Studienerkenntnisse zu weichen Kontaktlinsen für Kinder
Erstveröffentlicht in der DOZ 11I24
Ab welchem Alter können Kinder eigentlich Kontaktlinsen tragen? Eine Frage, die Praktikerinnen und Praktiker oft beschäftigt, denen die Gesundheit von Kinderaugen besonders am Herzen liegt. Seit kurzer Zeit liegen neue Erkenntnisse zur Sicherheit des Kontaktlinsentragens bei Heranwachsenden vor. Die Ergebnisse zeigen klar auf, dass die Komplikationsrate vergleichbar zu Erwachsenen ist und es nur zu unwesentlichen Auswirkungen auf die Augenphysiologie kommt. [1,2] Für Kinder ab acht Jahren sind Kontaktlinsen demnach eine ausgezeichnete und sichere Option zur Korrektion verschiedener Fehlsichtigkeiten sowie Maßnahme zum Myopie-Management.
Kinder können von vielen Vorteilen durch das Kontaktlinsentragen profitieren. So kann sich die uneingeschränkte Sicht positiv auf die schulischen und sportlichen Leistungen auswirken und damit das Selbstbewusstsein der Kinder durch eine normalisierte Außenwahrnehmung steigern. Eine Vielzahl wissenschaftlicher Erkenntnisse aus den vergangenen Jahren zeigt, dass Kontaktlinsen die erste Wahl für die Korrektion von Fehlsichtigkeiten bei Kindern sein sollte. [3-5] Trotzdem empfehlen Augenspezialistinnen und Augenspezialisten dieser Zielgruppe Kontaktlinsen eher selten als adäquate Versorgungsoption. [14]
Der Erhalt der Augengesundheit während des Tragens sollte für Kontaktlinsenanpassende an erster Stelle stehen. Es ist deswegen wenig verwunderlich, dass dies auch das Hauptanliegen von Eltern ist, wenn es um die Versorgung ihrer Kinder mit Kontaktlinsen geht. Sie haben häufig Bedenken, ob ihre Kinder für das Kontaktlinsentragen geeignet sind [6,7] oder es sicher genug für ihre Kinder ist. [8] Diese Bedenken stehen jedoch in direktem Widerspruch zu aktuellen Forschungsergebnissen.
Danach können Kinder unkompliziert mit Kontaktlinsen versorgt werden. Sie tragen diese sicher und gehen souverän mit ihnen um. [9] Das Auftreten kontaktlinsenbedingter Komplikationen, etwa mikrobielle Keratitis [10] oder Hornhautinfiltrate [11], ist ebenso selten wie bei Erwachsenen. Hierbei kann insbesondere das Tragen von Einmalkontaktlinsen die Gesundheit während des Kontaktlinsentragens bewahren. [10]
Praxisrelevante Erkenntnisse
Durch retrospektive Untersuchungen zweier multizentrischer Studien zur Wirksamkeit von weichen Kontaktlinsen konnte die Häufigkeit schwerwiegender kontaktlinsenbedingter unerwünschter Ereignisse, wie zum Beispiel mikrobielle Keratitis, in der Altersgruppe der Acht- bis Zwölfjährigen bestimmt werden. [1,2] Dazu wurden die Daten von 963 (nachfolgend ReCSSStudie) [1] und 144 (nachfolgend OH-Studie) [2] Kindern analysiert, die über einen Zeitraum von sechs Jahren Kontaktlinsen trugen. Als Bewertungsgrundlage dienten die Kriterien aus Tabelle 1.
Tabelle 1: Referenztabelle zur Einstufung unerwünschter Ereignisse für Prüferinnen und Prüfer (nach Woods et al [2])
Eine Bewertungsskala von 0 bis 4 (0 = keine, 1 = minimal, 2 = leicht, 3 = moderat und 4 = schwerwiegend) wurde zur Einschätzung der Befunde verwendet.
Bei der sechs Jahre laufenden OH-Studie wurden keine schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse gemeldet. 93 Prozent der unerwünschten Ereignisse wurden als nicht signifikant eingestuft und 45 Prozent aller Vorkommnisse, die das Auge betrafen, standen nicht im Zusammenhang mit dem Kontaktlinsentragen. [2] Eine detaillierte Übersicht bietet Tabelle 2.
Tabelle 2: Zusammenfassung der unerwünschten Ereignisse der OH-Studie (angepasst von Woods et al [2])
In der ReCSS-Studie wurden von zwei Fälle von mikrobieller Keratitis berichtet. Einer davon stand im Zusammenhang mit dem Tragen der Einmalkontaktlinsen über Nacht. [1] Dies stellt eine sehr geringe Komplikationsrate dar, die mit der von erwachsenen Kontaktlinsenträgern vergleichbar ist. [10,11] Grafik 1 ist zu entnehmen, dass bei keiner der beiden Studien unerwünschte Ereignisse bei Kindern unter zehn Jahren auftraten.
Grafik 1: Alter zum Zeitpunkt des unerwünschten Ereignisses in der ReCSS-Studie [1] (n= 963) und der OH-Studie [2] (n=144)
Im Rahmen der Anpassung und der Nachkontrollzermine wurden bei der OH-Studie zusätzliche Merkmale zur Augengesundheit bewertet. Hierzu zählten limbale, bulbäre und tarsale Bindehautrötungen, tarsale Unebenheiten, Hornhaut- und Bindehautstippen sowie korneale Neovaskularisation. [2] Die Einschätzung solcher Befunde ist für Kontaktlinsenanpassende sehr relevant. Auch hier wurde eine Bewertungsskala von 0 bis 4 verwendet. 99 Prozent aller erhobenen Befunde wurden mit Grad 1 oder geringer klassifiziert. [2] Zu den am häufigsten vorkommenden Befunden mit einem Grad höher 0 gehörten bulbäre und tarsale Bindehautrötungen sowie tarsale Unebenheiten.
Allerdings konnte eine Verbesserung all dieser Befunde im Laufe der Zeit beobachtet werden. Diese Ergebnisse unterstreichen unter amderem die Bedeutung des Ektropionierens der Augenlider bei der Kontaktlinsen-Nachbetreuung. Insgesamt war der Gesundheitszustand der Augen bei der Anpassung vergleichbar zu dem bei der Abschlussuntersuchung nach sechs Jahren.
Tabelle 3 stellt die Ergebnisse der beiden beschriebenen Studien gegenüber.
Tabelle 3: Gegenüberstellung von OH- und ReCSS-Studie zur Beurteilung der Sicherheit des Kontaktlinsentragens bei Kindern [1,2]
Transfer in die augenoptische und optometrische Praxis
Es kann viele Gründe geben, warum Augenspezialisten Kontaktlinsen für Kinder empfehlen sollten, sei es eine hohe Fehlsichtigkeit oder die geringe Praktikabilität einer Brille im Alltag des Kindes. Spätestens jedoch mit dem Wissen über die Risiken einer steigenden Myopie im Kindesalter sind Kontaktlinsen für das Myopie-Management aus dem augenoptischen und optometrischen Alltag nicht mehr wegzudenken. [12] Als Reaktion auf den weltweiten Anstieg der Myopie, dem damit verbundenen Risiko für spätere Augenerkrankungen und Seheinschränkungen sowie auf die später signifikanten direkten und indirekten Kosten im Gesundheitswesen hat der World Council of Optometry (WCO) im März 2021 einen Beschluss verabschiedet. In diesem wird empfohlen, das Myopie-Management als Versorgungsstandard in die augenoptische und optometrische Praxis aufzunehmen. [13] Zum MyopieManagement zählt dabei nicht nur die Aufklärung von Eltern und Kindern hinsichtlich der Lebensweise, Ernährung und anderen Faktoren, die das Einsetzen und Voranschreiten der Myopie verhindern oder verzögern können. Ergänzend sollen wissenschaftlich gesicherte (evidenzbasierte) Maßnahmen zur Verlangsamung des Fortschreitens der Myopie empfohlen werden. Dazu zählen bei den evidenzbasierten Interventionen neben Brillen oder Pharmazeutika vor allem auch Kontaktlinsen. [13]
Frühere Studien zu Myopie-Management-Kontaktlinsen fokussierten sich verständlicherweise auf deren Wirksamkeit bei der Hemmung des Voranschreitens der Myopie und nicht auf die allgemeine Sicherheit des Kontaktlinsentragens bei Kindern. Die beiden hier vorgestellten Studien stellen deshalb die bisher umfangreichsten Ergebnisse zur Sicherheit des täglichen Tragens von weichen Kontaktlinsen bei Kindern und Jugendlichen dar. Die Ergebnisse dieser Studien wurden von Claire Mallon zusammengefasst und zeigen klar auf, dass das Tragen weicher Kontaktlinsen bei Kindern ab acht Jahren selbst über einen längeren Tragezeitraum von sechs Jahren als sehr sicher eingestuft werden kann. [1,2]
Die Sicherheit des Kontaktlinsentragens und das geringe Auftreten unerwünschter Ereignisse wurden bei der Durchführung der beiden beschriebenen Studien zusätzlich durch einen engmaschigen Nachbetreuungs-Rhythmus von sechs Monaten begünstigt. [1,2] Augenspezialisten können dementsprechend sicher sein, dass sie bei Einhalten regelmäßiger Kontrolltermine sicheres Kontaktlinsentragen selbst bei jüngeren Kindern gewährleisten können.
Fazit
Die neuesten Erkenntnisse können Augenoptikerinnen und Augenoptiker bei der Kommunikation mit Eltern und Kindern unterstützen, wenn es um die langfristige Sicherheit des Kontaktlinsentragens geht. [1,2] Wie Professor Brien Holden 2015 bereits sagte: „Wir wissen nicht alles über Myopie, aber wir wissen zu viel, um nichts zu tun.” Nicht nur deshalb ist die Versorgung von Kindern mit Kontaktlinsen durch Augenspezialisten wichtig. Das Wissen über die langfristige Sicherheit weicher Kontaktlinsen kann dazu beitragen, die Häufigkeit von Kontaktlinsenanpassungen bei Kindern zu erhöhen, um dadurch deren Leben und Augengesundheit positiv zu beeinflussen.
Hinweis: Dies ist eine gekürzte Version des in der ophthalmologischen Zeitschrift mivision, Ausgabe 185 und Optician erstveröffentlichen Artikels „Soft Contact Lens Wear in Children and Teenagers – a healthy vision correction option“ vom Dezember 2022. Übersetzung und Adaption: CooperVision DACH.
Das Literaturverzeichnis finden Sie hier.
Autorin: Claire Mallon
BSc(Hons), MCOptom DipTp(IP), Prof. Cert Glauc, FHEA, FBCLA, Dozentin für Optometrie und Clinic Lead für Kontaktlinsen an der University of Manchester