Unbesetzte Lehrstellen, weil Betrieb und Azubi nicht zusammenpassen
79.000 Bewerber haben im letzten Jahr keinen Ausbildungsplatz gefunden – obwohl es knapp 58.000 offene Lehrstellen gibt. Eine im Auftrag der Bertelsmann Stiftung durchgeführte Studie beleuchtet die Gründe, warum Azubis und Betriebe heute seltener zusammenfinden. Die Uni Göttingen und das Soziologische Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) schlüsselten die Ergebnisse bis auf Länderebene auf. Dieses Forschungsprojekt namens „Ländermonitor berufliche Bildung 2019“ untersucht die Chancengerechtigkeit und Leistungsfähigkeit der beruflichen Bildung in den Bundesländern vergleichend und im Zeitverlauf.
Dabei sei das Angebot für die Jugendlichen deutlich verbessert. Früher konnte sich der Betrieb aus der Vielzahl der Bewerber den für sich passenden Azubi aussuchen. Heute haben die Jugendliche die Wahlmöglichkeit zwischen den wachsenden Marktteilnehmern. Das geht aus den Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung, der Bundesagentur für Arbeit und der statistischen Ämter des Bundes hervor. Die Konsequenz: Jugendliche finden keine Ausbildungsstelle und die Betriebe keine Azubis. Die Studie zeigt, dass im Schnitt für 100 Bewerber 97 Stellen zur Verfügung stehen – mit teils großen regionalen Unterschieden. So gibt es in Berlin für 100 Bewerber nur 86 Ausbildungsplätze, während Bayern mit 110 und Thüringen mit 105 einen Überschuss haben.
Die häufigste Ursachen wurden von den Wissenschaftlern ermittelt: Die Unzufriedenheit mit den Bewerber oder dem Betrieb steht mit 44 % an oberster Stelle – entweder lehnen die Betriebe die interessierten Jugendlichen ab, weil sie sie für unpassend halten oder die Bewerber lehnen den Betrieb wegen schlechtem Ruf ab. Mit einem Drittel (34 %) stehen die fehlenden Bewerber an zweiter Stelle. Und mit 23 Prozent liegt das Problem an der fehlenden Mobilität. Die Betriebe und Bewerber sind nicht in der gleichen Region ansässig. Betrachtet man die einzelnen Bundesländer, finden sich auch hier regionale Unterschiede. Laut der Studie liegt das nicht an der Landesgröße, sondern an der Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur sowie der geringen Bereitschaft oder Möglichkeit zum Umzug. In Baden-Württemberg und den östlichen Bundesländern fehlt es häufig an geeigneten Bewerbern, während in Hamburg, Bremen und Berlin die Unzufriedenheit mit den Bewerbern oder den Angeboten größer ist. Dies betrifft vor allem bestimmte Branchen wie das Lebensmittelhandwerk (Fleischer, Bäcker, Koch) sowie das Hotel- und Gastronomiegewerbe. In Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt macht sich dies auch in der Statistik bemerkbar, wie die Studie zeigt.
Attraktivität der Ausbildung steigern
Die Probleme betreffen daher beide Seiten: Azubis in Berlin haben es besonders schwer. 22 % haben keinen Ausbildungsplatz gefunden. Für Hauptschüler und nichtdeutsche Bewerber sinkt laut Studie die Chance auf einen Platz immer mehr. Betriebe in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Bayern haben für viele Lehrstellen keinen Azubi gefunden. Auch Baden-Württemberg liegt mit 3,4% unbesetzten Lehrstellen über dem Bundesdurchschnitt von 2,9 %.
Die Studie gibt zwei Lösungsmöglichkeiten im Fazit an: Bewerber und Betrieb sollten vor Vertragsabschluss ein genaueres Bild voneinander bekommen – Vertrauen aufbauen und Vorurteile abbauen seien die entscheidenden Stichworte. Dafür müssen die Kontakte zwischen Schulen und Betrieben genutzt und ausgebaut werden. Praktikas seien ein wichter Schritt. Gerade die kleinen Betriebe könnten mit einer Kooperation mit Ausbildungsverbünden ihre Attraktivität erhöhen. Auch das Informationsproblem spielt eine große Rolle – junge Menschen sollen ein möglichst realistisches Bild von einem breiten Spektrum an Berufen vermittelt bekommen. Nur so können sie ihre Bewerbungen auf Berufe ausdehnen, die sie vorher vielleicht nicht wahrgenommen haben. Weiter sagt die Studie, dass gerade in Berufen mit vielen offenen Lehrstellen die grundlegenden Rahmenbedingungen (zum Beispiel Arbeitszeit, Vergütung, Arbeitsbedingungen) verbessert werden müssen, um die langfristige Attraktivität am Beruf zu bewahren. Für das eher geringere Problem der Mobilität wäre die Einführung eines Azubi-Tickets wie im Vorbild Nordrhein-Westfalen richtig.
In der Augenoptik wurden letztes Jahr 2.945 Ausbildungsverträge geschlossen, sagte der Zentralverband des Handwerks (ZDH) (wir berichteten). Doch auch in unserer Branche sind einige Ausbildungsstellen noch nicht besetzt worden. Auf den diversen Ausbildungsportalen sind die Ausbildungsangebote für August 2019 noch online. Was halten Sie von der These, dass Betriebe und Azubis heute immer schwerer zusammenpassen? Schreiben Sie uns Ihre Meinung gerne an redaktion@doz-verlag.de!