Versorgung von Berufs- und Sportfliegern
Erstveröffentlicht in der DOZ 12I24
Fliegen ist sicher ein ungewöhnliches Hobby, wie auch dem Pilotenberuf das Besondere anhaftet. Die augenoptische Versorgung von Airline-Piloten ist daher ebenfalls nichts Alltägliches. Sie müssen sich aber nicht sorgen, falls ein Berufspilot Ihr Geschäft betritt: Die Versorgung ist meistens einfacher als erwartet. Unser Experte Rainer Meng hat nicht nur aufgrund seiner Leidenschaft, dem Segelfliegen, umfassende Expertise auf dem Gebiet Pilotengläser. Mengs ehemaliges Geschäft Aero-Optik, das er 1990 im hessischen Bruchköbel begründete, befasst sich intensiv mit der Versorgung von Menschen in Cockpits. Inzwischen ist der Geschäftsbereich an Volker Meyer, Inhaber des Augenoptikbetriebs Optimum, übergegangen, der sich im Einzugsgebiet des Frankfurter Airports weiter um Pilotinnen und Piloten diverser Fluggeräte kümmert.
Meng kommt nur noch auf Wunsch ins Geschäft, stand uns aber als Meister der Praxis Rede und Antwort. Der 79-Jährige hat das Fliegen quasi in die Wiege gelegt bekommen. Sein Vater war im Fliegerverein, das Hobby ging auf den Sohn über und auch heute noch sitzt Rainer Meng gerne an den Wochenenden im Segelflieger. Rund um Frankfurt-Fechenheim, wo der Augenoptikermeister im Ruhestand wohnt, gibt es durch den Verkehrsflughafen keine direkten Möglichkeiten für die Hobbyfliegerei, Meng startet daher aus Reinheim im Odenwald Richtung Himmel. In seiner beruflichen Laufbahn hatte er mit Pilotinnen sämtlicher Airlines zu tun. Die meisten davon waren in Frankfurt stationiert und im unmittelbaren Umkreis zuhause.
Wer beruflich fliegt, muss sich einer medizinischen Einstufung – dem „Medical 1“ – unterziehen, um seine lugtauglichkeit zu attestieren. Die Anforderungen sind schärfer als die für Hobbypiloten (hier reicht der „Medical 2“), neben der augenärztlichen Untersuchung wird unter anderem auch das Hören und die mentale Gesundheit bei einem speziell ausgebildeten Fliegerarzt gecheckt. Besonderes Augenmerk liegt auf dem Farbsehen. Wer die Untersuchung zum ersten Mal absolviert, muss unter anderem den Ishihara-Test bestehen. Wer diesen nicht schafft, benötigt weitere Tests und ein Gutachten, um zu beweisen, dass er ohne Schwierigkeiten mit verschiedenen Farbsignalen umgehen kann.
Wenn man eine Brille trägt, ist das im Übrigen kein Hindernis. Sollte der Refraktionsfehler eine gewisse Stärke aufweisen, wird er im Tauglichkeitszeugnis mit einem eigenen Eintrag (RXO) dokumentiert. Wenn Airline-Piloten oder Sportpilotinnen zum Augenoptiker kommen, haben sie ihre Flugtauglichkeit in der Regel medizinisch abgesichert. „Eine gründliche Augenprüfung führt man trotzdem immer durch“, sagt Meng. Dabei werde vor allem das Gesichtsfeld überprüft, insbesondere, wenn eine höhergradige Myopie vorliegt. Die Gefahr eines Netzhautausfalls sei in diesen Fällen höher. „Gerade in der Kleinfliegerei gilt das Prinzip ‚sehen und gesehen werden‘. Denn wenn du in der Luft bist, musst du dich umsehen können.“ Oder, ganz frei nach Liedermacher Reinhard Mey: Über den Wolken ... sollte die Sicht möglichst grenzenlos sein. Neben der sorgfältigen Augenprüfung sollten die Medien auf gute Durchlässigkeit gecheckt und die Hornhautstruktur beurteilt werden können. Das sei zwar Standard, aber bei Pilotinnen und Piloten schaue man ein bisschen strenger hin. Im Anschluss werde der Kunde mit einer hundertprozentigen Korrektur versorgt.
Sehvoraussetzungen für einen Medical
Medical 1 (Berufsflieger): Bei den folgenden Werten muss eine augenfachärztliche Untersuchung im Abstand von fünf Jahren erfolgen:
• zwischen +3,0 und +5,0 Dioptrien
• zwischen −3,0 und −6,0 Dioptrien
• Astigmatismus und/oder Anisometropie zwischen 2,0 und 3,0 Dioptrien
Bei höheren Werten muss der Pilot alle zwei Jahre zum Augenarzt. Der Medical 1 ist für Berufsflieger in der Regel zwölf Monate gültig, ab vollendetem 60. Lebensjahr sechs Monate.
Medical 2 (Sportflieger): Es gibt keine Einschränkungen mehr bezüglich Refraktionsfehlern (Dioptrien). Kandidaten und Kandidatinnen müssen nur den geforderten Visus zumindest mit Brille oder Kontaktlinsen erreichen.
Im Cockpit keine phototropen Gläser
Was Augenoptikerinnen und -optiker wissen sollten: Phototrope Gläser funktionieren im Cockpit nicht. „Die Scheiben im Flieger absorbieren das UV-Licht zu 100 Prozent“, erklärt Rainer Meng. „Das ist ähnlich wie im Auto, auch da funktionieren die Gläser ja nicht so richtig.“ Aber man könne durchaus eine Tönung anwenden. Schaut der Pilot durchs Cockpit, ist über ihm der weite Himmel. Da sei eine leichte Verlaufstönung, die zum unteren Fassungsrand auf 30 Prozent reduziert werde, angenehm, um im Nahbereich ungestörter sehen zu können.
Unverzichtbar sei auch eine sehr gute Entspiegelung. Empfehlen kann Rainer Meng zum Beispiel Gläser, die Blaulicht vermindern. Sein Favorit ist hier das Glas Skylet von Zeiss. Dieses sei nicht mit dem Blaulichtfilter in manchen Arbeitsplatzbrillen zu verwechseln. „Skylet ist die Tönung, die etwa 90 Prozent des kurzwelligen Lichts, des ,blauen Anteils‘, aus dem Spektrum filtert und dann ab 550 Nanometer etwa 90 Prozent durchlässt“, erklärt Meng. Deswegen sehen die Gläser so orangefarben-bräunlich aus, weil viel gelbes und rotes Licht hindurchkomme. Das habe den Vorteil, dass etwa 70 bis 80 Prozent der kurzwelligen Strahlung, die, je nach Bewölkung in der Atmosphäre hier bei uns herrscht, weggefiltert werde. Dadurch ergibt sich eine deutliche Kontraststeigerung. „Das ist die Abmilderung eines ,Blueblockers‘, der ursprünglich zu medizinischen Zwecken erfunden wurde, um kein Blaulicht auf die Netzhaut und ins Auge kommen zu lassen und der sehr farbverfälschend wirkt“, erklärt Meng. Und um diese Farbverfälschung zu vermeiden, habe man solche „Blauverminderer“ erfunden, die noch ein bisschen Blau durchlassen.
Noch einmal zur Erklärung: Im Nanobereich von 400 - 500 nm entziehen Blaulichtfilter den Blauzapfen des Auges jeden Farbreiz. Blaue Farben erscheinen fast schwarz, gelbe Farben fast weiß usw. Damit sinkt die Erkennbarkeit von Signalfarben. „Deshalb sind Blueblocker nicht zum Führen von Lastfahrzeugen zugelassen“, erläutert Meng. „Die Farbverfälschung ist enorm. Das äußert sich vor allem beim Blick auf die Displays. Die sind farbig, und wenn da Farben wegfallen, dann fallen auch Informationen weg“, ergänzt er. Blueblocker sollten daher, obwohl sie sehr kontraststeigernd sind, nicht in Pilotenbrillen eingearbeitet werden. Besser eignen sich „Blauverminderer“ wie eben Skylet oder eine ähnliche Variante.
Ein weiteres No-Go sind polarisierende Gläser. „Die Displays in Fliegern, egal welcher Größenordnung, sind immer polarisiert“, erklärt Meng. Dabei werde mit polarisierten Gläsern, je nachdem, wie man den Kopf dreht, das Sehen besser oder schlechter. Auch das sollte nicht sein.
Presbyope Flieger: Die Abstände müssen stimmen
Wenn Pilotinnen und Piloten alterssichtig werden, können sie meistens gut mit einem Gleitsichtglas oder einem Bifokalglas versorgt werden. „Aber im Flugzeug haben Airline-Piloten auch über dem Kopf noch Schalter“, sagt Meng und führt weiter aus: „Dafür gibt es Gläser, in Gleitsicht- oder Bifo, die haben oben nochmals ein zusätzliches Nahteil.“ Die Rathenower Firma Solira zum Beispiel bietet solche Sondergläser an (mehr in unserer Übersicht der Spezialgläser ab Seite 76) . Bei den großen Firmen seien solche Spezialgläser inzwischen kaum noch zu finden. Meng: „Die Zielgruppe ist einfach verschwindend klein. Das lohnt sich nicht.“
Wenn man ein Gleitsichtglas für eine Pilotin anpasst, müsse man auf die Körperhaltung im Sitzen achten. Das heißt, die zuvor im Stehen angezeichnete Anpasshöhe muss bei vielen deutlich nach unten korrigiert werden, um eine freie Sicht in die Ferne zu gewährleisten. „Die Sitzpositionen sind immer anders, ob man in einem Airliner sitzt, in einem Segelflugzeug, Ultraleichtflugzeug oder in einer Cessna“, führt Meng aus und greift auf seine eigene Erfahrung zurück: „In Segelflugzeugen hat man fast eine liegende Position, der Kopf ist deutlich nach hinten geneigt.“
Sinnvoll sei eine Anpassung tatsächlich direkt im Cockpit. Daher behelfe man sich zunächst mit einer normalen Standard-Zentrierung im Stehen und zeichne diese auf der Fassungsscheibe an. „Dann gucken wir im Cockpit, ob diese Höhe sinnvoll ist. Wenn das nicht möglich ist, weil man ja nicht überall seinen Flieger parat hat, fordern wir die Leute auf, sich möglichst wirklichkeitsnah in den Stuhl oder Sessel zu setzen und schauen dann, ob die vorher angezeichnete Höhe passt“, führt Meng aus. Meistens müsse man nachbessern. Bestenfalls hat der Pilot zuvor bereits die Abstände in seinem Cockpit ausgemessen, also den Abstand von Augenhöhe zu Overhead-Konsole und Instrumenten.
Rainer Meng ist Augenoptikermeister und begeisterter Segelflieger sowie Gründer von Aero-Optik. Auf dem Bild trägt der 79-Jährige ein Modell aus der Eigenkollektion von Aero-Optik mit Skylet-Fun-Gläsern von Zeiss.
„Man kann unglaublich viel machen“
Kopf- oder Augenbewegungen spielen im Übrigen keine so große Rolle bei der Glasauswahl, sagt Meng: „In den modernen Cockpits befindet sich das Display direkt vor dem Piloten, das heißt, da gibt es in der Regel kein Problem.“ Inzwischen habe der Kapitän – meist auf der linken Seite – ein iPad, der Co-Pilot hat seines auf der rechten Seite. „Dort werden die Anflugkarten von den Flugplätzen eingeblendet“, erklärt er. „Dafür müssen sie den Kopf etwas nach links oder rechts drehen. Aber das sollte mit einem modernen, individuellen Gleitsichtglas kein Problem darstellen.“ Alternativ gebe es Bifokalgläser mit breiten Nahteilen oder Exekutivgläser, die zwei Stärken enthalten. Ebenso wäre ein Franklinglas denkbar. „Wir haben auch schon für einen Piloten ein Bifokalglas gemacht, bei dem auf der einen Seite kein Inset war, auf der anderen Seite dafür ein doppelter Inset.“ Damit konnte der Pilot quasi links auf sein iPad schauen, während er in die Ferne freie Sicht hatte.
Weitere Sonderwünsche aus Mengs Berufslaufbahn waren „schräge“ Färbungen, mit einer scharfen Farbkante von 80 Prozent auf null und an die Neigung des Panels angepasst. „Man kann unglaublich viel machen, wenn man die richtige Firma dazu hat“, sagt Meng.
Überdies sollten Piloten mehrere Brillen im Cockpit haben. Wenn der Fliegerarzt vorgibt, dass eine Brille getragen werden muss, sollte dazu eine Zweitbrille vorhanden sein. Wie die Zweitbrille aussieht, sei völlig egal, sie muss nur von der Funktion her stimmen. Eine Sonnenbrille zu haben, sei ohnehin empfehlenswert. Eine Fernbrille in Kombination mit einer Lesebrille wäre auch möglich. Manch sparsame Kunden kaufen sich eine normale Sonnenbrille und tragen diese dann über einer Lesebrille.
Wie ist das mit Kontaktlinsen? „Auch Kontaktlinsen kann man tragen. Weiche oder formstabile Kontaktlinsen, das ist egal“, sagt Meng. Multifokallinsen seien Berufspilotinnen wohl nicht gestattet. „Wir haben eine Stewardess, die nach drei bis vier Stunden in der Luft ihre weichen Kontaktlinsen nicht mehr tragen konnte, mit formstabilen Linsen versorgt. Das ging dann sehr gut“, erzählt Meng. Die Luft werde in der Höhe eher trockener, der Kabinendruck wird äquivalent auf etwa 2.500 Meter eingeregelt. Das sollte Kontaktlinsenträgern bei Langstreckenflügen bereits aufgefallen sein.
Wer geht noch mit Brille in die Luft?
Bei der Bundeswehr haben die Piloten ganz spezielle, vorgeschriebene Brillen. Das sind Eschenbach-Fassungen aus Titanflex. An den Fliegerstandorten sind die augenoptischen Kollegen in der Regel darauf vorbereitet und haben diese Fassungen vorrätig. Sport-Fallschirmspringer haben eng anliegenden Brillen, die über die normale Brille getragen werden. Gleitschirmflieger und Drachenflieger werden in der Regel mit Standard-Sportbrillen versorgt, die ebenfalls eng anliegen sollten. Hier wird man im Sportbrillenbereich fündig, unter anderem bei Evil Eye, Rudy Project, Pricon, Oakley, Uvex oder Julbo.
„Hat mit Mode nichts zu tun – aber mit Zeitgeist“
Was das Modische angeht, sollten die Bügel möglichst schlank sein, damit das Headset nicht zu sehr auf die Ohren drückt. „Man sollte zudem darauf achten, dass die Fassungsränder dünn und die Bügel nicht zu weit oben angesetzt sind, um das Gesichtsfeld nicht unnötig einzuschränken“, erklärt Meng. Ansonsten sind den Fassungen keine Grenzen gesetzt. Und natürlich erinnert sich auch Rainer Meng an die unsterbliche Ray-Ban aus dem Jahr 1938, die Tom Cruise im ersten Teil der „Top Gun“-Reihe zu vermehrter Berühmtheit brachte. Cruise trägt hier einmal die Ray-Ban Aviator und einmal die Ray-Ban Large (original aus den 30ern und noch von Bausch + Lomb). „Die uralte Ray-Ban ist immer noch im Programm und die bieten wir auch an“; berichtet Meng und fügt hinzu: „Das hat aber mit Mode nichts zu tun, sondern mit Zeitgeist.“ Schließlich werde die Brille bereits seit 100 Jahren unverändert produziert. „Und die Leute tragen sie noch immer.“ Tom Cruise trägt im Übrigen, laut Rainer Meng, drei verschiedene Sonnenbrillenmodelle, einmal die Ray-Ban Aviator, die Ray-Ban Large und einmal eine Sonnenbrille mit Steckbügel von Randolph Engineering, die ebenfalls Aviator heißt.
Mit der Ray-Ban-Sonnenbrille übrigens hat das ganze Pilotenbrillen-Thema tatsächlich Fahrt aufgenommen, denn selbige wurde 1929 speziell für die amerikanische Air Force entworfen. Die damaligen Piloten klagten bei ihren Flügen über Übelkeit, ausgelöst durch die intensive Sonnenstrahlung bei ihren Höhenflügen. Die grünen Gläser der Ray-Ban (engl. „Strahlen-Bann“) filterten einen Großteil des sichtbaren Lichts und erhöhten den Kontrast der Instrumenten-Displays im Cockpit. Und so schließt sich der Kreis wieder, bis heute.
* Das ist die zulässige Passagieranzahl der Boing A380, des bis dato größten Passagierflugzeugs der Lufthansa.