Hospitation an der Heinrich-Kleyer-Berufsschule, Bereich Augenoptik

Was denken Azubis über ihre Ausbildung?

Wie ist es um die berufliche Ausbildung in der Augenoptik bestellt? Schließlich äußerte sich die Mehrheit der Befragten im ZVA-Bildungsbericht 2021/2022 kritisch, ob die in der Berufsschule vermittelten Inhalte die betriebliche Ausbildung überhaupt sinnvoll ergänzen. Daher hat DOZ-Autorin Claudia Büdel nach rund 20 Jahren noch einmal „ihre“ Berufsschule besucht, um mit den Auszubildenden persönlich ins Gespräch zu kommen und herauszufinden, wie sie über die Ausbildung denken und was sie sich für ihre persönliche Zukunft wünschen.
Hospitation

Lehrerin Susan Lorenz-Bombis lässt ihre Klasse im Labor die Wirkungsweise verschiedener Kontaktlinsen-Pflegemittel erforschen.

© Ulf Haueisen

Erstveröffentlicht in der DOZ 11I24

Vor dem Haupteingang der Heinrich-Kleyer-Schule (HKS) nimmt mich Mi-Hyun Kim als Abteilungsleiterin Augenoptik in Empfang. Sie stellt mich Schulleiter Klaus Sandrock vor, während beim Weg durch die Gänge Erinnerungen an meine Schulzeit wach werden. Hier in Frankfurt begann meine berufliche Laufbahn, hier habe ich von 2005 bis 2008 gelernt, gelacht und ganz schön gezittert, wenn Prüfungen anstanden.

Heute werden an der HKS bei steigenden Schülerzahlen insgesamt etwa 2.800 Schülerinnen und Schüler unterrichtet, zum Zeitpunkt meines Besuchs sind es 375 im Bereich Augenoptik: im ersten Lehrjahr 140, im zweiten 100 und im dritten 135 Azubis. Die Anzahl der Schüler in der Augenoptik sei derzeit recht stabil und weitaus weniger Schwankungen unterworfen als andere Ausbildungsgänge, berichtet Kim.

Die Schule verfügt über eine eigene Mensa, in der täglich das Essen frisch zubereitet wird, eine Bibliothek und Mediothek sowie verschiedene Beratungs- und Betreuungsangebote. Eine eigene Werkstatt für überbetriebliche Unterweisungen in der Augenoptik, wie sie es zu meiner Zeit an der HKS gegeben hatte, ist nicht mehr vorhanden. Das liegt daran, dass die Unterweisungen inzwischen nicht mehr in der Zuständigkeit der Schulen liegen. Stattdessen finden sie für die Bundesländer Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen mittlerweile am Aus- und Weiterbildungszentrum (AWZ) in Karlsruhe statt. Die Fahrtstrecke dahin nehmen die Schülerinnen und Schüler aber gerne in Kauf, wie mir später aus dem dritten Lehrjahr berichtet wird. Praxisunterricht ist offenbar ein rares Gut: Einige Azubis haben im Betrieb gar keine Werkstatt mehr, anderen fehlt die Anleitung durch einen internen Ausbilder.

Das Kollegium im Fachbereich Augenoptik umfasst derzeit 18 Personen und alle Stellen sind besetzt. Einige aus dem jungen Team, das überwiegend aus Augenoptikerinnen und -optikern besteht, lerne ich im Lehrerzimmer kennen und komme leicht ins Gespräch. Man freut sich über das Interesse an der Schule und den Auszubildenden, es kämen ja „viel zu selten Entscheider vorbei, die tatsächlich Interesse haben, mit den Schülern und Lehrern ins Gespräch zu kommen“. Auf die Frage, ob sich nachrückende Jahrgänge von vorherigen unterscheiden, beispielsweise in ihrem Wissen und ihren Qualifikationen oder in einem selbstbewussteren Auftreten die Zukunft betreffend, fällt die Antwort nicht so klar aus, wie es oft die Berichterstattung über die junge Generation vermuten lässt: „Die Azubis sind eine zu heterogene Gruppe, als dass man sie über einen Kamm scheren könnte“, heißt es aus dem Kollegium. Viele seien mit Herzblut bei der Sache und engagierten sich in der Schule.

Unterschiedliche Motivation macht sich bemerkbar

Nichtsdestotrotz wird als eine große Herausforderung der Leistungsunterschied innerhalb der einzelnen Klassen genannt. Es mache sich bemerkbar, dass bei der Arbeitsagentur der Beruf Augenoptiker sehr weit oben in der alphabetischen Sortierung zu finden ist, höre ich. Azubis, die aufgrund einer Beratung beim Arbeitsamt in die Augenoptik starten, gingen mitunter weniger im Job auf als Kinder von Betriebsinhabern oder solche, die den Beruf auf Empfehlung ergreifen. Zudem brächen sie häufiger schon in der Probezeit ihre Ausbildung ab – im zweiten und dritten Jahr gebe es nur noch Einzelfälle, beispielsweise aus privaten Gründen. Tatsächlich erfahre ich später die unterschiedlichsten Motive für die Berufsentscheidung der Schüler. Neben denen, die nach einem Praktikum oder auf Empfehlung in den Beruf eingestiegen, selbst von einer Sehminderung betroffen sind oder in dem Beruf die „perfekte Mischung“ und „Jobsicherheit“ sehen, gibt es auch noch die, die nach Internetsuche, aus Zufall oder aus der Not geboren in der Augenoptik gelandet sind.

Um die Abbruchquote gerade zu Beginn der Ausbildung zu reduzieren, wünscht man sich im Lehrerzimmer höhere Zugangsvoraussetzungen, etwa einen Eignungstest oder einen kritischeren Blick der Betriebe auf die Anwärter. Wenig hilfreich sei zudem, wenn kommuniziert werde, dass man auch ohne Abschluss einen Job als Fachverkäuferin bekäme. „Das steigert nicht gerade die Motivation der Azubis, in der Schule gute Leistungen zu erreichen“, wird mir entgegnet.

Wie kann eine Schule da gegensteuern? An der HKS legt man großen Wert auf praxisnahen Unterricht. Entsprechend stolz berichtet Abteilungsleiterin Kim von den großen Unterrichtsräumen mit moderner Ausstattung, von Betriebsbesichtigungen bei Glasherstellern und Kooperationen mit Meisterschulen – auch zur Fortbildung des Kollegiums – sowie einer Schule mit Schwerpunkt Sehbehinderung.

Frauenanteil im Fach Augenoptik sei höher

Mit diesen ersten Eindrücken geht es in den Unterricht. Erste Station: eine Klasse mit Schülerinnen und Schülern im dritten Lehrjahr, die die Zusatzqualifikation Betriebsassistent im Handwerk anstreben. Ich erinnere mich, dass meine Klasse damals die erste war, die diesen Zusatztitel an der HKS erwerben konnte. Auf dem Weg zum Klassenraum erzählt Mi-Hyun Kim schmunzelnd, dass die Azubis der Augenoptik von den anderen Azubis gerne als „Elite“ bezeichnet würden. Zudem sei der Frauenanteil höher als in anderen Fächern.

Von diesem ungleichen Verhältnis ist heute aber nichts zu sehen. Fünf männliche und fünf weibliche Auszubildende lauschen Lehrer Franz Martin Hauck, der seit 2007 an der Schule tätig ist. Da die Abschlussprüfung zum Zeitpunkt meines Besuchs nur noch etwa acht Wochen entfernt ist, geht es in erster Linie darum, offene Fragen zu klären. Fair und respektvoll wirkt das Verhältnis von Lehrer und Schülern. Es geht um Themen wie Sturmsches Konoid, Bildlinien, Gullstrand-Auge und Astigmatismusarten. Anschließend teilt Hauck zur Prüfungsvorbereitung ein Arbeitsblatt zur Bestimmung und Korrektion einer Phorie aus. Diverses Gemurmel und Fragen an den Nachbarn zeigen jedoch, dass die Prüfungssituation noch nicht ganz verinnerlicht ist. Auch die Bearbeitungszeit von eigentlich nur 15 Minuten wird deutlich überschritten.

Danach habe ich noch Zeit, mit den Azubis, die sich quasi auf der Zielgeraden ihrer Ausbildung befinden, ins Gespräch zu kommen. So kurz vor Schluss ziehen die meisten ein positives Fazit in Bezug auf die Gewichtung der einzelnen Ausbildungsinhalte. Allerdings sei, sagen einige, das Thema Gleitsichtgläser etwas kurz gekommen und die Glaspreislisten hätten deutlich früher behandelt werden sollen. „Und was kommt nach der Ausbildung?“, will ich von den angehenden Gesellen wissen. Einige können sich vorstellen, den Meister anzuschließen, andere sehen ihre Zukunft weniger im eigenen Geschäft, sondern vielmehr in der Industrie oder gar der Forschung.

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Praxisnahe Wissensvermittlung: Stephanie Burgardt (stehend) lässt Schülerinnen und Schüler in Kleingruppen arbeiten.

© Ulf Haueisen

Schwere Köpfe, offene Türen und ein überforderter Aufzug

Nächste Station: das Labor. Acht Schülerinnen und sechs Schüler des ersten Ausbildungsjahres verteilen sich auf die Gruppentische. Vorne steht Lehrerin Susan Lorenz-Bombis, die mit einer gewissen Disziplinlosigkeit einiger Azubis zu kämpfen hat. Manche legen den Kopf auf dem Tisch ab, einige kommen zu spät („am Aufzug hat ein zu hoher Andrang geherrscht“), derweil irgendjemand die Tür zum Klassenraum einfach offengelassen hat. Keine Ausnahme, wie Lorenz-Bombis sagt. Um wirklich alle mitzunehmen, müsse man zudem bei Versuchsaufbauten haarklein ins Detail gehen. Und kreativ sein: „Auf der anderen Seite habe ich eine Pufferstation eingeführt, in der leistungsstärkere Schüler nach frühzeitiger Beendigung der Aufgaben beispielsweise Kreuzworträtsel zum Thema lösen können“, berichtet die Lehrerin, „um weiter sinnvoll beschäftigt zu sein.“

Trotz allem herrscht eine vergleichsweise angenehme Stimmung. Im heutigen Versuchsaufbau geht es um die Wirkungsweise der verschiedenen KontaktlinsenPflegemittel. Auch hier komme ich während der Versuchsdokumentation mit den Schülern ins Gespräch. „Die Attraktivität des Handwerks wird unterschätzt und in der Gesellschaft hat das Handwerk an Ansehen verloren“, finden die Azubis. Das sehe man schon an den Gymnasiasten, die einen regelrechten Erwartungsdruck verspürten, ein Studium zu beginnen. Etwas mehr Respekt aus der Gesellschaft in Bezug auf das Handwerk sei daher wünschenswert. Auch beim Thema Vergütung sehen die Azubis durchaus Luft nach oben, gerade wenn Tarifempfehlungen der Verbände nicht umgesetzt würden. Ich merke, dass viele mit Herzblut bei der Sache sind.

Unterstützungsangebote für Leistungsschwächere

Die Mittagspause verbringe ich mit Mi-Hyun Kim in der Mensa. Wie es um die Förderung von Leistungsschwächeren steht, möchte ich wissen. „Es gibt Unterstützungsangebote wie etwa Ausbildungscoachings oder sozialpädagogische Betreuungsangebote, um einem Abbruch der Lehre vorzubeugen. Auch ich bin natürlich Ansprechpartner bei Problemen“, sagt Kim. Einen Satz, den sie während unserer Gänge durch die Schulflure mit Leben füllt, indem sie sich immer wieder den Problemen der Schülerinnen annimmt. Beispielsweise, wenn sie wartende Schülerinnen vor der Bibliothek aktiv anspricht und sich nach der anstehenden Nachholklausur erkundigt oder von einem Mitglied der Schülervertretung zu kommenden Terminen befragt wird.

Neben Nachhilfestellen können die Azubis auf digitale Inhalte zurückgreifen, die ihnen die Lehrer im Anschluss an den Unterricht zur Verfügung stellen. So kann der Lernstoff von zu Hause aus nochmals angeschaut und nachgearbeitet werden. Finanziell schlechter gestellte können mit dem Bildungspaket Teilhabe über das Arbeitsamt finanzielle Förderungen und auf Antrag auch Essenszuschüsse für die Mensa erhalten. Laptops werden bei der Schulleitung ausgeliehen, Bücher und Materialien kostenfrei gestellt. Zudem gibt es einen Förderverein der Schule, der bei Klassenfahrten einbezogen werden kann.

Praxisnahe Wissensvermittlung kommt gut bei der Klasse an

Nach der Mittagspause darf ich als letzte Station in den Unterricht bei Stephanie Burgardt hineinschauen. Es ist die selbe Klasse, die ich bereits aus dem Labor kenne. Diesmal geht es um das Thema Führerschein
Sehtest. Burgardt, übrigens wie Lorenz-Bombis eine ehemalige Schülerin der HKS, hat sich dafür zu Beginn ein Quiz im Stil von „Wer wird Millionär?“ einfallen lassen, um den bereits erlernten theoretischen Teil zu wiederholen. Für das Quiz nutzt sie die spielbasierte Lernplattform Kahoot und fragt rechtliche Hintergründe, Voraussetzungen und Vorgehensweisen zur Durchführung von Führerscheinsehtests ab. Danach geht es an die Praxis: Eine Schülerin spielt eine Kundin nach Vorgabe der Lehrerin. Diese soll beispielsweise eine fehlende Compliance vortäuschen oder anschließend über ihre Testergebnisse diskutieren wollen. Ein anderer Schüler führt den Test mit der „Kundin“ durch und eine dritte Azubine gibt im Nachhinein Feedback anhand eines Beobachtungsbogens.

Selbst mir macht es Spaß zu sehen, wie gut diese lockere und praxisnahe Wissensvermittlung bei der Klasse ankommt. Während ich mit Burgardt zwischen den Tischgruppen umhergehe, spreche ich ihr – stellvertretend für alle anderen Lehrkräfte – ein Lob für die Geduld im Umgang mit der Klasse aus. „Es ist nicht immer leicht, diese beizubehalten, wenn auch nach mehrmaliger Wiederholung relevante Grundkenntnisse noch nicht gefestigt sind. Schließlich muss man aufpassen, dass man die leistungsstärkeren Schüler nicht langweilt“, erklärt mir die junge Lehrerin. Aufschwung gäben dann Azubis, die ohne Schwierigkeiten die Ausbildung abschließen und mitunter sogar verkürzen. Am Ende der Stunde fragt Burgardt ihre Klasse, wie ihr der heutige Unterricht gefallen habe: Das Feedback fällt durchgehend positiv aus – genauso wie meines am Ende der Rückkehr an den Ort, an dem auch für mich die augenoptische Laufbahn begann.

Claudia Büdel

Autorin: Claudia Büdel
besuchte selbst zwischen 2005 und 2008 die Heinrich-Kleyer-Schule und machte dort – damals noch als Claudia Jung – ihren Abschluss als Augenoptikerin und Betriebsassistentin im Handwerk. Heute arbeitet sie als Augenoptikermeisterin, staatliche geprüfte Augenoptikerin und Optometristin (HWK) in einer Augenklinik mit Studienzentrale.