Ocularisten geben Patienten Selbstvertrauen zurück
In den Schubladen des F.AD.Müller Söhne - Institut für künstliche Augen" in Wiesbaden liegen rund 45.000 Augenrohlinge.
Vom Neugeborenen bis zum Rentner umfasst das Patientenspektrum eines Ocularisten alle Altersschichten. Doch nicht nur die Altersspanne ist groß, auch die Gründe für das Tragen eines Kunstauges sind vielfältig. „Anopthalmus, Retinoblastom, (Auto-)Unfälle und Kriegsverletzungen sind die Hauptgründe. Arbeitsunfälle, Pilzinfektionen durch unzureichende Kontaktlinsenreinigung oder Suizidversuche mit Schusswaffen gehören ebenfalls dazu“, erklärt Yannick Müller-Uri. Seine Vorfahren gründeten die Deutsche Ocularistische Gesellschaft (DOG), er leitet in sechster Generation das „F. Ad. Müller Söhne – Institut für künstliche Augen“ in Wiesbaden. Dort bewahrt er etwa 45.000 Augenrohlinge in Schubladen auf, etwa 11.000 werden europaweit jährlich an den Patienten gebracht. Die Krankenkasse zahlt Ocularisten einen Standardsatz von 483 Euro pro Auge, bei Spezialversorgungen einen Aufschlag. Öffnet man eine der Schubladen im Institut, blickt man auf Rohlinge, die bereits einem Originalauge ähneln. Diese kommen rund zwei bis sechs Wochen nach einer operativen Behandlung des erblindeten Auges zum Einsatz. Zu diesem Zeitpunkt ist die Augenhöhle annähernd ausgeheilt und der Patient erhält sein erstes Kunstauge. Allerdings nur, wenn das Auge komplett erblindet und der Augapfel beschädigt ist. Bei intakten Augäpfeln normaler Größe und bei Restsehen wird keine Prothese eingesetzt. „In diesem Fall sind Augenoptikerinnen und Augenoptiker als Anpasser von Irisfarbkontaktlinsen gefragt,“ erklärt Müller-Uri.
Ein Augenglasrohling entsteht: Yannik Müller-Uri ist konzentriert bei der Arbeit (rechtes Bild). Die Herstellung des Rohlings dauert rund eine halbe Stunde. Die Irisfarbe wird, wie alles, in Handarbeit aufgetragen (linkes Bild).
Eigentlich „nichts anderes ist als eine große Kontaktlinse“: Auch Augenoptikerinnen und Augenoptiker sollten keine Scheu haben, das Glasauge bei Bedarf abzusetzen.
Noch Jahre nach einem Unfall kann das gesunde Auge Schaden erleiden
Rund 20 Prozent aller Glasaugenträger haben trockene Augenhöhlen, meist aufgrund von Verletzungen von Lidkante, Tränenkanal oder -drüse. Müller-Uri empfiehlt, die Rückseite des Glasauges vor dem Aufsetzen mit Vaseline zu bestreichen, darüber hinaus können Nachbenetzungslösungen für Linderung sorgen. Eine wichtige Rolle spielt dabei aber auch die Form der Prothese: Liegt sie sehr flach im hinteren Auge, kann sich kein Tränenmeniskus ausbilden und Tränen oder auch Nachbenetzung fließen unkontrolliert ab – und bleiben somit wirkungslos. Müller-Uri: „Noch zehn Jahre, nachdem die Augenhäute beispielsweise bei einem Unfall durchstoßen wurden, können sich durch Antikörper Entzündungsreaktionen im anderen, gesunden Auge bilden und dieses innerhalb kurzer Zeit erblinden lassen. Sobald Schmerzen da sind, sollte das getrübte, erblindete Auge sicher und schnell entfernt werden, um einer Erblindung des Gesunden vorzubeugen.“ Augenoptiker könnten hier einen wichtigen Beitrag zu einer besseren Versorgung leisten, indem sie zu erblindeten Augen aufklären und empfehlen, bei Problemen dringend einen Experten zu konsultieren.
Viele Patientinnen hätten sich jahrelang gequält, ehe sie im Institut vorstellig wurden. Dies liege auch am fehlenden Wissen einiger Ärzte in der Beurteilung der Augenhöhle, auch wenn sie dazu verpflichtet sind, für die Untersuchung der Augenhöhle die Prothese zu entfernen. Das jedoch täten laut Müller-Uri nur geschätzt 30 Prozent der Augenärzte. „Wir müssen einige regelrecht auf Therapieansätze stoßen, wenn wir etwas feststellen.“ Ocularisten indes dürfen wie Optometristen und Optometristinnen „nur“ eine Verdachtsdiagnose stellen. Es führe sogar so weit, dass einige Ärzte Patienten mit einer Ptosis an den Lidchirurgen zur Korrektur überwiesen hätten, ohne sich über Möglichkeiten der Anpassung der Lidwelle der Augenprothese zu informieren. Zudem lasse die Qualität der Lidkorrekturen nach, was Müller-Uri als Systemkritik verstanden wissen will.
Autorin
Claudia Büdel - Optometristin (HwK), staatlich geprüfte Augenoptikerin und Augenoptikermeisterin, liebt Kontaktlinsen. Als Kontaktlinsenanpasserin arbeitete sie mit fast allen Kontaktlinsen, auch mit Ortho-K. Im Bereich Education and Development war sie ebenfalls für einen Kontaktlinsenhersteller tätig.