Eine Arena, die Sie nicht kampflos preisgeben sollten

Zusatzverkäufe können mehr, als ihr schlechter Ruf suggeriert

Längst sind Augenoptikfachgeschäfte nicht mehr die Platzhirsche, wenn es um den Handel mit Kontaktlinsenpflegemitteln und Augenbenetzungstropfen geht. Sie könnten und sollten es aber sein. Als Ansprechpartner rund um das Auge unterschätzen manche Augenoptikerinnen die Macht einer guten Beratung. Und womöglich unterschätzen sie das Geschäft mit einem wachsenden Markt. Lesen Sie hier, was die Industrie dazu sagt, weshalb hier so viel Potenzial zu finden ist und warum Sie die Chancen in diesem Bereich nutzen sollten.
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Erstveröffentlichung in der DOZ 01/23.

Als der Amerikaner Phil Brandenberger im Jahr 1994 eine CD des Sängers Sting kaufte, war das eine Sensation. Nicht etwa, weil es sich um einen besonderen Titel handelte oder der Sänger das Album dem Käufer persönlich überreichte. Nein, der Kauf erfolgte völlig kontaktlos und das war das Sensationelle daran. Der CD-Kauf Brandenbergers gilt als erster verifizierter Online-Kauf und ging somit in die Geschichte des E-Commerce ein. Vor 25 Jahren, da wusste die Welt noch nicht, mit welcher Wucht das Internet in den Adern von Handel und Wirtschaft implodieren würde. Heute gehört der Webshop fast genauso zum Geschäft wie die Hausnummer.

Als Brandenberger also Anfang der 90er Geschichte schrieb, blieb der Einzelhandel in Deutschland noch unaufgeregt. In der deutschen Augenoptik allerdings bebten schon aus anderen Gründen die Fundamente der bis dato relativ krisenverschonten Traditionsgeschäfte. 1994 war das Jahr, in dem Fielmann an die Börse ging. Der Preisdruck erhöhte sich, das Zeitalter der Filialisierung brach an und veränderte langsam das Einzelhandelsgeschäft und das Aussehen unserer Innenstädte. Und das noch ganz ohne Internet. 

Inzwischen haben die traditionellen Augenoptikbetriebe nicht nur den rauen Wind durch zahlreiche Filialisten im Gesicht, auch der Online-Handel ist etabliert und macht den Geschäften die Kundinnen und Kunden streitig. Insbesondere bei Zusatzgeschäften, für die Kundinnen glauben, dass eine Beratung überflüssig sei. Oder bei dem der Augenoptiker glaubt, es sei überflüssig zu beraten (Stichwort: Trockenes Auge, weiter unten im Text). Was man trotz aller Online-Konkurrenz noch in den meisten stationären Augenoptikgeschäften findet, sind Kontaktlinsenpflegemittel und Augenbenetzungstropfen. Ein Produkt das auch bei unserer DOZ-Umfrage zum Thema Zusatzverkäufe von der Mehrheit (22,7 Prozent) als Muss-man- Haben- Angebot angekreuzt wurde – knapp hinter Fertiglesebrillen und Brillenzubehör mit 20,9 Prozent.

Aber hat dieser Bereich überhaupt noch Bedeutung für den Umsatz eines Fachgeschäfts? Um am Anfang der Lieferkette zu starten, haben wir nach der Stimmung zum Thema Kontaktlinsenpflegemittel im stationären Handel bei den Firmen Alcon, Menicon und Optima nachgefragt. Die Unternehmen vertreten je nach Produktportfolio verschiedene Ansichten zum Verkauf von Zusatzprodukten, sind sich aber in einem Punkt einig: Viele Produkte kann man zwar inzwischen online erhalten – das Fachgeschäft sei dennoch oft die erste Anlaufstelle für Kontaktlinsenträgerinnen und -träger und sowohl für die Industrie als Geschäft(?) wichtig, als auch für Verbraucher als Ratgeber. 

Das gute Gefühl gibt es nur im Geschäft

Ganz vorne auf dem Vision-Care-Markt dabei ist Alcon. Das Unternehmen aus Freiburg ist Weltmarktführer im Bereich Augenheilkunde und einer der größten Hersteller von Kontaktlinsen und Kontaktlinsenpflegemitteln. Alcon Produkte, die jeder Augenoptiker vermutlich kennt, sind im Bereich Pflegemittel der grüne Karton der Optifree-Lösung und die mit violettblauem Label leuchtende AO-Sept-Flasche. Um dem Verbraucher zu zeigen, dass der Augenoptiker hier die Expertenposition innehat, sei vor allem die Haltung des Fachgeschäfts gefragt. So habe der stationäre Handel für Alcon einen sehr hohen Stellenwert, wie man uns auf Nachfrage mitteilt. Hier könnten die Kundinnen und Kunden professionell betreut werden, bekämen Tipps zur Anwendung und Informationen zu neuen Produkten sowie die Möglichkeit der Nachfrage.

Was außerdem für den Handel mit Kontaktlinsenpflegemittel spricht, sind die Zahlen des Kontaktlinsenkreises des Industrieverbands Spectaris. Bei dessen Präsentation auf dem Trendforum Anfang November wurde deutlich, dass Deutschland mit 71 Prozent ein Monatslinsenmarkt ist. Und für diese Form von Kontaktlinsen braucht man nun mal Pflegemittel. Ellen Fries, Head of Marketing und Professional Service bei Menicon Deutschland, sieht das ganz pragmatisch: „Es ist nicht sehr sexy, aber man braucht es halt. 

Als Augenoptiker sollte man diese Chance nicht leichtfertig vergehen lassen.“ Was hier als Chance gemeint ist, ist als Thema ebenso unsexy wie notwendig und hört auf den Namen Kundenbindung. Wer Zweiwochen- oder Monatslinsen trägt, braucht Pflegemittel und muss etwa alle drei Monate nachkaufen. Das ist eine einfache Rechnung, und auch für den Einkauf von Pflegemitteln auf Augenoptikerseite relevant.

Benetzungstropfen sollten nicht hinter dem Tresen versteckt werden, sondern prominent platziert sein.

Ellen-Fries-Menicon

Kontaktlinsenpflegemittel seien nicht sonderlich sexy, aber man brauche sie halt, sagt Ellen Fries, Head of Marketing und Professional Service bei Menicon Deutschland. „Als Augenoptiker sollte man diese Chance nicht leichtfertig vergehen lassen.“ 

© Menicon

Nach dem Marktrückzug von CooperVision (siehe DOZ 07 und 08/22) mussten einige Geschäfte Alternativen finden. Das spürten und spüren sowohl Alcon als auch Menicon in Form einer höheren Nachfrage nach ihren Produkten. Menicon nutzte die entstandene Lücke und launchte erst kürzlich die Kochsalzlösung Saline. Eine Chance also auf Industrieseite, ihre Produkte in den Vordergrund zu rücken. Die Produkte mehr in den Fokus zu stellen, wünscht sich auch Optima-Geder schäftsführer Stefan Kroll und zwar von Seiten der Augenoptikfachgeschäfte. Augenbenetzungstropfen sollten nicht hinter dem Tresen versteckt, sondern prominent platziert und direkt angeboten werden. Denn während das Thema Linsenpflegemittel als Zusatzverkauf eng damit zusammenhängt, wie das Geschäft das Thema Kontaktlinse in seine Firmenphilosophie integriert hat, gibt es ein bekanntes bevölkerungsweites Leiden, das Zusatzverkäufe generieren kann, aber häufig ignoriert wird. Die Rede ist vom Trockenen Auge.  

 

14 Millionen potenzielle Verbraucher

Ein Leiden, von dem, das bestätigt Alcon, rund 15 bis 17 Prozent der Bevölkerung betroffen sind. Das wären etwa 14 Millionen potenzielle Verbraucher. Das Trockene Auge, für dessen Behandlungstropfen Augenärztinnen ihre Patienten häufig in die Apotheke schicken und für das sich laut Kroll selbst viele Augenoptikfachgeschäfte nicht zuständig fühlen. „Dabei haben Augenoptiker ja nur die Augen. Der Apotheke ist das egal, die macht keine Beratung rund ums Trockene Auge.“ Optima muss es wissen, das Unternehmen bietet vorwiegend Lösungen gegen das Trockene Auge und für die Lidrandpflege an. Kroll findet, dass sich so mancher Augenoptiker nicht der Möglichkeiten bewusst sei, die die Behandlung des Trockenen Auges biete. Er unterscheidet die Herangehensweise an das Trockene Auge anhand eigener Erfahrungen in zwei Stränge: „Es gibt auf der einen Seite die Fachleute, die gezielt beraten und Augenpflegeprodukte verkaufen und auf der anderen Seite diejenigen, die die Kundinnen in die Apotheke schicken.“ In der Regel liege die Frequenz, mit der Kundinnen ein Augenoptikgeschäft aufsuchen bei drei Jahren. „Liegt ein Trockenes Auge vor, kann ich bei einer guten Beratung aber mit regelmäßigeren Besuchen rechnen“, führt Kroll aus. 

Das Feld der Pathologie zum Trockenen Auge teilt sich der Augenoptiker stiefmütterlich mit dem Apotheker. Produkte, die das Trockene Auge behandeln können, sind dort ebenso erhältlich. Schwierig findet Kroll auch, dass zum Beispiel Alcon sein Produkt Systane mit dem gleichen Label sowohl an Apotheken als auch an Augenoptiker verkaufe. Eine Sorge, die Alcon nicht teilt, man nehme dem Augenoptikfachgeschäft schließlich nichts weg, erklärt das Unternehmen auf Nachfrage. Wird der Kunde allerdings in die Apotheke geschickt, werde das ganze Potenzial aus der Branche herausgenommen, bedauert Kroll. Die Pflege des „Dry Eye Disease“ sei essenziell. Trotzdem bieten nur eine Handvoll Augenoptiker ein Screening dazu an. Dabei, das betont Kroll ebenso, wirke sich das Trockene Auge negativ auf Refraktion und Kontaktlinsenanpassung aus. Man könne es als Augenoptikerin quasi nicht ignorieren. „Jeder Augenoptiker will den Umsatz mitnehmen, aber nicht jeder die Beratung“, glaubt Kroll. Denn selbst wenn Augentropfen im Sortiment sind, verkaufen sich diese nicht von alleine. Das sei wie beim Sportschuh. „Brauchen Sie noch Imprägnierspray? Haben Sie Einlagen?“ Der Zusatzverkauf, und vor allem das Trockene Auge, sei ein eigener Business-Case, den es zu verstehen gelte.

 

Stefan-Kroll-Optima

Stefan Kroll, Geschäftsführer von Optima, bedauert, dass sich viele Augenoptiker nicht der Möglichkeiten bewusst seien, die die Behandlung des Trockenen Auges biete.

© Optima

Und obwohl laut DOZ-Umfrage zum Thema Zusatzverkäufe 47, 5 Prozent der Teilnehmenden angegeben haben, ihre Mitarbeiter würden für Zusatzverkäufe sensibilisiert, kann das nur die Spitze des Eisbergs sein. Denn nur zehn Prozent weniger gaben an, ihre Mitarbeiterinnen dafür weder zu sensibilisieren noch zu trainieren. Eine Abwehrhaltung von Kunden bezüglich Zusatzverkäufen darf den Augenoptiker übrigens nicht abschrecken. „Der Kunde wird immer in eine Abwehrhaltung gehen“, sagt Kroll. Möglichkeiten, ihn dennoch auf diese Produkte aufmerksam zu machen, gebe es viele: ein Augenspray, das die Kundin vor der Refraktion nutzen kann, um den Tränenfilm zu stabilisieren, die Mitgabe eines Testers, wenn sie im Gespräch über viel Bildschirmarbeit klagt, Broschüren und Reminder – das alles kann ein Türöffner sein. Das Zusatzgeschäft, das sieht man auch in anderen Branchen, ist kein Selbstläufer. Aber es ist, und das bestätigen selbst die Kontaktlinsenexperten Fabio Carta und Indie Grewal in ihrem Artikel in dieser Ausgabe (siehe S. 108), ein Geschäft voller Potenzial. Das sieht auch Verkaufstrainer Martin Groß im nachfolgenden Interview so, auch wenn er diesen Bereich anders bezeichnet. 

Der Markt und damit die Nachfrage speziell für Behandlungen des Trockenes Auges wird weiterwachsen. Mit oder ohne die Augenoptikfachgeschäfte.