Was der Tradi vom "Omni" lernen kann: Mitmachen ist angesagt!
„Mitmachen!“ Mit diesem einfachen Wort beantwortet Martin Himmelsbach, Geschäftsführer der Ipro GmbH, die Frage, was er einem traditionellen Augenoptiker in Bezug auf ein Multi- beziehungsweise Omnichannel-Modell raten würde. In Zeiten, in denen Anbieter wie Mister Spex oder brillen.de mit ihrem Omnichannel-Geschäftsmodell in den Markt drängen, stellt sich tatsächlich die Frage, wie und ob der traditionelle Augenoptiker darauf reagieren soll, muss oder will. Reicht es heute und in Zukunft noch, rein eindimensional zu agieren, oder aber gilt es wirklich spätestens jetzt zu reagieren, um nicht irgendwann abgehängt zu werden? Eine Antwort auf diese Frage ist nicht mal eben aus der Hüfte geschossen, aber Himmelbachs Worte entbehren sicherlich nicht einer gewissen Richtigkeit: Mitmachen!
Doch gilt es gewisse Voraussetzungen zu schaffen, um überhaupt mitspielen zu können im Multi- und Omnichannelgeschäft. Das weiß auch Yannick Fetsch, Geschäftsführer der Marketingagentur für Augenoptiker Rocktician. „Fairerweise muss man sagen, dass die meisten kleinen und mittleren Unternehmen in der Augenoptik erst einmal einen grundsätzlichen Nachholbedarf im Onlinebereich haben“, sagt er aus Erfahrung. Entsprechend gilt es zunächst Grundlagen zu schaffen, um überhaupt einen Schritt weiter denken zu können. „Das fängt mit einer guten Webseite an und geht bei der Online-Terminvergabe sowie einem ordentlichen Google-MyBusiness-Account weiter. Erst wenn eben solche Grundlagen stimmen, kann ich mir Gedanken über zusätzliche Kanäle machen.“
Online-Terminvergabe als Must-have
Die von Fetsch angesprochene Online-Terminvergabe ist dabei sicher ein Basic, doch ist sie ein wichtiger erster Schritt, um den Kunden online abzuholen und ins Geschäft zu führen. Mittlerweile sind diese Tools auf fast jeder guten Webseite integriert, doch eben noch bei lange nicht jeder. Gerade in diesem Bereich machen die meisten großen Anbieter vor, wie es geht. Mit nur wenigen Klicks ist der Termin im Laden gebucht, der Kunde aus der Online-Welt zumindest schon einmal einen Schritt näher in den Laden geholt. Natürlich funktioniert auch das nur, wenn schon online die Rahmenbedingungen stimmen, sprich die Webseite übersichtlich aufgebaut und die Terminvergabe beispielsweise mit nur wenigen Klicks durchzuführen ist. „Wer online präsent ist, wird offline gewinnen“, bemüht Fetsch eine klassische Omnichannel-Weisheit, die aber auch in der optischen Branche greift.
Gerade für den traditionellen Augenoptiker gilt aber auch, dass die Kosten und auch der Zeitaufwand für die Online-Aktivitäten überschaubar bleiben müssen. Schließlich gilt es weiterhin, nicht online Brillen zu verkaufen, sondern hier einen Ankerpunkt zum Kunden herzustellen. Bei Rocktician verfolgt man daher die Strategie, Grundkonzepte individualisiert aufzubereiten.
„eine Art verlängerte Ladentheke“
Ähnliche Vorgehensweisen findet man auch bei den Einkaufsgemeinschaften. Ob Brillen-Profi oder IGA Optic – beide bieten ihren Mitgliedern ebenfalls Unterstützung bei Aufbau und inhaltlicher Pflege der Webseiten an. Integriert sind dabei optional auch Präsentationen von aktuellen Fassungen, damit sich die Kunden schon im Vorfeld einen Überblick verschaffen können. „Dabei handelt es sich weniger um einen klassischen Webshop als vielmehr um eine Art verlängerte Ladentheke“, verdeutlicht Helmut Schweda, Leiter Marketing bei IGA Optic. Und Gerhard Langseder, Geschäftsführer von Brillen-Profi, ergänzt: „Die Online-Produktpräsentation ist einer der wichtigsten Bausteine heutzutage.“
Mit brillen-online.de bietet auch die Ipro GmbH ein ähnliches Tool an, dem sich Augenoptiker anschließen können. Hier werden auf einer zentralen Seite Brillen inklusive Linsen angeboten und die Kunden anschließend an den teilnehmenden Augenoptiker weitergeleitet. 30 Augenoptiker sind bisher eingestiegen, in naher Zukunft soll die Zahl auf 100 steigen. „Unser Ziel ist es, Kunden online abzuholen und in den Laden zu bringen“, verdeutlicht Ipro-Geschäftsführer Himmelsbach den Gedanken, der hinter dem aus seiner Sicht „niederschwelligen Einstieg“ steht.
Mit eigener App direkt zum Kunden
Ein weiteres Tool, um den Kunden über digitale Wege an sich zu binden, sind individualisierte Apps. Zum 1. Januar hat Fetsch mit Rocktician die beiden Apps „Lens Timer“ und „Social Glasses“ von OS-IT-Service übernommen. „So kann der Augenoptiker seinen Kunden eine eigene App präsentieren“, erläutert Fetsch. Mit Lens Timer können Kontaktlinsen mit nur zwei Klicks bestellt werden, bei Social Glasses bieten sich neben einem digitalen Brillenpass vielseitige Möglichkeiten, um mit dem Kunden in Kontakt zu treten und ihn langfristig zu binden. „Kunden sollen so in Zukunft über Pushnachrichten nach ihrer Zufriedenheit befragt werden und können sofort eine Googlebewertung abgeben. Außerdem wird hier ein Beschwerdemanagement integriert, das den Service deutlich verbessern soll.“ Durch weitreichende Individualisierungen werden die jeweiligen Apps auf den einzelnen Augenoptiker zugeschnitten. Derzeit wird an einem umfangreichen Design-Makeover für beide Apps gearbeitet.
Den (unter Umständen) noch etwas einfacheren Weg bieten Essilor/Brille24 mit ihrem Drive-to-Store-Modell an. Denn hier übernimmt der Marktführer die Online-Aktivitäten und vermittelt so die Kunden ins Geschäft. Allerdings muss man sich als Augenoptiker in dem Fall auch bewusst sein, dass man auf einen Teil des Gewinns verzichten muss und sich quasi seine Kunden einkauft. Auf der anderen Seite hält sich der eigene Aufwand in Grenzen und auch in Sachen Reichweite schwimmt man auf einer ganz anderen Welle.
Social Media nutzen
Auch Zeiss hat in Zusammenarbeit mit Brillen-Profi ein eigenes Drive-to-Store entwickelt. Hier allerdings geht es in erster Linie um die Vorzüge der Zeiss-Markengläser, die über die sozialen Netzwerke Facebook und Instagram beworben werden. Über die eigens eingerichtete Landingpage www.einfachmehrsehen.de werden Teilnehmer gelistet und anschließend mit einem Gutschein in den Laden des teilnehmenden Augenoptikers geführt.
Die Beispiele Zeiss und Essilor zeigen: Facebook und Instagram sind zwei Kanäle, die es zu nutzen gilt. Neben dem Bespielen der eigenen Accounts sind es auch Anzeigen bei Facebook oder Instragram, die die Aufmerksamkeit der Zielgruppe wecken sollen. Natürlich sind dem Budget auch hier Grenzen gesetzt, umso wichtiger ist es, gezielt die richtige Strategie zu verfolgen. Marketingagenturen und Industrie bieten hier wertvolle Unterstützung.
Die Chancen im Überblick
Omnichannel richtig eingesetzt, bietet also eine Vielzahl an Chancen für den Augenoptiker. Für Yannick Fetsch sind das insbesondere diese vier:
- Hohe Kundenbindung durch spezielle Kundenkommunikation: Wenn Omnichannel richtig gesteuert wird, kann der Kunde den Augenoptiker schnell und bequem auf vielen Kanälen erreichen – und umgekehrt.
- Zeitersparnis für beide Seiten: Terminbuchung, Benachrichtigungen oder gar eine Schadensmeldung – viele Dinge kann man durch Digitalisierung deutlich zeitsparender gestalten. Das ist am Ende ein Mehrwert für Kunde und Augenoptiker gleichermaßen.
- Wow-Effekt: Den Kunden zu begeistern ist nicht immer einfach. Aber rechnet der Kunde damit, dass Sie eine eigene App mit vielen hilfreichen Funktionen haben? Oder dass Sie ihm genau zur richtigen Zeit einen Gutschein für ein Produkt senden, dass er gerade jetzt braucht?
- Neukunden: Potenzielle Neukunden kann man über verschiedene Wege erreichen, warum nicht gleich alle zusammen? Natürlich nicht gleichzeitig und penetrant. Omnichannel bedeutet, den Kunden auf diversen Wegen auf sich aufmerksam zu machen.
Geht es auch eindimensional?
Führt man sich die bisherigen Ausführungen zu Gemüte, scheint es so, als wenn an einer Omnichannelstrategie kaum ein Weg vorbeiführt. Die Zukunft als reiner Online-Anbieter wird wohl noch auf relativ lange Sicht wenig rosig aussehen, als stationärer Augenoptiker aber kann auch ein Überleben ohne Onlinestrategie zum (mittelfristigen) Erfolg führen. Faktoren wie Spezialisierung bieten durchaus noch einen Rahmen, in dem ohne große Online-Strategie ein Markt vorhanden ist. Aber: „Es wird zunehmen schwieriger, wenn man sich nur auf einen Kanal fokussiert“, glaubt Fetsch.
Zu guter Letzt bleibt es spannend zu sehen, inwieweit Künstliche Intelligenz Auswirkungen auf den Omnichannel-Bereich haben wird. Zwar steht die Branche hier nicht mehr völlig am Anfang, aber das Tempo wird in diesem Bereich in den nächsten Jahren sicher noch weiter anziehen.
Was hängen bleibt? Die Möglichkeiten sind vielfältig und am langen Ende muss jeder für sich entscheiden, welche Strategie er einschlagen will. Im Hinterkopf aber sollte zumindest eines hängenbleiben: „Mitmachen!“
Multi- und Omnichannel: getrennte und verknüpfte Kanäle
Multichannel
Multichannel heißt übersetzt „Mehrkanal“ und bedeutet genau das: Der Händler verkauft seine Waren über mehrere Kanäle direkt an seine Kunden. Diese Kanäle können zum Beispiel ein Ladengeschäft, Versandhandel oder ein Webshop sein. Die einzelnen Vertriebswege haben dabei nichts miteinander zu tun, das heißt, dass der Kunde nicht kanalübergreifend agieren kann. Wenn also ein Händler lokal und über einen Versandhandel verkauft, dann sind diese beiden Vertriebswege voneinander klar getrennt.
Omnichannel
Auch beim Omnichannel gibt es mehrere Vertriebskanäle– aber hier kommt der große Unterschied zum Multichannel-Ansatz: Die Vertriebswege sind miteinander verknüpft. Ein Kunde kann sich also kanalübergreifend informieren und auch bestellen. Der Kunde kann jederzeit auf das gesamte Angebot und alle Services zugreifen - egal über welchen Vertriebsweg.
Dieses Thema stammt aus der kommenden DOZ-Ausgabe 02|2020 - erhältlich als Print- oder digitale Ausgabe im Abonnement.