Vorsorge: Jedes Jahr zählt
Eine konsequente Vorsorge und Behandlung einer Amblyopie in der Kindheit ist maßgeblich für den Erhalt des Sehvermögens im Erwachsenenalter.
Der Mensch kommt mit einem weitgehend unreifen Sehsystem zur Welt: Der erste Seheindruck nach der Geburt ist farbschwach und diffus, lediglich Gegenstände in unmittelbarer Nähe werden wahrgenommen. Im Laufe der ersten Wochen und Monate gewinnt das weitere Umfeld an Kontur, nach und nach entwickelt sich auch die Wahrnehmung von Farbe und räumlicher Tiefe. Probleme können entstehen, wenn ein Auge eine starke Kurz- oder Weitsichtigkeit aufweist. „Dann blendet das Gehirn diese störenden, weil unscharfen Informationen mehr und mehr aus und verarbeitet schließlich nur noch das aus dem normalsichtigen Auge stammende Bild“, erläutert Professorin Dr. med. Maria Fronius, Leiterin der Forschungseinheit „Sehstörungen des Kindesalters“ an der Klinik für Augenheilkunde des Universitätsklinikums Frankfurt am Main. Ähnlich ist die Situation bei Kindern, die schielen. Weil die beiden Augen keine deckungsgleichen Bilder liefern, fließt auch hier nur die Information aus einem Auge in den Seheindruck ein, das Bild des anderen Auges wird unterdrückt. „In der Folge entwickelt sich ein sehstarkes und ein sehschwaches, amblyopes Auge“, sagt Fronius.
Ein Auge wird „stillgelegt“
Wie man heute weiß, wird das Sehsystem auf der Seite des „stillgelegten“ Auges nicht ausreichend trainiert und verpasst wichtige Entwicklungsschritte. „Die Amblyopie ist nicht nur durch die reduzierte Sehschärfe charakterisiert, anhand derer sie meist diagnostiziert wird“, erläutert Fronius. Auch die Kontrast- und Bewegungswahrnehmung kann eingeschränkt sein, häufig auch die Lesefähigkeit, was besonders zum Tragen kommt, wenn im Erwachsenenalter die Funktion des sehstarken Auges verloren geht. Nicht zuletzt kann die Zusammenarbeit zwischen den beiden Augen gestört sein – mit Folgen für das räumliche Sehen und für die Augen-Hand-Koordination. Um diese Fehlentwicklung zu vermeiden, muss die Amblyopie früh erkannt und konsequent therapiert werden. Denn je ausgereifter die Gehirnteile sind, die Sehreize verarbeiten, desto schlechter lassen sich die entstandenen Defizite beheben. Lange galt daher das Einschulungsalter als Grenze der Therapierbarkeit. „Bei besonders ausgeprägten Formen lässt die Therapie-Effizienz aber schon ab dem vierten Lebensjahr nach“, betont Fronius. Auf der anderen Seite sei ein Therapieversuch auch dann noch sinnvoll, wenn die Amblyopie erst nach dem siebten Lebensjahr entdeckt werde. „Wir konnten zeigen, dass auch im Schulalter noch eine gewisse Besserung möglich ist“, sagt die Frankfurter Wissenschaftlerin.
Vorsorgetermine unbedingt wahrnehmen
Eine wichtige Rolle bei der Früherkennung der Amblyopie kommt den Kinderärztinnen und Kinderärzten zu, die im Rahmen der U-Untersuchungen regelmäßig auch die Augenfunktion überprüfen. Zeigen sich Auffälligkeiten, sollte Augenärztin oder Augenarzt zur genaueren Abklärung hinzugezogen werden. „Diese Untersuchungstermine sollten daher unbedingt wahrgenommen werden“, rät die DOG-Expertin. „Manchmal bemerken die Eltern auch im Alltag, dass ihr Kind Sehprobleme hat oder ein Auge favorisiert – etwa weil das Kind schielt, Gegenstände sehr nah an die Augen führt oder den Kopf immer zur selben Seite wendet“, fügt Fronius hinzu. Auch dies sei ein Grund, Augenärztin oder Augenarzt aufzusuchen. Der späteste Termin, an dem die Schwachsichtigkeit auffallen sollte, ist die Schuleingangsuntersuchung. Einmal entdeckt, muss die Amblyopie konsequent behandelt werden, um die Reifung des Sehsystems wieder in die richtigen Bahnen zu lenken. Je nach Ursache wird zunächst die Kurz- oder Weitsichtigkeit mithilfe einer Brille korrigiert. Dann wird das stärkere Auge stundenweise mit einem Augenpflaster verdeckt, um das schwächere Auge zu trainieren. Bei schielenden Kindern kommen ebenfalls Augenpflaster zum Einsatz. Dabei gilt: Je später die Amblyopie entdeckt wird, desto intensiver muss therapiert werden – desto länger müssen also die täglichen Tragezeiten des Augenpflasters sein. „Gerade bei älteren Kindern ist es aber ein Problem, diese Zeiten durchzusetzen und im Alltag unterzubringen“, sagt Fronius.
Keine Internet-Therapie ohne ärztliche Rücksprache
Um die Therapie zu erleichtern, werden daher neue digitale Verfahren entwickelt, die die binokulare Sicht mithilfe von Computerspielen oder Videos auf Virtual-Reality-Brillen oder 3D-Monitoren fördern sollen. Wie Tests an der Frankfurter Augenklinik ergaben, lässt sich die Sehschwäche mithilfe digitaler Tools zumindest genauer diagnostizieren. „Ob sie auch therapeutisch einen Vorteil gegenüber der Pflastertherapie bieten, muss sich in weiteren Untersuchungen erst noch erweisen“, sagt Fronius. „Auf alle Fälle ist davon abzuraten, sich auf eigene Faust im Internet alternativen Behandlungsmethoden zu unterziehen.“
Quelle: Deutsche Ophtalmologische Gesellschaft