Interview mit Dr. Uttenweiler
Dr. Dietmar Uttenweiler ist seit 2003 bei Rodenstock und leitet seit Beginn des Jahres die Geschäftsbereiche Forschung & Entwicklung und Brillenglas. Die DOZ fragte nach, wie die Doppelrolle funktioniert.
Als Dr. Werner Müller Ende des vergangenen Jahres als Leiter der Forschung und Entwicklung bei Rodenstock in den Ruhestand ging, folgte Dr. Dietmar Uttenweiler auf diesem Posten. Der 50-Jährige ist für das Münchener Unternehmen nicht nur der perfekte Mann für diese eine Position, sondern auch der Richtige für zwei große Aufgaben: Bereits seit 2011 leitet er den Geschäftsbereich Brillenglas – seit Beginn 2017 ist er demnach für die beiden Geschäftsbereiche verantwortlich.
Die Zusammenführung der Geschäftsbereiche sei ein wichtiger Schritt für die weitere Entwicklung Rodenstocks, auch um noch besser dem Anspruch gerecht zu werden, nur Innovationen mit erlebbarem Kundennutzen auf den Markt zu bringen, ließ sich Rodenstock-Geschäftsführer Oliver Kastalio zu Beginn des Jahres zitieren. Was er damit genau meint und warum das so sein soll, wollten wir nach ein paar Monaten Einarbeitung in die neue Aufgabe von Dr. Uttenweiler selbst wissen. DOZ-Chefredakteur Ingo Rütten besuchte die Firmenzentrale in München, sah sich unter anderem die Chemielabore in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung an und war überrascht, Farbstoff synthetisierende echte Chemiker in weißen Kitteln anzutreffen. Diese hielten sich über ihre Arbeit jedoch bedeckter als der Interviewpartner, der höflich die DOZ auf dem Schreibtisch postiert hatte – direkt neben einem Musikmagazin, das auf dem Titel den „Godfather of Punk“ abgedruckt hatte.
DOZ: Dr. Uttenweiler, was ist wichtiger für Ihre Arbeit, die DOZ oder Iggy Pop?
Dr. Dietmar Uttenweiler: Das Musikmagazin habe ich von meinen Kollegen geschenkt bekommen. Ich bin auch kein Fan von Iggy Pop, sondern von Rockkonzerten im klassischen Sinne. Mich faszinieren Menschen, die ihr Handwerk verstehen, nicht nur in der Musik. Aber in Konzerten beispielsweise von Peter Gabriel, Paul McCartney, Sting oder Paul Simon tauche ich in einer anderen Welt ab.
Sprechen wir zunächst über die Leute, die entscheidend sind für Ihr Berufs leben. Hat Ihr Vorgänger als Leiter der Forschung und Entwicklung sein Handwerk verstanden?
Werner Müller ist einer von vier großen Lehrmeistern, die ich in meiner beruflichen Karriere bislang hatte. Er hat mir gezeigt, wie man aus einer Idee oder Forschungsarbeit ein Produkt macht. Das sollte niemand unterschätzen, denn dieser Entwicklungsprozess muss sehr strukturiert angegangen werden und erfordert, sehr viele unterschiedliche Aspekte zielgerichtet auf den Tag der Markteinführung zu fokussieren und zu koordinieren.
Ist das verkürzt die Aufgabe, die Sie übernommen haben?
Ich bringe mich maßgeblich in der neuen Funktion in die Bereiche Forschung und Entwicklung und strategisches Marketing ein und beschäftige mich natürlich deshalb unter anderem immer mit der Frage, wie bringe ich ein Produkt erfolgreich in den Markt, wie stellt man die nötige Endkundenrelevanz sicher? Aufgrund meiner Biographie kann ich da sicher entscheidende Impulse beitragen. Natürlich ist mir die Forschung weiterhin sehr wichtig – von der komme ich ja – und da wollen wir als Unternehmen auch zukünftig vorne dabei sein. Wir haben Mitarbeiter, die könnten auch an der Universität als Professoren tätig sein, die sind ihn ihren Bereichen ganz weit vorne.
Sie sagen, vier große Lehrmeister, haben sie Ihnen das Rüstzeug für Ihre heutigen Aufgaben mit auf den Weg gegeben?
Wie Leute agieren, resultiert unter anderem aus ihren Erfahrungen. Ja, ich hatte vier Lehrmeister. Zunächst meine beiden Betreuer und Professoren an der der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg: Professor Fink und Professor Bille haben mir beigebracht, offen für Neues zu sein, sie haben immer den einen neuen Ansatz gesucht, kombiniert mit einem enorm hohen Anspruch an sich selber und ihre Arbeit. Sich nie mit Mittelmaß zufrieden zu geben, auch das haben sie mir beigebracht. Dr. Müller habe ich schon erwähnt. Und von Oliver Kastalio, unserem CEO, habe ich alles gelernt, was das Marketing und endverbraucherrelevante Produkteinführungen angeht, insbesondere die Kommunikation und die Verbrauchernähe betrifft. Das versuche ich nun in meiner neuen Position umzusetzen.
Lassen sich an diesen Lehrmeistern Ihre verschiedenen Stationen erkennen?
Ich denke ja. Von Hause aus bin Physiker. Ich habe in Deutschland und England studiert, habe dann in Heidelberg im Fach Physik promoviert, war aber zu der Zeit auch schon in der Medizin tätig und habe am Physiologischen Institut meine wissenschaftlichen Arbeiten gemacht. Zunächst bin ich an der Universität geblieben und habe habilitiert, nun aber in der medizinischen Fakultät. Das heißt, ich habe diesen Spagat damals schon gemacht zwischen der Physik und der Medizin.
Waren Sie deswegen 2003 für Rodenstock so interessant?
Vermutlich ja. Ich wurde für die Forschung in der Augenoptik eingestellt, da brauchte man damals jemanden, der die Physik und die Physiologie – also das gesamte visuelle System – mit Erfahrung und mit Wissen abdecken konnte. Ich war dann acht Jahre lang in der Verantwortung für die Forschung Optik. Als Oliver Kastalio mich dann gefragt hat, ob ich mir vorstellen könne, mal etwas ganz anderes zu machen, hat er mir die Leitung der Strategic Business Unit Lenses angeboten. Ich habe direkt ja gesagt, was im Nachhinein eigentlich der zweite wichtige Schritt in meiner Karriere war, nämlich das Produkt noch einmal aus einer weiteren Perspektive zu sehen. Wenn Sie ausschließlich in der Entwicklung tätig sind, dann besteht die Gefahr, das Produkt mit Entwicklungsabschluss als erfolgreich eingeführt zu betrachten. Was aber wichtig ist, ist das Produkt auch im Markt zu sehen. Also erstmal alle Vorbereitungen treffen für ein gezieltes Marketing und anschließend das Produkt weiter pflegen. Außerdem müssen Sie die wirtschaftlichen Aspekte beachten und den kommerziellen Erfolg sicherstellen und gegebenenfalls geeignete Maßnahmen ergreifen.
Warum sind Sie nicht an der Universität geblieben, was hat Sie gereizt, in die Industrie zu gehen?
Ursprünglich hatte ich nicht vor, in die Industrie zu gehen. Nach der Habilitation war der klassische Weg vorgesehen, die Professur. Für mich war es eher Zufall, dass Rodenstock mich angesprochen hat, ich habe einen Anruf eines Headhunters bekommen, der fragte mich: „Könnten Sie sich auch vorstellen, Forschung in der Industrie zu betreiben?“ Auch damals habe ich nicht lange überlegt, ich wusste nicht genau, was mich erwartet, aber „let’s do it“. Das Gleiche war es auch dann noch mal bei dem Schritt von der Entwicklung ins Marketing. Und auch da muss ich sagen, das war noch einmal eine sehr große Veränderung, natürlich im selben Unternehmen, aber für mich sehr wichtig, weil ich seitdem die Dinge anders und umfassender sehe.
Und die Nachfolge auf Dr. Müller ist dann der logische Schritt in dieser Entwicklung?
Das war tatsächlich der nächste logische Schritt. Wir erhoffen uns einiges dadurch, dass ich die beiden Bereiche unter einer Verantwortung habe. Ich denke, wir können das sehr gut realisieren, das Produkt schon von Anfang an mit der Brille des Marktes und des Verbrauchers zu sehen, tatsächlich den Schwerpunkt auf für den Verbraucher relevante Innovationen und Entwicklungen zu setzen. Da ist es schon eine Hilfe, dass ich in beiden Bereichen die Erfahrung habe und dass ich dafür verantwortlich bin.
Was ist denn für Sie persönlich seit Jahresbeginn anders geworden und woran arbeiten Sie derzeit konkret?
Durch die neue und zusätzliche Aufgabe spüre ich die größere Verantwortung gegenüber unserem Unternehmen. Das ist mir sehr bewusst, ich wollte das so, aber das ist auch eine Verpflichtung. Wir beschäftigen uns natürlich mit sehr vielen Dingen, der Markt ist in Bewegung. Aber unsere Strategie ist es, erst dann etwas auf den Markt zu bringen und darüber zu sprechen, wenn die Zeit dafür reif ist.
Okay, ich versuche es anders. Stehen Sie unter einem gewissen Druck, gibt es Vorgaben, nach einer bestimmten Zeit wieder etwas Neues auf den Markt zu bringen – auch weil Rodenstock von seinem eigenen Selbstverständnis her beim Brillenglas einen technologischen Vorsprung hat?
Nein. Wenn man nur etwas auf den Markt bringt, damit man etwas Neues auf den Markt gebracht hat, dann wird das keinen Erfolg haben. Sie müssen das mit einem Produktvorteil und einem erlebbaren Kundennutzen unterfüttern. Heute sind die Innovationszyklen kürzer, das ist in jeder Branche so. Auch wir haben unsere Prozesse darauf abgestimmt. Das hilft uns, schneller zu sein. Wenn wir klar kommunizieren können, was ein Produkt besser oder anders kann als beispielsweise ein älteres, dann bringen wir es auf den Markt. Nicht eher.
Wie läuft das in der Praxis ab, wie entstehen die Ideen für neue Produkte? Was ist zuerst da, das Problem oder doch die Lösung, für das zunächst ein Bedürfnis gefunden werden muss?
Es gibt viele Wege, wie eine Produktidee geboren wird. Viel stärker als früher stellen wir uns heute die Frage, was will eigentlich der Kunde, welches Bedürfnis hat der Verbraucher? Für technische Lösungen gibt es auch heute noch die gerne zitierten Ideen, die in den Laboren oder zu Hause in der Nacht entstehen. Aber wir stellen diese Ideen heute immer mehr auf den Prüfstand; immer auf der Suche nach der Relevanz. Das müssen wir tun, um aus der Idee ein Produkt machen zu können. Das ist meine hauptsächliche Aufgabe: Die Kunst ist, die Kreativität der Mitarbeiter zu erhalten und zu fördern, damit die Ideen kommen, den Input vom Markt zu nehmen und das Ganze stringent in einen Entwicklungsprozess zu gießen. Zwischen diesen Prozessen muss ich eine Balance herstellen.
Es scheint, als ob Sie häufiger aus dem Bauch heraus entscheiden, pflegen Sie diese „let’s do it“Metalität?
Bauch und Verstand, aber ja das könnte mein Lebensmotto sein, ja.
Gilt das auch für Produktideen? Kommen Sie manchmal in die Bredouille, einerseits forschen zu wollen, andererseits keine Relevanz am Markt zu sehen?
Nicht alles, was technisch machbar ist, ist sinnvoll in einem Produkt umzusetzen, auch diese Abwägung gehört zu meiner Aufgabe. Oft gibt es Ansätze, die scheinen super zu sein, aber letztlich ist die Relevanz dann nicht da. Nehmen wir den 3D-Druck von Brillengläsern zum Beispiel. Damit beschäftigen wir uns intensiv, aber zunächst einmal müssen wir uns die Frage beantworten, welche Vorteile bietet denn überhaupt ein neuer Produktionsprozess? Nur weil das Brillenglas gedruckt ist, bietet es per se ja erst einmal keinen Vorteil. Die Überlegung ist nun, wie kann ich den Produktionsprozess sinnvoll einsetzen, um dem Verbraucher einen Vorteil weitergeben zu können. Das ist ein Beispiel dafür, dass man Technologie und Marktumfeld immer abwägen muss.
Gibt es andere Produktideen, für die solche Überlegungen zutreffen? 3DBrillen oder Head Mounted Displays zum Beispiel?
Damit haben wir uns natürlich auch sehr intensiv beschäftigt, das ist richtig. So haben wir im Jahr 2007 mit Informance einen funktionsfähigen Demonstrator einer elektronischen Datenbrille auf der Opti präsentiert und damit auch international sehr viel Aufmerksamkeit erlangt. Die Zeit war aber noch nicht reif für so ein Produkt, deswegen haben wir es dann letztendlich nicht im Markt eingeführt.
Seit wann tragen Sie Brille?
Seit der zweiten Klasse, wie alt ist man da, sieben?
Sie tragen also seit etwa 43 Jahren Brille und sind sicher ganz gut ausgestattet mit diversen Modellen. Was aber fehlt denn in Ihrem Alltag noch?
Die Brille ist tatsächlich ein nicht weg zu denkender Teil meines Ichs; inzwischen bin ich über sieben Dioptrien myop, mit Aberrationen, die eine Freude eines jeden Augenoptikers und Augenarztes sind. Kurz: ich bin auch ein sehr schwieriger Korrektions-Fall. Deswegen weiß ich auch, wie wichtig es ist, gut korrigiert zu sein, denn wenn ich das nicht bin, dann ist für mich die Teilnahme am sozialen Leben sehr schwer. Ich weiß also um den Wert einer guten Versorgung. Und ich habe das Glück, dass ich bei Rodenstock arbeite und so natürlich sehr viele Brillen habe. Die Gleitsichtbrille als Standard, gerade für mich mit meinen Aberrationen höherer Ordnung mit der DNEye-Technologie, die Bildschirmarbeitsplatzbrille, Roadgläser fürs Auto. Zum Skifahren und Mountainbiken trage ich zum Beispiel eine Pro- Act Sportbrille – mit kontraststeigernden Colormatic-Gläsern. Es gibt Leute, die sagen, die Gläser reagieren zu langsam, aber das ist mir doch lieber als ständig die Brille oder die Gläser zu wechseln. Die Kontraststeigerung bietet Ihnen eine verstärkte Konturen Erkennbarkeit und eine sehr gute Sicht. Sie schauen ja schließlich weit voraus beim Skifahren oder auf dem Mountainbike. Ja, ich teste die Brillen vorher, es gibt kaum ein Produkt, das ich nicht selber getestet habe. Aber das sind meine eigenen Standardprodukte.
Fehlt also nichts? Oder liegt noch et was in der BüroSchublade, ohne technische Lösung oder Marktrelevanz bislang?
Grundsätzlich werden die Bedürfnisse eines Brillenträgers bestimmt von Funktion und Fashion. Das werden die zwei Grundanforderungen an eine Brille sein, immer. Sie muss gut zu tragen sein und gut aussehen. Derzeit in der Branche heiß diskutiert sind beispielsweise Head Mounted Displays und 3D-Druck. Auch wir beschäftigen uns mit diesen Themen, das ist unsere Aufgabe. Aber noch einmal: Wir bringen Dinge erst dann auf den Markt, wenn sie auch wirklich das Bedürfnis des Kunden adäquat befriedigen können. Der Verbraucher soll sich nicht an ein neues Produkt gewöhnen müssen, sondern das Produkt muss auf ihn abgestimmt sein. Letztlich müssen aber auch die richtigen Vertriebskonzepte vorhanden sein und der Markt muss bereit sein, diese neuen Dinge aufzunehmen.
Warum behauptet Rodenstock von sich selbst, beim Brillenglas einen technologischen Vorsprung zu haben?
Das kommt aus der Tradition und aus der Historie heraus: Die mathematisch optischen Berechnungsmethoden, die Rodenstock für ein Brillenglas besitzt, erlauben es uns, Dinge zu machen, die Mitbewerber so nicht im Glas umsetzen können. Das ist die Basis, so konnten wie im Jahr 2000 als erster ein individuelles Brillenglas auf den Markt bringen. Das ist die Basis für unsere Eye Lens Technologie und das wird auch in der Zukunft eine wichtige Basis für neue Produkte sein.
Was ist denn schwieriger, eine neue Technologie zu entwickeln oder diesen technologischen Vorsprung auf dem Markt zu verkaufen?
Weder das eine noch das andere, beide Themen haben ihre besonderen Herausforderungen. Beim ersten brauchen Sie die Experten und das Know-how. Aber, und das ist etwas, das ich lernen musste, das muss man dann auch erfolgreich im Markt positionieren und platzieren. Beides hat seine Reize. Wir müssen unsere Produktneuheiten und deren Nutzen in die richtige Sprache transferieren, je besser uns das gelingt, desto erfolgreicher werden unsere Produkte.
Sie haben die Tradition gerade erwähnt. Rodenstock feiert in diesem Jahr sein 140jähriges Jubiläum und kommuniziert, man wolle die Balance zwischen Tradition und Innovation erhalten. Was steckt dahinter, wie machen Sie das im Bereich Brillenglas?
Unsere Tradition ist es, Innovation als essentiellen Bestandteil unseres Selbstverständnisses zu leben. Das sind keine zwei Begriffe, die sich gegenüberstehen, sondern sie bilden im Prinzip eine Einheit. Wenn Sie alte Patentschriften von Josef Rodenstock aus dem 19. Jahrhundert in den Händen halten, werden Sie fasziniert sein, was damals schon an Optikberechnungen gemacht wurde. Das, was wir heute machen, muss diesem damals schon geltenden hohen Anspruch genügen. Die Tradition ist die Innovation bei uns!
Also wird intern immer alles auf den Prüfstand gestellt und dazu die Firmengeschichte bemüht?
Nein, aber ein Unternehmen muss doch erst einmal 140 Jahre alt werden. Das wird es nicht dadurch, dass man sich zurücklehnt. Sie müssen sich ständig hinterfragen: ist das, was ich tue, auch tatsächlich das, was heutzutage notwendig ist, um an der Spitze mitspielen zu können?
Die Tradition bei Rodenstock ist, sich nicht mit dem zufrieden zu geben, wo wir gerade stehen. Daraus resultiert die Innovation. Eine der vielen Fragen lautet, gibt es denn überhaupt noch etwas zu entwickeln? Ja, immer. In jeder Epoche dachte man doch, that’s it. Mit dem ersten Meniskenglas und danach mit den punktuell abbildenden Brillengläsern dachten die Leute, super, was braucht es jetzt noch, ich sehe doch wieder scharf. Als das Gleitsichtglas erfunden wurde, dachten alle, super, das ist die Lösung für die Presbyopie. Und auch dann ging es weiter mit wichtigen Neuerungen, sie müssen den Hunger haben, immer wieder Neues machen zu wollen!
Kann es denn überhaupt noch etwas entscheidend Neues in der Augenoptik geben, nach digitalen Gläsern und jenen für Autofahrer? Sind kommende Änderungen nicht eher im Detail zu sehen?
Nein, es wird auch zukünftig ganz grundlegende neue Dinge geben. So werden wir in absehbarer Zeit wieder etwas präsentieren, mit dem wir noch einmal einen entscheidenden Schritt nach vorne gehen werden. Im Brillenglasbereich wird es immer Neuigkeiten geben, man darf nie den Fehler machen, zu denken, man hat jetzt alles entwickelt. Das ist in der Wissenschaft generell nie der Fall. Selbst die Grundgesetze von Newton, die wir alle in der Schule und im Studium gelernt haben, sind teilweise nur Näherungen – das wissen wir heute. Das ist das, was ich meine, Sie dürfen sich nicht mit dem Status Quo zufrieden geben, müssen alles immer wieder hinterfragen. Das ist vielleicht manchmal für Außenstehende schwierig nachzuvollziehen, aber das macht die Faszination aus.
Haben Sie aber manchmal nicht auch das Gefühl, mit Ihren Produktneuheiten die Augenoptiker und besonders deren Kunden zu überfordern?
Wir hinterfragen uns diesbezüglich ständig. Wir lassen das in unsere Produktentwicklungen einfließen und bieten hier und da auch einfachere Lösungen an, als das, was technisch möglich wäre. Wir möchten es unseren Partnern einfach machen. Über Marktforschung holen wir uns Feedback ein, wir haben einen Kundenbeirat und holen uns auch dort Meinungen ein, wir reflektieren uns darin.
Wie hat sich Branche seit Ihrem Einstieg 2003 bei Rodenstock verändert, wie wird sie es weiter tun?
Von den Produkten her natürlich und vom Verständnis für Qualität, da sind wir viel weiter gekommen. Die Zyklen, in denen neue Produkte auf den Markt kommen, sind deutlich kürzer geworden. Die Welt wird für den Augenoptiker immer komplexer. Die Worte Innovation und Revolution haben eine enorme Inflation erlebt. Auch bei uns in der Branche steht das überall drauf. Deswegen ist es für uns wichtig, den Kundennutzen auch wirklich deutlich machen zu können. Der Markt ändert sich, in den letzten zwei, drei Jahren schneller als je zuvor. Das gilt für den Handel als auch für die Herstellerseite, Konsolidierungen, neue Player, auch das ist eine Herausforderung: sowohl für uns als auch besonders für den traditionellen Augenoptiker. Wir leben gerade in spannenden Zeiten. Viele empfinden es als Gefahr, ich nenne es Herausforderungen und finde es spannend, in solchen Zeiten zu leben, in denen sich die Welt um uns herum ändert. Wir sind aufgefordert, mit eigenen neuen Konzepten unseren Platz zu finden. Da sind wir wieder bei der Tradition, auch Rodenstock, auch wir müssen und werden Antworten finden, um noch einmal 140 Jahre drauf zu packen.
Nutzt Rodenstock dazu auch den Onlinehandel?
Der Onlinehandel ist nicht der geeignete Vertriebskanal für unsere hochtechnischen Markenprodukte. Deswegen werden Sie dort auch keine Rodenstock-Gläser finden. Das ist mir wichtig: Wir haben den Augenoptiker als Bindeglied und Schnitt- stelle zwischen dem Kunden und uns, er ist ein enorm wichtiger Teil in der Bestimmung, und damit auch in der Berechnung und Fertigung des Brillenglases. Darauf können und wollen wir nicht verzichten. Die Kollegen, die das verstanden haben, das sind die erfolgreichen draußen am Markt. Daraus beziehen diese Augenoptiker ihre Stärke und damit können sich die Optiker als die Experten für ihre Kunden profilieren.
Zum Abschluss noch einmal zurück zur Privatperson Uttenweiler. Sie stammen aus dem Schwarzwald, dort gelten die Menschen als besonders heimatverbunden, und Sie benennen sich als Naturmensch. Aber Sie leben in München.
Zwanzig Kilometer von dort, östlich vom Starnberger See. Ich habe die Berge vor der Haustür, ich kann bei mir aus dem Haus raus die Langlaufski anschnallen oder direkt mit dem Mountainbike los. Die Verbundenheit zu meiner Heimat prägt mich, ich stamme aus Waldkirch, das liegt zwanzig Kilometer von Freiburg entfernt weiter im Schwarzwald. Dort ist man bodenständig und geerdet, das ist irgendwie ein Teil unseres Lebens. Deswegen bin ich auch Fußballfan des SC Freiburg, stehe dort so oft wie möglich mit meinem Sohn auf der Nordtribüne unter den Fans. In Freiburg hätte ich im Bereich der Physik in Kombination mit der Medizin nichts machen können, da gab es keine Arbeitsplätze. Und München ist nicht der schlechteste Platz, meine Frau, meine Tochter, mein Sohn und ich fühlen uns sehr wohl und sind hier glücklich.Das schließt nicht aus, dass ich es immer genieße, wenn ich in der Heimat bin.
Bleibt die Zeit dafür in Ihrem Job?
Die Zeit ist eingeschränkt, aber wenn man die Dinge macht, dann muss man das bewusst genießen – und dann ist das auch in Ordnung. Wenn man in einer verantwortungsvollen Position ist, dann muss man das auch mit Leidenschaft tun und sich reinhauen. Wenn man das nicht mehr machen will, dann muss man sich verändern. Ein Rockkonzert am Abend, das geht doch immer. Aber ich muss langfristig planen und schaue ein halbes Jahr vorher in die Tourtermine, dann kann ich alles andere drumherum planen.