert wurden. Das zeigt die Wertschätzung unserer Forschungsarbeiten im internationalen Umfeld, aber auch die Qualität der optometrischen Ausbildung am Standort Deutschland. Für Studierende ist die Präsentation ihrer Abschlussarbeit auf einer internationalen Tagung natürlich eine Herausforderung, aber vielmehr auch ein Beweis der Wertigkeit einer Bachelor- oder Masterthesis  zum Abschluss ihrer Studienzeit.

Haben Sie bei der Veranstaltung neue Kontakte zu anderen Hochschulen aus dem Bereich der Optometrie knüpfen können? 

Diese internationalen Tagungen sind für uns immer eine Bereicherung in vielerlei Hinsicht. Nennenswert sind unter anderem der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen zu aktuellen optometrischen Lehrinhalten, neue fachliche und didaktische Konzepte zum Beispiel bei der Ausgestaltung von Laborpraktika an neuen bildgebenden Diagnostikgeräten, Fallvorstellungen und interaktive Lehrinhalte, neue Forschungsansätze und -themen sowie Kooperationen mit anderen Universitäten und Institutionen.

Es ergeben sich ferner für unsere Studierenden häufig neue Joboptionen wie zum Beispiel Forschungsbeziehungsweise Promotionsmöglichkeiten, national wie auch international.

Generell habe ich den Eindruck, dass Deutschland nach wie vor einen guten Ruf vor allem im Feld der Optik genießt.

Professor Wolfgang Sickenberger

Wie wird die deutsche Optometrie Ihrer Ansicht nach international wahrgenommen?

Generell habe ich den Eindruck, dass Deutschland nach wie vor einen guten Ruf vor allem im Feld der Optik genießt. Das hat sicherlich historische Gründe, war doch sowohl die hiesige Ophthalmologie als auch die Augenoptik zur Gründungszeit der AAO vor 100 Jahren führend in der Welt. Diese Führungsrolle hat Deutschland in der Optometrie nach meiner Einschätzung seit vielen Jahren nicht mehr. Beschränkt man die Optometrie auf die Qualität der Brillenversorgungen, so sind wir sicher eines der führenden Länder weltweit. Wertet man den Kontaktlinsenmarkt oder gar optometrische Dienstleistungen, bewegen wir uns bestenfalls im Mittelfeld.

Haben Sie schon einmal versucht unsere verschiedenen Augenoptik-Abschlüsse in Deutschland im Ausland zu erklären? Das versteht selbst in Deutschland kaum jemand. Wir haben Augenoptikermeister, staatl. geprüfte Augenoptiker und Augenoptikermeister, Dipl. Ing. (FH) Augenoptik, Bachelor of Science sowie Master of Science in Augenoptik/Optometrie und seit geraumer Zeit auch noch die zusätzliche Vergabe von Urkunden mit der Titulierung wie Bachelor Professional. Ich will dieses Thema nicht politisieren, aber auffallend ist schon, dass wir einen massiven Zuwachs an Titeln in Deutschland haben, ohne jedoch eine Abgrenzung und Differenzierung der augenoptischen und optometrischen Kompetenzen. 

Ist das auf einer internationalen Bühne wie der AAO zu erklären beziehungsweise zu vermitteln?

Kaum! In den führenden Ländern ist die Optometrie ein regulierter Gesundheitsberuf und kein Handwerk. Die Hetero genität und die immer größer werdende Vielfalt an Ausbildungsabschlüssen in der Augenoptik/ Optometrie in Deutschland ohne Abgrenzung der Tätigkeitsfelder lässt eine professionelle Entwicklung der Optometrie in Deutschland nach meiner Überzeugung kaum zu. Ein erster positiver Schritt ist die Etablierung des RAL Gütesiegels für Optometrie. Auch freut es mich, dass Deutschland vor allem im Wissenschaftsbereich der Optometrie einen sehr guten Ruf genießt. So finden sich in den letzten Jahren auf hochrangigen Tagungen wie der AAO oder ARVO (The Association for Research in Vision and Ophthalmology; Anm. d. Red.) immer häufiger Arbeiten aus Deutschland beziehungsweise von deutschen Hochschulabsolventen, die im Ausland arbeiten. Wir halten es für sehr wichtig, auf internationalen Tagungen vertreten zu sein. 

Kreative-Präsentation-von-Josefine-Dolata-auf-der-AAO

Kreative Präsentation: Josefine Dolata machte Werbung für die Arbeit „Auswirkungen von Yoga auf das Computer Vision Syndrom“, die sie zusammen mit Marielle Löffler und Philipp Hessler eingereicht hatte.

© Josefine Dolata

Ergeben sich für Sie und Ihre Studierenden interessante Kontakte für die akademische Zusammenarbeit, neue Projekte und Aufbaustudien? Welche beruflichen Chancen können sich für Ihre Absolventen ergeben? 

Wir haben seit vielen Jahren enge Kontakte zu Universitäten und Forschungseinrichtungen in aller Welt. Tagungen sind hervorragende Möglichkeiten, um mit führenden Forscherinnen oder Optometristen in Kontakt zu treten. So ergeben sich neben der Möglichkeit für Praktika auch Promotionsoptionen und die Chance für die berufliche Weiterentwicklung im Ausland. Generell herrscht auf diesen Tagungen eine sehr offene Atmosphäre mit vielen Kontaktmöglichkeiten. Studierende haben vor allem bei den sehr gut besuchten Postersessions die Möglichkeit, schnell ins Gespräch mit führenden Wissenschaftlern aus allen möglichen Ländern zu kommen.

Ist der Austausch von Absolventen ausgeglichen, das heißt: Gibt es auch Absolventen aus dem angelsächsischen Raum, die eine Tätigkeit in Deutschland anstreben oder interessieren sich mehr Deutsche für Tätigkeiten zum Beispiel in USA, Kanada und Australien oder Neuseeland?

Im Bereich der technischen Optik ist es sicherlich ausgewogen, aber der Austausch im Feld der Optometrie ist eindeutig einseitig. Studierende der deutschen Hochschulen suchen in den vergangenen Jahren verstärkt den Kontakt zu Ländern, in denen die Optometrie weiterentwickelt ist und als Berufsstand etabliert ist.

 

Das Gespräch führte Stefan Schwarz

Die elf ausgewählten Arbeiten der EAH Jena

  • Lena Petzold stellte eine Methode zur objektiven Beurteilung der optischen Leistungsfähigkeit unterschiedlicher Intraokularlinsen vor. Dafür nutzte sie eine Technik zur virtuellen Implantation (Jenvis Research).

  • Sandra Schurig zeigte, dass Kontaktlinsenparameter, die nach DIN/ISO für die Labelung bei Raumtemperatur (21 °C) ermittelt werden, auch bei Augentemperatur (35 °C) gültig sind. Dies konnte sie anhand von Vergleichsmessungen mittels Optischer Kohärenztomografie (OCT) nachweisen. 

  • Die Achslänge des Auges ist insbesondere bei Kurzsichtigen ein kritischer Kennwert. Die Veränderung dieses Kennwerts stellte Katharina Keller in Bezug zu einer Gruppe Erwachsener über einen Zeitraum von drei Jahren vor.

  • Alexander Simon präsentierte seine Studie zum Einfluss des Fixationsverhaltens auf die Augenlängenmessung mittels OCT. 

  • Dr. Philipp Hessler war mit mehreren Arbeiten vertreten. In der Scientific Section stellte er erstmals Daten zum Achslängenwachstum einer kaukasischen Kohorte vor.

  • Johanna Germershaus konnte in einer Metaanalyse die Unterschiede im Augenwachstum einer asiatischen und einer kaukasischen Population aufzeigen. 

  • Ilka Kobelt stellte eine Studie vor, in der sie verschiedene Bedingungen zur Refraktions- und Korrektionsbestimmung verglich. 

  • Marielle Löffler zeigte in einer explorativen Arbeit die Verbesserungen subjektiver Symptome des Computer Vision Syndroms.

  • Carina Brüggemann beschäftigte sich in ihrer Bachelorarbeit mit der Änderung des Binokularsehens nach der Anwendung von Orthokeratologie-Kontaktlinsen. 

  • Dr. Sebastian Marx und Prof. Wolfgang Sickenberger stellten aktuelle Forschungsergebnisse im Bereich der Kontaktlinsentechnik vor.

  • Josefine Dolata präsentierte, wie unterschiedliche Lichtfarben visuelle Funktionen in der Nähe beeinflussen.

    Ein Großteil der Arbeiten werden demnächst auch auf deutschsprachigen Tagungen und Fortbildungen präsentiert werden, ferner sind einige der Arbeiten zur Publikation eingereicht.