Beschwerdemanagement

Mann zeigt Karte mit unzufridenem Smiley
Bewschwerden sind keien Bedrohung, sondern willkommene Information.
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„Kundenunzufriedenheit führt in weit stärkerem Maße zu Abwanderung als Kundenzufriedenheit zu Loyalität. Deshalb kommt es auf den überlegten Umgang mit unzufriedenen Kunden an“, sagt Dr. Dr. h.c. Bernd Stauss, emeritierter Professor für Dienstleistungsmanagement an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, der zu den anerkanntesten Fachleuten auf diesem Gebiet zählt. Ein Gesprächsprotokoll.

Gehen Unternehmen und Betriebe wenig zufriedenstellend mit Kundenbeschwerden und Reklamationen um, verletzen sie ihr Eigeninteresse. Die verbreitete Vorstellung, ein anständiges Beschwerdemanagement koste nur Geld, bringe aber nichts ein, ist falsch. Klug gehandhabt, liegt darin materiell wie immateriell ein beachtliches Wertschöpfungspotenzial. Grundlage dafür ist die Erkenntnis aus empirischen Studien, dass Kundenabwanderungen vermeidbar sind. Und an der Spitze der Abwanderung stehen die bei Reklamationen und Beschwerden falschbehandelten Kunden. Anstatt deren Unzufriedenheit konsequent auszuräumen, ihr Vertrauen zurückzugewinnen und sie als Umsatzbringer weiter an sich zu binden, werden sie vergrault. Auf diese Weise handelt man sich zum vorhandenen Ärger weiteren ein: Die nun erst richtig empörten und enttäuschten Kunden wandern ab. Obendrein ziehen sie auch noch über den Betrieb her – vielleicht nicht nur im nachbarschaftlichen Gespräch, sondern zudem noch in den Sozialen Medien. So gesellt sich zum materiellen auch noch der immaterielle Schaden.

„unwillkommene Bedrohung“

Grundsätzlich haben die meisten Unternehmen die Bedeutung der Kundenbindung erkannt. Auch bekennen sich alle zum Ziel der Kundenzufriedenheit. Vergessen dabei aber ins Kalkül zu ziehen, dass Kunden unweigerlich auch negative Erlebnisse haben. Und diese deutlich nachhaltiger empfinden als positive Eindrücke. Nachgewiesenermaßen beschweren sich Kunden in der Regel über Probleme, die sie als gravierend wahrnehmen. Deshalb werden die mit einer Beschwerde verbundenen Emotionen wie Enttäuschung, Frustration, Ärger oder Wut viel intensiver empfunden und beeinflussen das Verhalten viel stärker als positive Erlebnisse. In der Konsequenz heißt das: Kundenunzufriedenheit führt in weit stärkerem Maße zu Abwanderung als Kundenzufriedenheit zu Loyalität.

Somit sind falsch behandelte, verärgerte Kunden unmittelbar gefährdete Umsatz- und Deckungsbeitragspotenziale, denen die ihnen gebührende Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Voraussetzung für einen respektvollen und weitsichtigen Umgang mit unzufriedenen Kunden ist das klare Bekenntnis des Chefs zur Kundenbindung, verbunden mit persönlichem Engagement und Vorbild-Verhalten. Nutzen Vorgesetzte Beschwerden vorrangig für die Suche nach Schuldigen anstatt die von den Kunden offen gelegten Mängel als potenzielle Verbesserungsvorschläge zu nutzen, sorgen sie für Fehlanreize. Anstatt auf die Vermeidung zukünftiger Probleme hinzuarbeiten, fördern sie die Tendenz zur Unterdrückung von Kundenkritik. Die Mitarbeiter sehen dann in den Kundenbeschwerden keine willkommene Information, sondern eine , der es auszuweichen gilt. Im persönlichen Gespräch vorgebrachte Beschwerden werden dann möglicherweise gar nicht erst erfasst oder nicht weitergeleitet.
Weiterer fehlsteuernder Faktor im Beschwerdemanagement ist die Unkenntnis über das Ausmaß der Kundenunzufriedenheit. Niedrige Beschwerdezahlen werden fälschlicherweise als Ausdruck von Kundenzufriedenheit interpretiert. Doch die im Unternehmen eingehenden Beschwerden dokumentieren nur einen Bruchteil der Kundenunzufriedenheit. Nach den Ergebnissen der nationalen Zufriedenheitsstudie Kundenmonitor Deutschland ist der Anteil enttäuschter Kunden, die sich nicht beschweren, außerordentlich hoch. So liegt diese „Nichtartikulationsrate“ unzufriedener Kunden beispielsweise bei Banken und Sparkassen aktuell bei 76,3 Prozent. Zudem werden insbesondere den Mitarbeitern gegenüber persönlich vorgebrachte Beschwerden häufig gar nicht erfasst oder aus den besagten Gründen nicht weitergeleitet. So sind die dokumentierten Beschwerden nur die Spitze des Verärgerungs-Eisbergs, wodurch das Ausmaß von Kundenunzufriedenheit und Abwanderungsgefahr unterschätzt wird.

„Keinerlei Kulanz und Entgegenkommen!“

Als dritter fehlsteuernder Faktor wirkt die Unterschätzung alternativer Handlungsoptionen unzufriedener Kunden. Unprofessionelles Beschwerdemanagement beschwört für die Unternehmen die Gefahr herauf, sich gegen via Facebook und Twitter etc. verbreitete Anwürfe frustrierter Kunden zur Wehr setzen und die im Netz zirkulierende Kritik wieder einzufangen müssen. Gerade stark enttäuschte, verärgerte und wütende Kunden äußern sich in den sozialen Medien hemmungslos. Ein Beispiel aus einem Bewertungsportal für Dienstleister: „Meine Mutter beanstandete einen ganz klaren Materialfehler der Gläser (bestätigt durch einen anderen Augenoptiker) nach circa 2,5 Jahren. Optik XY lehnte jede Verantwortung ab und bot auch keinerlei Kulanz und Entgegenkommen an!“ Nicht selten findet solche Kritik zum Schaden des Unternehmensimage rasch große Resonanz.

Ein vierter fehlsteuernder Faktor ist die Beschwerdequote, die viele Unternehmen zur Überprüfung der Kundenzufriedenheit und zur Steuerung des Beschwerdemanagements verwenden. Damit wird die Anzahl der eingegangenen Beschwerden zur Kundenzahl in Relation gesetzt. Eine niedrige Beschwerdequote wird als Ausdruck hoher Kundenzufriedenheit interpretiert. Das ist aus mehreren Gründen problematisch. Zum einen kann von einer niedrigen Beschwerdequote nicht auf hohe Kundenzufriedenheit geschlossen werden, weil sich die Mehrheit der unzufriedenen Kunden – siehe oben – ja gar nicht beschwert. Zum anderen ist die Steuerungswirkung dieses Vorgehens fatal. Es konterkariert alle Bemühungen, unzufriedene Kunden zu einer Beschwerde zu ermuntern, um auf diese Weise dem Betrieb die Chance zu geben, die wertvolle Kundenbeziehung zu halten und aus der angesprochenen Problematik zu lernen. Im Gegenteil besteht für die Verantwortlichen ein starker Anreiz, Beschwerdeführer zu entmutigen und eingegangene Beschwerden zu unterdrücken. Lässt sich damit doch die Beschwerdequote senken und das tatsächliche Ausmaß der Kundenunzufriedenheit vernebeln.

Insofern sind Statistiken geradezu Beschwerderaten mit Vorsicht zu genießen. Vielleicht gehören die Augenoptiker nämlich auch zu den Branchen, die Kundenreklamationen ehrlicher erfassen und offener kommunizieren. Das wäre dann aus Sicht von Bernd Stauss sogar ein erster Schritt hin zu einem klugen Umgang mit Beschwerden als nützliche Tipps zur zukünftigen Vermeidung von Problemen.

Das Buch „Beschwerdemanagement – unzufriedene Kunden als profitable Zielgruppe“ von Bernd Stauss und Wolfgang Seidel erscheint in der 5. Auflage im Hanser Verlag.

Autor: Hartmut Volk