Was Augenoptiker und Orthoptistinnen eint
Sie zählen zu den weniger bekannten Expertinnen für gutes Sehen, erfüllen aber bedeutende Aufgaben: die Orthoptistinnen. Ein Berufsstand, der in Deutschland seit einigen Jahren ein Schattendasein führt. Was genau zeichnet die Tätigkeit aus? Welche Berührungspunkte zum Augenoptiker gibt es – und wann ist eine Zusammenarbeit sinnvoll? Die DOZ hat sich umgehört.
„Mit dem Zweiten sieht man besser“, erklärt uns das öffentlich- rechtliche Fernsehen, ein Heilsversprechen, das sich zumindest an anderer Stelle bewahrheitet: Auch schielende Kinder werden seit geraumer Zeit mit einem bunten Pflaster auf dem Auge therapiert. Ein Umstand, der meist auf eine Orthoptistin zurückzuführen ist: Die medizinische Fachkraft arbeitet in ophthalmologischen und / oder neurologischen Einrichtungen und unterstützt Ärzte bei der Verhütung (Prophylaxe), der Erkennung (Diagnose) sowie der Behandlung (Therapie) von Schielerkrankungen (Strabismus), Sehschwächen (Amblyopie) und Augenzittern (Nystagmus). Die Überprüfung der Sehschärfe von Säuglingen und Kleinkindern gehört ebenfalls zu ihrem Aufgabengebiet. Die Bezeichnung leitet sich aus dem Griechischen ab: Ortho bedeutet „gerade“, opsis „Sehen“. Die Kombination beider Begriffe umschreibt somit bereits das Ziel der Orthoptistin: dem Patienten „Geradesehen“ zu ermöglichen.
Rund 2.400 Orthoptistinnen sind derzeit in Deutschland tätig, die meisten davon fest angestellt in Augenarztpraxen und Krankenhäusern mit augenärztlicher Abteilung. Orthoptistinnen arbeiten zudem in Frühförderstellen, Rehabilitationseinrichtungen, Sonderschulen und Einrichtungen für Sehbehinderte und Blinde. Drei Jahre dauert die Ausbildung in Vollzeit, sie schließt nach erfolgreicher Prüfung mit staatlicher Anerkennung ab. In Deutschland wird die Ausbildung in 14 Universitätsaugenkliniken mit entsprechender Schule angeboten; darüber hinaus bietet die Orthoptistenschule am Universitätsklinikum Heidelberg einen Bachelor-Studiengang „Interprofessionelle Gesundheitsversorgung (B.Sc.)“ an, der zusätzlich zum Bachelor of Science (B.Sc.) den staatlichen Abschluss als Orthoptistin enthält. Zwar gibt es auch männliche Vertreter des Berufsstandes – allerdings in überwältigender Minderheit. Die Mehrzahl ist weiblich, weshalb im Berufsalltag, in entsprechender Literatur und auch im weiteren Verlauf dieses Artikels meist von der „Orthoptistin“ die Rede ist.
Gutes Sehen im Mittelpunkt
Gutes Sehen im Mittelpunkt – das erinnert an Augenoptik und Optometrie. Wo liegen die Gemeinsamkeiten zur Orthoptik, welche Unterschiede gibt es? Eine Frage, die Petra Kampmann beantworten kann, Orthoptistin aus Heidelberg und PR-Beauftragte des Berufsverbands Orthoptik Deutschland e. V. „Orthoptistinnen untersuchen, behandeln und beraten zusätzlich bei Lernauffälligkeiten, neurologischen Erkrankungen mit visuellen Einschränkungen (Neuro-Orthoptik / Neuro-Rehabilitation) sowie Sehbehinderungen. Sie verfügen über qualifizierte anatomische, physiologische und medizinische Kenntnisse. Damit grenzt sich der staatlich anerkannte Gesundheitsfachberuf eindeutig von dem Beruf des Augenoptikers ab“, erklärt Kampmann.
Zu diesem Ergebnis kommt übrigens auch eine Schweizer Studie aus dem Jahr 2007, wonach die Leistungen von Orthoptistinnen durch andere Berufe nicht oder nur unzureichend abgedeckt werden können. Ein kleines Beispiel aus dem Praxisalltag: Da Fehlsichtigkeiten und Schielformen möglichst früh therapiert werden müssen, arbeitet die Expertin für „Geradesehen“ häufig mit Kindern zusammen. Zusätzlich zu entsprechender Fachkenntnis braucht es hier auch besonderes Einfühlungsvermögen. Zur Augenanalyse misst die Orthoptistin unter anderem die Augenstellung, die Qualität des beidäugigen Sehens, die Augenfolgebewegungen und natürlich die Sehkraft des kleinen Patienten. Gemeinsam mit dem Augenarzt wird nach Überprüfung der Brechkraft bei weit gestellter Pupille und unter den Aspekten der orthoptischen Untersuchungsergebnisse entschieden, ob eine Brille notwendig ist und gegebenenfalls eine individuelle Korrektion verordnet werden muss.
Unterschiede zur Augenoptik
Hier kommt dann der Augenoptiker ins Spiel. Kampmann: „Eine gute Zusammenarbeit von Augenoptikern und Orthoptisten, bei Bedarf auch mit persönlicher oder telefonischer Rücksprache, dient dem Wohl des Kunden beziehungsweise des Patienten und sollte deshalb verfolgt werden.“ Denn: Adäquater Ansprechpartner für den Ausgleich von Sehfehlern mit Brillen- und Kontaktlinsenanpassung sowie deren Herstellung und Anpassung ist der Augenoptiker. Aber, so Kampmann über die Unterschiede zwischen beiden Berufen: „Bei Auffälligkeiten wie Schieltendenzen oder Visusminderungen trotz bester Korrektion sollte ein Kontakt zum Augenarzt beziehungsweise zur Orthoptistin hergestellt werden; dies gilt insbesondere vor der Vergabe von Prismengläsern.“ Bildet sich eine Orthoptistin im Bereich Refraktion und Anpassung von vergrößernden Sehhilfen weiter, kommt auch eine Partnerschaft mit einem Augenoptiker in Betracht, etwa, um im Betrieb entsprechende Aufgaben zu übernehmen.
„Ansonsten ist ihre Tätigkeit im Bereich Diagnostik und Therapie in Zusammenarbeit mit Ärzten zu verankern“, erläutert Kampmann. Eine Einbindung in das Dienstleistungsportfolio eines Augenoptikers ist ebenfalls möglich. Dies ist insbesondere sinnvoll für Fälle, in denen eine Störung des beidäugigen Sehens vorliegt (etwa akkomodatives Schielen oder eine Konvergenzinsuffizienz), Sehprobleme in der Dämmerung bestehen oder sich ein Augenzittern oder eine Kopfschiefhaltung bemerkbar macht. „Unter www.orthoptik.de sind alle orthoptischen Einrichtungen Deutschlands aufgeführt. In der Regel kennt ein niedergelassener Augenoptiker die ansässigen Praxen, in denen Orthoptistinnen arbeiten und kann bei Bedarf Kontakt herstellen.“
Zusammenarbeit verbessern
Kontakt und Kommunikation – Aspekte mit Entfaltungspotenzial. Sie selbst sei in ihrer beruflichen Tätigkeit in der glücklichen Situation, erklärt Kampmann, mit vielen Augenoptikern einen sehr guten Austausch zu pflegen. Sie betont die Notwendigkeit einer guten Zusammenarbeit: „Sowohl Augenoptikern als auch Orthoptistinnen ist daran gelegen, ihre Kunden beziehungsweise Patienten optimal mit Sehhilfen und Hilfsmitteln zu versorgen. Das fundierte Wissen und Können eines Augenoptikers bezüglich Refraktionsbestimmung und Anpassung von Sehhilfen sowie die oben genannten medizinischen Kenntnisse einer Orthoptistin sind die optimalen Voraussetzungen für eine hervorragende Versorgung.“
Ähnlich äußert sich Birgit Wahl. Die Lehrorthoptistin leitet die Orthoptistenschule des Universitätsklinikums in Heidelberg. Sie sagt: „Wenn eine Orthoptistin mit der Brillenanpassung nicht zufrieden ist, sollte sie den Augenoptiker selbst kontaktieren und ihre Vorstellungen erläutern.“ Sinnvoll wäre es auch, wenn Augenoptiker bei unklaren Hinweisen auf dem Brillenrezept oder im Befundbericht direkt bei der Orthoptistin nachfragen würden. Wahl: „Meiner Erfahrung nach ergibt sich daraus dann eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, die den Patienten zugutekommt.“ Die Chancen für eine gute Kooperation liegen ihrer Meinung nach in der Kommunikation, „egal wo beide örtlich und organisatorisch arbeiten“.
Eine Selbständigkeit sei für Orthoptistinnen nicht im üblichen Sinne möglich, da sie auf ein Angestellten- oder honorarbasiertes Arbeitsverhältnis beim Augenarzt angewiesen sind, weil nur dieser orthoptische Leistungen abrechnen darf. „Aber“, ergänzt Wahl, „es ist theoretisch denkbar, dass eine Orthoptistin beim Augenoptiker angestellt wird, um Patienten an der Schnittstelle Orthoptik / Augenoptik zu beraten. Augenärzte weisen allerdings zu Recht immer wieder darauf hin, dass bei weitem nicht alle orthoptischen Fragestellungen ohne einen vom Augenarzt zu leistenden Organbefund abschließend zu beantworten sind.“
Autor: Benjamin Weber