Interview mit Wöhlk-Geschäftsführer Lauscher
Erstveröffentlichung DOZ 03/23
DOZ: Herr Dr. Lauscher, das Unternehmen Wöhlk blickt auf einen bewegte Vergangenheit zurück. Mit welchen Gefühlen haben Sie August 2019 die Geschäftsführung übernommen?
Dr. Dirk Lauscher: Das war und ist eine richtige Herausforderung. Das Team hat bereits einen jahrelang gewachsenen Erfahrungsschatz, von dem wir profitieren. Ich bringe als Quereinsteiger höchstens noch mal andere Perspektiven mit hinein. Und natürlich Erkenntnisse aus dem Thema Medizinprodukte. Das hilft, die richtigen Akzente zu setzen, um uns stetig zu verbessern – und vor allem, auch in Zukunft innovative Kontaktlinsen herzustellen, die ja heutzutage Medizinprodukte (siehe DOZ 02/23) sind. In den Gründungstagen von Wöhlk war das noch nicht so. Wöhlk hat ja nicht als Hersteller von Kontaktlinsen angefangen, bei Wöhlk lag der Schwerpunkt vor allem darauf, eine Methode zu entwickeln, um verträgliche Kontaktlinsen herzustellen. Man kann sagen, der Weg dahin war das eigentliche Thema. Heutzutage stehen das optimierte Design und Material im Vordergrund, während die Methoden weitestgehend etabliert sind (das konnten wir auch bei unserem Besuch bei Wöhlk sehen, vgl. DOZ 11/22) .
„Die größte Sorge bereitet mir, dass Neuentwicklungen durch die MDR künftig zu aufwendig werden“, sagt Dirk Lauscher.
Das ist also die Herausforderung, die Sie noch immer reizt?
Ganz genau. Ich bin ja ursprünglich Chemiker. Vom Herzen her ein Produktentwickler.
Sie selbst tragen aber keine Kontaktlinsen?
Das ist eine berechtigte Frage. Ich muss zugeben, ich war bereits 54 Jahre alt, als mich das erste Mal ein Augenoptiker auf eine Kontaktlinse angesprochen hat. Ich bin seit meinem 16. Lebensjahr Brillenträger. Nun habe ich das bekannte Problem, mir etwas ins Auge einzusetzen. Wir haben es bereits versucht: Ich habe die Kontaktlinse bei Wöhlk eingesetzt und später hatte ich Schwierigkeiten sie wieder zu entfernen. Das ging einige Wochen so und nachdem alles Üben nichts half, habe ich das Projekt Kontaktlinse erst einmal ruhen lassen. Ich werde es aber sicher erneut probieren.
Schwieriger Einstieg während der Corona-Pandemie
Gleich nachdem Sie bei Wöhlk als Geschäftsführer angefangen hatten, kam der erste Lockdown. Wie sind Sie damit umgegangen?
Das war nicht der einfachste Einstieg. Mit meinem Vorgänger Lothar Haase hatten wir viele Pläne für das Jahr 2020 vorbereitet. Deshalb hat uns der Lockdown, wie vielen anderen Unternehmen auch, wehgetan. Es war auch zunächst unklar, ob Augenoptikerinnen und Augenoptiker Linsen anpassen durften oder selbst wenn, ob sie dies überhaupt wollten. Das war keine einfache Zeit für uns als mittelständisches Unternehmen.
Wie sind Sie die Zeit angegangen und wie ist es heute?
Die erste Herausforderung war, das Thema Prävention im Unternehmen umzusetzen. Wie schützen wir uns? Zudem haben wir die Kundenkommunikation fokussiert und versucht, die Augenoptiker zu unterstützen. Es gab zum Beispiel ein Tutorial: „Kontaktlinsen anpassen während Corona“. Das wurde von den Augenoptikern dankbar angenommen. Man muss sagen, dass der erste Lockdown am schlimmsten war. Inzwischen erholen wir uns und sind auf einem guten Weg, die gleichen Umsätze wie 2019 zu erreichen. Heute kommt ein weiterer Effekt hinzu: die Ukraine-Krise. Man kann hier von ähnlichen Auswirkungen sprechen wie in der Pandemie. Während Corona fielen erst mal viele Situationen weg, in denen typischerweise Linsen getragen werden, wie zum Beispiel das Ausgehen abends. Es war spürbar schwierig für Augenoptiker, Kontaktlinsen zu verkaufen. Heute wird das Tragen von Linsen eventuell aus Kostengründen reduziert. Uns erreichen Anfragen wie: „Könnte ich eine Tageslinse nicht reinigen und noch mal tragen?“ Wenn die Inflation weiter so galoppiert, dann denken die Leute sicherlich mehr darüber nach, wofür sie ihr Geld ausgeben.
Problem: Lange Lieferzeiten
Was bedeutet die Energiekrise für Ihr Unternehmen?
Wir sind natürlich von den steigenden Energiekosten betroffen, insbesondere den Stromkosten. Außerdem haben wir Sorge, dass sich das Kaufverhalten hinsichtlich der Kontaktlinsen wieder negativ entwickeln könnte. Daneben treffen uns auch erhöhte Rohstoffpreise. Die Materialien zur Herstellung und Verpackung werden zugekauft, wobei die Rohstoffe deutlich teurer und die Lieferzeiten länger werden. Drastisch war es bei Kartonagen, bei denen wir zwischenzeitlich mit Lieferzeiten von 17 Wochen kalkulieren mussten.
Kann man da als Unternehmen nicht kreativ werden?
Sicherlich kann man zum Beispiel bei der Umverpackung optimieren, um sehr pragmatische, unkomplizierte Lösungen zu finden. Allerdings schränkt die Primärverpackung der Kontaktlinse, der Blister, die Möglichkeiten des Verpackungsformats ein. Als steriles Medizinprodukt ist die Anforderung an die Verpackung vor allem ein sicherer Transport bis zum Anwender. Wir haben die Optimierung unserer Verpackung stets im Blick und verzichten daher bereits auf die Folierung der Pappschachteln.
Wie sieht es mit einer ESG-Strategie (Environment, Social, Governance; zu deutsch: Umwelt, Soziales, Unternehmensführung; Anm. d. Red.) aus? Hat Wöhlk bereits eine solche?
Eine echte ESG-Strategie haben wir noch nicht. Unser Mutterkonzern Seed setzt bereits Maßnahmen um, die wir zukünftig auch adaptieren, wann immer möglich. Bei der Entwicklung neuer Produkte achten wir stark auf den Nachhaltigkeitsaspekt.
Hohe Abforderungen durch die MDR
Was ist mit der neuen Medizinprodukteverordnung (MDR, siehe DOZ 02/23)? Welche Bedeutung hat die MDR für Wöhlk Contactlinsen?
Die Anforderungen an Dokumentationen zu Bestandsprodukten sind in der MDR deutlich erhöht. Diese Dokumentationen sind der erste Schritt, um im Markt bewährte Produkte nach den neuen Regularien weiter anbieten zu können. Da dies ein aufwendiger und kostenintensiver Prozess ist, sterben an dieser Stelle viele Produkte. Das ist in der ganzen Medizintechnik so. Die Neuentwicklung von Produkten ist uns wiederum erst möglich, wenn wir nach erfolgreicher Auditierung uneingeschränkt nach neuen Regularien zertifiziert sind. Wir gehen davon aus, den Prozess dieses Jahr abschließen zu können.
So schnell wie möglich will sich Wöhlk wieder auf die Innovation neuer Produkte konzentrieren.
Wie läuft das dann ab?
Normalerweise wird die technische Dokumentation von der benannten Stelle geprüft. Wenn diese mit den Regularien konform ist, wird das Unternehmen auditiert, um auch den Zustand des Qualitätsmanagements zu überprüfen. Nach erfolgreichem Abschluss beider Schritte erhalten wir die Zertifizierung. Insgesamt ist diese Änderung des Medizinproduktegesetzes für die betroffenen Unternehmen ein hoher Kostenfaktor, wobei sich der zusätzliche Nutzen für den Verbraucher noch zeigen muss. Die Sicherheit der Produkte war ja auch vor der MDR schon gegeben. Die größte Sorge bereitet mir, dass Neuentwicklungen künftig so aufwendig werden, dass der Innovationsmotor Mittelstand dadurch die Triebkraft verliert. Die Aufwände sind finanziell so groß, dass sie nicht mehr erwirtschaftet werden können. Das wird Wöhlk nicht davon abhalten, weiterhin an verbesserten Materialien und Linsengeometrien zu forschen.
Wöhlk wird es schaffen?
Wir haben uns gut vorbereitet und sind zuversichtlich, dass wir 2023 Jahr die MDR-Zertifizierung erlangen.
Kooperation wichtig
Es gibt für einen relativ kleinen Kundenstamm unglaublich viele Kontaktlinsenunternehmen. Ist der Markt gesättigt?
Im Vergleich zum umliegenden Ausland birgt der deutsche Markt noch Wachstumspotenzial. Insgesamt herrscht in dem bestehenden Markt aber vor allem ein Verdrängungswettbewerb. Insbesondere bei individuellen Linsen spielen besondere Qualitätsaspekte eine Rolle. Zum Beispiel die Reproduzierbarkeit bei einer Nachbestellung. Da werden sich Firmen wie wir durchsetzen, die eine gute Qualität zu einem fairen Preis anbieten können und die Anpasser mit kompetentem Service unterstützen. Weiterhin wird es wichtig sein, Trends im Markt aufzugreifen und durch innovative Produkte zu bedienen, wie etwa Myopie-Kontrolle oder Ortho-K. Kommen wir zu der strategischen Kooperation mit dem japanischen Kontaktlinsenhersteller Seed.
Hat sich die Kooperation so entwickelt, wie Sie es geplant hatten?
Durch den Lockdown und die damit verbundenen Reiseeinschränkungen ging es langsamer voran als geplant. Ich konnte zum Beispiel nur einmal nach Japan reisen. Dabei ist der persönliche Austausch für ein Geschäftsverhältnis sehr wichtig. Das Gute ist: Wir wussten von vornherein, dass japanische Firmen ein Unternehmen von innen heraus stärken möchten. Und das tut Seed. Das Portfolio passt auch hervorragend zu Wöhlk. Wir stehen nicht im Wettbewerb zur Mutterfirma, sondern ergänzen uns. Das ist für eine strategische Partnerschaft eine ideale Voraussetzung. Wir arbeiten aktuell an Strategien, wie wir im europäischen Bereich unsere Stärken bündeln können und möchten das dann natürlich auch im asiatischen Bereich umsetzen.
Und wie weit ist Wöhlk beim Thema Digitalisierung?
An der Digitalisierung kommt ja keiner vorbei. Es hat sich herausgestellt, dass wir bei einigen Themen der Digitalisierung schon gut aufgestellt sind. Unsere Linsendesigns zum Beispiel werden ja schon lange über eine Software umgesetzt. Wir sind gerade dabei ein ERP-System (Enterprise-Ressource-Planning-System, zu Deutsch: Unternehmens-Ressourcen-Planung einer Software; Anm. d. Red.) einzuführen. Das hilft uns klarer zu sehen und Effizienz, Ressourcen und Materialien noch besser zu koordinieren. Das klingt, als wären Sie wieder mehr Geschäftsmann als Produktentwickler. Sie hatten sich ja zu Beginn Ihrer Arbeit doch gerade auf die Nähe zur Entwicklung gefreut … Das bringt die Arbeit als Geschäftsführer nun mal auch mit sich. Aber: Ich bin wieder in einer Firma, die vom Rohmaterial bis zu Prozess und Design ein Produkt inhouse herstellt, das verkauft wird. Diese Bandbreite ist das Tolle an Wöhlk und diese Bandbreite mag ich auch so. Wir haben einen guten Mix mit der individuellen Linse und der Tageslinse. Auch nach 75 Jahren steht Wöhlk für die Individuallinse.
Und was sind die Ziele der kommenden Jahre? Werden Sie Wachstum forcieren?
Zunächst gilt es, die MDR-Zertifizierung abzuschließen und das ERP-System einzuführen. Das ist sehr fordernd für alle. Sobald wir das MDR-Zertifikat erlangen, werden wir uns wirklich wieder auf neue Produkte und Innovationen konzentrieren. Es liegt einiges in der Schublade, was wir angehen werden. Insbesondere auch neue Materialen. Damit bildet sich für uns die Grundlage, weiteres Wachstum zu generieren. Wir sind auf einem guten Weg und haben in Seed einen starken Partner.
Das Gespräch führte Nicole Bengeser