New Work in der Augenoptik: Gesellinnen und Inhabende berichten
In der Augenoptik stehen die Zeichen auf Veränderung: Der Konzentrationsprozess nimmt immer mehr zu, die Digitalisierung schreitet voran und dann gibt es auch noch zahlreiche neue Anforderungen für die Betriebe. Ist die Augenoptik Branche bereit die neue Arbeitswelt?
Erstveröffentlichung DOZ 05I23
Wie wollen wir in Zukunft arbeiten? 96 Prozent der 1.000 Befragten einer Bitcom-Studie wollen ihre Arbeit frei einteilen, 91 Prozent messen den digitalen Technologien eine große Bedeutung bei und 82 Prozent der Berufstätigen zwischen 18 und 65 wollen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Ergebnisse zeigen: Der Wandel der Arbeitswelt schreitet voran. Die Zeiten, in denen man als Augenoptiker morgens um 9 Uhr das Geschäft betrat, die Ergebnisse der Refraktion auf einem Papier notierte, jahrelang im gleichen Betrieb arbeitete, selbstverständlich Überstunden leistete und nach Feierabend neben der Kindererziehung noch den Haushalt wuppte, sind vorbei. Digitalisierung und Globalisierung haben die Arbeitswelt in den vergangenen Jahren verändert. Hinzu kommt der Generationenwechsel: Die Babyboomer gehen bald in Rente; die Bewerber von heute sind weniger, aber in Zeiten des Fachkräftemangels heiß umworben. Sie suchen sich den Arbeitsplatz aus, der am besten zu ihren Bedürfnissen passt – der Arbeitgeber rückt mehr und mehr in die Bewerberrolle. Nicht mehr die Einkommenshöhe oder der gesellschaftliche Status, sondern Sinnhaftigkeit, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung stehen fortan im Mittelpunkt. Den Wandel von der alten zur neuen Arbeitswelt beschreibt der Begriff New Work. Freiräume und Gestaltungsspielräume für die Mitarbeitenden durch die Möglichkeit, sich jederzeit einzubringen, die bessere Vereinbarkeit von Freizeit und Beruf durch flexible Arbeitszeiten und offener Austausch mit Stärkung des Teams zählen dabei zu den wichtigsten Kennzeichen der neuen Arbeitswelt.
Laut einer Befragung des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation spiegelt sich New Work in immer mehr Branchen in ganz Deutschland wider. „Die Branche spielt dabei keine Rolle“, sagt New-Work-Experte Prof. Dr. Carsten Schermuly (siehe auch Kurzinterview unten). Doch wie viel New Work wird schon in den Betrieben der Augenoptik gelebt? Die DOZ hat bei zwei Gesellinnen, einer Inhaberin und einem Inhaber traditioneller Augenoptikbetriebe in Baden-Württemberg nachgefragt, um herauszufinden, welche Gestaltungsmöglichkeiten die Gesellinnen aktuell in ihrem Betrieb haben beziehungsweise wie die Inhabenden ihren Betrieb in den Bereichen Zusammenarbeit, Arbeitszeit, Digitalisierung und Weiterbildung aktuell führen. Zudem wollten wir wissen, was sie sich für die Zukunft wünschen und wo sie die Herausforderungen sehen.
Info: Das ist New Work
Ursprung: Der Begriff New Work stammt vom österreichisch-amerikanischen Sozialphilosophen Frithjof H. Bergmann, der New Work in den Siebzigern als Reaktion auf den Kapitalismus sah. Statt der einfachen Lohnarbeit stellte er die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und Kreativität in den Vordergrund.
Kritik: Kritisiert wird der hohe Organisations- und Koordinationsaufwand, da zwar Bedürfnisse aller Mitarbeiter berücksichtigt werden sollen, aber gleichzeitig alle Aufgaben und Abläufe geregelt sein müssen. Das Verschmelzen von Privatem und Arbeit durch die ständige Erreichbarkeit kann zur Überlastung führen. Außerdem wird der Markt außer Acht gelassen. Gewisse Arbeitsbedingungen (wie Samstagsarbeit in der Augenoptik) sind vom Markt erzwungen, da die Bedürfnisse der Kundschaft befriedigt werden müssen.
Emily Klefenz plant, sich in den nächsten zehn Jahren in der Augenoptik selbstständig zu machen. Neben vielen New-Work-Themen liegt ihr auch die Nachwuchs-Ausbildung am Herzen.
Gesellinnen wollen mehr Verantwortung
Die beiden Gesellinnen Lisa Wefers und Emily Klefenz haben im vergangenen Jahr ihre Ausbildung beendet und besuchen nun die Meisterschule in Karlsruhe. Wefers arbeitet im elterlichen Familienbetrieb in St. Ingbert im Saarland und Klefenz bei einem Filialisten im Rhein-Neckar-Kreis. Dabei kann Wefers im Familienbetrieb mitbestimmen und Ideen und Verbesserungsvorschläge einbringen und ist außerdem für den Instagram-Kanal, den sie vor drei Jahren aufgebaut hat, und die Schaufensterdekoration verantwortlich. Klefenz bemängelt dagegen beim Filialisten starre Hierarchien und wenig Mitsprachemöglichkeiten. Trotz unterschiedlicher Ausgangssituationen sind sich beide einig, dass flache Strukturen im Betrieb, eine Kommunikation auf Augenhöhe und die Möglichkeit, mehr Verantwortung übernehmen zu dürfen, wünschenswert sind. „Flache Strukturen fangen schon beim Einbeziehen der Azubis an“, sagt Klefenz. Auch diese könnten bereits kleine Projekte übernehmen oder Ideen einbringen. Ihr Ansatz: „Junge Menschen haben neue Ansichten, es ist wichtig, diese zu hören und ihnen etwas Verantwortung zu übertragen.“ (siehe dazu auch Expertin: So geht gezieltes Azubi-Recruiting) Ein offener Austausch mit allen fördere zudem den Teamgedanken.
Zusätzlich zu den flachen Hierarchien spielt für beide Gesellinnen Fachwissen und die fortschreitende Digitalisierung eine entscheidende Rolle. Ihr Motto: Immer up to date bleiben. „Weiterbildungen sind definitiv wichtig“, sagt Wefers, die nach der Meisterweiterbildung bereits eine Weiterbildung im Bereich Myopie-Management geplant hat. „Mitarbeitende, die eine Weiterbildung machen wollen, sollen das auch dürfen“, ergänzt Klefenz, die sich nicht länger für den Wunsch nach Weiterbildungen bei Chefs rechtfertigen, sondern ganz im Sinne von New Work ihre Ziele individuell festlegen will.
Lisa Wefers arbeitet im elterlichen Familienbetrieb im Saarland.Aktuell betreiben ihre Eltern den Betrieb in vierter Generation. Ihr Ziel ist es, das Geschäft der Eltern später zu übernehmen
Viertagewoche wäre "toll", aber unrealistisch
Ein großes Thema in der New Work – neben der Individualität und dem Gestaltungsspielraum im Betrieb – ist die Flexibilität. Gemeint sind damit Freiheiten, die den Mitarbeitern in puncto Arbeitszeit und -organisation eingeräumt werden sollen. Aktuell haben Lisa Wefers und Emily Klefenz feste Arbeitszeiten. Immerhin kann die Saarländerin, „wenn etwas anliegt“, kurzfristig Arbeitsdienste tauschen. Klefenz hingegen hat einen freien Tag in der Woche, bemängelt aber die starren Arbeitszeiten im Betrieb. Auch wenn beide eine Viertagewoche „toll“ fänden, halten sie es für unrealistisch. „Wir Augenoptiker haben Öffnungszeiten wie der Einzelhandel. Eine Viertagewoche ist nicht praktikabel“, sagt Wefers. Arbeitspläne, die nicht vom Chef vorgegeben werden, sondern in die man sich freier eintragen kann, halten beide aber für eine gute Idee.
Offener Dialog und Augenhöhe ein Muss
Kurzes Zwischenfazit: Die beiden Gesellinnen wünschen sich viele Weiterbildungen, digitale Betriebsabläufe, flache Strukturen und zumindest mehr Mitspracherechte bei den Arbeitszeiten und vor allem mehr Verantwortung. Wie stehen die Inhaber zur New Work? Sowohl Sebastian Geider, der mit „Optik Geider“ drei augenoptische Fachbetriebe in Baden-Württemberg (Östringen, Oberderdingen und St. Leon-Rot) leitet, und Ute Blessing, die den Augenoptikbetrieb „Die Brillenmacher“ in Leimen im Rhein-Neckar-Kreis führt, machen gleich zu Beginn des Gesprächs mit der DOZ klar, dass ihnen bewusst ist, dass sich die Bedürfnisse der Mitarbeiter geändert haben. Ihre Erfahrung: „Den Mitarbeitenden ist die Freizeit wertvoller und Work-Life-Balance ein hohes Gut geworden.“ Schon seit Jahren versuchen sie daher mit flachen Hierarchien und Flexibilität in ihren Betrieben bei den Mitarbeitenden zu punkten. Ein Beispiel: Für Ute Blessing ist Kommunikation auf Augenhöhe bei der Betriebsführung am wichtigsten. Die Besitzerin eines kleinen Geschäfts mit drei Beschäftigten bindet ihr Team bereits seit vielen Jahren in zahlreiche Geschäftsprozesse ein. „Ich bin seit über 30 Jahren im Geschäft, in den ersten Jahren habe ich meinen Betrieb anderes geführt, aber mittlerweile weiß ich dank meiner Berufserfahrung und meiner Menschenkenntnis, wie ich meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sinnvoll in die Arbeitsprozesse einbinden kann.“
Konkret heiß das: Den Mitarbeitern gibt sie Projekte und Aufgaben passend zu deren individuellen Kenntnissen und Interessen. Einen technikaffinen Mitarbeiter unterstützt und berät sie bei der Digitalisierung der Betriebsabläufe, während eine andere Mitarbeiterin gute Ideen für Aktionen habe und ihr so beim Marketing helfe. Für sie sei es wichtig, dass sich die Mitarbeitenden wohlfühlen. Zudem ist sie überzeugt, dass Kundinnen und Kunden merken, ob in einem Fachgeschäft das Betriebsklima stimmt. Auch Sebastian Geider legt in seinen drei Betrieben in Nordbaden bei der Zusammenarbeit Wert auf den Dialog und ein offenes und ehrliches Miteinander: „Ich möchte, dass die Kollegen Probleme ansprechen, ehe es zu spät ist.“
Seit über 30 Jahren ist Ute Blessing in ihrem Betrieb in Leimen tätig. Schon immer war ihr eine Feedbackkultur wichtig. Sie gibt den Mitarbeitenden ebenso Rückmeldungen wie diese ihr.
Digitalisierung und Weiterbildung? Na klar!
Der Digitalisierung gegenüber sind beide Inhaber sehr aufgeschlossen. „Ohne geht es heute nicht mehr“, sagt Geider. Und auch bei Blessing läuft vieles digital. „Wir haben alle neuen Prozesse im Team abgesprochen und diskutiert.“ Sie sei offen für weitere Digitalisierung und Modernisierungen, solange es zu den Betriebsabläufen in dem kleinen Fachgeschäft passe. „Teurere Screening-Geräte machen nur Sinn, wenn die Mitarbeiter sie bedienen können und die Kunden nach den entsprechenden Leistungen fragen“, lautet ihr Ansatz. Um die Mitarbeitenden fit für die neuen Geräte zu machen, haben sie gemeinsam Schulungen und Weiterbildungen besucht. Und auch im Familienbetrieb Geider sind Weiterbildungen wichtig. „Gerade die jüngeren Mitarbeiter kommen mit Weiterbildungswünschen auf mich zu. Und diese erfülle ich gerne.“ Gleichzeitig achte auch er darauf, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich regelmäßig fortbilden, „um die Stärken zu fördern, aber auch um Schwächen zu verbessern“.
Vor 16 Jahren stellte Sebastian Geider – während seiner Ausbildung– den ersten Computer im Betrieb seiner Mutter auf. Als Geschäftsführer hat er die Digitalisierung weiter vorangetrieben.
Neu: Ruhetag bei Optik Geider
„Einen attraktiven Arbeitsplatz mit guten Arbeitsbedingungen zu haben, der zu den Bedürfnissen passt, ist auch in der Augenoptik wichtig“, ist Geider überzeugt. Die Arbeit am Samstag sei für viele ein Manko. „Auch wenn ich wegen der hohen Kundenfrequenz an einem Samstag den Laden nicht schließen kann, habe ich dennoch versucht, eine Lösung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden“, erklärt Geider. Seine Idee: „Friseure haben schon seit Jahren montags einen Ruhetag. Warum sollte nicht auch in der Augenoptik an einem Tag geschlossen sein?“ Seit November haben seine drei Geschäfte mittwochs Ruhetag – schon davor war mittwochs nur halbtags geöffnet. Die Kunden hätten das gut angenommen und finanzielle Einbußen gäbe es auch keine. Geider: „Für die Mitarbeitenden bedeutet das, sie haben einen freien Tag mitten in der Woche, den sie dankend annehmen.“
New Work scheint – zumindest in Teilen – in der Augenoptik angekommen zu sein, das belegen zumindest die beiden von uns befragten Inhabenden mit ihren Ansätzen. Viele Zukunftswünsche, die die beiden Gesellinnen Lisa Wefers und Emily Klefenz der DOZ gegenüber geäußert haben – etwa flache Hierarchien oder mehr Mitbestimmung – werden in diesen Betrieben schon jetzt erfüllt. Zudem sind die Inhabenden Sebastian Geider und Ute Blessing offen für Neues, solange die Änderungen zum Betrieb passen. Gleichzeitig ist ihnen bewusst, dass sie zukünftig unter Umständen mehr Kompromisse eingehen müssen, um eine Mitarbeiterfluktuation zu vermeiden oder neue Fachkräfte zu finden.
Kurzinterview mit New Work Experte: "Generationsdenken fördert Stereotypen"
New Work-Experte Prof. Dr. Carsten Schermuly von der privaten Fachhochschule SRH Berlin.
Der Wirtschaftspsychologe Prof. Dr. Carsten Schermuly von der privaten Fachholschule SRH Berlin beschäftigt sich seit Jahren mit dem Begriff New Work. Im New-Work-Barometer gibt er regelmäßig einen Überblick über das Verständnis des Begriffs. Warum er davon überzeugt ist, dass Generationsdenken Stereotypen fördert, hat er der DOZ im Interview verraten.
Herr Schermuly, die Augenoptik ist ein Gesundheitshandwerksberuf. Ist New Work im Handwerk trotzdem möglich und wo liegt der Mehrwert für die Arbeitnehmerin und für den Arbeitgeber?
Carsten Schermuly: Es kommt immer darauf an, wie man New Work definiert. Während der Corona-Pandemie ist stark die Vorstellung aufgekommen, dass Homeoffice gleichbedeutend mit New Work sei. Als Psychologe habe ich aber eine menschlich geprägte Sichtweise auf den Begriff New Work. Für mich beinhaltet New Work Maßnahmen, die das psychologische Empowerment von Mitarbeiterinnen steigern, also das Erleben von Sinn, Kompetenz, Selbstbestimmung und Einfluss am Arbeitsplatz.
Und dieses Empowerment tut allen Mitarbeitern in allen Branchen gut. Welchen Einfluss hatte die Corona-Pandemie auf die Entwicklung der Arbeit?
Viele haben derzeit Angst vor dem demografischen Wandel und dem „War of Talents“. Mit der Förderung von psychologischem Empowerment kann man tatsächlich etwas für die Bindung der Mitarbeitenden an das Unternehmen tun. Wir konnten in einer Studie sogar nachweisen, dass Beschäftigte, die sich empowert fühlen, erst später in Rente gehen.
Apropos demografischer Wandel: Warum haben die jüngeren Generationen andere Anforderungen an die Arbeit als die älteren?
Die Idee der Generationenunterschiede ist ein soziologisches Gedankenexperiment und stammt aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts. Ich halte dieses Denken für ablenkend, denn es gibt in der Psychologie keine Belege dafür, dass sich Generationen signifikant voneinander unterscheiden. Es existieren Alterungseffekte, aber keine Generationenunterschiede. Das Einzige, was jüngere Generationen tatsächlich von älteren unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie weniger sind und dadurch ihre Bedürfnisse selbstbewusster kommunizieren können. Ansonsten dient das Denken in Generationen nur der Förderung von Stereotypen. Arbeit muss für alle im Betrieb gut gestaltet werden!
Was erwarten Sie für die Zukunft? Wie verändert sich unsere Gesellschaft durch New Work?
Erst einmal können sich Menschen durch New Work und mehr Empowerment verändern. Menschen, die Empowerment erleben, sehen Sinn in ihrer Arbeit. Gleichzeitig fühlen sie sich kompetent und können selbstbestimmt ihre Arbeit organisieren. Dazu kommt das Gefühl, Einfluss zu besitzen, also die Wahrnehmung, dass das eigene Verhalten einen Unterschied macht und man etwas bewirken kann. Das führt zu mehr Proaktivität und hat viele positive Konsequenzen, wie zum Beispiel mehr Innovationsleistung und verstärkte Arbeitszufriedenheit.