Binokulares Sehen im Zeichen der Jubiläen

Dr. med. David Pestalozzi, Alf Opheim Senior und Professor Ivar Lie
Dr. med. David Pestalozzi, Alf Opheim Senior und Professor Ivar Lie waren maßgeblich an der Gründung der heutigen IVBS beteiligt.
© IVBS

Das Jahr 2018 ist das Jahr des binokularen Sehens – zumindest das der thematischen Jubiläen. Vor 60 Jahren legte Hans-Joachim Haase den Grundstein für die Entwicklung der MKH („Mess- und Korrektionsmethodik nach H.-J. Haase“), 30 Jahre später schloss sich die Internationale Vereinigung für Binokulares Sehen (IVBS) zusammen. Auch wenn Methode und Vereinigung sich kontinuierlich weiterentwickelt haben, das Ziel bleibt unverändert bestehen: Stellungsfehler der Augen korrigieren und Sehstörungen reduzieren.

Es ist der 11. Juni 1988: Am Fuß des Vogelbergs, in der Alpenidylle Egerkingens, nur 30 Kilometer von Basel entfernt, geschieht aus heutiger Sicht Geschichtsträchtiges. 100 Teilnehmer aus sieben Nationen finden im Hotel Mövenpick zusammen, der erste Kongress der Internationalen Vereinigung für Binokulares Sehen (IVBS) wird eingeläutet. Wobei, so recht stimmt das nicht. Denn als am Sonntag, 12. Juni 1988, die Gründungsversammlung abgehalten wird, steht auf der Einladung nicht IVBS sondern IVBV – Internationale Vereinigung für Binokulare Vollkorrektion. „Der neue Name ist erst 2012 verabschiedet worden“, erklärt Georg Stollenwerk. Er ist heute Vorsitzender der IVBS, führt die Vereinigung seit nunmehr 18 Jahren.

Im Jahr 1988 erfolgte der Aufruf zur Gründung

Den Gründungsaufruf von 1988 würde Stollenwerk, auch wenn er erst anderthalb Jahre später beitrat, heute noch genauso unterschreiben. „Wer sich heutzutage mit binokularer Vollkorrektion befasst, hat mit gewissen Widerständen der Umgebung zu kämpfen und fühlt sich oft recht einsam. Die guten Ergebnisse mit diesen Korrektionen motivieren aber, dennoch damit fortzufahren. Durch den Zusammenschluss zu einer Vereinigung sollen die bisherigen Bemühungen der einzelnen Mitglieder um Verbesserung der binokularen Situation ihrer Patienten oder Klienten gestärkt und auf eine breitere Basis gestellt werden.“ So hatte es das Initiativkomitee um den Schweizer Augenarzt Dr. med. David Pestalozzi, den norwegischen Psychologen Professor Ivar Lie und den norwegischen Optometristen Alf Opheim senior formuliert – und damit Gespür dafür bewiesen, dass das binokulare Sehen und insbesondere die MKH irgendwann ein unverzichtbarer Teil der Optometrie sein würden. 30 Jahre zuvor bereits hatte Hans-Joachim Haase die Grundlage geschaffen.

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Dr. med. David Pestalozzi, Alf Opheim Senior und Prof. Ivar Lie bildeten das
Initiativkomitee zur Gründung der IVBV. (Fotos: IVBS)

1915 erblickt Haase als Sohn eines Augenoptikermeisters in Parchim das Licht der Welt. Nachdem er die Prüfung zum Augenoptikermeister abgelegt hatte, widmete er sich der Lehrtätigkeit an der ältesten deutschsprachigen Weiterbildungsstätte für Augenoptiker, der renommierten staatlichen Fachschule für Optik und Fototechnik in Berlin (heute Beuth Hochschule). Augenglasbestimmung in Theorie und Praxis stand auf seinem Stundenplan. Doch galt sein Interesse schon bald nicht mehr nur den herkömmlichen Methoden zur Bestimmung und Verordnung von Brillengläsern, um Fehlsichtigkeiten des Einzelauges wie Über-, Kurz- und Stabsichtigkeit zu korrigieren. Haase wandte seine Aufmerksamkeit vielmehr der Frage zu, wie man nicht-ideale seitliche Bildlagen exakt identifiziert und die Augenmuskulatur mit entsprechenden Linsen so entlastet, dass das Objekt des Sehens mit beiden Augen nicht nur scharf, sondern darüber hinaus auch ohne Anstrengung wahrgenommen werden kann. Stollenwerk bringt es auf einen Nenner: „Zwei Adleraugen alleine reichen nicht aus, die Augen müssen auch gut miteinander kommunizieren.“

Eine Prismenbrille war schon in den 1950ern nicht neu, doch gab es keine Messmethode, die einen verlässlichen Wert für die erforderliche prismatische Wirkung der Brillengläser lieferte. Haase analysierte, er probierte – und fand bei den damals gebräuchlichen Messmethoden Ansatzpunkte zur Verbesserung. Aufbauend auf dem aus Großbritannien stammenden Turville-Infinity- Balance-Verfahren und einer vom Berliner Augenoptikermei ster Karl Schultze vorgeschlagenen neuen Polarisationstechnik entwickelte Haase ein eigenes Messgerät, das seither von der Firma Zeiss gebaut und unter dem Namen Polatest vertrieben wird. Die „Mess- und Korrektionsmethodik nach H.-J. Haase“, kurz MKH, war geboren: Erstmals war es möglich, die gemessenen Werte in die Brille vollständig zu übernehmen und das Risiko einer Unverträglichkeit erheblich zu reduzieren.

Hans-Joachim Haase
Hans-Joachim Haase ist nicht nur
der Namensgeber der MKH, er
entwickelte auch die Messmethode.
(Foto: IVBS)

 

Haase lehnte sich aber nicht zurück, er verfeinerte und standardisierte seine Messmethode – und war gefragter Experte in der ganzen Welt. Die Schweiz, Singapur, Japan, USA und Norwegen waren nur einige Länder, in denen Haase seine Tests vorstellte und Unterstützer fand. Einer davon war der Augenarzt Dr. David Pestalozzi, der die Chancen der MKH erkannte und immer mehr Gleichgesinnte um sich scharte, was schließlich zur Gründung der heutigen IVBS führte.

Neben den rund 100 Teilnehmern aus sieben Nationen kamen im Juni 1988 auch zwölf Referenten in die Schweiz. „Für die Anerkennung [der MKH] durch die Schulmedizin müssen Konzepte erarbeitet und Vorurteile abgebaut werden“, hieß es im Gründungsaufruf. Die komplexen der Methodik zugrundeliegenden Zusammenhänge führten dazu, dass ihr Nutzen nicht allgemein und schnell erkannt wurde – auch weil die wissenschaftliche Anerkennung fehlte und bis heute fehlt. „Das gilt jedoch für alle Verfahren zum binokularen Sehen, nicht nur für die MKH“, verdeutlicht der heutige IVBS-Präsident Stollenwerk. Man könne das Ergebnis bis heute nicht messen, rein wissenschaftlich reiche es nicht, wenn die Betroffenen bestätigen würden, dass durch die Verordnung einer Prismenbrille auf Grundlage der MKH-Ergebnisse die Beschwerden verschwunden seien. Ein wenig Hoffnung aber besteht. Stollenwerk: „Es gibt aktuell ein sehr aufwändiges und breit angelegtes Studienprojekt an der Fachhochschule in Olten (Schweiz), an dem wir als IVBS beteiligt sind. Das Projekt ist auf zwei Jahre ausgelegt, sodass wir im kommenden Jahr hoffentlich mehr wissen.“ Dennoch: Im Gegensatz zu vielen anderen Methoden zur Verbesserung des binokularen Sehens, die mittlerweile von der Bildfläche verschwunden sind, ist die MKH weiter existent, „weil sie so gut funktioniert, effektiv ist und hilft“.

Info-Materialien gibt es inzwischen in fünf Sprachen

In allen elektronischen Sehtestgeräten ist die MKH-Testreihe mittlerweile enthalten. „Im deutschsprachigen Raum gilt die MKH, wenn es um Heterophoriebestimmung geht, als Goldstandard“, sagt Stollenwerk. Doch um diesen Goldstandard auch nutzen zu können, bedarf es eines fundierten Fachwissens der Anwender. Und dieses Fachwissen vermittelt die IVBS regelmäßig. Das Seminar „MKH für Neu- und Wiedereinsteiger“ gehört zweimal jährlich zum festen Angebot – und ist gut frequentiert. Zwar ist die MKH in der Meisterausbildung fester Prüfungsbestandteil, doch je nach Betrieb und Aufgabengebiet geht dieses Wissen in der Praxis oft verloren. Dem will die IVBS entgegenwirken: Schließlich bildet die Erforschung und Verbreitung der MKH die Grundlage der Vereinigung, ebenso die praktische Aus- und Fortbildung am Polatest-Sehprüfgerät und anderen gleichwertigen Vorrichtungen, die sach- und fachgerechte Anwendungen der MKH ermöglichen. In den vergangenen Jahren hat die IVBS diesbezüglich viele Informationsmaterialien zusammengestellt – in fünf Sprachen.


Logos IVBV_IVBS
Erst seit 2012 trägt die IVBS ihren heutigen Namen. Vorher war die
Vereinigung unter dem Kürzel IVBV bekannt. (Grafiken: IVBS)

Darum wurde die IVBV zur IVBS

In einer Urabstimmung 2012 wurde der ursprüngliche Vereinsname „Internationale Vereinigung für Binokulare Vollkorrektion“ (IVBV) in „Internationale Vereinigung für Binokulares Sehen“ (IVBS) geändert. Damit wollte man signalisieren, dass man innerhalb des binokularen Sehens nicht nur eine Methode repräsentiert, sondern ein ganzes Fachgebiet. „Wenn es um die Heterophorie- Korrektion geht, dann ist die MKH zwar weiter die von uns bevorzugte Methodik, das Binokularsehen hält allerdings viele weitere Facetten bereit, denen wir uns ebenfalls widmen“, sagt IVBS-Präsident Georg Stollenwerk.


Rund 700 Mitglieder zählt die Vereinigung derzeit – die meisten in Deutschland und der Schweiz, hinzu kommen Heterophorie-Experten aus Österreich, Belgien, Liechtenstein, Ungarn und den Niederlanden. „Genau diese Internationalität war schon ein Grundanliegen der Gründungsväter – was ja auch im Namen deutlich wird. Wir sind immer noch in einem Entwicklungsprozess, der immer weitere Kreise zieht“, berichtet Stollenwerk, der als freier Dozent auch bei seinen Vorträgen das stetig weiter steigende Interesse bemerkt. Und auch das ist charakteristisch für die IVBS: der Blick nach vorne und eine gewisse Konstanz. In oft kleinen Schritten hat man in den vergangenen 30 Jahren dafür gesorgt, dass das Binokularsehen und die Binokularkorrektion immer stärker in den Fokus gerückt sind. So sollen auch in Zukunft die Anstrengungen im Bereich Fortbildung intensiviert, die Öffentlichkeitsarbeit – zum Bespiel mit der Beteiligung am Tag der Optometrie / Sichtkontakte – ausgebaut, weiter Kontakte geknüpft und Studienprojekte begleitet werden. „Natürlich geht es auch immer um eine weitere Vernetzung der Spezialisten aus den unterschiedlichen Disziplinen untereinander“, sagt Stollenwerk.

Polatest
Zunächst von der Firma Busch und später von Zeiss
gebaut: das Messgerät Polatest, das von Hans-
Joachim Haase entwickelt wurde. (Fotos: IVBS)

Der fachliche (Erfahrungs-)Austausch findet nicht nur auf den Jahreskonferenzen statt, sondern auch auf digitalem Weg. Die digitale Welt wird in den kommenden Jahren nicht nur das Potential der MKH aufgrund der steigenden Sehanforderungen erhöhen, sie dient auch als Plattform für Informationen und Kommunikation. So können sich IVBS-Mitglieder auf der Homepage listen lassen, um für Kunden aus der Umgebung schnell als Experte auffindbar zu sein. „Diese Liste wird stark frequentiert“, weiß Stollenwerk. Ein Indiz, dass eine Spezialisierung im Bereich des binokularen Sehens ein Weg sein kann, sich von Mitbewerbern und Filialisten abzugrenzen. „Wir haben heute mit stark veränderten und immer anspruchsvolleren Sehbedingungen zu tun. Hier wird in den kommenden Jahren ein enormer Bedarf an binokularen Korrektionen bestehen. Augenoptiker sind daher gut beraten, dieses große Feld nicht zu vernachlässigen.“

Stollenwerk hatte das Feld des Binokularsehens schon früh für sich erkannt, hielt es für wichtig, sich der IVBS anzuschließen und dort zu engagieren. Die erste offizielle Funktion war im Jahr 1993 die Berufung in den Wissenschaftlichen Beirat, dem er noch heute angehört. Bis zu fünf Mal trifft sich das Gremium, dem neben Stollenwerk Elke Brandt (Hannover), Beate Göpel (Bonn), Dr. Fritz Gorzny (Koblenz), Michael Hornig (Hankensbüttel) und Sprecher Professor Ralph Krüger (Berlin) angehören. Fachliche Stellungnahmen sowie das Erstellen des Kongressprogramms und der Infobroschüren gehören ebenso zu den Aufgaben wie Richtlinien für die fachgerechte Anwendung der MKH.

Praesidium
Das aktuelle Präsidium der IVBS (v.l.): Kassier Matthias Dahl, Präsident
Georg Stollenwerk, Vizepräsident Dr. Fritz Gorzny und Aktuar Jörg Tischer.
(Foto: IVBS)

Nicht zuletzt entscheidet der Wissenschaftliche Beirat über mögliche Kandidaten für den Hans-Joachim-Haase-Preis, der seit 2002 vergeben wird. Ausgezeichnet werden Personen, die sich in besonderem Maß um die binokulare Korrektion verdient gemacht haben, insbesondere durch wissenschaftliche Arbeiten oder andere Leistungen zur Förderung der MKH. Erster Preisträger war Götz Goeltzer (2003), es folgten Franziska Kubsch und Edith Kaltenbacher (2004), Dr. Helmut Goersch (2008), Kerstin Harms, Eberhard Lukas und Paul-Gerhard Mosch (2010) und Ina de Waal im Vorjahr. „Wir verleihen den Preis, der mit 2.500 Euro dotiert ist, bewusst nicht in jedem Jahr“, erklärt Stollenwerk, „dadurch behält er eine ganz besondere Wertigkeit!“


Mitglied werden in der IVBS

Aktive Mitglieder der IVBS können Ophthalmologen, Augenoptiker / Optometristen sowie Orthoptisten oder Angehörige anderer Berufe werden, die die MKH anwenden. Selbstständige zahlen einen Mitgliedsbeitrag von 270 Euro pro Jahr, Angestellte 150 Euro. Seniorenmitglieder, sofern diese mindestens zwei Jahre Aktivmitglied waren, zahlen 50 Euro, der gleiche Betrag wird bei Lebenspartnern von selbstständigen Mitgliedern fällig.

IVBS-Mitglieder genießen gleich eine Vielzahl von Vorteilen:

  • Teilnahme an den IVBS-Jahreskongressen mit mindestens 50 Prozent Ermäßigung auf die Gebühren für Vorträge und Seminare
  • 20 Prozent Ermäßigung auf die Teilnahmegebühr für IVBS-Seminare
  • kostenlose Teilnahme an den IVBS-Regionalforen
  • zwei Jahre lang 50 Prozent Ermäßigung für ein Abonnement der DOZ bei einem Neuabschluss
  • kostenlose Zusendung der dreimal jährlich erscheinenden Mitgliederzeitschrift „IVBS Info“ mit Kleinanzeigen
  • Literaturgutschein in Höhe von 30 Euro für selbstständige Mitglieder
  • Aufnahme in die Mitgliederliste auf der Homepage www.ivbs.org