Das Wort "Refraktion" gehört nicht auf die Homepage
Eine moderne Website, die Kundeninteressen in den Mittelpunkt stellt und den Kunden in das stationäre Geschäft „lenkt“, wird für die stationären Augenoptikbetriebe laut Bastian Schnuchel immer wichtiger werden.
Erstveröffentlichung DOZ 08I21
DOZ: Herr Schnuchel, wie wichtig ist eine hochwertige Internetseite für Augenoptikerinnen?
Bastian Schnuchel: Grundsätzlich wird aus meiner Sicht selbst bei einer zunehmenden Digitalisierung der Augenoptik-Branche der größte Teil der Verkäufe von Korrektionsbrillen auch in den nächsten Jahren in den stationären Geschäften stattfinden. Das ist auch gut so, denn nur dort kann der Augenoptiker seine Stärken ausspielen, also zum Beispiel persönliche Beratung und fachliche Kompetenz. Nur der Weg der Kunden dorthin wird sich immer weiter ändern. Eine moderne Website, die Kundeninteressen in den Mittelpunkt stellt und den Kunden in das stationäre Geschäft „lenkt“, wird dabei immer wichtiger werden.
Wie meinen Sie das?
Stellen Sie sich einmal vor, einer Ihrer Kunden ist so von Ihnen begeistert, dass er Sie am Wochenende Freunden weiterempfiehlt. Das Nächste was passieren wird: Diese Freunde zücken das Smartphone und besuchen Ihre Website. Schließlich ist man ja neugierig und will wissen, wer denn der „phänomenale“ Augenoptiker so ist. Das gilt übrigens auch für Ihre Werbung: Egal ob Mailing an Ihre Stammkunden, Flyer oder Zeitungsanzeige: Die Kunden werden in der Regel zuerst Ihre Website besuchen, um dann zu entscheiden, ob sich der Weg in Ihr Fachgeschäft lohnt. Man spricht hier von ROPO, research online, purchase offline. Also zuerst online informieren, um dann stationär zu kaufen. Man kann davon ausgehen, dass 70 bis 80 Prozent der Kunden ihren Kauf online „vorbereiten“.
Augenoptikermeister Bastian Schnuchel ist Gesellschafter & Geschäftsführer der to.eyes GmbH in Kaufbeuren. Der Betrieb betreut mehr als 1.100 Augenoptiker in Deutschland zu den Themen Werbung & Marketing
Die Homepage muss auf dem Smartphone überzeugen
Wie setzt man sich optimal in Szene?
Eine Augenoptiker-Website muss natürlich auf den ersten Blick überzeugen – und das vor allem auf dem Smartphone, denn mehr als 90 Prozent aller Zugriffe auf die Websites unserer Kunden erfolgen über mobile Endgeräte. Der stationäre Computer spielt also so gut wie keine Rolle mehr beim Surfverhalten der Endkunden. Zwei Dinge sind hier besonders wichtig: Zum einen sollte die Homepage „responsive“ sein, also sich flexibel der individuellen Bildschirmgröße des Endkunden an passen und dort auch gut und intuitiv bedienbar sein. Und dann sind es vor allem Bilder, die diesen ersten Eindruck verstärken können – und zwar positiv genauso wie negativ. Ich spreche hier gerne von der „Liebe auf den ersten Blick“, denn schließlich entscheiden die ersten zwei bis drei Sekunden darüber, ob ich auf der Website weitere Informationen erhalte oder schnell wieder zurück zu den Google Suchergebnissenmöchte. Hier sollte man sich auf jeden Fall einen professionellen Fotografen ins Haus holen und nicht sparen. Schlechte Bilder sind Gift für den Erfolg der Website!
Welche Rolle spielt es, online und real im gleichen Stil aufzutreten?
Eine sehr große. Sie sollten in jedem Fall darauf achten, dass die Bildsprache, das Design und auch die Wortwahl dem entspricht, womit Sie auch sonst im Markt präsent sind, also zum Beispiel in klassischen Werbemedien. Mein Lieblingsbeispiel ist hier die Telekom, die das in Perfektion macht. Egal, wo man gerade ist, wenn man die Farbe „Magenta“ sieht, weiß man sofort, dass es sich hier zu 99 Prozent um die Telekom handeln muss. Natürlich hat die Telekom dafür seit Jahren viel Geld in Werbung und Marketing investiert, aber auch als mittelständischer Augenoptiker sollte man in seinem lokalen Markt online wie offline mit Kontinuität und Konsequenz überzeugen. Ich empfehle also ganz klar, sich intensiv Gedanken über ein eigenes Corporate Design, also einen einheitlichen optischen Auftritt zu machen. Zugegeben macht das am Anfang etwas mehr Arbeit, langfristig spart man damit aber Zeit und erhöht den Erfolg seiner Werbung.
Kurze Texte ohne Fachvokabular
Wie viel Text sollte auf einer Homepage zu lesen sein?
Das ist eine echte Zwickmühle. Denn für Google kann es nicht genug Text sein, für den Kunden sollte es so wenig wie möglich sein. Hier gilt es also eine ausgewogene Lösung zu finden. In jedem Fall sollte man aber lange Texte vermeiden und diese mit Zwischenüberschriften, Aufzählungen und hervorgehobenen Passagen so strukturieren, dass ein Kunde, der wenig lesen möchte, alleine über die Überschriften alle relevanten Informationen erhält und ein Kunde, der mehr Informationen erhalten möchte, entsprechend mehr lesen kann. Übrigens, wir Augenoptiker – und ich darf das als Kollege vielleicht auch so sagen – neigen tendenziell dazu, viel zu viel zu erzählen. Getreu dem Motto: viel hilft viel. Aber tatsächlich gilt hier der Spruch „in der Kürze liegt die Würze“, und auf Fach vokabular sollte man – auch im Sinne der Auffindbarkeit bei Google – möglichst verzichten. Beispielsweise würde ich das Wort „Refraktion“ niemals auf einer Webseite verwenden, sondern immer – auch wenn es vielleicht langweilig ist – von einem Sehtest sprechen. Den schließlich suchen die Kunden bei Google zum Beispiel nach „Sehtest München“.
Welche Rolle spielen Produkte auf der Internetseite?
Dazu möchte ich Ihnen kurz ein Beispiel geben: Stellen Sie sich vor, Sie interessieren sich für ein neues Auto und möchten gerne mehr darüber erfahren. In der Regel informieren Sie sich vor dem Besuch des stationären Autohändlers auf der Website des Herstellers. Stellen Sie sich jetzt vor, Sie würden dort keine Autos sehen, sondern nur die Werkzeuge, mit denen zum Beispiel die Spur neu eingestellt wird oder technische Informationen über den Aufbau des Motors. Vermutlich würden Sie die Seite schnell wieder verlassen, schließlich wollen Sie ja sehen, wie das neue Traumauto optisch aussieht. Die meisten Augenoptiker-Internetseiten sind aber genauso aufgebaut. Sie erzählen sehr viel über die Technologie der Brillengläser, über die modernsten Messinstrumente, aber das eigentliche Produkt, die Brille, genauer gesagt die Brillenfassung, wird kaum thematisiert. Natürlich sind auch diese Punkte wichtig für die Positionierung eines Augenoptikers, insbesondere wenn er im Bereich der Optometrie einen Schwerpunkt hat. Aber dennoch sind es gerade die Brillenfassungen, die Kundinnen und Kunden sehen möchten, denn nur in diesem Bereich können sie sich selbst eine Meinung bilden. Und genau das machen die großen Online-Anbieter in Perfektion: Sie stellen die Brillenfassung und damit das eigentlich für den Kunden relevante Produkt in den Mittelpunkt. Man muss nicht immer alles gut finden, was die großen Anbieter machen, aber in diesem Punkt würde ich jedem Augenoptiker empfehlen, sich eine dicke Scheibe abzuschneiden.
Die Brillenfassung ist das Produkt, das für Kundinnen und Kunden relevant ist: Sie gehört in den Mittelpunkt.
Wären die Logos der Fassungshersteller da ein erster guter Schritt?
Nur das Logo der Fassungshersteller auf der Website abzudrucken, macht gerade bei Independent Labels so gut wie keinen Sinn, da sich der Kunde unter dem Label „XY“ nicht viel vorstellen kann und man gerade Mode über Bilder viel einfacher und für den Kunden spannender verpacken kann. Sicher muss man hier nicht alle Brillenfassungen abbilden, und es ist auch nicht wichtig, ob man die exakten Modelle auch auf Lager hat. Aber die aktuellen Brillenfassungen, die den Kern der Kollektion und damit deren Style ausmachen, sollten Sie in jedem Fall präsentieren. Oft behilft man sich mit einem einfachen Link auf die Seite des Herstellers. Aber auch das macht nur wenig Sinn, da der Kunde dann „weg“ ist und vielleicht über den Storefinder des Herstellers einen anderen Augenoptiker findet.
Was ist der größte Fehler, den Augenoptiker machen können?
Tote Fliegen (lacht). Nein, im Ernst: Als Auszubildender musste ich jeden Abend die Schaufenster nach toten Fliegen absuchen. Was sich auf den ersten Blick wie eine Strafarbeit anhört, ist tatsächlich ein sehr bekanntes Phänomen in der Augenoptik. Wir Augenoptiker sind echte Weltmeister in Sachen Schaufensterdekoration und legen sehr viel Wert auf eine schöne und möglichst aktuelle Dekoration. In der Regel wird das Schaufenster alle vier bis acht Wochen neu gemacht. Die meisten Augenoptiker-Websites sind da deutlich „verstaubter“. Das liegt vielleicht daran, dass man an seinem eigenen Schaufenster jeden Tag x-mal vorbeiläuft, die eigene Homepage aber nicht jeden Tag vor Augen hat. Die Homepage ist das virtuelle Schaufenster des Augenoptikers und 24 Stunden am Tag für theoretisch jeden Menschen der Welt sichtbar. Gerade Augenoptiker in einer weniger frequentierten Lage sollten deshalb das Potenzial der Homepage für mehr „virtuelle Frequenz“ erkennen und aktiv nutzen. Mein Tipp daher an alle Augenoptiker: Aktualisieren Sie Ihre Website mindestens einmal pro Monat, zum Beispiel mit den neusten Modetrends, dem aktuellen Angebot oder neuen Fotos. Es muss bei weitem nicht die ganze Homepage neu gestaltet werden. Es genügt schon, wenn der Kunde auf der Startseite merkt, dass man sich mit aktuellen Themen beschäftigt, also im Sommer zum Beispiel mit dem Thema „Sonnenbrille“ und im Herbst mit dem Thema „Autofahrerbrille“.
Die to.eyes GmbH betreut 327 Augenoptiker-Websites, von denen aktuell 94 die Möglichkeit einer Online-Terminanfrage bieten. Die Zahlen geben an, wie viele Termine bei diesen 94 Augenoptikern pro Quartal angefragt wurden.
Wie gelingt es, Kunden mit der Website gezielt ins Geschäft zu locken?
Stellen Sie sich vor, Sie haben es in der Customer Journey durch eine Werbeaktion oder eine Weiterempfehlung geschafft, dass ein potenzieller Kunde auf der Website landet. Der erste Eindruck überzeugt, die Informationen sind verständlich formuliert, und der Kunde hat Lust auf eine Brille. Stellen Sie sich jetzt weiter vor, es ist Sonntagnachmittag und der Kunde sitzt kaufwillig auf seinem Sofa. Klassischerweise würde der Kunde jetzt sagen: „Da gehe ich nächste Woche mal hin.“ Und wie das so mit guten Vorsätzen ist, vergisst man diese auch schnell einmal. Eine Lösung: Der Kunde kann auf der Website einen Termin anfragen oder noch besser direkt einen Termin buchen. Dadurch würde der Kunde seine Kaufaufsicht mehr oder weniger verbindlich kommunizieren und der erste Schritt zur Kundenbindung und damit zur neuen Brille ist getan. Übrigens: Wenn man der Corona-Krise etwas Positives abgewinnen möchte, dann ist es die stark gestiegene Bereitschaft der Kunden, auch im klassischen Einzelhandel einen Termin zu vereinbaren (siehe Grafik).
Welchen Nutzen hat eine Augenoptiker-Website noch?
Neben dem „klassischen Endkunden-Geschäft“ sehe ich hier vor allem das Thema Mitarbeiter. Der Fachkräftemangel wird immer größer, und es wird immer schwieriger, neue, gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Auch hier steht für mich die Website klar im Mittelpunkt der Mitarbeitersuche, denn egal ob Anzeige in den Fachmedien oder Social Media-Kampagne zur Mitarbeitergewinnung: Auch potenzielle Interessenten werden sich auf Ihrer Website einen ersten Eindruck über das Unternehmen verschaffen. Und auch wenn man gerade nicht aktiv neue Mitarbeiter sucht, steht man ständig im Fokus wechselwilliger Mitarbeiter, die als erstes die Websites der lokalen Augenoptiker checken werden.
Wie wichtig ist eine Verbindung der Website zu den Sozialen Netzwerken?
Das kommt immer auf die Richtung an. Grundsätzich sollten Sie in den Sozialen Netzwerken immer auf Ihre Website verweisen und versuchen, die User von Facebook, Instagram&Co. auf Ihre Website zu locken Es spricht zwar auch nichts gegen einen Verweis von der Homepage auf die Profile in den Sozialen Netzwerken, aber ich würde immer dafür plädieren, dass alle Kommunikationskanäle nur ein Ziel kennen, und das ist die eigene Website. Denn nur dort haben Sie Möglichkeit, alle Ihre Informationen genau so zu kommunizieren, wie Sie es möchten. Sie müssen sich nicht irgend welchen Beschränkungen der großen Plattformen unterwerfen.
In Zukunft besteht eine Website aus Modulen, die sich individuell für jeden Kunden „zusammenbauen“
Was wird in Zukunft an Bedeutung zunehmen?
Heute hat ein Augenoptiker eine Internetseite. Jeder Kunde – egal welchen Alters, egal welchen Geschlechts und egal mit welchen Interessen – sieht genau die gleiche Website. Die Kunden wünschen sich aber personalisierte Inhalte, die exakt auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. In Zukunft wird eine Augen optiker-Website meiner Ansicht nach aus vielen einzelnen Modulen bestehen, die sich aufgrund der zur Verfügung stehenden Daten individuell für jeden einzelnen Endkunden automatisch. In Zukunft besteht eine Website aus Modulen, die sich individuell für jeden Kunden „zusammenbauen“. Ein junger, modischer Kunde wird also eher Inhalte zum Thema „Brillenmode“ erhalten, und ein Kunde im besten Gleitsichtalter mehr Informationen zu Officebrillen oder zur Augengesundheit. Auch das machen die Großen bereits vor. Wenn Sie zum Beispiel Amazon nehmen: Auch hier erhält der Kunde Produkte auf der Startseite angezeigt, die sich laut dem Amazon-Algorithmus mit den persönlichen Interessen decken.
Das Gespräch führte Christian Schutsch