Nachruf auf Günther Fielmann: Ein harter Junge, aber gerecht
Günther Fielmann, Herrscher über ein Brillen-Imperium, im Jahr 2009 auf seinem Landsitz Gut Lütjensee.
Brille: Fielmann! Zwei Wörter, ein Slogan. Hinter dessen verblüffender Schlichtheit offenbart sich ein prägender Teil der Geschichte und Entwicklung des augenoptischen Fachhandels in Deutschland, als dessen Pionier und Visionär Günther Fielmann in die Annalen der Branche eingehen wird. Bei der Nachricht vom Tode Günther Fielmanns spulte sich in meinem Gedächtnis ein langer Film über zurückliegende vier Jahrzehnte ab – ein sehr persönlicher Film, der die Traurigkeit des Moments ein wenig milderte.
Unsere erste Begegnung geht zurück auf die frühen 1980er Jahre. Die Fielmann Optik war der wichtigste Kunde der Hamburger Werbeagentur Hohenhorst – und meine Initiation in der Augenoptik. Als Assistentin des Agenturinhabers Norbert Hohenhorst war ich mitverantwortlich für die kreative konzeptionelle Beratung und das Tagesgeschäft in der bundesweiten Werbung der Fielmann Optik. In einer Zeit, in der es noch keine Computer, keine Video Calls gab, dafür aber Telefon und Telex, verbrachte ich gefühlt mehr Stunden mit Günther Fielmann in der damaligen Firmenzentrale in der Hamburger City Nord als an meinem Schreibtisch in der Agentur am Hamburger Neuen Wall. Die Fielmann Optik expandierte deutschlandweit in rasantem Tempo, ständig wurde irgendwo eine neue Filiale eröffnet, musste die Werbung ausgeweitet werden. Wir hörten oder sahen uns mitunter fast täglich zu Kampagnenpräsentationen, Textabstimmungen für Anzeigen, Kollektionspräsentationen, oft bis weit in die Nacht hinein.
Für Günther Fielmann die Normalität, für mich als junge Werberin ein geballtes Bündel an Branchenwissen, Informationen, Anforderungen und Fielmannscher Power. Zu später Stunde wurden Antipasti beim nahen Italiener geordert, während der Stärkung unermüdlich weiter diskutiert. Einmal, weit nach Mitternacht, verschwand Günther Fielmann wortlos, um nach wenigen Minuten mit einer goldfarbenen Piloten-Sonnenbrille an den Konferenztisch zurückzukehren: „Die ist für Sie!“ Damals habe ich mich für die Brille bei Günther Fielmann bedankt. Heute möchte ich ihm ein spätes Dankeschön sagen, denn: Meine Passion für die Brille, das Suchen und Aufspüren von Geschichten in der Sphäre der Brille, das Interesse für all die Menschen, die Brillen denken und designen – ich verdanke sie ein großes Stück weit ihm.
Mitunter zitierte er Karl Marx, „Das Kapital“ stand in seinem Bücherregal
Er wurde nie müde, seine Vision von den „schicken und modischen Brillen zu fairen Preisen“ in allen Facetten zu artikulieren. Am treffendsten – und so wunderschön bildhaft auszumalen – schien mir der Vergleich von Fielmann als dem „Robin Hood der Fehlsichtigen“, der die „Diskriminierung per Sozialprothese“, der Kassenbrille („jeder Brillenträger trug den Nachweis seines geringen Einkommens auf der Nase“), beendet hat. Mitunter zitierte er Karl Marx, „Das Kapital“ stand in seinem Bücherregal. Mit Marx wandelte er auf dem Grad zwischen einem „tue Gutes für die Gesellschaft“ und der Ratio modernen unternehmerischen Wirtschaftens. Ein Gespräch mit Günther Fielmann kannte keinen Anfang und kein Ende, ein Thema ergab das andere, und das über alle Bereiche des Lebens hinweg. Er war kein einfacher Zeitgeist. Konnte man ihn aber mit Argumenten überzeugen, war er offen, andere Sichtweisen zuzulassen. Ein harter Junge, aber gerecht, wie es ein ihm nahestehender Mitarbeiter einmal formulierte. Ein Zweifler, doch wenn er Entscheidungen fällte, dann setzte er sie durch.
Die „Demokratisierung der Brillenmode“ sah Günther Fielmann als seinen Auftrag an und wurde dafür ab und zu selbst gerne zum Brillenträger.
So maßgeblich jene, Mitte 1981 mit der AOK Esens einen Sondervertrag zur Produktion von 90 Kassenbrillen- Modellen abzuschließen – 90 modischen Modellen, versteht sich. Das Unternehmen selbst pries das als „Demokratisierung der Brillenmode“, die Vertreter der Krankenkasse feierten sich als „innovative Rebellen aus Ostfriesland“. Allen Beteiligten war natürlich klar, welchen Sturm der Entrüstung sie in der Branche mit diesem Sondervertrag auslösen würden. Auch die DOZ, die sich wie gewohnt um eine sachliche und faire Berichterstattung bemüht hatte, bekam ihr Fett weg, wie folgendes Fundstück aus dem Archiv beweist. „Ungeachtet dessen, was Sie in Heft 10/81 an fatalen Begebenheiten deutlich herausstellen, … darf man es trotzdem als geschmacklos betrachten, wenn dabei gleichzeitig den deutschen Augenoptikern ausgerechnet auf der Titelseite des ZVA Sprachorgans die Herren Ehrenberg (damals Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Anm. d. Red.), Fielmann & Genossen in ihrer ‚feierlichen‘ Siegerpose präsentiert werden“, schrieb ein staatl. approb. Augenoptiker aus Darmstadt in einem Leserbrief, um empört zu schließen: „Den Bezug Ihrer sogenannten Optikerzeitung möchte ich vorsorglich zum 31. 12. 1981 aufkündigen.“
Führungsfigur Fielmann: „Wenn man die Brillenschafe hier mal beobachtet, dann ähneln sie dem Menschen sehr – sie haben einen Leitbock, und dem laufen sie hinterher.“
Schon als Kind habe er von einem eigenen Bauernhof geträumt, erzählte Fielmann immer gern. Diesen Traum hat er sich erfüllt, war zuletzt im Herzen womöglich mehr Bio- als Brillenbauer wie eine einfühlsame Dokumentation des NDR unter dem Titel „Der Weitblicker“ aus dem Jahr 2010 zeigt. Reporter und Kamerateam folgten ihm „an einem dieser Tage, an denen Günther Fielmann einfach einmal raus muss – raus aus dem Alltag des erfolgreichsten Optiker Europas“. Im Beitrag sieht man Fielmann auf der Fahrt in das Dorf, in dem er im September 1939 geboren wurde: Stafstedt im Kreis Storman, ein knapp 400-Seelen-Nest mit dem 2005 von seinem Geld erbauten Günther-Fielmann- Feuerwehrhaus („aber ein bescheidenes, ganz in seinem Sinne“, wie Bürgermeister Hans Hinrich Neve erzählt) im Zentrum. Hier trifft der Ehrenbürger seinen Vetter Peter, Besitzer des Dorfladens; sie spazieren über Dorfwiesen, tauschen Jugenderinnerungen aus. Hier konnte er sein anstrengendes Unternehmerdasein für kurze Zeit vergessen. Einige Sequenzen später sieht man Günther Fielmann bereits wieder im gemieteten Privatflieger von Niederlassung zu Niederlassung eilen (er hatte kein eigenes Firmenflugzeug, sondern charterte für diese Rundreisen jeweils Maschinen), sieht ihn bei einer Baumpflanzaktion auf eine alte Eiche klettern, um kurz darauf als illustren Ehrengast die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel zu begrüßen; man erlebt Günther Fielmann bei der Besichtigung neuer Filialobjekte und Immobilien mit seinem Architekten, bei der Brillenauswahl in der firmeninternen Modenschau, bei der er – als staatlich geprüfter Augenoptiker und Augenoptikermeister – sich jedes neue Brillendesign vorführen und jedes Detail akribisch erklären ließ.
Großes Engagement im Bereich Ausbildung
Ohne sein Urteil, seine Intuition, seine Weitsicht ging nichts. Weshalb der erfolgreichste Optikunternehmer Europas auch in der Nachfolge seines Unternehmens Weitblick walten ließ, indem er zeitig Sohn Marc zu seinem Nachfolger machte und das Unternehmen in Teilen in eine Familienstiftung überführte. Aufoktroyiert hat er seinem Filius die Nachfolge indes nicht, sondern ihn nach dessen Aussage vielmehr an der langen Leine laufen und viele Dinge ausprobieren lassen. Erst als Marc sich irgendwann während seines Studiums selbst entschied, ins Familienunternehmen einsteigen zu wollen, stellte ihm sein Vater eine Bedingung: eine Ausbildung zum Augenoptiker vorab. Die absolvierte Marc Fielmann zu großen Teilen in der Akademie Schloss Plön, wo der Senior es sich nicht nehmen ließ, gelegentlich nach dem Rechten zu sehen. „Als Günther Fielmann plötzlich unangekündigt in der Lehrwerkstatt stand, wurde es mucksmäuschenstill“, erzählte mir DOZ-Autor Chris Meinl einmal, der 2008 mit Marc die Lehre begonnen hatte. Der Firmenchef habe aber mit dem Spruch „Ich bin der neue Optiker hier“ das Eis gebrochen und sich in der Folge als Tippgeber an den Löt-Arbeitsplätzen nützlich gemacht.
Fielmanns Engagement im Bereich Ausbildung sei – auch unabhängig von seiner väterlichen Fürsorge – hervorzuheben, findet denn auch der Branchenverband. Mit dem hat sich Güfi in seiner Sturm-und-Drang-Zeit wegen unterstellter Wettbewerbsverstöße immer mal wieder gezankt, danach sind dann die Emotionen doch stark zurückgegangen. Heute würdigt ZVA-Präsident Christian Müller die Lebensleistung des Verstorbenen als einzigartig und lobt: „Günther Fielmann hat sich immer für eine hochwertige, handwerklich, optometrische Ausbildung eingesetzt und seine Auszubildenden vorbildlich gefördert.“
Was bleibt? Die Erinnerung an einen außergewöhnlichen Menschen
Wanderten wir gemeinsam über die Weiden und Wiesen seiner Biohöfe, wurde seine tiefe Verbundenheit mit dieser Erde, mit ihren Menschen deutlich. Vor allem Schäferhund Aki freute sich, wenn Herrchen einmal Zeit für ihn hatte. Mit Günther Fielmann war jeder Tag, jede Begegnung anders. Als Schleswig-Holsteiner war er ein disziplinierter protestantischer Geist, der kein Mittelmaß akzeptierte. Er wollte immer das Besondere, das Beste, für seine Kunden, sein Brillen- Unternehmen, seine Öko-Betriebe. Was bleibt? Sein immenses unternehmerisches Erbe. Vor allem aber die Wertschätzung und die unauslöschliche Erinnerung an einen außergewöhnlichen Menschen, geliebt, bekämpft, geachtet. Günther Fielmann ist nach Angaben des Unternehmens am 3. Januar 2024 im Alter von 84 Jahren im Kreise seiner Familie friedlich eingeschlafen.
Angela Mrositzki und Tom Theilig