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SPEZIAL

DOZ

09 | 2017

46

drei Gleitsichtbrillen – wenn wir bei dem

Thema bleiben wollen – Pflicht. Ja, und

dann sind da noch die Lesebrille für das

Bett für alle Nichtmyopen, die Rasierbrille

für den Mann ab 55 und so weiter und

so weiter.

Wir sind etwas vom Weg abgekommen,

also zurück zu den Reklamationen und

den Gründen dafür. Neben der zielge­

rechten Beratung gibt es sicher noch

andere Stolpersteine.

Es gibt zum Beispiel Schicht-Reklama-

tionen, was aber nichts mit dem Thema

Gleitsicht zu tun hat, sondern durch den

höher werdenden Anteil von hochbre-

chenden Kunststoffmaterialien zu erklären

ist. Ich habe schon gesagt, dass Fehler im

Produktionsprozess entstehen können.

Aber eben auch Refraktionsfehler, Zent-

rierfehler oder Ungenauigkeiten bei der

Anzeichnung. So etwas passiert, und das

ist ganz normal.

Welche Fehler können beim Hersteller

entstehen?

Die meisten Fehler in der Fertigung

sind heutzutage sofort sichtbar oder

messbar. Die Kontrolle vor der Auslie-

ferung ist automatisiert und umfasst

einhundert Prozent – alle Hersteller sind

deshalb viel besser geworden. Hochbre-

chender Kunststoff stellt wohl alle vor

mehr oder minder größere Probleme bei

der Färbung. Auch im Reinigungsprozess

vor der Beschichtung kann es sein, dass

mal etwas passiert. Aber, wir reden hier

von einem Anteil im niedrigen Promille-

bereich.

Öfter kommt es vor, dass

eine lange Progression

Probleme beim Kun-

den verursacht. Die

Brillen sind wieder

größer geworden,

das verleitet dazu,

längere Progressio-

nen zu verwenden.

Das geht aber mindes-

tens dann in die Hose,

wenn der Kunde zuvor

eine kurze Progression genutzt

hat. Unabhängig von der Scheibengröße

der Fassung ist die kürzest mögliche

Progression immer die beste, weil das

physiologisch dem natürlichen Sehen ent-

spricht. Lange Progressionen gab es vor

weit mehr als 15 Jahren, weil es technisch

nicht möglich war, sie kürzer zu gestalten.

Womit Sie wieder die Kurve zur Bera­

tung nehmen. Ist im Gleitsichtglasver­

kauf heute noch der Edding oder der

PDMaßstab erlaubt?

Das geht, ja, aber fürs Image des Au-

genoptikers ist das eine Katastrophe.

Wenn ich mit meinem Auto heute in die

Werkstatt fahre, steht der Mechaniker

auch nicht mit dem Hammer da. Heutige

vollindividualisierte Gleitsichtgläser sind

nach meinem Eindruck viel empfindli-

cher für Reklamationen geworden, ihren

wirklichen Tragekomfort können sie nur

entfalten, wenn wirklich alles stimmt. Wir

forschen noch daran, doch bislang hat

noch niemand heraus gefundenen, warum

das so ist. Das heißt, in der Anpassung

muss einfach alles stimmen, die

Beratung gehört hier dazu und

steht an erster Stelle. Danach

müssen alle heute verfügba-

ren Möglichkeiten bei der

Refraktion ausgeschöpft wer-

den, die Anamnese darf keine

Fragen unbeantwortet lassen.

Die anatomische Brillenanpas-

sung und erst danach die Zent-

rierung müssen genauso sorgfältig

beachtet werden wie die Fertigung und

der Einschleifprozess, die durch neueste

Technologien unterstützt werden. Zuletzt

ist wieder der Augenoptiker bei der Ein-

weisung in die Gleitsichtbrille gefragt.

Wenn bis dahin alles perfekt gelaufen ist,

wird der Kunde zufrieden weitere Brillen

bei ihm kaufen.

Gutes Stichwort, denn zur Suche nach

dem Haar in der Suppe gehört auch die

Erwähnung, dass das Gleitsichtglas ein

Erfolgsprodukt ist und beim Augen­

optiker nicht viel falsch gemacht wird.

So ist es. Aber wenn man sich umhört,

ist das Produktimage deutlich negativer

als die Realität. Ich kann wirklich nur ein-

dringlich raten, schaut euch den Kunden

genau an! Wie sind seine Körper- und

seine Kopfhaltung, wie groß sind seine

Arbeitsbereiche, was möchte er, was kann

er? Wenn die Beratung stimmt, wird der

Kunde wissen, was seine Gläser können

und wofür er Geld ausgegeben hat. Er

wird nicht nur dieser, sondern auch wei-

teren Gleitsichtbrillen viel offener gegen-

überstehen.

Ihre vorletzte Antwort schließt einen

erfolgreichen Onlineverkauf von Gleit­

sichtgläsern aus, oder?

Theoretisch ja, ich halte das eigentlich

für ausgeschlossen. Wohlwissend aber,

dass es Anbieter gibt, die online verkaufen

und kaum Reklamationen beklagen.

Wie ist das möglich?

Das Bewusstsein für gutes Sehen

nimmt insgesamt eher ab, wir haben es

alle nicht geschafft, das in der Bevölke-

rung hochzuhalten. Ich habe schon von

den Erwartungen des Kunden gespro-

chen, jemand, der günstig eine Gleitsicht-

brille kauft und damit zurecht kommt,

fragt kaum danach, wie viel besser und

angenehmer er mit einer anderen sehen

könnte. Zudem hängt die Gewöhnung an

eine Gleitsichtbrille enorm von der indi-

viduellen Sensibilität des Brillenträgers

ab – hier gibt es die Sensiblen und die

Hufschmiede.

Zum Schluss noch einmal zu Ihrem

Vortrag, der auch deswegen so gut an­

kam, weil die gezeigten Reklamations­

beispiele so heftig und letztlich zum

Lachen waren. Welche Kuriositäten

sind Ihnen besonders im Gedächtnis

geblieben?

Ich möchte es bei einem Beispiel be-

lassen: Ein Kunde reklamiert seine Gleit-

sichtbrille nach zwei Wochen Tragedauer

und der Augenoptiker schickt diese ein.

Die Prüfung ergibt, bei einem Glas ist das

Nahteil oben eingeschliffen. Eine glück-

licherweise heute wie früher ausgespro-

chen selten vorkommende Reklamation.

n

Das Gespräch führte Ingo Rütten

Dr. Klaus Wehmeyer, Aufsichtsratsvor­

sitzender der Deutschen Augenoptik AG.

(Foto: Deutsche Augenoptik AG)

… in der

Anpassung muss

einfach alles stimmen,

die Beratung gehört

hier dazu und steht

an erster Stelle.