Wer Bindung und Zuwachs will, muss Kunden etwas bieten
Paul-Michael Unger führt Brillen Dittmar in dritter Generation und hat dem Geschäft einen frischen Look verpasst und dabei Tradition mit Moderne verbunden.
Erstveröffentlicht in der DOZ 08I21
Urgroßvater und Großvater mütterlicherseits gingen Paul-Michael Unger als Geschäftsführer von Brillen Dittmar voran. Passioniertes Augenoptikerhandwerk und verlässliches Familienunternehmertum füllen den Verkaufsraum in Jüterbog, einer Kleinstadt im Landkreis Teltow-Fläming in Brandenburg, seit jeher mit Leben und standen auch bei der Neustrukturierung des Ladens im Vordergrund. Bereits 2008 startete Unger die Zusammenarbeit mit der Poschmann Design GmbH, um seinem gerade frisch übernommenen Unternehmen zu einem zeitgemäßen Auftreten zu verhelfen.
„Seit 1935 hatte sich der Laden nicht groß verändert“, berichtet der studierte Augenoptiker und Hörakustiker. Neben dem Update des Verkaufsraums war eine der ersten Maßnahmen die Öffnung der Fassade mithilfe einer großzügigen Fensterfront. Ziel: Die Verkaufsfläche heller und von der Straße aus einsehbar machen. 2010 kam das Thema Hörakustik dazu, dass es sinnfällig im Laden mit unterzubringen galt. Fünf Jahre darauf eröffnete eine Zweigstelle in Treuenbrietzen. Poschmann Design hat all diese Entwicklungen als Ladenbau-Partner begleitet.
Den Blick im Laufe der Jahre für die Feinheiten im Storedesign geschärft, hatte Paul-Michael Unger 2020 für die anstehende vollumfängliche Neugestaltung des Stammhauses genaue Vorstellungen davon, was zur Unterstützung der Arbeits- und Beratungsprozesse am besten funktionieren kann: „Die erste Umgestaltung offenbarte in der Nutzung, was noch besser werden kann. (…) Ich hatte alles genau vor Augen.“ Dennoch war die Entwicklung der jetzigen Storestruktur ein Prozess, denn ursprünglich sollte ein zweigeschossiger Laden mit Büro im ersten Obergeschoss entstehen. Die Pandemie hat den Unternehmer dann aber umdenken lassen: Heute findet sich im Geschäftshaus über dem Laden eine Mietwohnung. Trotzdem blieb der Wunsch nach einer größeren Verkaufsfläche mit mehr Bewegungsraum und verschiedenen Sitzgruppen für ein verbessertes Einkaufs- und Beratungserlebnis erhalten.
Nach der Umgestaltung von Brillen Dittmar: Unterschiedliche Sitzbereiche schaffen Raum für Beratungsgespräche und gestalten mögliche Wartezeit auf angenehme Weise.
Die Poschmann-Planer sind mit diesem Konflikt vertraut – Innenarchitektin Yvonne Schmeiduch weiß: „Fläche ist in der heutigen Zeit ein teures und begrenztes Gut. Also muss die vorhandene Ladenfläche optimal genutzt werden. Multifunktionale Bereiche werden geschaffen.“ Für Brillen Dittmar bedeutete das eine intensive Auseinandersetzung mit dem Raumprogramm und der Abfolge und Platzierung der einzelnen Nutzungsbereiche. „Während das Ladenlokal als solches noch in Ordnung war, hatten die Nebenräume Anpassungsbedarf. Sowohl in der baulichen Substanz als auch in der Nutzung der Flächen. Durch Umstrukturierung und Veränderung des Raumkonzepts konnte die Werkstatt verlagert und damit ein zusätzlicher Verkaufsraum geschaffen werden“, erklärt Jens Vogel, Geschäftsführer bei Poschmann Design.
Für eine abwechslungsreiche Produktpräsentation finden sich unterschiedliche Regalsysteme, Vitrinentische und Kommoden in unterschiedlichen Dimensionen.
Der neu gewonnene Verkaufsraum bietet nun Platz für einen flexibel nutzbaren Beratungsraum, der über den Hof sogar den barrierefreien Zugang zu Laden und Untersuchungsräumen möglich macht. Darüber hinaus gelang durch den Umzug des Inhaberbüros in das zweite Obergeschoss die Verdopplung der Werkstattgröße. „Für jeden Bereich und Arbeitsprozess gibt es jetzt feste Arbeitsplätze“, berichtet Unger. Funktionalität, komfortable Möbel und pflegeleichte Böden standen in diesem Bereich genauso im Vordergrund wie die Installation eines erstmals kundentauglichen WCs.
Authentisch, persönlich, kommunikativ
Doch bevor es an den finalen Innenausbau gehen konnte, galt es zunächst die vorgefundene Bausubstanz umfangreich zu ertüchtigen. Vogel berichtet: „Der Umbau war komplex. Die Wände wurden teilweise trockengelegt, eine Wand zur Refraktion wurde neu gemauert und der komplette Fußboden erneuert. Neuer Estrich, Fußbodenheizung, neue Wände und Decke; zudem wurden Fassade und Eingang neu gemacht.“ All das fand während des laufenden Betriebs statt. „Lediglich zwei bis drei Wochen war der Laden geschlossen.“
Die funktionale wie optische Ausgestaltung der Räumlichkeiten zieht sich wie ein roter Faden von den Verkaufs- über die Untersuchungsräume (Optik und Akustik getrennt) bis zur Werkstatt konsequent durch. Ausdrucksstark mit hochwertigen, authentischen Materialien wie Holz, Stahl, Ziegel und Motivfliesen versehen, zog ein industrieller Chic mit klassischschlichten Gestaltungselementen in neutralem Grau ein. Der damit bewusst erzeugte Material- und Farbkontrast kreiert, erklärt Vogel, eine eigenständige, zum Augenoptikfachgeschäft passende Atmosphäre: „Augenoptik ist Handwerk. Auf einem sehr hohen Qualitätsniveau und mit bester Ausstattung. Das Spiel der filigranen Arbeiten mit den groben, rauen Oberflächen von Wand- und Möbelgestaltung erweist sich als spannender Designtwist.“
Die Werkbank aus dem väterlichen Betrieb wurde zum alltagstauglichen Beratungstisch mit Historie.
Dabei markieren vor allem Wandverkleidungs- und Bodenbelagswechsel unterschiedliche Nutzungszonen im Store. Verschiedengestaltige Sitzgruppen bieten für jede Beratung die richtige Besprechungssituation an. „Die Flieseninsel, die zentral zum Eingangsbereich liegt und von zwei roten Sesseln flankiert wird, ist ein Statement. Die Fortführung der Fliesen in der dahinterliegenden Präsentationswand lenkt den Blick auf das beleuchtete Konterfei des Augenoptik-Teams“, betont Vogel. Noch mehr persönliche Bezüge liefert die alte, zum Beratungstisch umfunktionierte Werkbank aus der ehemaligen Tischlerei väterlicherseits. Zunächst habe ihn der Vorschlag mit der Werkbank nicht begeistert, bemerkt Paul-Michael Unger, aber das habe sich ins Gegenteil verkehrt. Mittlerweile sehe er den Tisch als eines der praktischsten Möbelstücke im Laden an, denn im Gegensatz zu seinen Vorgängertischen hat die Bank keine Schubladen, in denen Unordnung herrschen kann.
Positive Einkaufserlebnisse
Das Kernprodukt, die Brille, bleibt trotz des detailreichen Store Interiors und der kommunikationsfördernden Zonen im Zentrum der Konzeption. Entlang der Wände und von den Decken abgehängt finden sich zur freien Produktanordnung beleuchtete Regalkonstruktionen aus Metall oder ohne sichtbare Befestigung, scheinbar an der Wand schwebende Regalböden, sogenannte „Floating Shelfs“. „Der Besucher darf beim Blick in das Fachgeschäft nicht überfordert werden. Eine geordnete Präsentation ist nicht langweilig, sondern lädt eher zum Rundgang durch den Laden oder aber zum Verweilen an der Präsentation ein“, betont Vogel und fügt hinzu: „Wir können grundlegend einen Trend dahingehend bemerken, dass ausgewählte Fassungen offen präsentiert werden, während die unterschiedlichen Ausführungen dieser Fassungen in Schubkästen oder Tabletts verwahrt werden. So verzichtet der Augenoptiker darauf, den Kunden beim Blick über die Fassungsvielfalt zu überreizen, kann aber dennoch mit seiner hohen Fassungsanzahl punkten, die er auf Wunsch zeigen kann.“
Klasse statt Masse
Klasse statt Masse bleibt damit das Ziel jedes wertigen Unternehmensauf tritts, doch im Einzelhandel geht es um mehr. „Der Auftraggeber möchte sein Kerngeschäft abgesichert wissen, strebt Kundenbindung und Kundenzuwachs an. Dazu muss er seinen Kunden und Besuchern etwas bieten. Anreize schaffen, die als Alleinstellungsmerkmal oder Besonderheit gegenüber dem Onlinehandel Bestand haben“, sagt Yvonne Schmeiduch dazu. Auch wenn es mittlerweile banal und eher wie eine Floskel klänge, müssten Fachgeschäfte einen Mehrwert bieten und „Gefühle der Gemeinschaft und Zugehörigkeit vermitteln. Es soll nicht um den Kauf als solchen gehen, sondern um Erlebnisse, die mit dem Kauf verbunden werden.“
Brillen Dittmar hat durch seine neue Ladenstruktur und Ausstattung – über die fachlichen Kompetenzen hinaus – ein optimales Einkaufserlebnis zu bieten, das nicht nur von Kunden positiv kommentiert wird. Auch die Mitarbeiter sind happy, sagt Inhaber Paul-Michael Unger und gerät dann selbst ein wenig ins Schwärmen: „Wenn man sich nicht bewusst vor Augen führt, wie es noch vor einem halben Jahr war, dann kann man sich das nicht mehr vorstellen!“
Autorin: Henriette Sofia Steuer