Exklusive Einblicke in die Zahlen zur Ausbildung
Alle zwei Jahre wirft der Bericht einen genauen Blick auf den Stand der Dinge in Sachen Aus-, Fort- und Weiterbildung. Der Berufsbildungsbericht steht hier zum Download zur Verfügung.
„Wer nicht ausbildet, schafft sich seinen Fachkräftemangel selbst und verliert damit das Recht, den Fehler bei anderen zu suchen“, konstatiert Rainer Hankiewicz, Vorsitzender des ZVA-Berufsbildungsausschusses in seinem lesenswerten Vorwort zum aktuellen Berufsbildungsbericht des ZVA. Was er damit meint, wird auf den knapp 40 folgenden Seiten ausführlich dargelegt. Denn obwohl jeder fünfte Betrieb sich bei der Ausbildung des augenoptischen Nachwuchses engagiert, reicht das nicht, um dem deutlich spürbaren Fachkräftemangel zu begegnen.
Dabei ist die Entwicklung keineswegs neu. Ein Blick in die Archive zeigt, dass schon vor fünf Jahren während einer Podiumsdiskussion zur Opti die bange Frage gestellt wurde: „Nachwuchssorgen in der Augenoptik: Woran liegt’s? Was können wir tun?“ (DOZ-Ausgabe 03|2017). Zwei Jahre später war aus den Nachwuchssorgen bereits ein sich abzeichnender Fachkräftemangel geworden, der von den Autoren des Berufsbildungsberichts für die Augenoptik „vielerorts als Hemmschuh für die betroffenen Betriebe“ identifiziert wurde. Heute zeichnet sich der Fachkräftemangel nicht nur mittelfristig ab, sondern ist Alltag. Und bedingt durch die Corona-Pandemie setzt er sich quasi nach unten fort, denn auch die Ausbildung ist längst zum Bewerbermarkt geworden, in dem ausbildende Betrieb um jeden Auszubildenden kämpfen müssen.
Ausbildungsquote hoch, Fachkräftemangel auch
Aber der Reihe nach. Ende Januar hatte der ZVA den eingangs zitierten Berufsbildungsbericht 2021/2022 vorgelegt. Alle zwei Jahre wirft der Bericht einen genauen Blick auf den Stand der Dinge in Sachen Aus-, Fort- und Weiterbildung. Wie so viele Veröffentlichungen der vergangenen Monate steht auch der Berufsbildungsbericht im Zeichen von Corona. Das wird bereits deutlich an Zahl der Neuverträge in der Ausbildung. Stieg die Zahl bis 2019 konstant an, gab es 2020 einen regelrechten Einbruch (siehe Grafik 1). Dieser konnte auch im vergangenen Jahr nicht aufgeholt werden. Nichtsdestotrotz stieg die Gesamtzahl der Auszubildenden auf den Branchen-Rekordwert von 7.654 Auszubildenden. Und auch die Zahl der erfolgreich absolvierten Ausbildungen bleibt erfreulich hoch. Trotz Corona und den damit einhergehenden Beschränkungen gab es 2020 2.196 bestandene Gesellenprüfungen – und damit nur unwesentlich weniger als im Jahr zuvor. Wermutstropfen: Die Zahl der Ausbildungsbetrieb ging leicht zurück auf 3.266 (2019: 3.391). Das Gros der Ausbildung wird weiterhin von den Filialisten getragen. Auf Nachfrage der Redaktion teilt der ZVA mit, dass bei der aktuellen Befragung 64 Prozent der Auszubildenden angaben, in einem Unternehmen mit mehr als fünf Betriebsstätten zu arbeiten.
Hatte die Zahl der Neuverträge 2019 noch die 3.000er-Schwelle überschritten, sank sie im Corona-Jahr 2020 wieder fast auf den Stand von 2017. Auch vergangenes Jahr konnte der Rückgang der Neuverträge nicht aufgeholt werden.
Diese grundsätzlichen Zahlen führen zu einem auf den ersten Blick widersprüchlichen Resultat. Die Augenoptikbranche weist demnach nämlich eine Ausbildungsquote von 20,4 Prozent auf. Verglichen mit dem Durchschnitt aller Berufe, welcher bei bedenklichen 4,8 Prozent liegt, ein außerordentlich guter Wert. Andererseits jedoch bleiben Augenoptiker auf dem Arbeitsmarkt heiß begehrt. Demnach ging die Schere zwischen freien Stellen in der Augenoptik und arbeitslosen Augenoptikern laut Zahlen der Bundesagentur für Arbeit weiter dramatisch auseinander. Zwar hatte Corona 2020 für eine leichte Entspannung gesorgt, doch waren bereits im November 2021 lediglich 400 arbeitslose Augenoptiker gemeldet, wohingegen 1.673 offene Stellen zu verzeichnen waren. Heißt, jeder arbeitssuchende Augenoptiker kann theoretisch zwischen vier freien Stellen wählen.
Zudem drohe mittelfristig eine weitere Verschärfung des Fachkräftemangels. Bereits 2023 sei laut Bildungsbericht „mit einem deutlichen Rückgang bei den Absolventenzahlen bei der Gesellenprüfung und in der Folge mit einem zurückgehenden Angebot an ausgebildeten Augenoptikern zu rechnen“. Hinzu kommt, dass zum Start des Ausbildungsjahrs 2021 elf Prozent der Betriebe angaben, im Jahr 2020 mindestens einen Ausbildungsplatz nicht besetzt haben zu können. Im aktuellen Ausbildungsjahr gaben sogar 40 Prozent derjenigen Betriebe an, die aktuell nach Auszubildenden suchen, die Ausbildungsplätze noch nicht vollständig besetzt zu haben.
Vom Praktikanten zum Azubi
Dass es für interessierte junge Menschen nie einfacher, eine Ausbildung zur Augenoptikerin und zum Augenoptiker zu beginnen, verdeutlichen die Zahlen der Grafik 2. 84 Prozent der Auszubildenden gab in einer Onlinebefragung des ZVA an, dass sie keine größeren Schwierigkeiten bei der Ausbildungsplatzsuche hatten. Das bedeutet aber umgekehrt, dass Augenoptikbetriebe entweder nahezu keine Wahl unter den Bewerberinnen mehr hat oder sich die Suche nach geeigneten Bewerbern äußert schwierig erweist.
In einer separaten Online-Befragung unter Auszubildenden zeigt sich, dass die Ausbildungsplatzsuche für die Bewerber in der Regel problemlos verläuft. Umgekehrt heißt das jedoch, dass Ausbildungsbetriebe nunmehr um die besten Bewerber konkurrieren müssen.
Zwar bleibt die Initiativbewerbung nach wie vor die häufigste Form der Kontaktaufnahme zwischen Betrieb und zukünftigem Auszubildenen. Praktika und auch die Rekrutierung über Online-Medien spielen aber eine immer größere Rolle. Ein Praktikum bietet den Vorteil, dass sich beide Seiten kennenlernen können. Ganze 59 Prozent aller Betriebe, die ausbilden, gaben an, durch ein Praktikum neue Auszubildende gewonnen zu haben. Jeder zweite Betrieb zeigt sich zudem überzeugt, dass sich Praktika bewährt hätten. Nur fünf Prozent der ausbildenden Betriebe kann es sich in diesem Zusammenhang leisten, auf Praktika zu verzichten. Alle anderen bieten Schülerpraktika (88 Prozent), Praktika für Schulabgänger zur Berufsorientierung (50 Prozent) oder Praktika für Studenten der Augenoptik und Optometrie (23 Prozent) sowie für Studienzweifler und -abbrecher an (18 Prozent). Damit sind Praktika für nahezu jeden Ausbildungsbetrieb ein Grundpfeiler zur Gewinnung von Auszubildenden.
Nicht nur Social Networking
Auf den ersten Blick scheint Online-Medien keine relevante Bedeutung bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen zuzukommen. Nur neun Prozent der befragten Betriebe gab an, dass der Kontakt zur Auszubildenden über diesen Weg erfolgte. Allerdings täuschen diese Zahlen mittlerweile oft. Denn vor der eigentlichen Kontaktaufnahme steht für viele Ausbildungsplatzsuchende die Onlinerecherche. Hinterlässt diese einen eher negativen Eindruck, dürfte beispielsweise eine anschließende Initiativbewerbung zumindest weniger wahrscheinlich werden.
Vergleicht man zudem die Zahlen derjenigen Betriebe, die aktuell ausbilden, mit jenen, die früher ausgebildet haben, werden klare Tendenzen erkennbar. Zusammengenommen sind die beiden Social Media-Netzwerke Facebook und Instagram das Online-Job-Portal schlechthin (siehe Grafik 3). Während jedoch die Bedeutung von Facebook stark abnimmt, nimmt jene von Instagram zu. Hingegen gewinnt die eigene Website des ausbildenden Unternehmens und dort ausgespielte Anzeigen sehr stark an Bedeutung. Nahezu zwei Drittel der Unternehmen, die aktuell ausbilden und den Nachwuchs über Online-Medien gewonnen haben, erhielten über die eigene Webpräsenz den Kontakt. Ebenso spannend: Die Lehrstellenbörse der Bundesagentur für Arbeit sowie der Kammern sind längst weniger nachgefragt als private Lehrstellenbörsen. Auch das kann als Zeichen interpretiert werden, dass Augenoptikbetriebe um den Nachwuchs werben müssen statt umgekehrt.
Rechnet man Facebook und Instagram zusammen, bilden die Sozialen Netzwerke das wichtigste Job-Portal. Gleichzeitig, so lassen sich die Zahlen interpretieren, informiert sich das Gros der Bewerbenden auf der Website des in Frage kommenden Ausbildungsbetriebs.
Geringere Zufriedenheit beim Filialisten?
64 Prozent: Zwei Drittel aller Auszubildenden werden nach den Zahlen des ZVA-Berufsbildungsberichts in Unternehmen mit mehr als fünf Betriebsstätten ausgebildet. Besonders Marktführer Fielmann ist dabei bekannterweise in der Ausbildung präsent. Das ist nur logisch, denn ohne hochqualifizierten Nachwuchs stoßen alle Wachstums- und Expansionsphantasien schnell an natürlich Grenzen. Umso mehr lohnt ein vergleichender Blick, wie zufrieden Auszubildende in den jeweiligen Vertriebsformen tatsächlich sind. Auf Nachfrage hat der ZVA der Redaktion Einsicht in das exklusive Zahlenmaterial gewährt.
Weil der ganz überwiegende Teil der Ausbildung von Unternehmen mit zwei und mehr Filialen gestemmt wird, vergleichen wir ausschließlich Zahlen von Unternehmen mit zwei bis fünf Betrieben mit Unternehmen mit über fünf Betrieben. Vorweggenommen ist zu konstatieren, dass die Zufriedenheit mit der Ausbildung insgesamt sehr hoch ist. Aus Sicht der Auszubildenden bieten Filialisten und Mittelständler ein ausgesprochen gutes Lehr-Umfeld. Die Unterschiede finden sich vielmehr im Detail und sind umso aufschlussreicher (siehe Grafik 4). So wird das Betriebsklima bei kleineren Unternehmen deutlich positiver wahrgenommen. Gleichzeitig sind aber auch die Zahlen der Unzufriedenen leicht höher. In einem eher kleineren Betrieb schlägt sich also ein problematisches Betriebsklima schneller auf die Zufriedenheit nieder. Deutliche Vorteile können kleinere Unternehmen zudem offenbar bei den Arbeitszeiten ausspielen. Während demnach 60 Prozent der Auszubildenen insgesamt zufrieden mit den Arbeitszeiten ist, sind es bei Unternehmen mit über fünf Filialen nur knapp die Hälfte. Mittelständische Unternehmen können also flexibler auf die neuen Anforderungen des Nachwuchses reagieren.
Je größer das Unternehmen, desto geringer die Zufriedenheit der Auszubildenden. Diesen Schluss legen die oben aufgeführten Zahlen nahe. Besonders deutlich klafft die Lücke beim Betriebsklima und den Arbeitszeiten auseinander. Glaubt man den Mutmaßungen über die Generation Z, sind es aber gerade solche Faktoren, die junge Menschen immer mehr ansprechen.
Und nach der Ausbildung?
Um dem Fachkräftemangel Herr zu werden, ist es entscheidend, dass eine größtmögliche Zahl des augenoptischen Nachwuchses nach der Ausbildung auch im Betrieb, wenigstens in einem Augenoptikbetrieb seine Zukunft sieht. Und an dieser Stelle gibt es noch gehörig Potenzial. Denn nur jeder Zweite Auszubildende will auch langfristig im Laden sowie in der Werkstatt stehen (siehe Grafik 5). Auch hier zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen Vertriebsformen (siehe Grafiken 6a und 6b). Deutlich mehr Auszubildende streben in den Unternehmen mit zwei bis fünf Filialen danach, sich bald nach der Ausbildung an der Meisterschule oder an einer staatlichen Fachschule anzumelden. Auch der Wille, sich zukünftig selbständig zu machen ist hier größer ausgeprägt. Auszubildende bei Filialisten wollen im Gegenzug häufiger zunächst als Gesellinnen und Gesellen Berufserfahrung sammeln.
Die Hälfte der Auszubildenden findet unabhängig der Unternehmensgröße nachhaltig Gefallen am Beruf und der Arbeit im Betrieb.
Gleichsam spannend sind aber auch die Zukunftswünsche derjenigen Auszubildenden, die ihre berufliche Zukunft nicht in einem augenoptischen Betrieb sehen. Fast 70 Prozent dieser Auszubildenden in Unternehmen mit zwei bis fünf Filialen plant im Anschluss an die Ausbildung entweder ein fachfremdes Studium oder eine weitere Ausbildung in einem anderen Beruf. Bei Filialisten ist dieser Wert deutlich geringer. Deutlich höher sind demgegenüber die Werte der Unentschlossenen und derjenigen, die vom Lernenden zum Lehrenden an einer Berufsschule werden wollen.
Der Wunsch, Meister zu werden und sich selbstständig zu machen, ist unter den Auszubildenden im Mittelstand stärker ausgeprägt als bei jenen der Filialisten.
Wer jedoch mit der Ausbildung bei einem Mittelständler unzufrieden ist, plant häufiger einen Branchenwechsel als Auszubildende von Filialisten.
„Wenn Sie als einziger Augenoptiker auf der ganzen Welt im nächsten Jahr ausbilden, ist der Fachkräftemangel in drei Jahren passé, zumindest für Sie. Augenoptiker sind ein nachwachsender Rohstoff“, schließt Rainer Hankiewicz sein Vorwort des Berufsbildungsberichts des ZVA. Und er hat Recht damit. Mit dem umfassenden Zahlenwerk des Berichts ist es als ausbildender Betrieb zudem möglich, sich zu vergleichen, neue Impulse für die Ausbildung zu erhalten und vor allem besser zu verstehen, wie die junge Generation tickt.